Mitglied der Statement Bilanz-Pressekonferenz 4. August 2016, Berlin Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt Es gilt das gesprochene Wort Herzlich willkommen zur Bilanz-Pressekonferenz von Brot für die Welt. Vielen Dank für Ihr Interesse. Wir leben in einer Welt – dieser Satz erschien in der Vergangenheit so selbstverständlich wie bedeutungslos. 2015 hat sich sein Realitätsgehalt gezeigt. Seitdem Menschen vermehrt bei uns Schutz und Lebensperspektiven suchen, merken wir deutlicher als jemals zuvor, dass die Konflikte und Lebensbedingungen im Nahen Osten, in Asien und in Afrika auch mit uns zu tun haben. Hunger, Armut, Gewalt, Klimakatastrophen und Ungerechtigkeit sind eben nicht nur Probleme der Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen. Deshalb können sie auch nicht von diesen Ländern allein gelöst werden. Auch und gerade die Industrieländer als Mitverursacher dieser Probleme müssen eine zentrale Rolle bei ihrer Überwindung übernehmen. 2015 war auch das Jahr, in dem sich die Völkergemeinschaft mit der UN-Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung und dem Klimaschutzabkommen von Paris für das neue Stadium der Globalisierung einen gemeinsamen Handlungsrahmen gesetzt hat. Unsere Gesellschaft ist noch dabei, auszubuchstabieren, was das für unsere Lebensweise und unsere Einstellung gegenüber armen Ländern und gegenüber den Fremden, die so nahe sind oder sein können, bedeutet. Und dabei geht es nicht nur um mehr Finanzmittel für Entwicklungshilfe. Es geht darum, die richtigen Weichen zu stellen und Entscheidungen zu treffen. Einige Beispiele: Unser Lebensstil und unsere Unternehmen, die ihn begünstigen und bedienen, können ungerechte Löhne und lebensgefährliche Arbeitsverhältnisse in den Produktionsländern zementieren oder einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen gute Arbeit, existenzsichernde Einkommen und eine Perspektive in ihrer Heimat haben. Unsere Bereitschaft, internationale Handelsverträge im Vorfeld auf ihre Entwicklungsverträglichkeit und Menschenrechtskonformität hin zu Statement C. Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt, Bilanz-Pressekonferenz 4.8.2016 1 überprüfen, kann ausschlaggebend dafür sein, ob wir dazu beitragen, die Ökonomien armer Länder weiter zu ruinieren oder ihre Einkommenschancen verbessern zu helfen. Von der Entschiedenheit und Weisheit der EU-Mitgliedstaaten, politische Lösungen in Konflikten wie in Syrien oder der Ukraine herbeiführen zu helfen, hängt es mit ab, ob sich die Flüchtlingsdramen verlängern oder verkürzen. Unsere Ernsthaftigkeit, das Gewaltpotential mindern zu wollen und darum keine Waffen - auch keine Kleinwaffen - in Krisengebiete zu exportieren und deren Verbleib strenger zu kontrollieren, nimmt Einfluss darauf, wie lange das Leid der Bevölkerung andauert. Unsere Bereitschaft, uns auf ambitionierte nationale Klimaziele auf der Grundlage des 2015 in Paris geschlossenen globalen Klimaabkommens festzulegen, kann über die Ernährungssicherheit, ja sogar die Überlebenschancen von Millionen von Menschen auf kleinen Inseln wie im Pazifik, in großen Flussmündungsgebieten wie in Bangladesch, in den Dürreregionen Afrikas und anderswo entscheiden. In vielen Ländern Europas haben die verzweifelten Bemühungen von Menschen, in Europa Zuflucht oder gar Zukunft zu finden, nationalistische und Abschottungstendenzen befördert. Wenig hingegen war von Bemühungen die Rede, uns umso mehr dafür einzusetzen, dass sich die Sicherheit und die Lebensbedingungen für die Menschen in ihren Herkunftsländern verbessern. Brot für die Welt bemüht sich genau darum. Mit Spenden und Kollekten sowie Förderungen durch Beiträge der evangelischen Landeskirchen und Mittel der Bundesregierung unterstützen wir in 90 Ländern Partner und mehr als 1600 Projekte. Neu bewilligt wurden im vergangenen Jahr 553 Projekte. Diese Arbeit haben unsere Mittelgeber als wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation Armer auch 2015 wahrgenommen und honoriert. Die Spenden und Kollekten für Brot für die Welt lagen 2015 mit 57,5 Millionen Euro 1,8 Millionen über denen des Vorjahrs (55,7 Mio.). Das ist das zweitbeste Ergebnis der letzten Dekade. Auch der Anteil an Kirchensteuern, die Brot für die Welt aus den Evangelischen Landeskirchen erhält, erhöhte sich um rund 1,1 Millionen auf 52,5 Millionen Euro. Ein Anstieg ist auch bei den Mitteln der Bundesregierung zu verzeichnen, die um rund 2,5 Millionen auf 129,8 Millionen Euro wuchsen. Damit lagen die Gesamteinnahmen von Brot für die Welt bei 255,4 Millionen Euro, das ist eine leichte Steigerung gegenüber 2014. Dieses Jahresergebnis spiegelt das große Vertrauen der Spenderinnen und Spender und aller institutionellen Geber in unsere Arbeit. Es zeigt auch die gewachsene Sensibilität für die Notwendigkeit langfristiger Ursachenbekämpfung von Armut und Gewalt: Statement C. Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt, Bilanz-Pressekonferenz 4.8.2016 2 Gerechtigkeit, Konfliktprävention und Entwicklung helfen gegen Katastrophen und erzwungene Migration. Für dieses Vertrauen bedanken wir uns herzlich. Sie finden die detaillierten Zahlen im Jahresbericht auf Seite 56, die Erklärung dazu auf Seite 57. Die Aufstellung, wofür wir diese Mittel eingesetzt haben, finden Sie auf Seite 60f. Beispiele aus der Projektarbeit lesen Sie ab Seite 14ff. Wir orientieren uns bei der Darstellung zur besseren Vergleichbarkeit an den Kriterien des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen DZI. Von allen Einnahmen fließen 94,3 Prozent in die Projektausgaben, also in den Einsatz gegen Hunger, Armut und Ungerechtigkeit. Die Ausgaben für Werbung, allgemeine Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltung liegen bei 5,7 Prozent. Sie sind damit auch nach DZI-Kriterien - wir tragen das DZI-Spendensiegel - niedrig. Soweit der Rückblick auf das Jahr 2015. Vor welchen Herausforderungen stehen wir 2016 mit unserer Arbeit? Weltweit verschärfen Gewalt und bewaffnete Konflikte bestehende Armut und gefährden bereits erreichte Entwicklungsfortschritte. Eine zentrale Aufgabe des nächsten Jahrzehnts wird daher die Unterstützung für Binnenvertriebene, also Flüchtlinge im eigenen Land, und Flüchtlinge aus angrenzenden Ländern gemeinsam mit der gastgebenden Bevölkerung sein. 86 Prozent der Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten, haben Aufnahme in einem Entwicklungsland gefunden. Dort brauchen sie langfristige Perspektiven, d.h. Jobs, Gesundheitsversorgung und Bildung. Daran mangelt es meist schon den Einheimischen. Die Gastgeberländer brauchen also Entwicklung ihrer Infrastruktur und Ökonomien, um Flüchtlinge zu versorgen und Integration zu ermöglichen. Zugleich bedarf es massiver Bemühungen zur Friedensförderung. Wir haben 2015 in den Anrainerstaaten Syriens gesehen was passiert, wenn Menschen dauerhaft unterversorgt und zu lange ohne jede Integrationsperspektive im Gastland in Flüchtlingslagern unter unzumutbaren Bedingungen ausharren müssen: Sie sehen sich erneut zur Flucht gezwungen. Projektpartner von uns und unserer Schwesterorganisation Diakonie Katastrophenhilfe haben die Aufnahme Vertriebener in den Nachbarländern unterstützt und geholfen, ihnen und der Bevölkerung neue Perspektiven zu bieten. Wir werden unsere 2015 – z.B. im Libanon und in Jordanien - begonnenen Bemühungen fortsetzen, Gastgeber und Gäste bei der Schaffung langfristiger Integration zu unterstützen. Dies allerdings ohne darüber andere langfristige unerlässliche Aufgaben für eine nachhaltige und Statement C. Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt, Bilanz-Pressekonferenz 4.8.2016 3 menschenrechtsbasierte Entwicklung zu vernachlässigen – wie die Konflikttransformation. In immer mehr Ländern ist die Staatlichkeit geschwächt. Kernaufgaben wie Ernährungssicherheit, Bildung, Gesundheit und Sicherheit werden kaum noch wahrgenommen. Deshalb ist es für das Überleben Vieler entscheidend - und wir tragen mit den von uns geförderten Projekten dazu bei - dass Menschen ein auskömmliches Leben in Würde führen können und ihre Heimat nicht verlassen müssen. Ferner gilt es, die Handlungsfähigkeit der Zivilbevölkerung und ihre Rolle in der Konfliktprävention und friedlichen Konfliktaustragung auch und gerade in fragilen oder von Fragilität bedrohten Staaten (wie dem Libanon) und Regionen mit hohem Konfliktpotential oder akuten Konflikten (wie Ägypten, Demokratische Republik Kongo oder Nigeria) zu stärken. Vor allem auch dabei wollen wir unsere Partner unterstützen. Darum ist es mehr denn je auch politisch wichtig, sicher zu stellen, dass Entwicklungshilfemittel wirklich für eine