Weltnichtrauchertag: `Jede Zigarette ist ein Giftgemisch`

Weltnichtrauchertag: 'Jede Zigarette ist ein Giftgemisch'
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Ärzte Zeitung, 29.05.2015 05:01
Weltnichtrauchertag am 31. Mai
"Jede Zigarette ist ein Giftgemisch"
Nichtraucherschutz-Gesetze, Warnhinweise auf Zigarettenpackungen, AntiraucherKampagnen, Werbeverbote - in Deutschland ist einiges unternommen worden, um
den Tabakkonsum einzudämmen. Was mit den Maßnahmen erreicht worden ist,
und welche weiteren Schritte nötig wären, erklärt Dr. Martina Pötschke-Langer
vom DKFZ in Heidelberg im Interview.
Das Interview führte Beate Schumacher
Nichtraucherschutz-Gesetze verdeutlichen, dass Rauchen nicht attraktiv ist - da man öffentliche Gebäude verlassen muss,
um andere zu schützen.
© Armin Weigel / dpa
Ärzte Zeitung: Hat sich mit den Maßnahmen zur Einschränkung des Rauchens das
Rauchverhalten der Deutschen verändert?
Dr. Martina Pötschke-Langer: Glücklicherweise ja. Der
Zigarettenkonsum in Deutschland ist deutlich rückläufig. In
den Jahren 2000/2001 wurden pro Jahr noch über 140
Milliarden Zigaretten geraucht; in den letzten Jahren waren
es noch rund 80 Milliarden.
Dr. Martina Pötschke-Langer
Auch in der Raucherprävalenz ist vor allem bei Kindern und
Jugendlichen ein deutlicher Rückgang zu sehen, von 28
Prozent im Jahr 2001 auf 12 Prozent im Jahr 2012.
Das gilt jedoch nicht für die Altersgruppe der 25- bis
69-Jährigen: Dort ist die Raucherquote bei den Frauen mit
ungefähr 30 Prozent relativ stabil, bei den Männern ist sie
nur von 38 auf 34 Prozent zurückgegangen.
Die 18- bis 24-Jährigen rauchen heute ebenfalls seltener,
die Quote ist von 44 Prozent bei beiden Geschlechtern auf
32 Prozent bei Frauen und 37 Prozent bei Männern
zurückgegangen.
Der Rückgang von jungen Rauchern wird oft mit
Präventionsprogrammen in Schulen in Verbindung gebracht.
Sind die Programme tatsächlich so erfolgreich?
Pötschke-Langer: Die schulischen Präventionsprogramme
© DKFZ
Aktuelle Position: Leiterin der
Stabsstelle Krebsprävention im
DKFZ und des
WHO-Kollaborationszentrums für
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sind zwar sehr gut, aber Reichweite und Wirksamkeit sind zu
gering, um diese Erfolge zu erklären.
Die beiden größten Programme, "Klasse2000" und "Be smart
- don't start", erreichen nur 15 Prozent der Grundschüler
und weniger als 10 Prozent der 11- bis 14-Jährigen. Im Alter
zwischen 14 und 17, in denen die Entscheidung über das
Rauchen fällt, gibt es gar keine Präventionsprogramme.
"Klasse 2000" ist kein tabakspezifisches Programm, hier
geht es allgemein um gesunde Lebensführung. 28 Schüler
müssen teilnehmen, um einen Schüler vom Rauchen
abzuhalten. Bei "Be smart - don't start" gelingt dies
vielleicht bei einem von 23 bis 24 Schülern.
Woran liegt es dann, dass junge Menschen heute weniger
rauchen?
Tabakkontrolle.
Werdegang: 1975-1983:
Medizin-Studium in Heidelberg,
1983-1985; Gefäßambulanz der
Chirurgischen Uniklinik
Heidelberg; 1985-1992: Leitung
des Nationalen
Blutdruckprogramms beim
Institut für
Bluthochdruckforschung, später
der Hochdruckliga in Heidelberg;
seit 1997 Leiterin der Abteilung
Krebsprävention am DKFZ in
Heidelberg .
Schwerpunkte:
Tabakentwöhnung;
Tabakzusatzstoffe.
Pötschke-Langer: Wir führen das vor allem auf die
drastischen Tabaksteuererhöhungen in den Jahren
2002-2005 zurück. Genau in diesen Zeitraum fällt ein enormer Rückgang, der kaum anders
zu erklären ist.
