Predigt zum 20.09.2015 - Diakonie Neuendettelsau

Predigt zum 20.09.2015
Johannes 11, 1 – 45, Pfarrerin Karin Karin Goetz
Liebe Gemeinde,
„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt“,
so besangen die Comedian Harmonists den unschätzbaren Wert einer guten Freundschaft. „Ein
Freund bleibt immer Freund, auch wenn die ganze Welt zusammenfällt.“
Für die Schwestern Marta und Maria ist die ganze Welt zusammengefallen als ihr Bruder Lazarus schwer erkrankt.
Wenn ein geliebter Mensch, wenn ein Familienmitglied schwer krank wird,
dann kommt das Alltagsleben zum Stillstand, dann drehen sich alle Gedanken – alles Hoffen
und Bangen – nur um diese eine Person, dann verlieren viele andere Dinge, um die man sich
sonst gekümmert hat und die einem wichtig waren, ihre Bedeutung. Und wenn die Situation
ernst wird, wenn sie gar todernst wird, dann ruft man natürlich auch die guten Freunde zusammen, damit sie dem Leidenden beistehen, ihm helfen, ihn trösten, begleiten und – wenn es
unvermeidlich ist – von ihm Abschied nehmen.
Das tun auch Marta und Maria. Als Lazarus ernsthaft erkrankt, schicken sie einen Boten zu
Jesus und lassen es ihm mitteilen. „Herr, siehe, der, den du liebhast, liegt krank.“ Die Schwestern bitten nicht einfach nur höflich um einen Krankenbesuch, sondern sie suchen Jesu Hilfe.
Jesus ist ein sehr guter Freund der Familie. Was haben die Geschwister nicht schon alles für
ihn getan? Jedes Mal, wenn Jesus in Bethanien war, haben sie ihn und seine Begleiter in ihr
Haus eingeladen. Jesus und seine Jünger konnten dort sicher übernachten, sich waschen und
sich so richtig satt essen. Stundenlang haben sie miteinander geredet und diskutiert, gelacht
und getrunken. Nach dem Evangelisten Johannes war es nicht eine unbekannte Frau, sondern
ebenjene Maria, die Jesus mit wertvollem Öl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet
hat.
Was für eine Freundschaft! Welche Zuneigung und Liebe! Da haben sich welche gesucht und
gefunden. Johannes vermerkt ausdrücklich, dass Jesus diese Gefühle teilte: „Jesus hatte Marta
lieb und ihre Schwester und Lazarus.“
Wenn man sich dies alles vor Augen hält, dann kann man sich über Jesu Reaktion nur wundern. Als er erfährt, dass Lazarus schwer krank ist, eilt er seinem Freund nicht zur Hilfe. Er lässt
sich nicht unterbrechen. Er bleibt da, wo er mit seinen Jüngern gerade tätig ist. Zwei ganze
Tage lässt er einfach verstreichen. Auch wenn er überzeugt scheint, dass diese Krankheit nicht
zum Tode führt, so nimmt er doch billigend in Kauf, zu spät zu kommen.
Noch unverständlicher und erschreckender ist seine Aussage, dass die Krankheit seines Freundes der Verherrlichung Gottes diene und damit auch seiner eigenen. Wenn in einer Freundschaft eines tabu ist, dann ist es das: den anderen als Mittel zum Zweck zu nutzen. Das ist der
Tod jeder Freundschaft.
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What a friend we have in Jesus - welch ein Freund ist unser Jesus, so lautet der Titel eines sehr
bekannten Liedes aus der Erweckungsbewegung, das die unbedingte Treue und die alles überwindende Kraft von Jesu Freundschaft besingt. In unserer Erzählung stellt sich dies als Frage,
ja als Anfrage: Was für einen Freund haben die Geschwister in Jesus?
Als Jesus endlich in Bethanien eintrifft, ist Lazarus schon vier Tage tot. Die beiden Schwestern,
deren Welt zusammengefallen ist, gehen Jesus entgegen: zuerst Marta, danach Maria. Beide
begegnen ihrem Freund mit demselben berechtigten Vorwurf: „Wärst du hier gewesen, mein
Bruder wäre nicht gestorben!“
Wie soll man das auch verstehen? So vielen wildfremden Menschen hat Jesus geholfen, so
viele Unbekannte hat er geheilt, ja selbst aus der Ferne hat er Menschen gesund gemacht und ausgerechnet seinen guten Freund Lazarus lässt er im Stich.
Gläubige Menschen haben sich durch die Jahrhunderte hindurch bis heute immer wieder mit
dieser verwirrenden Erfahrung auseinandergesetzt. Warum und wozu müssen Jesu Freundinnen und Freunde leiden, während andere, die von Jesus nichts wissen wollen, gesund bleiben
oder wieder geheilt werden? Welch ein Freund ist unser Jesus?
Es zeugt von wahrer Liebe und Größe, dass Marta nicht bei ihrem Vorwurf stehen bleibt und
sich von Jesus abwendet, sondern dass sie fortfährt: „Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest
von Gott, das wird Gott dir geben.“ Trotz ihrer Enttäuschung über Jesu Verhalten als Freund,
spricht sie ihm ihr Vertrauen aus. Ja, sie formuliert sogar ein Bekenntnis, das im ganzen Neuen
Testament seinesgleichen sucht: „Ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in
die Welt gekommen ist.“ Keinem seiner Jünger, nicht einmal Petrus, kommt ein solches Bekenntnis über die Lippen.
