Predigt von Landesbischof Dr. Carsten Rentzing am Buß

Predigt von Landesbischof Dr. Carsten Rentzing am Buß- und Bettag,
18. November 2015 in der Kreuzkirche zu Dresden
Les: Ev
Liebe Gemeinde!
„Hasenmax, der Bösewicht, konnte heut sein Verschen nicht. Hat gepfiffen und
geschwätzt, Hasenlieschens Rock zerfetzt. Eine neue Bank zerkracht. Und dabei
auch noch laut gelacht. In die Ecke muss er nun. Ei, da kann er Buße tun.“ So lauten
Kinderreime aus dem berühmten alten Kinderbuch: Die Häschenschule.
Wahrscheinlich waren es diese Verse, durch die zahlreiche Kinder erstmals bewusst
dem Wort Buße begegnet sind. Anrührende Verse, nette Bilder dazu, eben ein
richtiges Kinderbuch. Selbst der böse Max, der manch einen Erwachsenen an eigene
Streiche in Schultagen zu erinnern vermag, führt eher zu einem leichten Lächeln auf
den Lippen, als zu einem Entsetzen. Das also ist Buße: Nach einer schlechten Tat
wird man bestraft und darf die Zeit der Bestrafung nutzen, um in sich zu gehen, zu
bereuen und sein Leben zu bessern. Scheinbar schlicht und einfach. Aber der ganze
Gedankengang bleibt einem im Halse stecken, wenn man dabei nicht an Hasenmax
sondern an acht Terroristen in Paris denkt. Acht Mörder, die den Namen einer
ganzen Religion missbrauchen für ihr unmenschliches Verhalten. Acht Mörder, die
sich der Verantwortung entziehen, indem sie sich in die Luft sprengen, um aus ihrer
Sicht im Paradies zu landen. Keine Einkehr, keine Chance zur Reue, geschweige
denn zur Besserung des Lebens. Schon die Attentäter des 11. September hatten es
so ausgedrückt: Ihr liebt das Leben. Wir lieben den Tod.
Fassungslos steht man davor. Und man stellt sich die Frage: Was bedeutet das für
diesen Buß- und Bettag?
Schon werden Forderungen nach einer „rücksichtslosen und gnadenlosen“ Reaktion
den Verantwortlichen im Ausland gegenüber laut. So als habe man davon allein die
Bekämpfung des Bösen zu erwarten. Aber da gibt es nun allerdings eine christliche
Botschaft, die sehr zu diesem Tage passt: Die Bekämpfung des Bösen geschieht
nicht durch gnadenlose Gewalt. Die Bekämpfung des Bösen geschieht durch Buße.
Von einem Mönchsvater, der für seine Güte und Weisheit bekannt war, wird folgende
Geschichte erzählt:
Eines Tages kommt ein junger Mann zu ihm und klagt ihm sein Leid: Lieber Vater,
meine Nachbarin ist eine böse Frau. Ich kann neben ihr nicht mehr weiterleben. Du
musst darum beten, dass sie wegzieht oder stirbt, sonst weiß ich keinen Ausweg
mehr. Der alte Mönch schaut den jungen Mann mit seinen gütigen Augen an und
antwortet: Junger Mann. Ich laufe seit über 80 Jahren über diese Erde und außer mir
selbst ist mir noch kein böser Mensch begegnet. Und du willst mir sagen, deine
Nachbarin sei eine böse Frau?
Es ist schwer, die Frage nach dem Bösen auf sich selbst zurückzulenken. Umso
mehr im Anblick schwerster Verbrechen, die uns mit Zorn und Wut erfüllen. Aber
genau darin liegt der christliche Weg zur Erneuerung dieser Welt. Genau darin liegt
ein wesentlicher Sinn des Bußgedankens.
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Bei unserem Wort der Leitenden Geistlichen der EKD zur Flüchtlingsfrage haben wir
uns tatsächlich auch diesem Thema gestellt. Worin eigentlich liegt unser Anteil am
Leid auf dieser Welt? Wo war unser Einsatz in den Hungerkatastrophen? Wo war er
bei den sich entfesselnden Kriegen und Bürgerkriegen? Wie viele Menschen sterben
weltweit durch deutsche Waffen?
