ELGA – die Ruhe vor dem Sturm - Ärztekammer Niederösterreich

Foto: Martin Wieland
PRÄSIDENT
Dr. Christoph
Reisner, MSc
www.wahlarzt.at
ELGA – die Ruhe vor dem Sturm
R
uhig war es in letzter Zeit rund um die elektronische Gesundheitsakte ELGA. Bis auf ein paar wenige Presseberichte
anlässlich des Starts von ELGA Ende letzten Jahres las und hörte
man wenig von der groß angekündigten Gesundheitsreform im
Bereich der elektronischen Gesundheitsakte. Doch diese Ruhe
täuscht. Hinter den Türen der ELGA GesmbH wird eifrig an
deren Umsetzung auch in Niederösterreich gearbeitet. So bereits
geschehen in der Steiermark, die als ELGA-Vorreiter gilt, und
in Wien.
Ein schaumgebremster Start…
Mit fast einem Jahr Verspätung
war es am 9. Dezember soweit,
die erste Phase der ELGA-Einführung in Österreich startete in
fünf Abteilungen des Krankenhauses Hietzing in Wien und in
den Landeskrankenhäusern der
KAGes in der Steiermark. Bis
zum Jahresende 2015 wurden
vom Wiener Krankenanstaltenverbund alle Spitäler und
Pflegewohnhäuser, mit Ausnahme des AKH Wien, an ELGA
angebunden. Im Moment werden nur ärztliche und pflegerische
Entlassungsbriefe mit relevanten Labor- und Radiologieinformationen sowie ambulante Labor- und Radiologiebefunde in ELGA
gespeichert, erst im nächsten Schritt dann auch Medikationsdaten. Röntgen-, MR-, CT- oder Ultraschallbilder werden nicht
gespeichert, auch keine Basisgesundheitsdaten wie Blutgruppe,
Allergien, Impfungen und Medikamentenunverträglichkeiten
oder Anamneseberichte. Genauso wenig werden medizinische
Grunddaten wie Cholesterin-, Blut- und Harnwerte erfasst und
aufbereitet, um Krankheitstrends zu erkennen. Warum ist es also
so ruhig um den ELGA-Start, hätte man nicht einen Aufschrei
der Entrüstung von der Ärzteschaft in der Steiermark oder in
Wien erwartet? Nicht wirklich, ändert sich doch auf den ersten
Blick in dieser ersten Phase nicht viel. (Leider stimmt dies nur
bedingt, siehe Kritikpunkt 4). Da ja rückwirkend keine Daten
in ELGA eingespielt werden, ist der viel diskutierte und heftig
umstrittene Datenakt vorerst leer. Schon bisher werden Befunde
in den Krankenhäusern der KAGes, des KAV, aber auch der
Landeskliniken-Holding in Niederösterreich in einem internen
Datenerfassungssystem gespeichert. In ELGA passiert vorerst
nichts anderes.
Kritikpunkt 1: Speicherung der unstrukturierten Befunde im
pdf-Format
Einen Befund unstrukturiert als pdf zu speichern, füllt zwar die
vorerst noch leere Gesundheitsakte eines Patienten, solange aber
eine effektive Suchfunktion für Ärztinnen und Ärzte und das in
die Behandlung involvierte Gesundheitspersonal nicht gewährleistet ist, bleibt es lediglich beim Befüllen eines Aktes oder einer
„Daten-Schachtel“, ein Mehrwert für den behandelnden Arzt
ist zu diesem Zeitpunkt damit mit Sicherheit nicht
vorhanden. Somit ist ELGA zwar für den Patienten
zum Betrachten seiner Daten geeignet, als nützliches
Arbeitsgerät für Ärztinnen und Ärzte allerdings völlig
ungeeignet.
Kritikpunkt 2: Verfügbarkeit von Daten nur zu
Kernzeiten garantiert
Weder werden Patientinnen und Patienten nur in
einer Kernzeit von Montag bis Donnerstag von 8:30
bis 16:30 und am Freitag von 8:30 bis 13:30 krank,
noch arbeiten Ärzte ausschließlich zu diesen Zeiten.
Und dennoch, die jüngste ELGA-Verordnung hält fest,
dass die ELGA-Betreiber die Komponenten Datenspeicher und
Verweisregister nur während dieses Zeitraumes sicherzustellen
haben. Es versteht sich von selbst, dass der Gesetzgeber uns Ärztinnen und Ärzte vorschreibt, dass wir auch außerhalb dieser
Zeiten mit ELGA arbeiten müssen, auch ohne garantierte Verfügbarkeit der Patientendaten.
Kritikpunkt 3: Fehlende Datensicherheit
Auch wenn ELGA bereits seit letztem Jahr in Betrieb ist, ein
ELGA-Datenspeicher benötigt erst ab 1. Juli 2016 einen Nachweis für seine Datensicherheit. Auch über den 1. Juli 2016 hinaus müssen die in ELGA gespeicherten Daten nicht verschlüsselt
werden, lediglich der Transport hat verschlüsselt zu erfolgen. Die
von der Politik und der ELGA GesmbH hochgelobte Datensicherheit weist daher weiterhin große Lücken auf. Interessant ist
auch die Tatsache, dass der Rechnungshof erst unlängst darauf
hingewiesen hat, dass er seit über einem Jahr eine einheitliche
Cyber-Sicherheitsstrategie vermisst. Immer neue Regelungen für
die Datensicherheit verteuern darüber hinaus das Projekt ELGA
laufend.
CONSILIUM 04/16
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PRÄSIDENT
Kritikpunkt 4: Situatives Opt-out
Wie geht es 2016 weiter?
