15. November 2015, Nydeggkirche Predigtreihe „aus dem Griff“ Jakobus 5, 7+8 „stärkt eure Herzen“ Pfarrerin Rosa Grädel I Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott… allezeit sagen sie zu mir: Wo ist dein Gott? (aus Psalm 42) Das haben wir eben in der Psalmlesung gehört, Seufzer oder Klagen eines Menschen in Not – in grosser Not. Das kann die Not im eigenen Leben sein. Die Krankheit, die alles über den Haufen wirft, was bisher wichtig war. Der Verlust des vertrauten Weggefährten. Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Freundinnen und Freunde der getöteten Menschen in Paris klagen es vielleicht. Wo ist mein Gott? Oder anders gesagt: Worauf kann ich hoffen? Das plagt auch, wenn wir in die Welt hinausschauen. Die Flüchtlingsströme – es verschlägt einem die Sprache. Das Wüten der islamistischen Terrorgruppen Boko Haram in Nigeria seit sechs Jahren. Mindestens 17‘000 Menschen wurden bisher in diesem Konflikt getötet, viele Kinder und Frauen versklavt, mehr als 2,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Es verschlägt einem die Sprache. Was kann man schon tun? Die Hoffnungslosigkeit bekommt mich in den Griff. Zwar ganz anständig ist er da, dieser Griff, nicht dramatisch. Einfach so, dass man nicht weiss, ob man wirklich darauf setzen kann, was wir im Unser Vater beten: dein Reich komme. Gottes Gerechtigkeit und Friede kommen uns entgegen? Ja, wo denn, wie denn? Hoffnungslosigkeit kommt daher im Gewand des vernünftigen Pessimismus. Oder im Gewand einer leichten Zynik gegenüber denjenigen, die meinen, die Welt verändern zu können. II So ist es vielleicht den Frauen und Männern ergangen, damals vor 2000 Jahren, am Rande des römischen Reiches: Steuern, die sie nicht mehr bezahlen konnten. Hunger, der die Bäuche der Kinder aufquellen liess. Randalierende Soldaten und Widerstandskämpfer, die Felder zerstörten und Häuser anzündeten. Die Schere zwischen denen, die etwas hatten und denen, die nichts hatten immer grösser. Alle diese Erfahrungen machten nicht Halt vor den noch ganz jungen Gemeinschaften von Jesus-Nachfolgerinnen und Jesus-Nachfolgern, die später Christinnen und Christen genannt wurden. Dein Reich komme – beteten sie… und merkten so wenig davon, weder im eigenen Leben, noch in der Gemeinde, noch im grossen politischen Umfeld. Sogar in der Gemeinde blühte das Unrecht. In diese Situation gehört das Schreiben von Jakobus, der biblischen Grundlage meiner heutigen Predigt (Jakobus 5, 7+8). In der Predigt beziehe ich mich auf die Verse 7 + 8. Ich lese aber die vorausgehenden Verse auch, weil sie ein Schlaglicht werfen auf die Unrechtsstrukturen, unter denen die angeredeten Frauen und Männer leiden. 1 Wohlan, ihr Reichen, weint nur und jammert über das Elend, das über euch kommen wird! 1 2 Euer Reichtum ist verfault, und eure Gewänder sind von den Motten zerfressen. 3 Euer Gold und euer Silber ist verrostet, und ihr Rost wird ein Zeugnis sein gegen euch und euer Fleisch fressen wie Feuer. Schätze habt ihr gesammelt – noch am Ende der Tage! 4 Seht, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder gemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, er schreit zum Himmel, und die Hilferufe der Erntearbeiter sind dem Herrn Zebaoth zu Ohren gekommen. 5 Gut habt ihr es euch gehen lassen auf Erden, und ein üppiges Leben habt ihr geführt, euer Herz habt ihr verwöhnt am Schlachttag. 6 Den Unschuldigen habt ihr verurteilt und getötet, und niemand gebietet euch Einhalt. 7 Liebe Geschwister, seid geduldig, bis der Herr kommt! Sieh doch, wie der Bauer auf die kostbare Frucht der Erde wartet, indem er Geduld mit ihr hat, bis sie den frühen und den späten Regen empfängt. 8 So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herrn ist nahe. III Geduld rät Jakobus denjenigen, die dem Treiben der Unrechts-Herren vielleicht zornig, vielleicht resigniert zuschauen und/oder darunter leiden. Zweimal: seid geduldig! Geduld – das klingt etwas billig! Bei mir klingt Karl Marx‘ Religionskritik an. Religion ist Opium für das Volk. Opium, das beruhigt, heiter macht, aber davon abhält sich zu wehren, zornig zu werden. Geduld: das klingt nach Vertröstung, passiver Dulderhaltung. Geduld ist sowieso nicht gerade das Lieblingswort unserer Zeit: Gott, gib mir Geduld – aber bitte sofort, soll jemand gebetet haben. Aber vielleicht ist die Ungeduld die Zwillingsschwester der höflichen Hoffnungslosigkeit. Wenn der lange Atem fehlt, macht sich Hoffnungslosigkeit umso breiter. IV Ich schaue mir das Wort Geduld bei Jakobus näher an. Da braucht er zuerst das Bild des Bauern und der Bäuerin: Er sät, sie pflegt das Feld. Und dann warten sie und hoffen. Sie sind angewiesen auf den Regen. Sie haben das Ergebnis nicht im Griff, obwohl sie alles Mögliche dafür tun. Und sie werden auch im Warten auf die Ernte nicht passiv sein. Sie werden