1 13.3 Staatliche Bereitstellung von öffentlichen Gütern Wie die Bereitstellung von öffentlichen Gütern durch den Markt ist auch die Bereitstellung durch den Staat mit vielerlei Schwierigkeiten verbunden. Ein allwissender planender Staat hätte es natürlich einfach. Er braucht "nur" alle Präferenzen und technischen Möglichkeiten kennen, die mit dem öffentlichen Gut in Verbindung stehen, um eine Pareto-optimale Menge des öffentlichen Gutes herauszufinden. Er verlangt dann von den einzelnen "einfach" die erforderlichen und dessen Präferenzen angepaßten Beiträge, mit der die Kosten des öffentlichen Gutes gedeckt werden können. Es ist ganz offensichtlich, daß dies wiederum Informationserfordernisse verlangt, die keine staatliche Institution haben kann. Außerdem ist "der Staat" natürlich kein Wesen. Selbst wenn die Informationen alle vorhanden wären, sind die tatsächlichen Planer wiederum Personen, die nicht unbedingt "das gesellschaftliche Interesse" im Auge haben, sondern zumindest teilweise die eigenen. Daher sollte bei einem solchermaßen planenden Staat nicht unbedingt erwartet werden, daß das Ergebnis, zumindest in bezug auf die Anforderung einer Pareto-optimalen Allokation, zufriedenstellend wäre. Damit ergibt sich ganz allgemein die Frage, wie in einer Gesellschaft Entscheidungen herbeigeführt werden sollen. Ein solches Verfahren sollte bei einem demokratischen Gesellschaftsverständnis die Präferenzen der Mitglieder berücksichtigen. Die zentrale Frage ist daher, wie ein Entscheidungsverfahren die Präferenzen der unterschiedlichen Mitglieder zu einer gesellschaftlichen Präferenzordnung aggregieren kann. Dies kann auf grundsätzlich sehr verschiedene Weisen geschehen. Eine Möglichkeit, die in Demokratien teilweise genutzt wird, ist die Abstimmung. Eine weitere Möglichkeit ist die der Delegation der Entscheidungsgewalt an bestimmte Personen. In einer Demokratie sind solche Personen oft wiederum über Abstimmungen (Wahlen) bestimmt worden. Wir werden uns im folgenden mit diesen beiden Möglichkeiten beschäftigen. Beginnen wir mit dem Fall, daß über die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes durch die Betroffenen (per definitionem, also alle Gesellschaftsmitglieder) abgestimmt wird. Als Beispiel werden wir eine Abstimmung betrachten, bei der ein Vorschlag angenommen wird, wenn die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder zustimmen. In dem folgenden Beispiel wollen wir u.a. die Frage untersuchen, ob durch eine solche Abstimmung eine sinnvolle Bereitstellung mit einem öffentlichen Gut zustandekommt. Sei dazu die Nutzenfunktion des Gesellschaftsmitglieds i durch ui ( x , G ) = α i ln G + x 2 gegeben. Gehen wir davon aus, daß es eine ungerade Zahl n von Gesellschaftsmitgliedern gibt, damit bei Mehrheitsentscheidungen keine Patt-Situation betrachtet werden muß. Wie schon im vorangegangenen Abschnitt werden wir der Einfachheit halber davon ausgehen, daß die Grenzkosten des öffentlichen Gutes konstant gleich 1 sind. Die Vorschläge, über die abgestimmt wird, sind immer von der Struktur, daß jedes Mitglied denselben Beitrag zur Bereitstellung des öffentlichen Gutes leisten muß. Wenn der Vorschlag auf G lautet und angenommen wird, wird demnach für jedes Gesellschaftsmitglied der Beitrag G/n fällig. Betrachten wir nun folgendes Abstimmungsverfahren: Man beginnt mit einem niedrigen Niveau von G und läßt darüber abstimmen, ob das Niveau marginal erhöht werden soll. Eine marginale Erhöhung von G beeinflußt den Nutzen α i ln G + wi − G n um den Grenznutzen αi 1 − . G n Das Gesellschaftsmitglied i wird demnach einer