Lukas 13,1-9

Gottesdienst am Buß- und Bettag I mit Abendmahl (Bolheimer Form) – 18.11.2015
19.30 Uhr Bolheim – Lukas 13,1-9 - Gnadenfrist
Pfarrerin Hanna Nicolai1
Liebe Gemeinde,
unsere Welt hält den Atem an. Die Nachrichten sind nicht mehr bestimmt durch die
Griechenlandkrise, auch nicht mehr durch den Flüchtlingsstrom, sondern von den
Terroranschlägen in Paris, von Terrorwarnungen auch bei uns, von abgesagten Länderspielen,
von Toten und Verletzten und davon, wie wir auf all das zu reagieren haben.
Im 13. Kapitel des Lukasevangeliums kommen Menschen zu Jesus und erzählen ihm, was in
unserer heutigen Zeit über den Bildschirm laufen würde. Die Nachricht von einem Massaker
mitten im Tempel. Und Jesus fügt eine weitere Zeitungsnachricht an über einen Bauunfall mit
zahlreichen Toten. Ich lese uns den ersten Teil unseres Predigttextes:
1 Zu dieser Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die
Pilatus am Altar umbringen ließ und deren Blut sich auf diese Weise mit dem ihrer Opfertiere
vermischte.
2 Da sagte Jesus zu ihnen: »Meint ihr, diese Leute seien größere Sünder gewesen als alle
übrigen Galiläer, weil so etwas Schreckliches mit ihnen geschehen ist?
3 Nein, sage ich euch; wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle genauso umkommen.
4 Oder denkt an jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Siloah den Tod
fanden. Meint ihr, ihre Schuld sei größer gewesen als die aller anderen Einwohner
Jerusalems?
5 Nein, sage ich euch; wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle ebenso umkommen.«
Schlagzeilen aus der Zeit Jesu: „Massaker im Tempel - Gläubige beim Beten
niedergemetzelt.“ Eine andere Schlagzeile: „Turm der Stadtmauer in Siloah eingestürzt - 18
Menschen unter den Trümmern zu Tode gekommen! Menschliches Versagen oder
Unglücksfall?“
Mit diesen Ereignissen kommen die Jünger zu Jesus. Hast du schon gehört? Das ist ja
furchtbar! Schnell haben sich die Neuigkeiten herumgesprochen. So ist es halt mit den
Medien: Bad news are good news. Die schlimmen Ereignisse sprechen sich am schnellsten
herum; schlechte Nachrichten bringen die beste Einschaltquote. „Terroranschläge in Paris“,
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Die Predigt nimmt Teile einer Predigt von Pfarrerin Katrin Ring auf (in: Pastoralblätter 2015, S. 937ff).
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„Eventuell Amoklauf in Heidenheim“ oder zu Beginn des Jahres „Flugzeug in den Alpen an
einer Felswand zerschellt, 150 Tote - schuld war der Copilot!“ Katastrophen haben ihre
Faszination. Wie gebannt schauen wir auf den Bildschirm und sehen Flugzeuge in
Hochhäuser rasen, sehen, wie die Polizei Geiseln versucht zu befreien. Wir können kaum
wegschauen, wenn wir sehen, wie ein Erdbeben die Erde erschüttert und Häuser
zusammenfallen, in Schutt und Trümmer. Wir schauen gebannt hin, wir suchen Schuldige,
wir trauern, und zugleich sind wir so unglaublich froh, wenn es uns nicht trifft. Unglaublich
froh.
Vielleicht war das ähnlich bei den Jüngern damals, als das Massaker im Tempel geschehen
war. Gläubige ermordet beim Opfern und Beten - wie furchtbar! Was haben sie getan, womit
haben die Opfer das verdient?
Jesus kennt seine Jünger, das merken wir an dieser Szene mal wieder, ganz genau. Er spürt,
was in ihnen vorgeht. „Meint ihr, diese Männer hatten größere Schuld auf sich geladen als alle
anderen in Galiläa? Und das wäre der Grund, warum sie einen so schrecklichen Tod erlitten
haben? Bestimmt nicht!“, so antwortet er auf die aufgeregten Berichte der Jünger. Diese
Männer haben sich auch nicht mehr zuschulden kommen lassen als jeder andere. Das heißt:
Es könnte euch genauso gehen! Ja, es kann jeden treffen. Und Jesus geht noch weiter. Er sagt:
„Wenn ihr euer Leben nicht ändert, werdet ihr alle genauso umkommen.“
Jesus als Panikmacher? Panikmache scheint mir nicht seine Absicht zu sein. Aber aufrütteln
will er: Achtung, letzte Möglichkeit zur Umkehr! Jetzt oder gar nicht - Jesus ist manchmal
ganz schön radikal. Erhebt euch nicht über die, denen ein Unglück geschieht. Sie sind auch
nicht mehr oder weniger sündig als ihr. Keiner hat sich das Unglück, das ihm da widerfahren
ist, selbst verdient. Jedenfalls nicht mehr oder weniger als jeder andere Mensch. Denn sündig,
schuldig sind wir alle. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Das ist Jesu Botschaft.
