PDF-Download - Cathy Zimmermann

Leben
mit dem
Tod
INTERVIEW David Baum
FOTOS Peter Garmusch
S
ie haben Ihre Karriere als ORF-Moderatorin beendet,
um in der Sterbebegleitung zu arbeiten. Die einen finden
den Schritt mutig und bewundernswert. Die anderen sagen:
„Wieso tut sie das bloß?“
Ich fasste den Entschluss innerhalb von zwei Minuten, aber
wie ich im Nachhinein feststellte, hatte er sich seit Wochen
angebahnt. Meine Mutter ist schwer krank geworden, es folgte
eine Notoperation. Bei den Besuchen im Spital kam ich mit
anderen Patienten in Kontakt, die reden wollten. Da stellt sich
einem natürlich die Frage: Sollst du darauf einsteigen? Dann
habe ich gesehen, dass es den meisten gleich viel besser ging,
wenn man mit ihnen geredet hat. Das gab mir selbst ebenfalls
etwas. Irgendwie gefiel es mir.
Wo standen Sie da gerade in Ihrem eigenen Leben?
Es passierte tatsächlich an dem Tag, nachdem ich bei
„Dancing Stars“ rausgeflogen war. Als hätte der Körper meiner
Mutter noch abgewartet, bis ich dafür Zeit habe, dann ist er
zusammengebrochen. Ich saß auf dem Weg ins Spital im Auto
und sah auf der Straße ein Plakat, das auf Sterbebegleitung
aufmerksam machte. Das war’s. Es war sofort klar, dass ich
das machen will und werde.
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TV-Sternchen Cathy
Zimmermann hat
sich in ihrer Karriere
auf dünnes Eis
begeben und wurde
vom Boulevard
sexistisch beleidigt.
Es gibt Wichtigeres
im Leben, sagt die
Moderatorin und
spricht mit flair über
den Tod
Erinnern Sie sich noch an jenen Moment, an dem Sie als
Kind festgestellt haben: Sterben betrifft auch irgendwann
einmal mich?
Eigentlich nicht. Natürlich habe ich heute die Vergänglichkeit
im Kopf, früher war das nicht der Fall. Ich bin ein Mensch,
der Probleme eher wegschiebt. Dasselbe habe ich früher auch
mit dem Thema Tod gemacht. Selbst jetzt, wo ich viel damit
zu tun habe, bin ich mir dessen bewusst, aber der eigene Tod
ist weit weg für mich.
Haben Sie selbst schon jemanden verloren?
Ich hatte zu meinen verstorbenen Großeltern – aus familiären
Gründen – nicht den engsten Kontakt. Das klingt jetzt vielleicht
wahnsinnig blöd, aber am meisten gelitten habe ich, als mein
Hund starb. Man geniert sich fast, das zu sagen, aber es ging mir
nun mal sehr nahe. Ich bin jetzt 32 und musste noch um keinen
engen Freund oder nahestehenden Verwandten trauern. Das ist
ein unheimliches Glück. Umso mehr fürchte ich den Moment,
in dem es passiert. Deshalb hat die lebensbedrohliche Situation
meiner Mutter, zu der ich ein sehr enges Verhältnis habe und
die jeden Tag um mich ist, mein Leben so umgedreht. Ich
habe versucht, mit ihr darüber zu sprechen, doch das war
ihr extrem unangenehm. Sie fing sofort zu weinen an, ich
habe sie jedoch absichtlich konfrontiert. Es ist kein schönes
Thema, aber wir müssen uns alle damit beschäftigen.
Wie geht Ihr Freundeskreis damit um, dass Sie nun
Sterbende betreuen?
Sie fragen natürlich: „Wie kannst du das aushalten?“ Ich kann
es nur, weil es nun mal fremde Menschen sind. Müsste ich etwa
einen engen Freund begleiten, sähe die Sache anders aus. Man
kann sich nicht in jeden einzelnen Patienten emotional vertiefen, man würde daran zugrunde gehen. Trotzdem lässt es dich
nie kalt. Ich musste mich von einer alten Frau, die ich begleitete,
verabschieden, nicht, weil sie schon gestorben wäre, sondern weil
mein Praktikum zu Ende ging. Das war emotional, sie hat mich
umarmt und mir gesagt, dass sie mich nie vergessen würde. Es
war einer der berührendsten Momente meines Lebens. Ich hatte
einen Sinn.
Als Österreichs letzter Kaiser, Karl I., mit dem Tod rang, holte
er seinen Sohn Otto an das Sterbebett – er sollte zusehen, wie
man stirbt. Würden Sie das Prinzip heute noch empfehlen?
Zusehen, wie man stirbt? Ich glaube es ist wichtig, sich von einem geliebten Verstorbenen zu verabschieden. Ihn noch einmal
anzusehen, anzufassen. Ich habe selbst bisher nur einen Toten gesehen. Ich habe mehrere Menschen begleitet, doch ich war noch
bei keinem direkt dabei, als es so weit war. Obwohl die Durchschnittsverweildauer bei uns im Hospiz inzwischen zwölf Tage
beträgt … Es gibt übrigens auch Ehrenamtliche, die räumen nur
den Geschirrspüler aus, die wollen nur helfen, aber nicht die persönliche Begegnung. Ich suche den Kontakt zu den Menschen.
