Dr. Helen Knauf „So richtig weitergebracht hat mich das eigentlich

Dr. Helen Knauf
„So richtig weitergebracht hat mich das eigentlich nicht“ – Wie Schüler
Angebote zur Berufsorientierung der Schule sehen
1. Hintergrund: Projekt „Berufsorientierung und Lebensplanung – Jugendliche
in der Sekundarstufe II“
Die in diesem Aufsatz präsentierten Ergebnisse sind im Rahmen eines
Forschungsprojektes an der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Dr.
Mechtild Oechsle entstanden. Ausgangspunkt waren folgende Forschungsfragen:
Ö Welche Angebote zur Berufsorientierung gibt es an Schulen?
Ö Wie hilfreich erscheinen diese Angebote den SchülerInnen?
Da die Studie zusätzlich Geschlechterunterschiede und -gemeinsamkeiten
beleuchtete, wurde auch nach der Bedeutung geschlechtsspezifischer Angebote zur
Berufsorientierung und nach der Bedeutung des Aspekts Lebensplanung bei diesen
Angeboten gefragt.
Die Studie konzentrierte sich auf Abiturientinnen und Abiturienten. In einem
Mehrstufigen Verfahren wurden zunächst Schulen mit einem Fragebogen befragt
(n=111), anschließend fand eine schriftliche Befragung einzelner Abiturientinnen und
Abiturienten statt (n=125). Schließlich wurden insgesamt 60 Schülerinnen und
Schüler in ausführlichen Interviews befragt. Zurzeit läuft eine
Längsschnittuntersuchung, bei der die ehemaligen Schülerinnen und Schüler nach
einiger Zeit ein zweites Mal befragt werden.
2. Welche Angebote zur Berufsorientierung gibt es und wie wirken sie?
Ein Ziel der Untersuchung war es einen Überblick über die Angebote der Schulen zu
bekommen. Dabei schälten sich drei Grundtypen von Veranstaltungen heraus:
Ö Informationsveranstaltungen (Besuch einer Hochschule, Besuch im BIZ,
Berufsinformationsbörsen, Vorträge usw.)
Diese Veranstaltungsform ist besonders hilfreich für Schülerinnen und Schüler
mit ersten Plänen. Weitgehend nutzlos sind Informationsveranstaltungen aber
für Orientierungslose, weil sie sich von der Informationsflut eher erschlagen
fühlen. Auch SchülerInnen mit konkreten Plänen kommen durch diese
Veranstaltungen nicht weiter, weil sie konkrete statt allgemeiner Informationen
benötigen.
Ö Praxisorientierte Angebote (Praktikum, Planspiel, SchülerInnen im Chefsessel
usw.)
Diese Angebote werden zwar subjektiv sehr positiv bewertet, bei der genaueren
Befragung wird jedoch deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler in
praxisorientierten Angeboten eher herausfinden, was sie nicht möchten.
Außerdem bekommen sie bei genauem Hinsehen recht wenig Gelegenheit, ihre
Fähigkeiten in dem erkundeten Beruf wirklich zu erproben, weil sie vor allem
Hilfsaufgaben zugeteilt bekommen.
Ö Beratung/Orientierung (Beratung durch BerufsberaterInnen oder LehrerInnen,
Berufsorientierungsworkshops)
Lehrerinnen und Lehrer werden als Ansprechpartner von den Schülerinnen und
Schülern sehr ernst genommen. Das Arbeitsamt hingegen bekommt mit seiner
Berufsberatung eine durchweg schlechte Beurteilung. Vor allem wird kritisiert,
dass sie sich nicht ausreichend an den Interessen und Stärken der
Orientierungssuchenden ausrichtet.
Unsere Nachfragen nach geschlechtsspezifischen Angeboten und Angeboten zum
Thema Lebensplanung ergaben eine geringe Resonanz. Angebote speziell für
Mädchen oder Jungen gibt es nur in Ausnahmefällen. Workshops zum Thema
Lebensplanung finden ebenfalls sehr selten statt. Das Thema kommt insgesamt sehr
selten vor, und wird dann sehr heterogen eingeschätzt: Ein Teil findet es
ausgesprochen wichtig, dass auch Fragen der persönlichen Planung mit in die
Berufsorientierung einfließen, andere empfinden das als zu intim und möchte nicht,
dass in der Schule darüber gesprochen wird.