Und keiner wirft.
Jesus, der Radikale. Umkehr jetzt oder gar nicht. Das höre ich nicht gern. Denn es zwingt
mich zum Handeln. Zum Nachdenken. Zur Änderung.
Jesus rüttelt auf, mich, uns, seine Jünger damals.
Und dann erzählt er ihnen wieder ein Gleichnis. Damit sie verstehen, was er meint, worum es
ihm geht. Es geht um etwas Größeres als um einzelne Unglücke, derer wir Zeuge werden. Es
geht um das Leben an sich, um den Weg, den die Menschheit geht. Um den Weg jedes
Einzelnen, um den Weg aller. Er wählt, wie immer, ein Bild aus dem Leben der Menschen,
die ihm zuhören. Ich lese weiter aus Lukas 13:
Lesung Lk 13,6-9
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6 Dann erzählte Jesus folgendes Gleichnis: »Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen
Feigenbaum stehen; doch wenn er kam und sehen wollte, ob der Baum Früchte trug, fand er
keine.
7 Schließlich sagte er zu dem Gärtner, der den Weinberg pflegte: »Schon drei Jahre komme
ich jetzt, um zu sehen, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde keine. Hau ihn um!
Warum soll er den Boden noch länger aussaugen? –
8 ›Herr‹, erwiderte der Gärtner, ›lass ihn noch dieses Jahr stehen. Ich will die Erde um ihn
herum ´noch einmal` umgraben und düngen.
9 Vielleicht trägt er dann nächstes Jahr Früchte – wenn nicht, kannst du ihn umhauen.‹«
Der Weinberg. Ein wertvolles Stück Land. Es soll Ertrag bringen, Frucht tragen: Weintrauben
sollen wachsen – und Feigen. Immer wieder standen in Weinbergen auch Feigenbäume. Das
ist der Sinn eines Weinbergs, dass er Ertrag bringt. Da kann der Weinbergbesitzer doch nicht
Rücksicht nehmen auf einzelne Pflanzen, die nicht tragen! Der Boden laugt doch aus! Nein,
dieser Feigenbaum, der schon jahrelang keine Frucht trägt, gehört abgeholzt. Weg damit. Das
ist die logische Konsequenz.
Aber da gibt es noch einen Fürsprecher. Jemanden, der sich einsetzt für den Erhalt des
Feigenbaums. Der Weingärtner, der jeden Tag auf dem Weinberg verbringt, sich um die
Pflanzen kümmert und bei Wind und Wetter für den Ertrag arbeitet - der setzt sich ein. Eine
Chance noch, so bittet er. Eine Chance hat der Feigenbaum noch verdient. Wenn das nichts
nutzt - na gut, dann holzen wir ihn halt ab.
Ein Gleichnis. Ein Gespräch zwischen dem Weinbergbesitzer Gott und dem Weingärtner
Jesus. Über mich, über den Feigenbaum, von dem er Frucht erwartet und keine findet. Er, der
Weinbergbesitzer beurteilt alleine, was Früchte sind und was nicht, das machen nicht die
anderen Feigenbäume oder Weinstöcke in diesem Weinberg. Der Weinbergbesitzer, Gott,
erwartet Früchte der Buße. Ich bin nicht für mich da. Mein Leben soll etwas erbringen. Bloß
das Land aussaugen, anderen Bäumen den Standort und das Licht wegnehmen, da kann nicht
meine Bestimmung sein. Heute, am Bußtag, werden wir nach dem gefragt, was wir nicht
erbracht haben. „Haue ihn ab! Was raubt er dem Boden seine Kraft?“ so der
Weinbergbesitzer. Aber da spricht der Gärtner, da spricht Jesus.
Jesus gibt seinen Jüngern und allen, die ihm zuhören, eine zweite Chance. Eine letzte Chance.
Da bleibt er radikal. Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr zugrunde gehen, so seine Botschaft.
Es liegt bei euch. Auch wenn mir das nicht gefällt. Jesus gibt es eben nicht weichgespült.
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Aber wie geht das denn, umkehren? Was müssen wir ändern? Was können wir ändern? Jesus
sagt es doch selber: Es gehört zum Menschen dazu, dass er schuldig wird. Es gehört zu
unseren Lebensbedingungen als Menschen, dass wir nicht immer alles richtig machen. Und
wer sagt: „Dann mach ich eben gar nichts mehr, denn wer nichts macht, macht auch nichts
falsch!“, der irrt. Unterlassen kann genauso schwere Konsequenzen haben wie Tun. Jeden
Tag, andauernd müssen wir Entscheidungen treffen. Nicht immer sind es schwerwiegende
Entscheidungen. Aber oft genug eben doch richtungsweisend: Wo liegen meine Ideale, meine
Ziele, was ist mir wichtig? Und auch: Was fällt mir schwer, wo sind meine dunklen Flecken?
