Arbeitskräfte-Reservoir aus Bosnien blieb ungenutzt Bericht: Markus

Arbeitskräfte-Reservoir aus Bosnien blieb ungenutzt | Manuskript
Arbeitskräfte-Reservoir aus Bosnien blieb ungenutzt
Bericht: Markus Frenzel
Deutschland scheint am Rande seiner Belastbarkeit. Hunderttausende kommen – in einem
einzigen Jahr. Geflohen – vor dem Krieg in Syrien. Neu, ist das nicht. So war das schon einmal
– 1992. Als in Bosnien der Krieg tobte. Auch damals kamen Hunderttausende. Auch damals
hofften viele, bei uns eine neue Heimat zu finden.
Sanin Hasibovic war 17 Jahre alt – als er von Sarajewo nach Berlin flüchtete. Er erinnert sich
noch, wie motiviert er damals war.
Sanin Hasibovic – ehemaliger Bosnien-Flüchtling
„Als ich nach Deutschland kam – ich war so wissbegierig. Sie müssen sich vorstellen, drei
vier Jahre hatten wir keinen Strom, kein Wasser und nichts. Man kommt in ein
funktionierendes Land. Und möchte nur lernen, man ist wie ein Schwamm, man saugt alles
auf. Das heißt man, hat es sehr leicht, solche Menschen zu integrieren, weil sie wollen ja
lernen, sie wollen leisten. Sie wollen genau das Gegenteil haben von dem, was sie dort
verlassen haben. (…) Und wenn man sie lässt, dann kann man durchaus Großartiges
erwarten.“
Nur hat man sie nicht gelassen – mit einem Notendurchschnitt von 1,2 bestand er das Abitur
in Berlin, doch dann war der Krieg vorbei und er musste wieder zurück nach Bosnien.
Begzada Alatovic konnte als Kriegstraumatisierte bleiben, arbeiten durfte sie lange Zeit
trotzdem nicht. Dabei gehörte sie in Bosnien zur Elite – war die zweitjüngste Abgeordnete im
Parlament. Aber in Deutschland zählte das alles nichts mehr.
Begzada Alatovic – Bosnienflüchtling
„Das war ein großer Fehler. Da waren so viele Ärzte, Anwälte, Krankenschwester, also
unterschiedliche Berufe.“
Neun Jahre dauerte es, bis Alatovic zum ersten Mal eigenes Geld verdienen durfte. Sie hätte
gerne auch viel Steuern gezahlt in Deutschland – aber für eine große Karriere war es zu spät.
Begzada Alatovic – Bosnienflüchtling
„Mir tut es so weh. Dass ich da nichts zurückgeben kann. Als ich als Flüchtling immer so
Geld bekommen habe, und einfach da rumgesessen habe und nichts getan habe. Wo ich
mich gewünscht habe, was zu machen.“
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Zehntausenden Bosniern ging es ähnlich. Zwar wurden sie als Flüchtlinge geduldet – eine
Perspektive aber gab man ihnen nicht. Dabei hätten sie für den deutschen Staat durchaus zu
einer Investition in die Zukunft werden können.
Klaus J. Bade – Migrationsforscher
„Es war schon damals absehbar, dass wir auf weitere Sicht einen Mangel an hoch und
höchst qualifizierten Kräften in Deutschland haben würden. Dieser Mangel wäre ein Stück
weit schon seinerzeit abpufferbar gewesen, wenn wir vernünftig gehandelt hätten. Das
haben wir nicht. Die Folgen haben wir bald gespürt.“
Denn die Topkräfte sind einfach weitergezogen – in die USA, nach Kanada oder Australien.
Die Länder hatten eigens Programme aufgelegt, um die aussichtsreichsten Flüchtlinge
abzuwerben. Bosiljka Schedlich leitete ein Hilfsprojekt für bosnische Kriegsflüchtlinge. Sie
erinnert sich an den Frust der Menschen.
Bosiljka Schedlich – Hilfsprojekt südost e.V.
„Sie waren sehr entsetzt darüber, dass man ihre Kenntnisse nicht wahrnehmen wollte. Es
interessierte niemanden, was sie sind. Sie waren nur eine Nummer. Flüchtling.“
Entsprechend einfach war es für die anderen Länder, die Bosnier aus Deutschland
wegzulocken. Bosiljka Schedlich konnte es täglich beobachten.
Bosiljka Schedlich – Hilfsprojekt südost e.V.
„Durch unsere Einrichtung sind sicher 30.000 Menschen gegangen. Davon sind 20.000 in
die Übersee ausgewandert. (…) Der Hauptbahnhof Zoologischer Garten war damals
überfüllt von Flüchtlingen und denen, die sie verabschiedet haben.“
Auch unter den heutigen Syrien-Flüchtlingen gibt es viele gut ausgebildete und hoch
motivierte Menschen. Deutschland sucht händeringend Fachkräfte. Die Flüchtlinge sind
eigentlich eine Chance für uns. Nur drängt die Zeit.
Ruud Koopmans – Migrationsforscher Wissenschaftszentrum Berlin
„Weil die mit guter Ausbildung, die schauen jetzt schon nach anderen Möglichkeiten, um
weiterzureisen in andere Länder. Man muss denen jetzt schon die Perspektive geben,
wenn ihr jetzt in Deutschland einen Job findet und euch gut integriert, dann habt ihr die
Perspektive auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Wenn man es den Leuten nicht jetzt schon
sagt, dann werden sie sich nach anderen Möglichkeiten umschauen, und wenn man es in
drei, vier Jahren sagt, dann sind die besten schon gegangen.“
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Sanin Hasibovic wollte unbedingt nach Deutschland. Mit einem Studentenvisum kam er
zurück. Heute ist er Konferenzdolmetscher, arbeitet im Bundestag. Er versteht nicht, warum
es bestens integrierten Flüchtlingen – Menschen, die in Deutschland teils teuer ausgebildet
wurden – so schwer gemacht wird.
Sanin Hasibovic – Konferenzdolmetscher
„Warum verzichtet die Bundesrepublik freiwillig auf ein solches Potenzial? Nicht nur auf
das Potenzial, sondern auch das eigene Investment?“
Wir könnten aus unseren Fehlern lernen – und den Flüchtlingen aus Syrien eine echte
Perspektive bieten. Eine Zukunft in Deutschland.
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