Flüchtlingspolitik aus dem Blickwinkel von Brot für die Welt Der

Flüchtlingspolitik aus dem Blickwinkel von Brot für die Welt
Der Jahresempfang der Diakonie in Bayern fand am 29. Juni 2015 in Rosenheim statt. Aus
aktuellem Anlass stellte der Vorstand des Landesverbandes der Diakonie in diesem Jahr
das Flüchtlingsthema in den Mittelpunkt. Im Landkreis Rosenheim landen jeden Monat
Hunderte Flüchtlinge an, die sich unter anderem in den internationalen Zügen befinden, die
dort über die Grenzen kommen. Der Zustrom nimmt ständig zu, weshalb das Thema des
Diakonieempfangs die Gefühlslage in diesem oberbayerischen Landkreis sehr sensibel traf.
Cornelia Füllkrug-Weitzel hielt den Vortrag, der im Mittelpunkt dieses Empfangs stand. Man
war gespannt, wie sich die Präsidentin von Brot für die Welt diesem Thema stellt. Als
langjähriges Mitglied im Diakonischen Rat, dem Aufsichtsgremium des Diakonischen Werkes
in Bayern, nahm ich an dieser Veranstaltung teil und möchte, ohne Anspruch auf
Vollständigkeit, weitergeben, was ich aufgenommen und mitgeschrieben habe.
Füllkrug-Weitzel spricht frei, und kommt sehr schnell auf den Punkt. Kein Wunder – wer für
Brot für die Welt die Verantwortung trägt, hat eine Position, die durch zahlreiche Projekte in
Ländern begründet ist, die in den ärmsten Regionen dieser Erde liegen. Diese
hilfebedürftigen Regionen werden größer und größer, ohne dass die Betroffenen Einfluss auf
ihr Schicksal nehmen können, denn die zentralen Ursachen sind global. Kein Mensch, so
Füllkrug-Weitzel, verlässt freiwillig sein Zuhause, seine Heimat. Diese Menschen stehen
buchstäblich vor dem Nichts und müssen dann am eigenen Leib spüren und erleben, dass
sie auf der Flucht „vogelfrei“ sind. Brot für die Welt hat zahllose Belege, dass Flüchtlinge auf
ihren unvorstellbaren Fluchtwegen neben Hunger, Durst und Obdachlosigkeit auch extremer
Gewalt ausgesetzt sind. Die Menschen werden als Soldaten rekrutiert, bereits als Kinder, sie
werden zur Prostitution gezwungen, sie werden wie Sklaven behandelt und ihnen werden für
ein Spottgeld Organe entnommen, weil auch damit lukrative Geschäfte gemacht werden
können.
Zentral in den Mittelpunkt stellt Füllkrug-Weitzel die Klimapolitik und stellt Fragen, die
unmissverständlich mit unserer Wirtschaftspolitik zu tun haben: Deutschland steht bei der
Emission von CO² an sechster Stelle – die Auswirkungen auf die globale Erwärmung sind
inzwischen unbestritten. Wer hat die Folgen dieser Erderwärmung zu tragen? Nach Brot für
die Welt sind es zu 95 Prozent die Länder, die bereits jetzt am Tropf der Entwicklungshilfe
hängen. Durch die Abschmelzung der Pole steigen die Meeresspiegel, wodurch nicht nur
riesige Flächen überflutet und damit unbewohnbar werden, sondern auch immer mehr
Flüsse versalzen, bis weit hinauf in die Oberläufe. Das hat katastrophale Auswirkungen auf
die dichtbesiedelten Lebensräume entlang dieser Flüsse, denn das für die Bewässerung
notwendige Wasser wird unbrauchbar, trotz Einsatz von salzresistentem Saatgut.
Irgendwann sind die Grenzen der Verträglichkeit überschritten. Aber auch zunehmend
längere Hitzeperioden, alle Arten von Stürmen und sintflutartige Wolkenbrüche machen
immer größere Flächen dieser Erde unbewohnbar und zwingen die Bewohnerinnen und
Bewohner, in Räume auszuweichen, wo ein Existenzminimum noch erhofft werden kann.
