1 Pfarrerin Angelika Behnke, Projekt „Erwachsen glauben“ der

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Pfarrerin Angelika Behnke, Projekt „Erwachsen glauben“ der Evangelischen Kirche in Potsdam
Pfingstmontag, 25. Mai 2015, 18 Uhr
Predigt über Johannes 4,19-26
Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen
Zwölf Uhr mittags.
Dem Pfarrer fällt der alte, bescheiden wirkende Mann auf. Jeden Mittag betritt dieser die Kirche und
verlässt sie kurz darauf wieder. Irgendwann fragt der Pfarrer den Alten, was er denn in der Kirche tue.
„Ich gehe hinein, um zu beten“, antwortet der. „Aber Sie bleiben doch nie lange genug, um wirklich
beten zu können“, meint der Pfarrer. Der Besucher darauf: „Ich kann keine langen Gebete sprechen,
aber ich komme jeden Tag um zwölf herein und sage: ,Jesus, hier ist Hannes!’“
Eines Tages muss Hannes ins Krankenhaus. Bald schon merken Ärzte und Schwestern: Dieser Mann hat
einen heilsamen Einfluss auf die anderen Patienten. Die Nörgler nörgeln weniger, und die Traurigen
können auch mal lachen. „Hannes“, sagen sie, „du bist immer so gelassen und heiter!“ Er winkt ab:
„Ach, dafür kann ich nichts. Das kommt durch meinen Besucher!“ Doch niemand hat je bei ihm Besuch
gesehen. Keine Verwandten, keine engen Freunde.
„Dein Besucher“, fragt eine Schwester, „wann kommt der denn?“ - „Jeden Mittag um zwölf. Er tritt ein,
steht am Fußende meines Bettes und sagt: Hannes, hier ist Jesus.“
Zwölf Uhr mittags. Hohe Zeit. - Höchste Zeit?
Hören Sie von einer Begebenheit, die ebenfalls auf der Höhe des Tages geschieht, aufgeschrieben im
Johannesevangelium im 4. Kapitel.
Gegen 12 Uhr, am Jakobsbrunnen, nahe Sychar in Samarien…
Die Frau aus Samarien spricht zu Jesus:
Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet,
und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
Jesus spricht zu ihr:
Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit,
dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr wisst nicht, was ihr anbetet;
wir wissen aber, was wir anbeten;
denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt,
in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden
im Geist und in der Wahrheit;
denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist,
und die ihn anbeten,
die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Spricht die Frau zu ihm:
Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt.
Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.
Brunnenerzählungen sind tiefgründige Erzählungen.
Sie spiegeln uns, unser Fühlen und Verhalten. Sie rühren an unseren Ängsten und Abgründen, sie
erzählen von unseren Sehnsüchten und Wünschen.
1
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Das Kind, das in den Brunnen vor dem Tore gefallen ist, der Frosch, der geküsst werden will, weil er das
goldene Spielzeug heraufgeholt hat - aus den stillen Wassern, die tief sind, natürlich! -… nicht zufällig
nehmen Sprichwörter, Märchen und Lieder das Brunnenmotiv vielfältig auf.
Schon die Bibel überliefert uns eine ganze Reihe von Begegnungen an Brunnen, und immer gehen die
Beteiligten verändert von diesem Ort weg.
Die Frau aus Samarien kommt zu einer ungewöhnlichen Zeit zum Jakobsbrunnen. Sie hat ihre Gründe,
warum sie ausgerechnet in der Mittagshitze hinausgeht, um Wasser zu schöpfen. Sie trifft Jesus, der
müde von seiner Reise ausruht.
Nichts ist zufällig in dieser Brunnenerzählung. Und kein Wort ist eindeutig; das Gespräch schillert wie
Wassertropfen in der Sonne. Die Begegnung muss sein – jetzt – um diese Stunde – genau hier! An
diesem Brunnen. Denn der erinnert an Jakob – ihren gemeinsamen Vorfahren. Beide teilen auch die
Erinnerung an andere biblische Brunnengeschichten. Und doch: Da ist so viel, was beide voneinander
trennt…
* * *
Wie jeden Tag ging ich heute Mittag hinaus zum Wasserholen. Ich weiß, wie die anderen Frauen sich
hinter meinem Rücken das Maul zerreißen: „Schaut nur, sie läuft wieder in der sengenden Hitze zum
Brunnen! Weil sie niemandem mehr in die Augen sehen kann! Außer, wenn sie den Männern den Kopf
verdrehen will.“ –
Ach, was wisst ihr schon von mir? Ihr seht, was ihr sehen wollt.
Wie ich sie hasse, diese oberflächlichen Gedanken! Sie widern mich an, die scheinheiligen Worte, die
verächtlichen Blicke! Deshalb gehe ich lieber allein zum Brunnen. Ich brauche euch nicht, um in die
Tiefen meiner Seele zu blicken und das Messer in meinen Wunden noch einmal herumzudrehen. Glaubt
mir, darin bin ich selbst Meisterin!
