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EVANGELISCH-LUTHERISCHE DOM-GEMEINDE
VIKARIN JOHANNA LEVETZOW
Predigt über Jakobus 5,7-8 am 2. Sonntag im Advent
06. Dezember 2015
Sie waren schön. Bauchig und trotzdem irgendwie filigran. Zartes Weiß und kleine Blumen.
Endlich, endlich hatte ich sie gefunden. Das Geschenk für die Freundin. Zwei Tassen. Sie
trinkt doch so gern Tee. Sie waren schön. Eigentlich war alles schön gerade. Ich hatte
Urlaub. Und Zeit. Und endlich ein Geschenk. „Soll ich sie einpacken?“ Ich sehe die Hände der
Verkäuferin über die Tassen streichen. Sie geht nach hinten, schaut sich die Rollen mit dem
Geschenkpapier an. Schaut zu den Tassen und wieder auf das Papier. Hin und her.
Offensichtlich hat sie sich nun für eine Farbe entschieden. Mit großer Sorgfalt legt sie die
Tassen auf den Bogen Papier. Sie hebt die eine Ecke des Bogens und legt sie über die
Tassen. Lässt das Papier wieder aus der Hand gleiten und nimmt die andere Ecke. Mir wird
heiß. Sie dreht die Henkel der Tassen auf die andere Seite. So schwierig kann das doch nicht
sein, denke ich.
Mit Bedacht geht sie zu den Rollen mit den Schleifenbändern. Ich halte es kaum aus, ihr
weiter zuzusehen. Endlich entscheidet sie sich für eine Farbe. Das Schleifenband fällt ihr
über die Hände. Ich spüre den Unmut in mir aufsteigen. Was ist los? Eigentlich habe ich
doch Zeit. Als sie mir endlich das verschnürte Geschenk über den Ladentisch reicht, fliehe ich
aus dem Laden. Hastig, wie eine Entkommene. Warum konnte ich nicht warten? Warum
diese Unruhe? Ich habe doch Urlaub. Und alles wäre doch schön gewesen. Eigentlich.
7 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der
Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie
empfange den Frühregen und Spätregen.
8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist
nahe.
So steht es im Jakobusbrief. So seid nun geduldig. Er mahnt eigentlich. Zweimal sagt er es:
Seid auch ihr geduldig. Der Verfasser des Briefs hütet eine große Hoffnung in sich. Er hofft
auf das Kommen Jesu Christi. Und zwar ziemlich bald. Eine Erwartung, ganz nah und ganz
real. Eine Sehnsucht, dass Gott kommt und seine Gerechtigkeit durchsetzt, sein Reich
anbrechen lässt. Die Hoffnung war zum Greifen nah.
Seine Hoffnung vergleicht er mit der kostbaren Frucht des Bauern. Siehe, der Bauer wartet
auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und
Spätregen.
All seine Hoffnung liegt auf diesem kleinen Samenkorn, das er in die Erde gelegt hat. Und:
Es ist seine Lebensgrundlage. Er hat den Boden bereitet und gesät. Aber den Regen kann er
nicht machen. Den Frühregen und Spätregen. Er muss Geduld haben. Geduldig warten.
Jakobus schreibt an gegen aufkommende Ungeduld. Vielleicht haben ihn die Menschen
gefragt. Wir warten immer noch. Wir haben doch gelesen von all dem, was da passieren soll.
Hat er uns nun vergessen? Was ist denn nun? Jesus hat doch gesagt, er macht alles neu! Es
werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen. Und er kommt auf einer
Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Seht auf und erhebt eure Häupter – so hat er es
doch gesagt!
Und nun mahnen die Worte des Jakobusbriefs: So seid nun geduldig, liebe Brüder und
Schwestern, bis zum Kommen des Herrn.
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Geduld – ist eine zwiespältige Tugend. Warum konnte ich nicht der Verpackungskunst der
Dame im Laden mit den schönen Tassen einfach zusehen. Ich habe mich gefreut, ein
Geschenk gefunden zu haben. Es war ein schöner Tag. Ich hatte Zeit. Aber: Mir fehlte die
Geduld.
Geduld, deren alter Name auch Langmut ist. Eine Haltung fast, oder doch eine
Charaktereigenschaft? In alten Wortformen hat Geduld etwas von tragen oder ertragen. Von
erdulden und erleiden. Geduld hat also etwas mit Geschehenlassen und mit Zulassen zu tun.