Erhöhung zustimmen, wenn αi > G n gilt. Gehen wir nun davon aus, daß die Indices der Gesellschaftsmitglieder so geordnet sind, daß den höheren Indices die niedrigeren Grenznutzen entsprechen: α 1 > α 2 >L > α n Was wird das Ergebnis dieses Abstimmungsverfahrens sein? Wir behaupten nun, daß dies durch ein Niveau des öffentlichen Gutes gekennzeichnet sein wird, das durch den MedianWähler gewählt wird. Der Medianwähler ist das Gesellschaftsmitglied mit dem Index m= n +1 2 Die Gesellschaftsmitglieder mit kleineren Indices haben höhere Grenznutzen aus dem Konsum des öffentlichen Gutes und die mit höheren Indices haben kleinere Grenznutzen. Der Medianwähler ist dadurch gekennzeichnet, daß es genauso viele Gesellschaftsmitglieder gibt, die höhere Grenznutzen haben, wie Gesellschaftsmitglieder, die geringere Grenznutzen haben. Dadurch wird jeder Vorschlag in der Abstimmung angenommen, dem der Medianwähler zustimmt, und jeder Vorschlag abgelehnt, den der Medianwähler ablehnt. 3 Der Medianwähler wird so lange einer Erhöhung zustimmen, wie für ihn die obige Ungleichung erfüllt ist. Er wird jedoch keiner Erhöhung mehr zustimmen, sobald das Niveau αm 1 = Gm n erreicht wird. Damit steht das Ergebnis fest. Das hier skizzierte Abstimmungsverfahren führt zu der Bereitstellung der Menge Gm = nα m . Was wäre die Pareto-optimale Menge? Sie ergibt sich in diesem Kontext als n n i =1 i =1 ∑ vi′(G p ) = 1 ⇔ G p = ∑ α i . Wie man leicht überprüfen kann, stimmt die Pareto-optimale Menge i.a. nicht mit der Menge überein, die durch die Abstimmung erreicht wird. Offenbar gilt n 1 G p > Gm ⇔ ∑ α i > α m . n i =1 Wenn sich diejenigen Gesellschaftsmitglieder, die hohe Grenznutzen haben, durch sehr hohe Werte von αi äußern, wird der mittlere Wert von αi über αm liegen und die Abstimmung führt zu einer Unterversorgung. Wenn die dieselben Werte von αi nahe an αm liegen und die der Gesellschaftsmitglieder mit niedrigem Grenznutzen sehr klein sind, wird der mittlere Wert von αi unter αm liegen und die Abstimmung führt zu einer Überversorgung. Der Grund ist natürlich, daß in diesem Verfahren der Medianwähler alles entscheidet und die Tatsache, daß durch die "Fehlentscheidung" aus Sicht der anderen Gesellschaftsmitglieder auch Kosten entstehen (entgangene Nutzen), nicht berücksichtigt wird. Dieses Abstimmungsverfahren hat einige Aspekte, die in realen Abstimmungen nicht anzutreffen sind. In den meisten Abstimmungsverfahren wird ein Niveau vorgeschlagen, das dann abgelehnt oder angenommen werden kann. Im Vergleich zu dieser Situation hat das oben skizzierte Verfahren ein deutlich höheres Potential, eine gesellschaftlich sinnvolle Versorgung der Gesellschaft mit einem öffentlichen Gut zu erreichen. Trotzdem wird eine Pareto-optimale Versorgung i.d.R. nicht erreicht. Leider muß auch konstatiert werden, daß die Mehrheitsregel an sich noch nicht einmal immer in der Lage ist, verschiedene Alternativen in eine eindeutige Ordnung zu bringen. Dies sieht man am einfachsten mit Hilfe des sogenannten Wahlparadoxons ein. Stellen wir uns dafür vor, daß insgesamt drei Alternativen zur Auswahl stehen: Alternative I, II und III. Wir haben 4 nur drei Gesellschaftsmitglieder A, B, und C. Deren Präferenzen geben den Alternativen Prioritäten, wie sie in der folgenden Tabelle wiedergegeben sind: Wähler A B C 1 I II III 2 II III I 3 III I II Priorität Wenn über die Alternativen I und II abgestimmt wird, werden A und C und damit die Mehrheit für I stimmen. Die Mehrheitsregel führt hier also zu der gesellschaftlichen Einschätzung I f II. Wir über die Alternativen II und III abgestimmt, wird