Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Urs Kindhäuser Skript zur Vorlesung Strafrecht AT § 46: Gesetzeskonkurrenz 1. Ein Strafgesetz wird im Wege der Gesetzeskonkurrenz „verdrängt“, wenn es zwar verwirklicht ist, aber nicht angewandt wird. Dies ist der Fall, wenn das Unrecht der zurücktretenden Gesetzesverletzung bereits von dem anderen Gesetz erfasst ist, dessen Verletzung dem Täter ebenfalls vorgeworfen wird (BGHSt 25, 373; 42, 51 [53]; Fahl JA 1995, 654 ff.; Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, 322 ff.). 2. Drei Arten von Gesetzeskonkurrenz (h.M.): Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion Fall 1: A sticht in lebensgefährlicher Weise vorsätzlich mit einem Messer auf B ein. Verwirklicht sind § 223 und § 224 Abs. 1 Nr. 5, jedoch: § 224 Abs. 1 Nr. 5 enthält alle Merkmale von § 223 und zudem noch ein weiteres Merkmal (lebensgefährdende Behandlung). a) Spezialität (lex specialis derogat legi generali): Das merkmalsreichere und damit „speziellere“ Gesetz geht dem allgemeineren vor (Gropp § 14/12; Kühl § 21/52; Roxin AT II § 33/177). Diese Konkurrenzform ist damit bei Handlungseinheit stets im Verhältnis Grunddelikt – Qualifizierung / Privilegierung gegeben. Fall 2: A überredet B zur gemeinsamen Ausführung eines gewaltsamen Banküberfalls. Die Tat wird ausgeführt. A verwirklicht §§ 255, 26 und §§ 255, 25 Abs. 2. b) Subsidiarität: Gegeben, wenn durch eine Handlung (bzw. Handlungseinheit, siehe § 45) mehrere Gesetze verletzt werden, wobei jedoch das eine nur unter der Voraussetzung eingreift, dass nicht auch das andere verwirklicht ist. Wir unterscheiden: Materielle Subsidiarität: Das Unrecht einer Gesetzverletzung wird vom Unrecht einer anderen und schwereren Gesetzesverletzung erfasst. Insbesondere: Beihilfe gegenüber Anstiftung, Teilnahme gegenüber Täterschaft, Versuch gegenüber Vollendung, Fahrlässigkeit gegenüber Vorsatz, Unterlassen gegenüber Begehen. (näher: RGSt 68, 407 ff.; BGHSt 1, 131 ff.; 14, 378 f.; BGH NStZ 1986, 565 f.; Roxin AT II § 33/199). Formelle Subsidiarität: Wenn im Gesetz ausdrücklich geregelt (z.B. §§ 246 Abs. 1, 316 Abs. 1 StGB). Fall 3: A bricht mit einem Stemmeisen die Tür zur Villa des V auf und entwendet dort einen wertvollen Teppich. I. §§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB II. § 303 StGB III. § 123 StGB 1 c) Konsumtion: Das Unrecht eines Delikts wird im Regelfall von demjenigen eines anderen Delikts miterfasst (vgl. nur KG JR 1979, 249 f.; LK-Rissing-van Saan Vor § 52 Rn 144): Dies ist zum einen der Fall bei sog. typische Begleittaten. Exemplarisch: Der Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) wird regelmäßig im Zusammenhang mit einem Einbruchsdiebstahl mitverwirklicht (s. Fall 3) – Anwendung der Konsumtion im Falle der Tateinheit. Des Weiteren liegt Konsumtion auch bei mitbestraften Vor- bzw. Nachtaten vor. Hier verletzt der Täter mit dem zurücktretenden Delikt kein weiteres Rechtsgut, dieses dient vielmehr nur als „Durchgangsstadium“ zur eigentlichen Haupttat bzw. zur Sicherung od. Verwertung einer bereits widerrechtlich erlangten Rechtsposition. Etwa: Der Dieb von Brennholz (§ 242 StGB) nutzt dieses im Winter, um seinen Ofen zu heizen (§ 303 StGB) – Anwendung der Konsumtion im Falle der Tatmehrheit. Beachte: Die Begründung der Straflosigkeit mitbestafter Vor- und Nachtaten ist str.; tlw. werden diese auch als Fall der Subsidiarität behandelt (vgl. Kühl § 21/63 ff. m.w.N.). 2
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