Begriffe – Gründe – Gedankenspiele Das kindliche Nachdenken über wichtige Sinnfragen kann von Erwachsenen, insbesondere Lehrerinnen und Lehrern durch eine spezielle Methodik gezielt gefördert werden, die folgende Aktivitäten initiieren sollte: miteinander diskutieren und argumentieren, einander zuhören, eigene Gedanken entwickeln, weiterfragen, den Dingen der Welt auf den Grund gehen. Die bereits in der Primarstufe vermittelten Basisfähigkeiten Schreiben, Lesen und Rechnen werden somit um eine Fähigkeit erweitert: das Nachdenken über wichtige Lebensprobleme. Beim Philosophieren mit Kindern sollte deshalb versucht werden, Sinnfragen von Kindern anhand von vier methodischen Verfahren auf die Spur zu kommen. Diese Verfahren entstammen der philosophischen Tradition und sollen das eigene Nachdenken von Kindern fördern: 1. Begriffliches Arbeiten 2. Argumentieren 3. Reflexive Gespräche führen 4. Gedankenspiele Erstens: Beim Philosophieren ist es wichtig, abstrakte Begriffe zu erläutern, damit man nicht „aneinander vorbeiredet“. Um beispielsweise herauszufinden, welche verschiedenen Bedeutungen ein philosophischer Begriff wie Glück abdeckt, können Kinder anhand von Modellfällen (Beispielen, Erlebnissen und Situationen) in einer Art Sprachspiel wichtige Begriffe suchen, durch die ein abstrakter Begriff charakterisiert werden kann. So lässt sich z. B. der Begriff Glück durch Wunscherfüllung, Wohlbefinden oder Zufriedenheit näher eingrenzen. Diese Begriffe reichen jedoch oftmals nicht aus, um den Bedeutungsbereich eines abstrakten Begriffes zu erläutern. Deshalb können sich Kinder auch darüber verständigen, welche Situationen ein Begriff nicht abdeckt. Hierfür lassen sich entgegengesetzte Begriffe (Situationen, Erlebnisse) anführen: in Bezug auf den Begriff Glück beispielsweise „traurig sein“ oder „Schmerz empfinden“. Zweitens: Wer philosophiert, sollte seine Meinung durch Gründe rechtfertigen, um den anderen zu erklären, warum er so (und nicht anders) denkt. Die einfachste Möglichkeit des philosophischen Argumentierens ist die Bezugnahme auf empirische Gründe. Sie umfassen Tatsacheninformationen, die gegebenenfalls nachgeprüft werden können: Ich habe Kolja gestern auf dem Schulhof geholfen, weil größere Schüler ihn verhauen wollten. Empirische Gründe dienen dazu, die Angemessenheit von einzelnen Handlungen auf der Grundlage von Fakten zu erklären. Kinder kennen diese Argumentationsform aus ihrer Alltagspraxis, in der sie Handlungen häufig durch die Bezugnahme auf Fakten rechtfertigen. Einen größeren Schwierigkeitsgrad hinsichtlich des Abstraktionsvermögens von Kindern weisen nichtempirische Gründe auf. Sie sind begriffliche Konstruktionen, die nicht anhand von Fakten überprüft werden können. Nichtempirische Gründe dienen dazu, das Verständnis einer Handlung bzw. eines Urteils zu verbessern, und erklären, warum jemand eine bestimmte Meinung oder Haltung vertritt: Ein Frosch kann kein Prinz werden, weil er ein anderes Wesen ist als ein Mensch. Drittens: Beim Philosophieren mit Kindern werden Gedanken ausgetauscht. Jedes Kind soll die Möglichkeit erhalten, seine Meinung zu einem bestimmten philosophischen Problem zur Diskussion zu stellen und gemeinsam mit den anderen Kindern in Form von Thesen und Gegenthesen darüber nachzudenken. Dabei ist es für Kinder wichtig zu erkennen, dass die gefundene Lösung, z. B. „Ein Frosch kann kein Prinz werden“, nicht universell gültig sein kann, weil jeder Mensch mit seinen spezifischen Sozialisations- und Lebenserfahrungen eine andere Weltsicht hat – d. h. reflexive Gespräche können einen unterschiedlichen Ausgang haben. Entweder man einigt sich auf eine Lösung oder man lässt mehrere begründete Lösungen nebeneinander bestehen. Viertens: Philosophieren umfasst jedoch nicht nur begriffliches Arbeiten und Argumentieren, sondern auch kreatives Nachdenken. Informationen und Gedanken oder auch Begriffe und Gründe lassen sich auch auf originelle, d. h. ungewöhnliche und neuartige, Weise miteinander verbinden, sodass ein neuer Gedankengang entsteht, der einmalig und innovativ ist: Im Denken können wir auch Froschprinzen entstehen lassen. Zum kreativen philosophischen Nachdenken gehört seit der Antike die Methode des Gedankenspiels. Sie umfasst imaginativ-spielerische Experimente mit Gedanken und imaginären Möglichkeiten, die von der faktischen Wirklichkeit abstrahieren und Konstellationen betreffen, die in der Realität nicht existieren, aber existieren könnten und in bestimmten Fällen auch dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen, wie z. B.: Was würde passieren, wenn ich ein Zwerg werden könnte und unsichtbar wäre? Gedankenspiele regen zu neuen Sichtweisen der Wirklichkeit an, indem sie Umstände und Elemente kombinieren, die in der Realität nicht zusammentreffen, aber möglicherweise zusammentreffen könnten, sollten oder müssten. Gedankenexperimente haben immer die Form von Was wäre, wenn (nicht)Kombinationen und lassen sich schnell am Ende eines Gesprächs ohne große Vorbereitung in die Diskussion einbringen: Was wäre, wenn es auf der Welt plötzlich keine Märchen mehr gäbe? (aus: Barbara Brüning: Es war einmal ein blauer Drache – Eine Märchensammlung zum Philosophieren mit Kindern, Militzke, 1999; S. 2f)
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