A und B für II stimmen. Hier wird die gesellschaftliche Einschätzung II f III reflektiert. Wenn man beide Abstimmungen gemeinsam betrachtet, sollte man also denken, daß die Gesellschaft, die wir vor uns haben, die Alternative I der Alternative III vorziehen. Lassen wir jedoch in der Gesellschaft über die Alternativen I und III abstimmen, so werden B und C für I stimmen. Dies würde für die gesellschaftliche Präferenz III f I sprechen. Die durch die Mehrheitsregel produzierte gesellschaftliche Präferenzordnung ist demnach nicht transitiv. Dies führt zu großen Schwierigkeiten, die an dem Beispiel gleich offenbar werden. Offenbar kann ein Wahlleiter durch Festlegung der Reihenfolge der Abstimmungen das Ergebnis beeinflussen (sogenanntes Tagesordnungsproblem). Außerdem können hier auch Anreize entstehen, strategisch zu wählen. Es kann zu Wahlabsprachen kommen, so daß das Ergebnis der Abstimmung immer weniger klar vorherzusagen ist. U.a. wird es dadurch auch immer problematischer, von solchen Abstimmungen zu erwarten, daß beispielsweise eine sinnvolle Menge eines öffentlichen Gutes bereitgestellt wird. Nun ist die Mehrheitsregel nur eine Regel, die ein bestimmtes Verfahren für eine gesellschaftliche Entscheidung festlegt. Die Frage, die sich bei dem obigen Befund stellt, ist die nach besseren Entscheidungsregeln. Ist es also möglich, ein Verfahren zu entwickeln, das 5 die obigen Defizite nicht aufweist? Dieser Frage ist u.a K. Arrow nachgegangen. Er hat sich die Frage gestellt, ob es ein Verfahren gibt, das einigen von ihm aufgestellten Anforderungen entspricht. Wir werden nun zunächst diese Anforderungen kurz skizzieren: Gesellschaftliche Rationalität Die von dem Verfahren generierte Präferenzenordnung über den potentiell vorzuschlagenden Alternativen sollte vollständig und transitiv sein. Dies schließt zum Beispiel aus, daß eine Änderung der Reihenfolge bei Abstimmungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Die Forderung geht insofern weiter, als sie verlangt, daß das Verfahren für jedes Paar von Alternativen eine gesellschaftliche Prioritätsordnung generieren kann. Allgemeingültigkeit Diese Forderung verlangt, daß das Verfahren bei jeder rationalen (vollständig, transitiv) Präferenzordnung der Gesellschaftsmitglieder zu einer rationalen Entscheidung im Sinne der ersten Forderung kommt. Diese Forderung ist insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, daß die Präferenzen in aller Regel nicht bekannt sind. Wenn das Verfahren nur für manche Präferenzordnungen zu sinnvollen Ergebnissen führen würde, müßte man bei der Einschätzung seiner Adäquanz zunächst feststellen, ob die Präferenzen der Mitglieder die speziellen Anforderungen erfüllen. Pareto-Optimalität Wenn alle Gesellschaftsmitglieder eine bestimmte Alternative einer anderen Alternative vorziehen, sollte das Verfahren zu derselben Präferenzeinschätzung kommen. Unabhängigkeit irrelevanter Alternativen Bei der Entscheidung zwischen zwei Alternativen sollte das Verfahren nur die Präferenzordnungen der Gesellschaftsmitglieder bzgl. dieser beiden Alternativen berücksichtigen. Abwesenheit eines Diktators Das Verfahren sollte nicht so gestaltet sein, daß bei der Entscheidung über beliebige Alternativen nur die Präferenz eines Gesellschaftsmitgliedes zählt. Das Ergebnis von Arrow ist sein berühmtes Unmöglichkeitstheorem, welches aussagt, daß es unmöglich ist, ein Verfahren zu entwerfen, das alle diese Forderungen erfüllt. Damit liegen die Probleme staatlicher Entscheidungsfindung besonders plastisch offen: Es gibt kein ideales Verfahren. In der Einschätzung