Ostern – zwischen Kreuz und Lebensbaum

Zwischen Kreuz und Lebensbaum
Gottesdienst zum Ostersonntag
Bangkok, Gemeindehaus
27.3.2016, 11.00 Uhr
Mit diesen Worten aus dem Propheten Jesaja
grüße ich Sie zum Gottesdienst am Ostersonntag.
Und diese Worte des Propheten
machen mit einem Blick sichtbar,
was für eine unglaubliche Botschaft das ist
zu Ostern die Auferstehung Jesu von den Toten zu feiern.
Denn bei der Auferstehung Jesu
geht es nicht um eine Traumwelt,
um ein frommes Jenseits.
Die Auferstehung Jesu
bricht mitten hinein in unsere alltägliche Realität
zu der so viel Widersprüchliches gehört:
persönliches Glück; Kinderlachen, offener Himmel
und Terroranschläge, Flüchtlingsströme,
gehässiger Fanatismus und Krieg.
Und die Widersprüchlichkeit dieser Welt,
diese schier unerträglichen Spannungen
zwischen Licht und Dunkel,
zwischen Liebe und Gewalt
zwischen Verzweiflung und Hoffnung –
die hat immer schon den Glauben
bis an die Schmerzgrenze herausgefordert.
Siehe, meinem Knecht wird's gelingen,
er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit
und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Jes 52,13; 53,4-5
Ein Bild, in dem diese Spannung eingefangen wurde,
sehen wir hier vorne:
ein mittelalterliches Holzkreuz aus der Nikolaikirche in Wismar.
Der gekreuzigte Jesus, angenagelt, tödlich verwundet.
Aber das Kreuz, an dem er hängt –
aus allen Seiten bricht das Leben heraus:
grünende Blätter, reifende Trauben.
Das ist die Botschaft von Ostern:
das Mord- und Folterwerkzeug des Kreuzes
verwandelt in einen Baum des Lebens.
Der Tod hat nicht das letzte Wort. Das Leben siegt.
Und Gerechtigkeit und Frieden bleiben nicht nur fromme Wünsche.
und ich dazu ihre Not gesehen habe,
wie die Ägypter sie bedrängen,
so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden,
damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.
Aber wie kommen wir dahin?
Dass das wirklich wird auch für uns?
Dass wir mitten in dieser verrückt gewordenen Welt
die Spuren dieser Osterbotschaft entdecken können?
Mose sprach zu Gott:
Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen:
Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!,
und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?,
was soll ich ihnen sagen?
Gott sprach zu Mose:
Ich werde sein, der ich sein werde.
So sollst du zu den Israeliten sagen:
»Ich werde sein« - der hat mich zu euch gesandt.
Machen wir uns auf den Weg – mit einem Gebetsruf:
Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht –
Ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.
Kyrie eleison, sieh wohin wir gehen –
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Entzünden der ersten Kerze
Lesung aus dem zweiten Buch Mose im dritten Kapitel
Der Engel des HERRN erschien dem Mose
in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch.
Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte
und doch nicht verzehrt wurde.
Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung
besehen, warum der Busch nicht verbrennt.
Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen,
rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose!
Er antwortete: Hier bin ich.
Gott sprach: Tritt nicht herzu,
zieh deine Schuhe von deinen Füßen;
denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!
Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters,
der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.
Und Mose verhüllte sein Angesicht;
denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist
Exd. 3,2-6.9-10.13-14
Ein Dornbusch, trocken, mit harten Stacheln.
Noch ein Symbol von Gewalt und Lebensfeindlichkeit.
Und der Busch brennt.
Gottes Gegenwart hat ihn in Brand gesetzt, so hören wir.
um den stacheligen,
lebensfeindlichen Dornbusch zu vernichten?
Nein, der trockene, stachelige Dornbusch wird verwandelt:
in einen Ort, an dem Moses die Stimme Gottes hört,
und seinen unaussprechlichen Namen.
Und was sagt dieser Name Gottes?
Er ist ein Beziehungsangebot, ein großes Versprechen:
Ich werde bei dir sein, an deiner Seite.
Ich werde mit dir unterwegs sein,
wie ich schon
mit Abraham, Isaak und Jakob unterwegs war –
durch Wüsten und Bedrohung,
auf dem Weg in ein gelobtes Land.