3. Welche allgemeinen Probleme bei Veranstaltungen zur Berufsorientierung
gibt es an Schulen?
Wir wollten herausfinden, wo aus sicht der Lehrerinnen und Lehrer die größten
Probleme in der Umsetzung von Angeboten zu Berufsorientierung und
Lebensplanung liegen. Das Ergebnis:
Ö Informationsveranstaltungen überwiegen gegenüber individuellen
Beratungsangeboten
Ö Nicht genügend qualifizierte Praktikumsplätze
Ö Mangelndes Interesse der Schülerinnen und Schüler
Ö Großer Zeitaufwand - Für LehrerInnen und SchülerInnen
Ö Widerstände im Kollegium
Trotz dieser Schwierigkeiten schätzen die Koordinatorinnen und Koordinatoren die
Wirksamkeit der Angebote insgesamt jedoch als gut ein.
4. Welche Funktion hat die Schule bei Berufswahl und Lebensplanung?
Zentral ist die Frage, welchen Einfluss die Schule tatsächlich auf die Berufswahl der
befragten Jugendlichen hat. Ganz viele Schülerinnen und Schüler berichten von
einem indirekten Einfluss:
„Ich bin halt so über den Geschichts-LK, den ich in der Schule belegt habe, auf
meine Interessen im Fach Geschichte gestoßen ... war dann nach einem Infotag an
der Uni, wo ich das Unterrichtsfach Geschichtswissenschaften besucht habe,
ziemlich davon angetan und wollte dann erstmal dieses Fach studieren“
Das Zitat macht deutlich, dass der Fachunterricht offenbar eine weit größere Rolle für
die Berufsentscheidung spielt als man auf den ersten Blick vermuten könnte.
Möglicherweise beeinflusst eine hohe Qualität des Unterrichts die Berufswahl stärker
als die spezifischen Angebote zur Berufsorientierung.
Eine weitere wichtige Funktion der Schule besteht darin die Schülerinnen und
Schüler an das Thema Berufswahl zu erinnern, dass die Berufswahl bald ansteht.
Die Schule wird damit zum Mahner oder Lotsen im Prozess der Berufsorientierung:
„Wenn die Schule gar nicht drauf hingewiesen hätte, was kommen könnte …
vielleicht hätte man ja nie drüber nachgedacht und dann irgendwann kurz vor
Schluss hätte man überlegt, ja, was mache ich denn danach. Also insofern war das
schon sehr hilfreich.“
Nutzung und Nützlichkeit von Schule im Prozess der Berufsorientierung sind
individuell sehr verschieden. SchülerInnen haben sehr unterschiedliche Erwartungen
an Berufsorientierung in der Schule: Von „Das geht die nichts an“ bis „Ich brauche
mehr Hilfe“
SchülerInnen bewerten berufsorientierende Angebote der Schule sehr heterogen
Was dem einen hilft, ist für die andere verschwendete Zeit
5. Welche Konsequenzen könnte die Schule aus diesen Ergebnissen ziehen?
Schließlich stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen Lehrerinnen und Lehrer
aus den Untersuchungsergebnissen ziehen können. Dazu einige Impulse:
Ö Angebote sollten stärker individualisiert werden
Mehr Wahlmöglichkeiten: Orientierende Wokshops, konkrete Berufserkundungen,
praktische Bewerbungstrainings.
Ö Berufsorientierung sollte langfristig gedacht werden
Arbeitswelt und Berufe schon in früheren Schuljahren als Thema, spielerisches
Herantasten.
Ö Lebensplanung: Sachliche Analysen statt normativer Vorgaben
Fakteninformationen und wertfreie Diskussion.
Ö SchülerInnen müssen unterstützt werden, für sie wichtige Themen zu finden,
Interessen zu entwickeln
Fachunterricht als Anknüpfungspunkt, lernen, „private“ Interessen in
Berufsstrategien zu verwandeln
Ö Fachunterricht ist immer auch Berufsorientierung – Berufsorientierung kann nicht
auf die speziell dafür ausgewiesenen Veranstaltungen begrenzt werden
Im Unterricht Bezüge zur Arbeitswelt herstellen, auch quer zu Unterrichtsfächern
denken. Ein qualitätvoller Fachunterricht kann die Berufswahl sinnvoll
unterstützen.