die Erde aufhacken, vielleicht werden sie mit den damaligen Möglichkeiten düngen. Im Warten tun sie, was menschenmöglich ist. Und sie haben vor Augen und hoffen ganz fest darauf, welche Möglichkeiten in diesem Feld stecken – ein satter Bauch, ein Fest des Brotteilens, ein Erlös auf dem Markt, der weiter wirtschaften lässt. Geduldig und hoffnungsstark warten sie dem Kommenden und im Werden Befindlichen entgegen, ohne zu wissen, ob es gut ausgeht. Da klingt Geduld doch schon etwas anders. Es ist eine aktive, hoffnungsvolle Geduld, die tun lässt, was jetzt möglich ist und die weiss, dass man nicht alles in den eigenen Händen hat. V Auf diese aktive, hoffnungsvolle Geduld weist auch das Wort, das Jakobus hier verwendet. Normalerweise steht im Griechischen des NT für geduldig sein ein Wort, das sich auch mit unten bleiben, darunter gehen übersetzen lässt (hypomeno). Hier aber steht das Wort makrothymeo: makro = mächtig, gross, Thymos = Leidenschaft, Verlangen, Mut, auch Zorn. 2 Vielleicht lässt es sich so übersetzen: Ich trete leidenschaftlich für etwas ein, behalte das Ziel mit Sehnsucht vor Augen, und gehe Schritt für Schritt (geduldig) darauf zu. Beharrlichkeit klingt an, ein aktives Durchhalten, eben wie der Bauer und die Bäuerin. Luther übersetzt: „So seyt nu langmutig….“ Es ist eine hoffnungsvolle, auf lange Zeiträume und ein gutes Ziel eingestellte Haltung. Sie ist das Gegenteil von leidenschaftsloser Ergebenheit. Ebenso ist sie das Gegenteil von aggressiver, gewaltbereiter Durchsetzung. Geduld ist der lange Atem der Leidenschaft (Jüngel/Rahner). Dafür braucht es Kraft. VI Deshalb sagt Jakobus: Stärkt eure Herzen. Wie man das tun kann, sagt er nicht. Das ist vielleicht auch besser so. Es gibt ja vermutlich viele Wege. Es kann das Finden einer Balance zwischen Aktivität und Ruhe sein. Es kann das Einüben des Gebets oder der Meditation sein. Es kann heute und hier im Gottesdienst sein, im Mozart oder Bach hören… Stärkt eure Herzen könnte auch heissen: Stärkt euch gegenseitig eure Herzen. VII Für Jakobus ist das Nahrungsmittel für das Herz das Sich-Ausrichten am göttlichen Horizont, der im Kommen ist. Der lange Atem nährt sich aus der Gewissheit, die er so formuliert: denn das Kommen des Herrn ist nahe. Das ist seine Kraft, die ihm den Griff der Hoffnungslosigkeit lockert. Die Wenigsten von uns können sich unter Kommen des Herrn etwas vorstellen. Ich finde einen Weg dazu, wenn ich höre, wie Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen sagt: Kommt ihr in eine Stadt, wo man euch aufnimmt,… heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Nahe gekommen ist das Reich Gottes, bis zu euch (Lk 10,8f.). Oder: Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er ihnen: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. Man wird auch nicht sagen können: Hier ist es! Oder: Dort ist es! Denn seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch (Lukas 17, 20f.). Da und gleichzeitig Horizont der Hoffnung. Da und gleichzeitig Ziel auf das zuzugehen sich lohnt. Das, was wir im Advent so sehr feiern: das Warten, das Hoffen auf die Ankunft. O Heiland, reiss die Himmel auf, werden wir singen. Da, aber erst in den kleinen Spuren, die man übrigens auch anders deuten kann: Menschen, die gegen den Alltagshass Fremden gegenüber nein sagen. Das Reich Gottes ist nahe… Ein Mann, der nach einem Gespräch das Büro der Beiständin hoffnungsvoll verlässt. Das Reich Gottes ist nahe… Reich Gottes: das ist weiter Horizont, gleichzeitig himmelsstark und erdennah. Das hoffe ich. Und wir sind es nicht, die es machen. Aber wir sind die, die es im Alltag entdecken und tun können. Wir retten damit die Welt nicht. Wir vertreiben Boko Haram nicht. Wir haben noch keine Lösung für die Flüchtlingsströme. Aber wir richten das Herz nicht auf Herrscherin Hoffnungslosigkeit aus, sondern suchen nach dem, was Leben ermöglicht. 3 Eine Kollegin1 hat diese Haltung so beschrieben – und sie stärkt damit mein Herz und fährt dem Griff der Hoffnungslosigkeit an den Karren: Was wir tun sollen, haben uns unsere Vorfahrinnen und Vorfahren in den Heiligen Schriften aufgezeichnet, die ich vertrauensvoll lese wie Briefe von fernen Weisen und Wohltäterinnen: Wir sollen uns aufeinander beziehen, wir sollen füreinander sorgen, einander nicht hängen lassen. Täglich neu, wie neugeboren, können wir vertrauensvoll ans Werk gehen, ohne damit uns selbst oder die ganze Welt zu retten. Das gibt uns genug zu tun und mehr braucht es im Grunde nicht. Die Welt retten? Das kann nur DIE EWIGE. Und SIE wird es tun. Und ich füge dem den Gebetsruf an, den wir dann im Fürbittegebet singen werden: Veni Sancte Spiritus, tui amoris ignem accende Komm Heiliger Geist, entzünde das Feuer der Liebe… Amen 1 Ina Praetorius; immer wieder Anfang, S. 38 4
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