Jesus sagt Marta zu, dass ihr Bruder auferstehen wird. Marta hat keinen Zweifel daran, dass ihr
Bruder am Jüngsten Tage auferstehen wird. Doch Jesus macht deutlich, dass sich seine Zusage
nicht allein auf die Endzeit bezieht, sondern dass er vom Hier und Jetzt spricht. Er geht auf die
Höhle zu, in der Lazarus begraben liegt und befiehlt, den Stein wegzurollen.
Marta – praktisch und direkt, wie wir sie kennen – macht Jesus darauf aufmerksam, dass nach
vier Tagen in der Hitze die Verwesung schon in vollem Gange ist: „Herr, er stinkt schon.“ Das
ist unumkehrbar. Da ist absolut gar nichts mehr zu machen.
Doch Jesus lässt sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er verlangt, dass der Stein weggehoben wird. Nach jüdischem Verständnis ein Sakrileg: Die Grabesruhe ist heiligstes Gesetz. Nur
einer hat das Recht, ein Grab zu öffnen: Gott allein, wenn er zur Auferstehung der Toten ruft.
So ist für den Evangelisten Johannes klar, dass es kein anderer als Gott selbst ist, der aus dem
Munde Jesu ruft: „Lazarus, komm heraus!“ Und Lazarus tritt aus seinem Grab heraus – mitsamt
den Tüchern, mit denen sein Leichnam eingewickelt und bedeckt war.
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Am Ende dieser Geschichte stellt sich noch einmal mit Vehemenz die Frage, wieso es eigentlich
so weit hat kommen müssen? Was soll diese hoch dramatische Zuspitzung, die in so manchem
heutigen Leser Assoziationen an Horror- und Zombiefilme weckt? Wozu all dies?
Zweierlei ist im Verlauf der Erzählung zum Glück deutlich geworden:
Es ist nicht Angst und Ekel vor der Körperlichkeit, die ihn zurückgehalten haben. Jesus hat
keine Scheu vor den strengen Gerüchen, die von den Ausscheidungen und dem Verfall eines
hinfällig gewordenen Leibes ausgehen können. Jesus hat keine Berührungsängste vor der Welt
des Leidens, der Endlichkeit und des Gestanks.
Es ist auch nicht mangelndes Mitgefühl bei Jesus, das es soweit gekommen ist. Am Anfang der
Geschichte wirkte Jesus unnahbar und gleichgültig für das Schicksal seines Freundes. Doch bei
seiner Ankunft bei den Schwestern und der großen Trauergemeinde zeigt er deutlich, wie sehr
ihm der Tod seines Freundes und die große Trauer der Angehörigen nahegehen. Jesus weint. Er
ist bis ins Innerste erschüttert, tief bewegt und betrübt, voll Zorn und Schmerz. Nein, er hat
ganz sicher nicht gewollt, dass Lazarus stirbt.
Nun stehen wir also wieder beim „Wozu“ dieser Geschichte.
Glaubst du, dass ich die Auferstehung und das Leben bin? So wird Marta von Jesus gefragt, als
er in Bethanien eintrifft. Glaubst du, dass du leben wirst, auch wenn du stirbst? Glaubst du
das?
So wird nicht nur Marta gefragt, sondern auch jeder von uns. Glaubst du das?
Das zu glauben ist schwer in einer Welt, in der geliebte Menschen leiden und sterben, in der
uns der Gestank der Endlichkeit immer wieder stechend und beißend in der Nase liegt.
Ich denke, das „Wozu“ dieser Geschichte besteht darin, uns zu helfen, dass wir Jesu Zusage
Glauben schenken können.
Die Auferweckung des Lazarus geht Jesu eigener Auferweckung voraus. Sie ist gar um einiges
anschaulicher, deutlicher und transparenter als Jesu Auferweckung am Ostermorgen, die sich
im Verborgenen vollzieht. Die Geschichte der Auferweckung des Lazarus zielt mit ihrer ganzen
Dramatik und Drastik darauf, uns zu zeigen, wie absolut Gott in Jesus Christus Herr über Leben
und Tod ist. Die Geschichte soll uns ganz plastisch vor Augen führen, dass der Gestank der
Endlichkeit nicht das letzte ist. Wir verschwinden nicht im Nichts einer dunklen Höhle, sondern werden von Christus aus dem Grab herausgerufen in ein neues Leben.
Das, was sonst verborgen vor unserer Wahrnehmung nach dem Tod geschieht, das wird hier
exemplarisch und öffentlich mitten in dieser Welt vollzogen, damit wir eine Vorstellung bekommen und glauben können, dass Jesus die Auferstehung und das Leben ist.
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Und dieser Glaube vermag uns frei zu machen, frei von den Mumienbinden, die uns in diesem
Leben einengen, frei vor der Angst vor Trostlosigkeit und dem Gestank der Endlichkeit, frei zu
einem Leben, das sich mutig allen Herausforderungen stellt.
Diesen Glauben und diese Freiheit verdanken wir unserem Freund Jesus Christus, der die Auferstehung und das Leben ist. What a friend we have in Jesus. Welch ein Freund ist unser Jesus!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.
Pfarrerin Karin Goetz, Diakonie Neuendettelsau
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