Diesen bitteren Gedanken hing ich nach, als ich am Brunnen ankam und der Fremde mich ansprach. Ich
war überrascht, dass er, ein Jude, mich, die samaritanische Frau, um Wasser bat. Zugegeben, ich
kostete es zuerst voller Genugtuung aus, dass dieser Mann auf mich angewiesen war. Hier würde ja in
den nächsten Stunden kein Mensch mit einem Schöpfeimer vorbeikommen! Und der Brunnen ist tief!
Ich machte ihm klar, dass er sich gerade mit einer „feindlichen“ Samaritanerin abgab. Du kennst mich
doch gar nicht, sagte ich. Daraufhin wurde er merkwürdig ernst und sagte: Wenn du wüsstest, wer
gerade mit dir redet, würdest du ihn um Wasser bitten! Und er würde dir lebendiges Wasser geben. –
Scherzte er? Ich wurde unsicher, einerseits, ja! Aber andererseits… Wer war der?
Er sprach weiter vom Wasser, das er zu geben hätte. Es könne allen Durst löschen – für immer. Das ließ
mich vorsichtig werden. Zu oft schon hatte ich den schönsten Versprechungen geglaubt. Das hatte
mich zu der gemacht, die nun hier elend am Brunnenrand saß. Immer noch dürstend, hoffnungslos…
Doch irgendwas an seinen Worten berührte mich tief im Innern! Es war, als ob ein wärmender
Lichtstrahl auf meinen Seelengrund fiel. Und ich hörte mich sagen: Gib mir solches Wasser!
Was dann folgte, konnte ich kaum fassen. –
Du kennst mich doch gar nicht! Du kennst mich doch gar nicht!, pochte es wild und verzweifelt hinter
meiner Stirn. Ich suchte seinen Blick. Wie kann das sein? - In wenigen Worten hatte er mir mein ganzes
Leben beschrieben. Meine Verzweiflung, all meine ungelebte Sehnsucht. Er hat mir tief ins Herz
gesehen. Die Oberfläche durchbrochen. Hat mich erkannt. Einfach so! Ein völlig Fremder! Das darf er
doch nicht!
Aber … es fühlt sich auch gut an! Endlich lebendig! Endlich frei!
***
Liebe pfingstliche Gemeinde, Jesus kommt der Samaritanerin in diesem Augenblick so nah, dass sie
zutiefst erschrocken ist. Dieser Fremde hat sie gesehen – wirklich an-gesehen! Schlagartig erkennt sie:
Keiner der fünf Männer, die sie bisher hatte, hat sie richtig gesehen. Kein Wunder also, dass ihre
Sehnsucht, ihr Lebensdurst blieben.
Nun aber versucht sie, aus dieser „heiligen Erschütterung“ herauszukommen und rettet sich auf eine
theologische Frage. Die soll sie beide wieder auf Distanz bringen und die Wasseroberfläche glätten. Die
2
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Frau mobilisiert ihre letzten Kräfte, um die Grenzen wieder dicht zu machen, indem sie an die
unterschiedlichen Gebetsorte in Jerusalem und auf dem Berg Garizim erinnert.
Was die Frau nicht ahnt: Die Frage nach dem richtigen Gebetsort hängt mit ihrem Leben und diesem
Jesus eng zusammen. Jesus, der Messias – er ist schon da! Er reißt Grenzen ein, weil er Menschen
ansieht! Er ermutigt sie dazu, sie selbst zu sein. Zu ihren Gefühlen und Gedanken zu stehen und in ihre
Seelenbrunnen hinabzutauchen, tief hinunter bis zur Quelle. Wie aus einem Taufbrunnen steigen sie
wieder heraus – die Vergangenheit, alles Lebensfeindliche abgewaschen! Bis auf die Herzhaut erquickt!
Ströme lebendigen Wassers fließen vom Körper. Und dies alles, weil sie von Gott An-Gesehene sind. Sie
sind Befreite. Und endlich sind Lebensdurst und Sehnsucht gestillt. Pfingsten!
Der Ort, wo gebetet wird, ist nicht mehr wichtig. Es zählt allein, auf Gottes Geist zu vertrauen und ihn
in der Wahrheit anzubeten. Sich zu zeigen und vor Gott zu treten: „Jesus, hier ist Hannes!“
Die Antwort wird nicht auf sich warten lassen: „Hannes, hier ist Jesus!“ - Ich bin’s, der mit dir redet.
Gott bindet sich nicht an Orte. Er bindet sich an die Menschen, an seine geliebten Geschöpfe. In der
Freiheit seiner Allmacht steht er zu seiner Selbstverpflichtung: „Ich bin, der ich bin. Ich habe euch einst
aus der ägyptischen Gefangenschaft geführt, durch die lebensfeindliche Wüste, hin zu Quellen
lebendigen Wassers. Und ich werde es wieder und wieder tun. Unterschiedslos. Grenzenlos. Ewig. Ich
werde sein, der ich sein werde. Mein Name ist ,Ich-bin-da!’“. (Vgl. Ex 3,14)
Ein Brunnen muss abgeschöpft werden, sonst versiegt seine Quelle. Darum: Lass dir schenken, Mensch,
was du in Wahrheit schon bist! Ein von Gott und bei Gott An-Gesehener!
Zwölf Uhr mittags. Hohe Zeit. Mitte der Zeit. AMEN
Kanzelsegen:
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus
Christus, unserm Herrn. Amen
3