Und diese Zusage des Gottes
aus dem brennenden Dornbusch
verwandelt die Hebräersklaven in Ägypten:
sie sind nicht mehr irgendwelche Looser,
die ihre Lebenskraft anderen Mächten opfern müssen –
sie sind jetzt Gerufene, von Gott wert geschätzt.
Und das bringt sie auf den Weg – heraus aus der Sklaverei,
heraus aus Gewalt und Hoffnungslosigkeit.
Eine Spur von Ostern, in einer gewalttätigen Welt.
Lasst uns zu Gott rufen:
Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht.
Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht!
Kyrie eleison, sieh wohin wir gehen –
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Entzünden der zweiten Kerze
Lesung aus dem Propheten Hesekiel im 37. Kapitel
Des HERRN Hand kam über mich
und er führte mich hinaus im Geist des HERRN
und stellte mich mitten auf ein weites Feld;
das lag voller Totengebeine.
Und er führte mich überall hindurch.
Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und
siehe, sie waren ganz verdorrt.
Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass
diese Gebeine wieder lebendig werden?
Und ich sprach: HERR, mein Gott, du weißt es.
Und er sprach zu mir:
Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen:
Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort!
So spricht Gott der HERR zu diesen Gebeinen:
Siehe, ich will Odem in euch bringen,
dass ihr wieder lebendig werdet.
Und er sprach zu mir: Du Menschenkind,
diese Gebeine sind das ganze Haus Israel.
Siehe, jetzt sprechen sie:
Unsere Gebeine sind verdorrt und unsere Hoffnung ist verloren
und es ist aus mit uns.
Darum weissage und sprich zu ihnen:
So spricht Gott der HERR:
Siehe, ich will eure Gräber auftun
und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf
und bringe euch ins Land Israels.
Und ich will meinen Odem in euch geben,
dass ihr wieder leben sollt,
und will euch in euer Land setzen,
und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin.
Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.
Hes. 37,1-5.11-12.14
Ein mittelalterliches Holzkreuz,
ein brennender Dornbusch in der Wüste
und jetzt auch noch eine Horrorvision voller Totengebeine wo und wie sollen wir da die Botschaft von Ostern finden?
Aber immerhin – die Totengebeine sind nicht das Letzte.
Da ist auch von einem Odem Gottes die Rede,
von einem Schöpfungsatem Gottes, der in diese Gerippe fährt.
Und wir erfahren auch, an welche Menschen
sich die Botschaft de Prophet richtet:
Das ganze Haus Israel.
Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt
und unsere Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns.
Eine lange Hoffnungs- und Enttäuschungsgeschichte
Ist da in wenigen Worten zusammengefasst:
Einst entkamen die Israeliten der Sklaverei in Ägypten,
kamen in ein gelobtes Land, lebten sogar
für einige Jahrhunderte in einem eigenen Königreich.
Aber immer schon
gab es auch schmerzhafte Ernüchterung im gelobten Land:
auch hier gab es Machtkämpfe, Neid, Gewalt.
Bis am Ende die Königreiche Israel und Juda
zerschlagen wurden von ihren übermächtigen Nachbarn.
Ist uns das wirklich so fremd, diese Art von Enttäuschung:
am Anfang eine große Befreiung –
ein Ende des zweiten Weltkrieges, ein Ende der Kolonialherrschaft,
ein Ende der deutsch-deutschen Teilung,
ein arabischer Frühling –
und dann:
jahrzehntelang kalter Krieg zwischen Ost und West,
diktatorische Regime in den früheren Kolonialstaaten,
eine fortdauernde untergründige Spannung
zwischen Ossies und Wessies
und das völlige Kriegschaos im vorderen Orient.
Wie viel Enttäuschung, wie viel Ernüchterung
können wir eigentlich aushalten,
wenn so vieles, das einmal hoffnungsvoll begann,
in Gewalt und Chaos versinkt
und die Revolutionen immer wieder ihre Kinder fressen?
Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort!
Siehe, ich will Odem in euch bringen,
dass ihr wieder lebendig werdet.
Das ist nicht nur ein fernes Prophetenwort aus alter Zeit.
Nein, auch wir sind gemeint.
Aus dem mittelalterliches Holzkreuz,
aus dem brennenden Dornbusch in der Wüste
und aus der Horrorvision voller Totengebeine
redet Gott zu uns:
Siehe, ich will Odem in euch bringen.