Dass sich im Moment noch nicht viel für die Spitalsärzte der
teilnehmenden Krankenhäuser geändert hat, stimmt leider
nur teilweise. Hinter dem sperrigen Begriff „situatives Opt-out“
versteckt sich nämlich die gesetzlich geregelte Möglichkeit, der
Aufnahme eines konkreten Behandlungs- oder Betreuungsfalls
in die Gesundheitsakte zu widersprechen. So bedeutet das „situative Opt-out“ einerseits eine Stärkung der Patientenrechte,
die damit verbundene Informationspflicht der Kollegenschaft
führt aber andererseits zu einem beträchtlichen Mehraufwand
in den Krankenhäusern. So müssen Patienten in vier Fällen
nachweislich und mündlich über ihr Opt-out-Recht informiert
werden: Bei psychiatrischen Hauptdiagnosen, HIV-Infektionen,
bei Schwangerschaftsabbrüchen und teilweise bei genetischen
Untersuchungen. Eine Ausweitung auf weitere Diagnosen ist
durchaus möglich, da diese im Gesundheits-Telematikgesetz als
„insbesondere“ aufgelistet sind. In allen anderen Fällen reicht
zumindest in den KAGes Krankenanstalten eine ausgehängte
schriftliche ELGA-Information. Bei psychiatrischen Nebendiagnosen, die ja an jeder Abteilung und in jeder Ambulanz
denkbar sind, ist die besondere Informationspflicht nicht notwendig. Gleichzeitig hat der Patient auch das Recht, über das
Internet bestimmte Informationen auszublenden, also partiell
zu widersprechen. Betroffen davon sind e-Befunde und Medikationsdaten. Dr. Hans Zeger, Leiter der Gesellschaft für Datenschutz ARGE Daten, hat zuletzt gemeint, dass die e-Medikation
der bislang einzig getestete ELGA-Bereich mit katastrophalem
Ergebnis ist. Tausende Warnhinweise hätten sich als irreführend
und unnötig erwiesen und mussten von Ärzten entsorgt werden.
Die Interaktionsprüfung, die eine zentrale Medikamentenverwaltung gerechtfertigt hätte, wurde gestrichen.
Im ersten Halbjahr 2016 nehmen die Krankenhäuser in Niederösterreich ELGA in Betrieb. Parallel dazu beginnen die sieben
Unfallkrankenhäuser der AUVA als österreichweiter Krankenhausträger und das Wiener Hanusch-Krankenhaus mit ELGA
zu arbeiten. Zug um Zug nehmen dann auch die öffentlichen
Spitäler der anderen Bundesländern an ELGA teil.
Im ersten Halbjahr 2016 startet zudem die ELGA-Funktion
„e-Medikation" im Bezirk Deutschlandsberg in der Steiermark.
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte können ab Mitte 2016
und müssen ab Mitte 2017 teilnehmen, nach derzeitigem Fahrplan gleichzeitig auch Kassenambulatorien und Privatspitäler.
Zahnärztinnen und Zahnärzte folgen 2022. Bis dahin soll der
Vollbetrieb umgesetzt sein.
Erste Erfahrungsberichte aus der Steiermark
Die ersten ELGA-Tage in den steirischen Spitälern verliefen eher
unauffällig, so zu lesen in der Mitgliederzeitung der Ärztekammer Steiermark, AERZTE Steiermark, die eine kleine, nicht
repräsentative Befragung unter den betroffenen Ärztinnen und
Ärzten durchgeführt hat. Demnach gab es wenig unerwartete
Ereignisse, auch „deshalb, weil sich noch niemand wirklich
zuständig fühlt“, wie einer der Befragten anmerkte. Klagen gab
es vereinzelt über die zu geringe Geschwindigkeit bei der Datenübertragung: So mussten Ärzte zum Teil zehn Sekunden für die
Übertragung simpler Laborwerte innerhalb von Graz warten,
um dann ein pdf-Dokument zu bekommen.
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CONSILIUM 04/16
Fazit
Österreichweit haben sich bereits 245.000 Menschen von ELGA
abgemeldet – ich bin sicher, es werden noch viele hinzukommen.
Auch wenn Niederösterreich noch eine kurze Schonfrist hat,
werden wir weiterhin eine bessere Usability einfordern. Sollen
wir mit ELGA arbeiten, muss die Gesundheitsakte bedienerfreundlich werden und rund um die Uhr verfügbar sein. Voraussetzung für eine funktionierende ELGA ist eine effektive und
punktgenaue Suchfunktion. Ziel ist, dass den Ärztinnen und
Ärzten mehr Zeit für die Betreuung ihrer Patienten bleibt. Wir
fordern eine komplette Kostenabdeckung für ELGA im niedergelassenen Bereich. Da es sich um ein öffentliches Infrastrukturprojekt handelt, sind die anfallenden Kosten auch von der
öffentlichen Hand zu tragen.
Aus heutiger Sicht bedeutet die Umsetzung von ELGA, dass die
behandelnden Ärztinnen und Ärzte letztendlich kein umfassendes Bild bekommen (zumindest nicht aufgrund der elektronischen Gesundheitsakte), was ja eigentlich die Stärke von ELGA
sein sollte. Speziell durch das situative Opt-out und die Tatsache,
dass Diagnosen nach zehn Jahren gelöscht werden, kann ich dieser ELGA jedenfalls nicht trauen. Ich werde Missstände daher
weiterhin öffentlich aufzeigen und Verbesserungen bei jeder nur
möglichen Gelegenheit vorbringen.
DR. CHRISTOPH REISNER, MSC
Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich
facebook.com/christoph.reisner