Abend ward, bald kommt die Nacht, schlafen geht die Welt (EG 487) Liedpredigt 6. September 2015 Erlöserkirche I Abend ward, bald kommt die Nacht, schlafen geht die Welt; denn sie weiß, es ist die Wacht über ihr bestellt. Alle Welt geht irgendeinmal schlafen … der eine geht früher, die andere eben später. So ist das nun mal (wie alles im Leben) eine Frage der Zeit. Es gibt Nachteulen und Frühaufsteher, es gibt Langschläfer und daneben so manch einen, den es schon um neun Uhr abends nicht mehr auf dem Stuhl hält – mag das Fernsehprogramm noch so ausgefallen, spannend und anregend sein. Die Nacht holt uns alle ein, ja – sie überholt uns sogar und dann, wenn wir nicht gehörig aufpassen, ist es bald schon wieder Morgen (ob wir es wollen oder nicht). Jedem von uns ist ein eigener Abendrhythmus zu Eigen. Er gehört zu uns wie unser Namen und unsere LebensART. Wenn wir ihn verlassen, werden wir unglücklich. Wenn uns andere ihre Art des Abends aufdrücken wollen, werden wir krank. Da sind wir – Gott sei es gedankt – ganz eigen. Der Tag hatte seine Mühe, seine Sorge – sein Tun und Lassen. Er hat Kraft gekostet und zugleich Wirkung gezeigt. Nun soll (und kann) dies alles ruhen. So ist es gut. Arbeit am Abend (ja sogar in der Nacht) ist wider den Rhythmus des Lebens (und wer so arbeiten muss – ja will – weiß dies aus eigener leidiger Erfahrung). Ich selber bin jahrelang ein ausgesprochener Nachtarbeiter gewesen. Der Tag musste immer mehr als vierundzwanzig Stunden haben. Das, was ich am Tag nicht schaffte, schaffte ich in die Nacht. Der Schlaf wurde zu einer bloßen Unterbrechung der Arbeit. Ich bin darüber krank geworden. Schon darum sind die Gedanken über den Abend, den Abendrythmus und die Nacht alles andere als seicht und oberflächlich. Ich brauche den Abend als Abend, die Nacht als Nacht und den Schlaf als Schlaf. Ich habe es lernen dürfen – in letzter Zeit … und bin froh darum. Wenn ich über den Abend in die Nacht, ja in den Schlaf gehe, brauche ich Schutz: das warme Bett, das Dach über dem Kopf, den geliebten Menschen an meiner Seite. Andernfalls könnte ich nicht schlafen – zumindest nicht gut. Wie wichtig das ist, zeigen die guten alten Einschlafrituale, die wir mit unseren Kindern und die unsere Eltern mit uns geübt haben. „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe beide Äug lein zu. Vater lass die Augen Dein, über meinem Bette sein!“ Wie sehr klingt diese Melodie immer noch in meinem Herzen auf, wenn ich die Worte meines guten alten Abendgebetes aus meiner Kindheit höre. Abend ward, bald kommt die Nacht, schlafen geht die Welt; denn sie weiß, es ist die Wacht über ihr bestellt. II Einer wacht und trägt allein ihre Müh und Plag, der lässt keinen einsam sein, weder Nacht noch Tag. An meinem Kinderbett hing damals eine einfache Darstellung des segnenden Christus – eine Figur nach der Art des großen Michelangelo, die Hände zum Segen geöffnet oder (wie ich mir als Kind dachte) die Hände zum Umarmen ausgebreitet. Mit diesem Bild bin ich eingeschlafen – dann wenn die Mutter aus dem Zimmer gegangen war und ich alleine mit mir und meinen Gedanken zurückblieb. Da war immer noch der ‚Herr Jesus‘. Der blieb – wenn auch zunächst nur als bloßes Bild an der Wand – eben auch in meinem Herzen. Den konnte mir keiner nehmen. Der blieb – was immer auch geschehen mochte – mir zugewandt, freundlich und offen. Wie oft habe ich mich damals in den langen Zeiten vor dem Einschlafen seinen Händen anvertraut. Denn in diesen Zeiten kamen die Gedanken – nicht nur in der Kindheit. Sie kommen bis heute. War alles richtig und gut, was ich getan und gelassen hatte? Wo hatte ich versagt? Wem war ich etwas schuldig geblieben? Mit wem blieb ich in Unfrieden, ja im Zorn? Und für was konnte ich danken … und wem? Und wenn ja, hatte ich es auch deutlich gesagt? Die Zeit vor dem Einschlafen