Ist den Patienten dort bewusst, dass sie nur noch durchschnittlich zwölf Tage auf Erden sind?
Jeder Hospizpatient ist aufgeklärt darüber, wo er ist. Insofern
ja. Es hat einmal einen Anruf von Angehörigen gegeben, die
meinten: „Könnten Sie dem Opa sagen, es wär’ nur ein Kuraufenthalt?“ Aber wir lügen die Patienten nicht an.
Ein spanisches Sprichwort sagt: „Wer von Hoffnung lebt,
wird in Verzweiflung sterben.“ Sollte man sich seine Lage
immer schonungslos klarmachen?
Ich weiß es nicht, ich habe dazu meine Ansicht, aber ich glaube,
es ändert sich alles in der Sekunde, wenn es einen selbst betrifft.
Ich will mich da nicht festlegen, es wäre anmaßend. Ich bin jedoch der Meinung, es ist besser, man sagt die Wahrheit.
Wäre es nicht eigentlich besser, zu Hause sterben zu dürfen?
Ja, wenn es möglich ist. Natürlich ist das vertraute Umfeld
das beste – wenn es geht. Doch es ist oft nicht möglich.
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„Man sollte sich
nicht erst am
Schluss fragen,
was man im
Leben eigentlich
lieber gemacht
hätte, sondern
dann, wenn
man es noch
realisieren kann“
// PORTRAIT
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Die TV- und Radiomoderatorin Cathy
Zimmermann findet in ihrer Tätigkeit in einem
Hospiz neuen Sinn. Den Entschluss dazu
fällte sie aus innerer Überzeugung
Vertrautheit ist wichtig. Ich hatte da ein Erlebnis mit einer
Frau, die noch recht jung war – es war absehbar, dass sie die
Nacht nicht überstehen würde. Dann kam ihr Sohn, er war
in meinem Alter, und er zeigte kaum Emotionen, während
sein bester Freund wie ein Schlosshund heulte. Er bat mich,
mit dem Sohn zu reden, ihm die Situation verständlich zu
machen. Ich plauderte einfach mal drauflos, wir redeten übers
Ausgehen, über unsere Generation, über alles Mögliche, belangloses Zeug. Dann taute er auf und fing an, sich mit mir
über seine Situation auseinanderzusetzen. Er wüsste nicht,
sagte er, ob er bleiben oder gehen sollte. Ich habe ihm geraten, es zumindest zu probieren. Ich habe bewusst nicht den
Begriff des Bereuens verwendet – aber ich meinte, er fände es
vielleicht einmal schade, wenn er es nicht zumindest versucht
hätte, in dem Moment bei seiner Mutter gewesen zu sein.
Das ging mir nah, aber ich bin bei Dienstschluss dennoch
gegangen. Kurz habe ich auf dem Parkplatz überlegt, umzudrehen. Doch ich habe es ihm überlassen. Ich weiß bis heute
nicht, ob er geblieben ist.
Diese Distanz muss man vermutlich erst lernen …
Definitiv, doch das heißt ja nicht, dass ich deswegen kalt wäre.
Der eine Mann, der da auf einmal tot in seinem Bett lag, mit
dem war ich am Tag davor noch spazieren. Ich habe mich dann
an sein Bett gesetzt und noch mit ihm gesprochen. Obwohl da
für mich kein Leben mehr war, es war nur noch eine leere Hülle.
Die Seele, das Innenleben, die Persönlichkeit, die entweichen.
Lernen Sie dabei etwas über das Menschsein?
Dass man sich nicht erst am Schluss fragen sollte, was man
eigentlich lieber gemacht hätte im Leben, sondern zu einem
Zeitpunkt, an dem man es noch realisieren kann. Die Menschen sind nicht mutig genug. Was ich ebenso gelernt habe:
Dass Sterbende ganz genau merken, wenn man nicht die
Wahrheit spricht. Sätze wie „Das wird schon wieder“ oder
Linke Seite: Seidentop Céline, Hose Dries Van Noten, Armreif Philippe Ferrandis, Ring und Kette Cathy’s own Rechte Seite: Bluse Jean Paul Gaultier, Hose Petar Petrov
STYLING Simon Winkelmüller @ www.monikaleuthner.com HAARE/MAKE-UP Thomas Lorenz @ Making Of mit Produkten von Armani und Shu Uemura Art of Hair FOTOASSISTENZ Jakob Gsöllpointner LOCATION Vielen Dank an das Hotel Sans Souci Wien (www.sanssouci-wien.com)
// PORTRAIT
„Sie schauen schon viel besser aus“ – die funktionieren
nicht, wenn es nicht stimmt.
Haben Sie eine Idee, was nach dem Tod sein könnte? Kommt
da überhaupt irgendetwas?