Steuererhöhungen sind gerade bei Kindern und Jugendlichen das effizienteste Mittel, um
das Rauchverhalten zu steuern. Das ist vielfach in Studien gezeigt worden.
Zu den weiteren Rückgängen in den Jahren 2007 bis 2010, auch bei den jungen
Erwachsenen, haben sicher auch die Nichtraucherschutz-Gesetze und die damit
verbundenen Debatten beigetragen.
Sie haben deutlich gemacht, dass Rauchen nicht attraktiv ist - da man öffentliche Gebäude
verlassen muss, um andere zu schützen.
Zeigt sich die Einführung der Nichtraucherschutz-Gesetze vor sieben Jahren schon in einem
Rückgang von tabakassoziierten Erkrankungen?
Pötschke-Langer: Leider gibt es in Deutschland keine finanziellen Mittel zur Evaluierung
der gesundheitlichen Effekte. Das bedauern wir sehr. Was wir wissen, ist, dass seit
Einführung der Gesetze auch zu Hause in Anwesenheit von Kindern weniger geraucht wird.
In anderen Ländern mit Nichtraucherschutz-Gesetzen hat man bei Neugeborenen und
Kindern eine Abnahme von Atemwegserkrankungen und -infektionen und plötzlichem
Kindstod festgestellt. Auch bei Angestellten in der Gastronomie gehen
Atemwegserkrankungen zurück.
In einzelnen Studien wurde außerdem eine verminderte Herzinfarktrate beobachtet, es ist
aber schwer, eine Kausalität zu belegen. Solche Effekte lassen sich zudem frühestens nach
10 bis 20 Jahren nachweisen.
Gerade ältere Menschen bezweifeln, dass es sich für sie noch lohnt, mit dem Rauchen
aufzuhören. Was kann man aus medizinischer Sicht dazu sagen?
Pötschke-Langer: Ältere Menschen können von einem Rauchstopp noch erheblich
profitieren. Eine Studie des DKFZ, in der große Datensätze von Rauchern, Nierauchern und
Exrauchern verglichen wurden, hat gerade gezeigt, dass sogar die Überlebensrate noch
verbessert wird (BMJ 2015; 350: h1551). Man sollte deswegen unbedingt auch älteren
Rauchern den Rauchstopp ans Herz legen.
Müssten Ärzte in puncto Raucherentwöhung überhaupt aktiver werden?
Pötschke-Langer: Hausärzte, Internisten, Pneumologen, Kardiologen und Onkologen
sollten grundsätzlich nach dem Rauchverhalten fragen und, wenn die Frage bejaht wird,
den Rat geben, mit dem Rauchen aufzuhören.
Der Rat zum Rauchstopp kostet keine Zeit und ist das zentrale Moment für den Ausstieg.
Wenn die Zeit da ist, kann man den Patienten zum Beispiel an eine Beratungsstelle
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verweisen.
Wir haben in Deutschland sehr niedrigschwellige Angebote, zum Beispiel das Rauchertelefon
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder Online-Programme zum
Rauchstopp für junge Raucher.
Problematisch ist, dass Entwöhnungsprogramme in der Regel nicht von der GKV gezahlt
werden. Ist hier eine Änderung in Sicht?
Pötschke-Langer: Wir haben die Beobachtung gemacht, dass nach Rücksprache abhängig
vom Schweregrad auch eine Erstattung erfolgt, aber das ist sehr umständlich. Es wäre in
der Tat sinnvoll, die Kosten generell zu ersetzen, der Gewinn für die Kassen wäre enorm.
Nach Daten der Techniker Krankenkasse belaufen sich allein die direkten Kosten durch
Krankheit, Pflege und Reha pro Jahr auf fast 25 Milliarden Euro.
Ein mögliches Therapieziel für Alkoholiker neben der kompletten Abstinenz ist das
kontrollierte Trinken. Wäre das auch für Raucher ein Konzept?
Pötschke-Langer: Zigaretten unterscheiden sich fundamental von Alkohol. Jede Zigarette
schadet der Gesundheit, sie enthält mehr als 90 krebserregende Substanzen, sie ist ein
Giftgemisch par excellence. Das kann man von einem Glas Alkohol nicht sagen. Außerdem
gelingt es den allerwenigsten Rauchern, am Tag nur ein bis zwei Zigaretten zu rauchen.
E-Zigaretten sind als Hilfsmittel zur Raucherentwöhnung höchst umstritten. Welchen
Standpunkt nimmt das DKFZ ein?