Jesus will, dass wir genau hinsehen. Dass wir ehrlich sind, ihm gegenüber, Gott gegenüber,
anderen Menschen gegenüber - aber vor allem uns selbst gegenüber. Das ist meist das
Schwierigste. Denn oft genug machen wir uns selbst was vor. Wir geben uns oft ganz anders,
als wir es im tiefen Inneren spüren. Denn der Blick auf die dunklen Flecken im Leben tut
weh. Das ist nicht schön, zu erkennen: Ich habe dunkle Gedanken. Ich bin egoistisch. Ich bin
selbstgerecht. Ich habe kein Vertrauen in Gott. Ich glaube, alles aus eigener Kraft schaffen zu
müssen oder zu können. Und so weiter. Jeder von uns hat seine eigenen dunklen Stellen.
Manche sind ganz leicht zu finden, andere haben wir gut vor uns selbst versteckt. Nicht blind
zu sein für diese dunklen Stellen - ich glaube, das ist es, was Jesus von uns will. Dass wir uns
trauen, hinzuschauen, und dass wir es uns eingestehen können - uns und Gott.
Das ist schwer, ja. Aber wem sollten wir es eingestehen, wenn nicht dem, der uns
bedingungslos liebt? Jesus erzählt an anderer Stelle vom Vater, der seinen Sohn voller
Begeisterung wieder in seine Arme schließt, als dieser umkehrt. So liebt uns Gott - er
empfängt mit offenen Armen. Der Schritt, den wir tun müssen, ist der der Umkehr. Der
Schritt des Eingestehens. Denn das ermöglicht die Veränderung.
Manche von uns haben es vielleicht noch im Konfirmandenunterricht gelernt: Buße tun heißt
umkehren in die offenen Arme Gottes.
Anmerkung: Buße tun heißt nicht, sich selbst kasteien, heißt nicht, sich klein machen, Buße
tun heißt nicht, einem strengen Schulmeister und Aufpasser in die Arme zu gelangen, nein,
Buße tun heißt eben umkehren in die offenen Arme Gottes. Dazu gehört, dass wir die Sünden
herzlich erkennen, vor Gott und in gewissen Fällen auch vor Menschen bekennen, bereuen,
hassen und lassen und im Glauben an Jesus Christus in einem neuen Leben wandeln.
Uns soll noch einmal Zeit gegeben sein. Zeit zur Umkehr. Warum nicht gleich Jüngster Tag?
Wir wären viele Probleme und Anfechtungen, Ängste im Blick auf unsere Welt und die
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Zukunft los, wenn unserer Zeit durch das Wiederkommen Jesu ein Ende gemacht würde. Nur,
dann gäbe es keine Buße mehr, keine Umkehr mehr in Gottes offene Arme.
So besteht dieses mal Jesu Werk für uns darin, dass er den Jüngsten Tag noch aufhält. Oder
wie es im 2. Petrusbrief heißt: „Er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren
werde, sondern dass sich jedermann zur Buße kehre.“
Und der Gärtner will die Frist, die er für den Baum herausschlägt, gut nutzen. Der Fürsprache
Jesu folgt seelsorgerisches Handeln an uns. Jesus arbeitet an seiner Gemeinde. Jesus arbeitet
an einem jeden einzelnen von uns.
Zum Beispiel durch die Predigt. Sie ist nicht menschliche Verlautbarung darüber, was man
von Gott zu halten und wie man sich ihn zu denken habe. Sie ist – um es heut einmal so zu
sagen – Jesu Bemühung um den Baum, sein Graben und Düngen. Auch in den Sakramenten,
in Taufe und Abendmahl, ist er tätig an uns. Der Gebetsdialog mit ihm wird ihm zur
Gelegenheit, an uns zu arbeiten und uns weiterzuhelfen. Er kommt ja nicht als unser
Schulmeister oder gar Aufpasser, sondern als unser guter Freund, der unser Versagen nicht
zum Anlass nimmt, sich von uns zu distanzieren, sondern, je nötiger wir ihn haben, desto
mehr für uns tut.
Nichts wäre Jesus, dem Weingärtner, lieber, als dass er uns durchbrächte, als dass an uns
Früchte wachsen, Früchte der Buße.
Die Worte Jesu heute, seine Kommentare zu Schlagzeilen seiner Zeit und das Gleichnis über
den unfruchtbaren Feigenbaum spricht uns Zeit zur Umkehr zu, nicht dass wir uns Zeit lassen,
sondern damit wir erkennen: Es ist an der Zeit. Jetzt. Heute. Persönlich und für unser Volk zur
Umkehr, zur Buße. Amen.
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