Lebensatem von Gott.
Die Kraft, die aus Sternenstaub und Urfluten diese Welt erschuf.
Die Kraft, die dem Chaos Grenzen setzt
und unser Leben bis zu heutigen Tag erhalten hat.
Der Schöpfungsatem Gottes –
eine Spur von Ostern, in einer chaotischen Welt.
Lasst uns zu Gott rufen:
Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu.
Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du?
Kyrie eleison, sieh wohin wir gehen –
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Entzünden der dritten Kerze
Lesung aus dem Evangelium nach Johannes im 20. Kapitel
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.
Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab
und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen,
einen zu Häupten und den andern zu den Füßen,
wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du?
Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen,
und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Und als sie das sagte,
wandte sie sich um und sieht Jesus stehen
und weiß nicht, dass es Jesus ist.
Spricht Jesus zu ihr:
Frau, was weinst du? Wen suchst du?
Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm:
Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir,
wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
Spricht Jesus zu ihr: Maria!
Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch:
Rabbuni!, das heißt: Meister!
Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an!
Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.
Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen:
Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater,
zu meinem Gott und zu eurem Gott.
Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern:
Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Joh. 20,11-18
Mit der Gefangennahme und Kreuzigung Jesu
ging für seine Jünger und Jüngerinnen eine Welt unter.
War das alles nur ein Traum,
was sie mit diesem Jesus erlebt hatten?
Oder war er einer der vielen Heilsbringer in dieser Welt,
der am Ende seine Möglichkeiten überschätzte
und eine Schleifspur zerstörter Hoffnungen hinterließ?
Und dann steht Maria an seinem Grab.
Das immerhin ist von aller Normalität noch geblieben:
dass man einen Toten in ein Grab legen und betrauern kann.
Und dann macht Maria die verstörende Entdeckung:
Der Leichnam Jesu ist verschwunden.
Ihre Trauer findet keinen Ort mehr.
Das Letzte, was sie noch aufrecht gehalten hat,
wurde ihr auch noch genommen.
Und dann geschieht etwas, das immer wieder
in den Geschichten von Ostern erzählt wird:
Jesus erscheint – und wird nicht erkannt.
Maria Magdalena, und mit ihr die anderen Jüngerinnen und Jünger
erkennen Jesus nicht –
den Jesus, mit dem sie über Monate und Jahre
eng verbunden unterwegs waren.
Könnte es sein,
dass auch wir in dieser Geschichte vorkommen?
Dass es auch in unserem Leben Punkte gibt,
an denen wir die Gegenwart Gottes nicht mehr wahrnehmen?
An denen wir nicht einmal mehr trauern können,
weil es kein Gegenüber mehr gibt?
Maria!
Sie hört ihren Namen.
Genau wie zuvor Mose, und der Prophet Hesekiel.
Es gibt keine Antwort auf die Frage,
wo der Leichnam Jesu geblieben ist.
Es gibt keine Antwort auf die Frage,
warum immer wieder Gewalt und Hass diese Welt vergiften.
Es gibt keine Antwort auf die Frage,
warum wir das alles aushalten müssen.
Aber es gibt eine Stimme, die uns ruft.
Die in Beziehung zu uns tritt.
Und die etwas anrührt in uns, dass uns die Augen aufgehen.
Und diese Beziehung ist anders als vieles, das wir sonst kennen.
Sie kann nicht festgehalten werden, sie bleibt Geheimnis –
so, wie der Name Gottes ein Geheimnis bleibt:
Rühre mich nicht an! Mach dir kein Bildnis!
Vielleicht lässt sich diese Beziehung am ehesten so beschreiben:
suchen und gefunden werden.
Und das ist unsere österliche Herausforderung:
dass wir auf der Suche bleiben –
nach den Ostereiern, nach den Zeichen des Lebens
Es kann sein, dass diese Suche manchmal enttäuschend
oder völlig überraschend zum Ziel kommt.
Aber es kann es geschehen,
dass sich bei allem Suchen und Gefunden Werden
auch unser Kreuz In einen Baum des Lebens verwandelt.
Und der Friede Gottes …
Christ ist erstanden
Entzünden der Osterkerze
Entzünden der Altarkerzen
Ulrich Holste-Helmer