Pötschke-Langer: Nach einer aktuellen Cochrane-Analyse reichen die bisherigen
klinischen Studien nicht für eine valide Aussage. Die Studien sind widersprüchlich und viele
haben methodische Mängel. Ich denke aber, man muss sich die Option offenhalten.
Ich kenne Kollegen, die ihren Patienten als letztes Mittel nahelegen, E-Zigaretten anstelle
von Tabakzigaretten zu rauchen. Viele rauchen allerdings beides - und verspielen damit die
Chance einer Risikoreduzierung.
E-Zigaretten sind also weniger schädlich als herkömmliche Zigaretten?
Pötschke-Langer: Im Vergleich sind sie weniger schädlich. Das heißt, es besteht die
Möglichkeit, dass ein vollständiger Umstieg auf E-Zigaretten das Gesundheitsrisiko senken
könnte.
Beim Inhalieren von E-Zigaretten wird aber ein Chemikaliengemisch konsumiert. Wer zuvor
Nichtraucher war, erhöht durch E-Zigaretten sein Gesundheitsrisiko.
Sollten E-Zigaretten genauso reguliert werden wie Tabakwaren?
Pötschke-Langer: Glücklicherweise ist jetzt ein Verkaufsverbot für Kinder und Jugendliche
geplant, und zwar für E-Zigaretten mit und ohne Nikotin. Wichtig wäre ein zusätzliches
Verbot von Aromen, weil durch die Werbung suggeriert wird, dass hier nur Früchte
verdampft werden.
Auch beim Nichtraucherschutz-Gesetz und an Arbeitsstätten müssten E-Zigaretten mit
Tabakprodukten gleichgestellt werden, weil sie die Raumluft mit ultrafeinen Partikeln
belasten.
Außerdem brauchen wir ein umfassendes Werbeverbot, eine Kennzeichnungspflicht der
Inhaltsstoffe und Sicherheitsstandards. Und natürlich steht auch eine Besteuerung der
E-Zigaretten an.
Jugendliche rauchen heute zwar deutlich weniger Zigaretten, dafür sind Wasserpfeifen
immer beliebter geworden. Welche Risiken ergeben sich daraus?
Pötschke-Langer: Wir sehen diesen Trend mit Sorge. Es wird oft suggeriert, dabei werde
nur Wasserdampf inhaliert. Im Rauch von Shishas wurden aber mehr als 80 schädliche
Substanzen identifiziert, darunter 30 krebserzeugende, außerdem toxische Metalle,
lungengängige Partikel, Kohlenmonoxid in hohen Konzentrationen und Nikotin.
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In Zellkultur beeinträchtigt der Rauch das Zellwachstum, Reparaturmechanismen und
Gefäßneubildung und fördert Zellalterung, oxidativen Stress und Entzündungsprozesse.
Klinisch wurden akut ein Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz sowie eine
Verschlechterung der Lungenfunktion registriert, langfristig drohen KHK und chronische
Bronchitis.
In epidemiologischen Studien wurden Lungen-, Magen- und Speiseröhrenkrebs beobachtet.
Weitere Schäden sind Parodontitis und Osteoporose und, wenn werdende Mütter rauchen,
Schwangerschaftskomplikationen.
Welches Fazit ziehen Sie in puncto Tabakprävention in Deutschland?
Pötschke-Langer: Das Potenzial der bisherigen Maßnahmen ist noch nicht ausgeschöpft.
Das gilt vor allem für die Tabaksteuer. Eine weitere Erhöhung um 20 bis 30 Prozent würde
einen gut messbaren Effekt haben.
Bei den Nichtraucherschutz-Gesetzen muss nachgebessert werden, hier gibt es zu viele
Schlupflöcher. Ein weiterer Ansatz ist die Verfügbarkeit von Zigaretten: Sie ist in
Deutschland so hoch wie bei keinem anderen Konsumprodukt.
Ein großes Problem ist auch die Tabakwerbung, die im Alltag sehr präsent ist. Und wir
brauchen Warnhinweise in Bild und Text auf Tabakpackungen; wir wissen, dass das gerade
Kinder und Jugendliche vom Rauchen abhält.
Und es ist ein Unding, dass es immer noch Schokoladen- und Kaugummizigaretten zu
kaufen gibt. Die Hausaufgaben im Bereich Tabakprävention sind noch nicht gemacht.
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