nachhaltige und menschenrechtsbasierte Entwicklung eingesetzt werden und nicht zur kurzfristigen Abwehr von Flüchtlingen missbraucht werden. Dass Passageländer zu ‚sicheren Herkunftsländern‘ deklariert werden und für die Rücknahme von Flüchtlingen Entwicklungshilfemittel zur Kompensation oder für den Bau von Grenzsicherungsmaßnahmen vergeben werden, ist falsch. Es ist skandalös, wenn wie die EU-Kommission es plant - Diktaturen noch mehr Ausrüstung und Entwicklungsgelder dafür erhalten, Menschen daran zu hindern, aus dem Land zu fliehen. Vielmehr braucht es Unterstützung für eine menschenrechtsbasierte Entwicklung der ärmsten Länder und deutlich mehr Aufmerksamkeit und Mittel für eine aktive Friedenspolitik. Ein falsches Signal sind darum auch Planungen der EUKommission, aus dem Topf für Krisenprävention und für zivile Sicherheit Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe für Armeen afrikanischer Staaten finanzieren zu wollen. Dem sollte sich die Bundesregierung mit Nachdruck widersetzen. Brot für die Welt fordert seit langem deutlich mehr Aufmerksamkeit und Mittel für Krisenprävention, Konflikttransformation und Konfliktnachsorge. Brot für die Welt wird sich auch 2016 vermehrt gemeinsam mit seinen Partnern dafür einsetzen, Konflikte gewaltfrei auszutragen und Gewalteskalation entgegenzuwirken. Entwicklung braucht Frieden und Frieden braucht Gerechtigkeit. Deshalb unterstützen wir Menschen darin, für ihre Rechte und gegen ungerechte Strukturen einzutreten und gleichzeitig Institutionen und Verfahren der friedlichen Streitbeilegung zu schaffen. Frieden braucht Rechtssicherheit und einen ungehinderten Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu Gerichten und rechtsstaatlichen Verfahren. Statement C. Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt, Bilanz-Pressekonferenz 4.8.2016 4 Wir setzen uns auch 2016 dafür ein, dass Deutschlands globale Politik kohärent friedensverträglich gestaltet wird. Es muss sichergestellt werden, dass friedensfördernde Maßnahmen in der Entwicklungs- oder Außenpolitik nicht durch Versäumnisse in anderen Ressorts - z.B. der Außenwirtschaftspolitik - zunichte gemacht werden. Deshalb gilt es, den Export von Kleinwaffen und Lizenzen für Kriegsgerät in Krisenregionen und Diktaturen gänzlich zu unterbinden. Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihre Investitionen im Hinblick auf Friedensverträglichkeit und Vereinbarkeit mit menschenrechtlichen Standards zu prüfen. Das sollte generell gelten und nicht nur für Waffenproduzenten. Es ist dringend nötig, dass die Bundesregierung jeder Form aggressiver und unfairer Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen auf Kosten von Menschenrechten und Menschenwürde und auf Kosten der Lebenschancen von Menschen in armen Ländern einen Riegel vorschiebt. Deutschland erarbeitet gerade seinen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte: Er soll erreichen, dass Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette Verantwortung für die Einhaltung von sozialen und menschenrechtlichen Standards übernehmen – also auch bei der Produktion in Entwicklungs- und Schwellenländern. Leider deutet alles darauf hin, dass die Regierung sich erneut auf vollkommen unverbindliche Appelle an die deutschen Unternehmen beschränkt. Damit Unternehmen ihre Geschäftspraxis ändern, bräuchte es aber – wie die Erfolglosigkeit vieler Appelle der letzten Jahrzehnte zeigt verbindliche Vorgaben, deren Nichteinhaltung auch sanktioniert wird. Noch besser wären internationale Vorgaben, die für alle Unternehmen gelten: Ein solches internationales Abkommen versuchen Regierungsvertreter aus 60 Ländern derzeit bei den Vereinten Nationen zu entwickeln. Im Oktober dieses Jahres findet das zweite Arbeitstreffen statt. Leider boykottiert Deutschland diese Verhandlungen im Interesse der Unternehmen, die Verbindlichkeit scheuen. Brot für die Welt wird ein wachsames Auge haben und sich wenn nötig zu Wort melden. Und wir werden gemeinsam mit unseren Partnern weiterarbeiten, damit der Satz „Wir leben in Einer Welt“ eine positive Bedeutung erhält – für die Menschen in den Entwicklungsländern und auch bei uns. Vielen Dank. Statement C. Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt, Bilanz-Pressekonferenz 4.8.2016 5
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