Und auch bezogen auf die Attentäter des vergangenen Wochenendes könnte man
fragen: Wie sind diese Männer teilweise in unserer Mitte zu dem geworden, was sie
geworden sind?
Solche Fragen zu stellen, bedeutet keine Entschuldigung für die Täter und ihre
Verbrechen zu suchen. Solche Fragen zu stellen, bedeutet nur zu erkennen, dass
das Böse viel abgründiger in dieser Welt tätig ist, als dass man es in ein paar
Menschen identifizieren und ausschalten könnte. Wenn von einem christlichen Bußund Bettag Sinn und Segen ausgehen soll, dann nur so, dass wir uns unsere
eigenen Schuldverstrickungen bewusst machen und bei uns mit der Erneuerung des
Lebens beginnen. Und Jesus Christus ist der Dreh- und Angelpunkt dieses
Vorgangs. Jesus Christus, der für unsere Sünden gestorben ist, damit wir vom Bösen
frei werden. Jesus Christus, der auferstanden ist, damit wir die Kraft zu Erneuerung
geschenkt bekommen.
Unser Predigtwort aus dem Lukasevangelium, das Gleichnis vom Feigenbaum,
schließt an diesen Gedanken der Erneuerung an. Für manch einen ist eine solche
Feige eine köstliche Frucht. Und auch Weinbeeren erfreuen unser Herz. Schlecht ist
es nur, wenn diese Früchte ausbleiben. Der Besitzer des Baumes könnte seine
Freude daran verlieren und den Baum ausreißen.
Als Pfarrer bin ich in den Häusern vielen Menschen begegnet, die mir sagten: Herr
Pfarrer, in die Kirche gehe ich nicht. Da sitzen zu viele Menschen, die sich sonntags
die Sünden vergeben lassen und dann in der Woche ärger leben als alle anderen.
Natürlich habe ich als Theologe auf diese Vorhaltungen auch Antworten. Dass wir
alle der Sündenvergebung bedürfen, dass wir auch nach der Sündenvergebung
weiter unter dem Verhängnis der Sünde stehen und dass man sich vor
Selbstgerechtigkeit hüten muss. Aber eine Unruhe blieb trotzdem in mir nach solchen
Gesprächen. Wie ernst ist es uns damit, unser Leben tatsächlich erneuern zu
lassen? Von den ausbleibenden Früchten redet unser Predigtwort. Und über die
Früchte des Geistes und des Glaubens erfahren wir allerdings sehr viel aus der
Heiligen Schrift.
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, sagt Jesus (Mt 7, 16).
Und der Apostel Paulus schreibt: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede,
Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit.“
Liebe, Friede, Güte, Sanftmut. Nicht: Gnadenlosigkeit und Gewalt.
Der Staat wird entschlossen handeln müssen. Das ist wohl wahr. Aber er darf sich
nicht von Gnadenlosigkeit und Gewalt treiben lassen.
Sind wir fähig dazu unsere eigene Schuld zu bekennen, trotz der Schuld der
Anderen? Sind wir fähig dazu diese Früchte der Erneuerung hervorzubringen?
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Einer steht als Fürsprecher an unserer Seite: Der Weingärtner. Er kauft dem
Feigenbaum noch einmal eine Zeit der Gnade aus. Und er verspricht, sich noch
einmal um den Feigenbaum intensiv zu kümmern.
Wir dürfen in diesem Weingärtner durchaus unseren Herrn Jesus Christus erkennen.
Wir dürfen darauf vertrauen, dass er bereit ist, uns die Kraftquellen zur Verfügung zu
stellen, die wir brauchen, um unser Leben tatsächlich zu erneuern.
Uns trotz alledem vom Geist der Liebe, der Güte, des Friedens und der Sanftmut
erfüllen zu lassen, wäre der größte Segen, der von diesem Buß- und Bettag
ausgehen könnte. Und es wäre die beste Antwort auf die unsagbaren Gewalttaten
und Drohungen, die unsere Herzen beschweren.
Es wäre der Weg Christi, an den wir an diesem Tag in besonderer Weise gewiesen
sind.
Amen.
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