sollten wir jedoch nicht zu pessimistisch sein. Wenngleich jede der Forderungen von Arrow sinnvoll sind, so ist natürlich zu fragen, ob man in manchen 6 Situationen nicht die Forderungen abschwächen kann. Es ist beispielsweise zwar richtig, daß es wünschenswert ist, die Allgemeingültigkeit im obigen Sinne zu fordern, weil es chronisch schwierig ist, eine Präferenzordnung zu erfassen. Aspekte einer Präferenzordnung können jedoch eventuell doch erfaßt werden, z.B. über die Form der Präferenzordnung. Wenn sich beispielsweise die Präferenzen als "eingipflig" herausstellen, ist das Mehrheitsverfahren gar nicht so schlecht. Insbesondere verschwindet das obige Wahlparadoxon. In der Tat gibt es eine breite Forschungsrichtung, die sogenannte social choice Theorie, mit der Entwicklung von Verfahren, die in bestimmten Situationen sinnvoll sind. Einige erste Einblicke kann man in Schotter und MasColell et al. finden. Auf dem deutschen Markt findet sich eine ausführliche Darstellung z.B. von Bernholz und Breyer: Grundlagen der Politischen Ökonomie. Hier sollte es zunächst nur darum gehen, die allgemeinen Schwierigkeiten aufzuzeigen, denen sich eine staatliche Entscheidungsfindung gegenübersieht. Die Verfahren, die wir bisher skizziert haben, sind in erster Linie Verfahren einer direkten Demokratie, in der die Gesellschaftsmitglieder selbst über Abstimmungen in der einen oder anderen Ausgestaltung Entscheidungen treffen. Solche Verfahren sind in Gesellschaften mit vielen Mitgliedern und vielen Entscheidungssituationen sehr aufwendig. Dieser mit Ressourcennutzung verbundene Aufwand kann als Grund dafür angesehen werden, daß demokratische Verfahren in der modernen komplexen Welt eher Verfahren der repräsentativen Demokratie sind. Die Entscheidungsbefugnis über einen bestimmten Kreis von Fragestellungen wird an bestimmte Personen delegiert, die über Abstimmungen bestimmt werden. Den Kostenersparnissen dieser institutionellen Regelung stehen allerdings ebenfalls wieder Gefahren für die Ressourcennutzung gegenüber. Für die Wahlperiode sind die gewählten Vertreter weitgehend der Kontrolle entzogen. Um eine Wiederwahl zu erreichen, sind immer mehr hohe finanzielle Aufwendungen notwendig. Dies kann dazu führen, daß die Interessen von finanzkräftigen Wählergruppen bei den Entscheidungen einen höheren Stellenwert bekommen als es aus gesellschaftlicher Sicht zu vertreten wäre. Offensichtlich machen solche Einflüsse es nicht gerade einfacher, an eine sinnvolle Nutzung von gesellschaftlichen Ressourcen durch staatliche Entscheidungsverfahren zu glauben. Natürlich haben wir die Schwierigkeiten damit nicht erschöpfend behandelt. Dies ist die Aufgabe der ökonomischen Theorie der Politik, die zum einen Teil des Faches Allgemeine Wirtschaftspolitik ist und zum anderen in dem oben angegebenen Buch von Bernholz und Breyer vertieft werden kann. Als Fazit können wir festhalten, daß das Marktsystem bei öffentlichen Gütern i.d.R. versagt. In vielen Bereichen kommt es zu überhaupt keinem Angebot einer positiven Menge eines öffentlichen Gutes, so daß gar keine andere Möglichkeit bleibt, als den Staat als gesellschaftliche Instanz zu bemühen. Damit haben wir dem Staat eine weitere Rolle zuordnen können: die Versorgung der Gesellschaft mit öffentlichen Gütern. Wir mußten jedoch auch feststellen, daß das Ergebnis staatlicher Entscheidungen mit vielerlei Einschränkungen zu 7 versehen ist. Insbesondere kann selbst unter recht idealen Bedingungen nicht erwartet werden, daß die resultierende Allokation Pareto-optimal ist.
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