Aber zum einen lebten diese Menschen ja bereits schon in prekären Randregionen. Und es
sind immer mehr, die sich dann die neuen, längst schon überbevölkerten Lebensräume
teilen müssen, was zu Verteilungskämpfen führt. Oder diese Menschen stoßen an Grenzen
von Besitz, weil der Aufkauf von Land durch Unternehmen weltweit massiv zunimmt, um auf
diesen Flächen Monokulturen anzulegen, zum Beispiel für Energiegewinnung u.v.m. Diese
Besitzer verteidigen ihr Eigentum, wie immer sie es erworben haben, mit aller Gewalt.
Ein weiteres Thema ist der rücksichtslose Abbau von sogenannten Konfliktmineralien, die z.
B. für unsere Computer und Handys gebraucht werden. Da wird mit unvorstellbarem
Profitstreben Raubbau betrieben, wobei die Ursprungsländer von diesen knappen
Rohstoffen am allerwenigsten von diesem Geschäft profitieren. Hier sind weltweit tätige
Unternehmen aktiv, meist in enger Zusammenarbeit mit korrupten Regimen im Land. Auch
hier bleiben Wüsten zurück, in denen keine Nahrung mehr angebaut werden kann. Was
sollen Familien anderes tun, als auszuweichen, wohin auch immer, um einfach nur zu
überleben?
Bis 2050, so rechnet Füllkrug-Weitzel vor, werden 200-300 Millionen Menschen auf der Erde
ohne Lebensgrundlage sein. Bereits jetzt sind es über 60 Millionen. Im Jahr 2006 waren es
weniger als 15 Millionen – seither hat sich die Zahl verfünffacht. Allein wenn sich die
heutigen 60 Millionen in den 35 Jahren bis 2050 nur (!) verfünffachen, gäbe es dann
mindestens 300 Millionen Menschen, heimatlos, auf der Flucht. … Was dann? An solchen
Zahlen macht die Brot-für-die-Welt-Präsidentin deutlich, dass Flüchtlingspolitik nur langfristig
gedacht werden kann. Kurzfristige Strategien, z. B. hohe Zäune oder Kampf gegen
Schlepperorganisationen werden bei diesen Dimensionen viel zu kurz greifen.
Das belegt Füllkrug-Weitzel mit weiteren Zahlen. 86 Prozent dieser Flüchtlinge werden nicht
von uns in Europa, sondern von Entwicklungsländern und Nachländern von Konfliktherden
aufgenommen, darunter zahlreiche Länder, die jetzt schon auf Mittel von Brot für die Welt
und andere internationale Hilfsmittel angewiesen sind, um auf niedrigstem Level existieren
zu können. Im Syrienkonflikt versorgen die meisten Flüchtlinge die Türkei, dicht gefolgt vom
Libanon und von Jordanien. Zahlreiche Menschen kommen keineswegs in Flüchtlingscamps
unter. Sie überleben ohne jegliche Erfassung in Ruinen, in Höhlen, in selbstgebauten
Notunterkünften oder bei irgendwelchen fremden Menschen, die bereit sind, ihr
bescheidenes Auskommen zu teilen. Jordanien und Libanon haben alle Schulen zur
Verfügung gestellt. Die Präsidentin stellt die offene Frage, wie sich das langfristig auf diese
Länder auswirkt? Was passiert, wenn dadurch dort die Bildungssysteme zusammenbrechen
oder in Not kommen? Wird so nicht gerade Organisationen Tür und Tor geöffnet, die nur
zerstörende Ziele im Kopf haben?
Ein zusammenfassender Satz, ein Wunsch, eine Hoffnung der Brot-für -die-Welt-Präsidentin
Füllkrug-Weitzel zum Schluss ihres Vortrags bleibt dem großen Zuhörerkreis deutlich im
Gedächtnis und macht nachdenklich und betroffen: „Ich wünsche mir eine Politik, die es der
Wirtschaft schwer macht, weitere Wirtschaftsflüchtlinge zu produzieren.“ An dieser Stelle
könnten wir alle deutlich mehr mitwirken, wenn wir bei unserem Konsum, bei der Abnahme
dieser Wirtschaftsgüter, mehr nachdenken und bewusster handeln.
Alexander v. d. Marwitz
Vorstand, Diakonisches Werk Memmingen
Mitglied im Diakonischen Rat des Diakonischen Werkes Bayern