Keine Parole für Aktivisten und Herrscher.1 Aber sanfter Sprengstoff schlummert in dem
Wort, so sagt es die Schriftstellerin Angelika Overath. Gegensätzliches steckt in der Geduld:
Ausdauer und Gelassenheit, Leistungswille und Nachsicht, Zielgerichtetheit und
Gewährenlassen, Entschlossenheit und Schonung. All das kann sie sein, die Geduld und
spiegelt so uns Menschen wieder. Die wir unser Leben leben zwischen Glück und Scheitern.
Zwischen Freude und Traurigkeiten.
Vielleicht ist sie deshalb so schwer zu wahren. Die Geduld. Mein Warten auf das Einpacken
der Tassen war nicht existentiell. Aber es zeigt etwas von dem, wie wir uns oft verstehen.
Ich habe mich gefreut auf den Moment, in dem ich der Freundin das Geschenk überreichen
würde. Auf die Zukunft. Ich hatte mir bereits ausgemalt, wo ich hinspazieren würde, sobald
mein Einkauf beendet ist. Warten bedeutet eine Pause, die ich mir nicht selbst gewählt habe.
Vielleicht ist es, dass wir sehr gut gelernt haben, Zeit effektiv zu nutzen. Unvorhergesehene
Zeit geschenkt bekommen? Eine kleine lange Weile. Gar nicht so leicht.
Und so noch einmal die Schriftstellerin: Das Ich als Mensch ist grundsätzlich ein futurisches
Wesen, das sich in eine offene Zukunft hinein entwirft. Und sich von dem her versteht, was
es noch nicht ist. Das ist der Grund seiner paradoxen Ungeduld.
Wahrhaft offen ist die Zukunft, von der Jakobus spricht. So seid nun geduldig, liebe Brüder,
bis zum Kommen des Herrn. Und es gibt eine zweite Aufforderung: Seid auch ihr geduldig
und stärkt eure Herzen. Das Herz kommt ins Spiel. Das sehnende und pochende, manchmal
gar nicht so geduldige Herz. Stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herrn ist nahe.
Seid geduldig mit starkem Herzen. Ein Herz mit Mut, aus dem Hoffnung wächst. Hoffnung,
dass da etwas sein kann, von dem, was Jakobus meint, wenn er sagt: Das Kommen des
Herrn ist nahe. Ein starkes Herz, das nicht nur geduldig abwartet und erduldet und erträgt
und der Dinge harrt, die da kommen mögen. Das ist nicht die Geduld, die Jakobus meint,
wenn er vom Kommen des Herrn redet. Sondern in Geduld mit sich und der Welt und seinen
Mitmenschen Herzensstärke zeigen. Herzensstärke üben, den Mantel reichen, teilen, was
man hat. Oder Menschen begleiten, zum Arzt oder über den Weihnachtsmarkt. Das alte
Fahrrad aus dem Keller holen – jemand braucht es gerade. Herzensmut und Herzensstärke
mit großer Geduld und auf Hoffnung hin. Eine andere Sprache zu verstehen versuchen, eine
Sprache die keinen Hass schürt und keine Vorurteile. Dem Frühregen und Spätregen Gottes,
seinem Segen vertrauen. Geduldig sein, mit unserer kleinen Menschengeduld. Denn: Es
kommt einer, dessen Geduld nicht zwiespältig ist, sondern gnädig, barmherzig und langmütig
und von großer Güte.
Die Frau, die die Tassen so sorgsam verpackt hat. Wenn ich wenigstens hätte staunen
können! Peter Handke schreibt: "Ungeduldig werden mit jemandem: weil ich ihm nicht
zuschaue." Ich habe ihr nicht richtig zugeschaut. Vielleicht habe ich sie nicht richtig gesehen.
Ihre Sorgfalt, ihre Behutsamkeit. Ihre Hände und ihr Gesicht. Den anderen mit Geduld und
dem Herzen ansehen: Dann ist geduldig sein kein bloßes Abwarten. Sondern Erwarten. Mit
erhobenem Haupt. Dem entgegensehen, das da kommt. Und dem, der da kommt. Geduldig
sein, die kostbare Frucht schon vorschmecken, das Grün der Hoffnung wachsen sehen. Mit
dem Frühregen rechnen und den Spätregen erwarten. Mit geduldigem Blick der Hoffendem
und ungeduldig pochendem Herzen der Liebenden. Oh komm, du Trost der ganzen Welt. Ein
Geschenk, auf das es sich zu warten lohnt. Amen.
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Angelika Overath.
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