Wissen wir alle nicht, aber wir werden es alle erfahren. Ich
glaube jedenfalls, dass da etwas ist, allerdings erst, seitdem ich
hier arbeite. Vorher dachte ich, dann ist Schluss, aus, nichts.
Jetzt denke ich, es ist so, wie es die Sterbensforscherin
Dr. Kübler-Ross formuliert hat: „Sterben ist Umziehen in ein
schöneres Haus.“ In eine andere Dimension, denke ich.
Wie sieht es dort aus, in dieser anderen Dimension?
Vielleicht ein bisschen so wie in unseren Träumen. Ohne
Zeit- oder Raumgefühl. Was mich interessieren würde: Ob
wir dann noch wissen, wer wir hier auf Erden waren. Das
wäre schon schön. Menschen, die Nahtoderlebnisse hatten,
erzählten danach, sie hätten auf einmal alles verstanden. Alle
Zusammenhänge kapiert. Dann mussten sie zurück in diesen
winzigen Körper.
Unsentimental betrachtet hat uns die Evolution etwas wie
die Liebe gegeben, damit wir uns engagierter fortpflanzen.
Könnte es nicht sein, dass diese Erlebnisse eine ähnliche biologische Funktion haben?
Schöner sterben, sozusagen … Natürlich könnte das sein. Ich
habe jedoch das Gefühl, dass es nicht so ist.
Die Theologin Uta Ranke-Heinemann hat einmal gesagt,
die schlimmste Religion sei der Buddhismus, denn da würde
man nach dem Tod nicht Mama und Papa wiedersehen,
sondern müsste als Heuschrecke wiedergeboren werden.
Wiedergeburt. Also ich hätte auch keine große Lust, als Ameise
oder Esel wiederzukehren. Wenn schon, dann wenigstens als
etwas, das fliegen kann. Der Wunsch der Sterbenden, doch vor
allem der Lebenden, ihre Lieben wiederzusehen, ist schon sehr
stark. Es würde mir leidtun, wenn es nicht so kommt.
Stehen Sie einer Religion nahe?
Hmm, glaube ich an Gott? An eine höhere Macht in jedem Fall.
Ich bedanke mich manchmal, wenn mir etwas Gutes passiert,
bei jemandem da oben und bei allen Schutzengeln. Aber ich
gehe fast nie in die Kirche. Der Stephansdom hat für mich etwas
Bedrohliches. Es spielt im Hospiz keine Rolle, welcher Religion
die Patienten angehören, aus welchen Verhältnissen sie stammen,
welche Sprache sie sprechen.
Erhält das Leben erst durch den Tod einen Sinn?
Unbedingt. Will ich unendlich leben? Nein. Nichts wäre gefähr-
Engagiert: Das Thema Sterben ist kein Tabu,
Cathy Zimmermann setzt sich damit intensiv
auseinander, etwa auch in Schulklassen
lich, es gäbe keinen Anspruch ans Leben. Wir brauchen
eine Deadline.
Engagieren Sie sich in der Sterbebegleitung, um Ihrem
Leben einen Sinn zu geben?
Ja. Ich hatte mich damals beim ORF einfach nicht mehr wohlgefühlt, ich merkte, dass ich die unpersönliche Nachrichtensprecherin ohne Emotion nicht bin. Und es ist zu mir gekommen,
dass ich das mache. Es war mehr ein Gefühl als ein Plan. Als
Nächstes möchte ich ins mobile Hospiz wechseln, mit dem man
zu den Menschen nach Hause kommt. Das hat sehr spannende
Aspekte. Und ich möchte Hospize im Ausland sehen. Vor Kurzem habe ich ein Hospiz in Großbritannien besucht.
Der Freitod von Gunter Sachs hat die Frage nach dem selbstbestimmten Lebensende neu zur Diskussion gestellt. Wie
stehen Sie dazu?
Man setzt sich ja schnell in die Nesseln mit dem Thema. Ich
habe schon einmal – allerdings zur Sterbehilfe – gesagt, das sei
jedem selbst überlassen. Allerdings sehe ich das mittlerweile ein
wenig anders. Denn das Ziel der Hospizarbeit ist es ja, mittels
Schmerztherapien und intensiver Betreuung das Lebensende
so zu gestalten, dass keine Sterbehilfe nötig ist. In Würde zu
sterben. Wir beschleunigen nicht, wir verlangsamen aber auch
nicht. Ich finde wichtig, dass mehr Menschen offen über das
Thema Sterben sprechen, so wie wir gerade. Deshalb gehe ich
mit einer Psychotherapeutin in Schulklassen, und wir reden
darüber mit den Kindern.
Wie möchten Sie selbst sterben?
Natürlich am liebsten ohne Schmerzen. Und nicht allein.
Manche Menschen wünschen sich, dass sie gar nichts davon
registrieren, wenn sie sterben. Schnell und plötzlich soll es
geschehen. Das möchte ich nicht. Ich würde mich gerne verabschieden, bevor es passiert.
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„Ich würde
mich gerne
verabschieden,
bevor
es passiert“