kann einsam machen – dann wenn keiner ‚da‘ ist. Und sie können einsam bleiben, wenn man keinen findet, mit dem man seine Gedanken teilt … mitteilt. Wie gut es tut, wenn man sich mit dem/r Partner/in vor dem Einschlafen ausspricht und das, was ‚da‘ ist teilt. Und – wie gut, wenn man es im stillen Gebet mit Christus und/oder dem lieben Gott teilen kann. Das ist eine Erfahrung, die nicht nur auf die Kindheit beschränkt ist. Ich kann ein Lied davon singen. Einer wacht und trägt allein ihre Müh und Plag, der lässt keinen einsam sein, weder Nacht noch Tag. III Jesu Christ, mein Hort und Halt, dein gedenk ich nun, tu mit Bitten dir Gewalt: Bleib bei meinem Ruhn. Und wenn nicht? Und wenn sich das innere Gefühl der Sicherheit und der Geborgenheit nicht einstellt. Wenn ich mit meinen Gedanken – den lichten, aber auch den dunklen für mich – und alleine gelassen – bleibe. Wenn ich mich hin- und her wälze und meine ‚Müh und Plag‘ mit mir? Auch das kenne ich mehr als genug. Wenn ich dann einfach resigniere, wenn ich (mich) aufgebe und mich so meinen wirren Strömen der Gedanken hingebe, dann bleibe ich oft in einem Strudel der Gefühle, der Erinnerungen und der Ereignisse, welcher mich nur ungut in die Nacht und ihre Träume entlässt. Da braucht es eine Gegen-Kraft, eine Kraft gegen die Resignation und das Aufgeben – eine Lebenskraft mitten am Abend und vor der Nacht. Dies ist zum einen die Liebe, die mich meinem Partner – auch über ‚Müh und Plag‘ und alle Hindernisse hinweg wieder zuwenden lässt. Und dies ist zum anderen mein Glaube, der mich, was immer auch bedrückt nicht von meinem Christus trennen kann. Und da kann es zuweilen zur Sache gehen. Das wissen wir alle. Aber wir wissen auch, wie gut schlussendlich dann Versöhnung tut. Auch im Gebet ist dies so. Es ist niemals selbstverständlich. Besonders dann nicht, wenn man das Gefühl in sich trägt, der andere – ja auch der liebe Gott hört und sieht mich nicht. Da braucht es ein hohes Maß an Konsequenz, Anstrengung und Mut. Da muss (will) man dran bleiben. Da lässt man Gott nicht einfach den ‚lieben GOTT im Himmel‘ sein, sondern fordert (bittet) ihn hinein in das eigene Herz. Zuweilen ist dies wie ein ‚Ringen am Jabbock‘ oder das ‚Gebet in Gethsemane‘. Aber es lohnt sich. Denn am Ende zeigt sich GOTT als ‚Hort und Halt‘. Jesu Christ, mein Hort und Halt, dein gedenk ich nun, tu mit Bitten dir Gewalt: Bleib bei meinem Ruhn. IV Wenn dein Aug ob meinem wacht, wenn dein Trost mir frommt, weiß ich, dass auf gute Nacht guter Morgen kommt. Alle Welt geht einmal schlafen. Der Schlaf bringt neue Energie. Gelassen gehe ich hinein in den neuen Tag – die neue Zeit. Der Schlaf ist ein Übergang, der es – im wahrsten Sinn des Wortes ‚in sich‘ hat. Darum braucht er eine besondere Achtsamkeit, ja einen besonderen Schutz – gerade dann, wenn die Lebenszeiten gefährdend (bisweilen auch gefährlich) sind: In Krankheit, in Streit, in Not, Flucht und Gefahr. Dann tut es gut, wenn man/frau sich nicht alleine weiß – sondern gut aufgehoben in der Liebe, gut begleitet und beschützt in der Achtsamkeit Gottes. „Wenn dein Aug ob meinem wacht, wenn dein Trost mir frommt, weiß ich, dass auf gute Nacht guter Morgen kommt.“ Wie gut tut es, wenn man/frau in dieser liebevoll-achtsamen Gewissheit einschlafen kann, wenn man/frau in sich die Hoffnung (wie einen Schatz) spürt, am nächsten Morgen aufzuwachen – voller Kraft, voller Zuversicht und voller Hoffnung. Oft sprechen wir in übertragenem Sinn von einem ‚gesegneten Schlaf‘. Er ist viel mehr, als nur die Fähigkeit (trotz allen Straßen- und anderem Lärm) tief durchzuschlafen. Es ist der Schlaf – gesegnet und geborgen in GOTTes Liebe, in dem ich eingehüllt in Christi Gegenwart den neuen tag erwarten darf … was immer auch passieren mag. Amen Andreas Pasquay
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