Predigt am Mirjamsonntag, 20. September 2015 Predigttext: Johannes 11,1-44 Die Auferweckung des Lazarus 1Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. 2Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte. Deren Bruder Lazarus war krank. 3Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank. 4Als Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde. 5Jesus aber hatte Marta lieb und ihre Schwester und Lazarus. 6Als er nun hörte, dass er krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war; 7danach spricht er zu seinen Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa ziehen! 8Seine Jünger aber sprachen zu ihm: Meister, eben noch wollten die Juden dich steinigen, und du willst wieder dorthin ziehen? 9Jesus antwortete: Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Wer bei Tag umhergeht, der stößt sich nicht; denn er sieht das Licht dieser Welt. 10Wer aber bei Nacht umhergeht, der stößt sich; denn es ist kein Licht in ihm. 11Das sagte er und danach spricht er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, ihn aufzuwecken. 12Da sprachen seine Jünger: Herr, wenn er schläft, wird's besser mit ihm. 13Jesus aber sprach von seinem Tode; sie meinten aber, er rede vom leiblichen Schlaf. 14Da sagte es ihnen Jesus frei heraus: Lazarus ist gestorben; 15und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht da gewesen bin, damit ihr glaubt. Aber lasst uns zu ihm gehen! 16Da sprach Thomas, der Zwilling genannt wird, zu den Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben! 17Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. 18Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt. 19Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders. 20Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen. 21Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. 22Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. 23Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. 25Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; 26und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? 27Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist. 28Und als sie das gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sprach zu ihr: Der Meister ist da und ruft dich. 29Als Maria das hörte, stand sie eilend auf und kam zu ihm. 30Jesus aber war noch nicht in das Dorf gekommen, sondern war noch dort, wo ihm Marta begegnet war. 31Als die Juden, die bei ihr im Hause waren und sie trösteten, sahen, dass Maria eilend aufstand und hinausging, folgten sie ihr, weil sie dachten: Sie geht zum Grab, um dort zu weinen. 32Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und sah ihn, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. 33Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, ergrimmte er im Geist und wurde sehr betrübt 34und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh es! 35Und Jesus gingen die Augen über. 36Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt! 37Einige aber unter ihnen sprachen: Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste? 38Da ergrimmte Jesus abermals und kam zum Grab. Es war aber eine Höhle und ein Stein lag davor. 39Jesus sprach: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen. 40Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich's, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich von der biblischen Marta von Bethanien höre, dann zeichnet sich in meinem Kopf folgendes Bild: Sie – groß und kräftig mit einem Kochlöffel, eifernd in Arbeit eingebunden und von Jesus zu Recht gewiesen. Ich denke dann meist an Maria, die zu Jesu Füßen sitzt und hört und das Gute erwählt hat, Marta hingegen sorgt sich um Vieles, bekommt aber eine Absage. Nun haben wir hier jedoch einen Text, der Marta an eine Scharnierstelle des Johannesevangeliums setzt. Mich fasziniert Martas Bekenntnis, wie es sich aus dem Gespräch mit Jesus heraus entwickelt. Jene Marta und die Marta mit dem Kochlöffel scheinen identisch zu sein. Beide sind Haushälterinnen und nehmen die Rolle des Hausvorstandes ein. In unserem Predigttext für den Mirjamsonntag geht Marta dem Messias entgegen und gibt schließlich auch im folgenden Kapitel das Festmahl. Diese Frau nun spricht an einer Scharnierstelle des Evangeliums zwischen Jesu Wirken und Erzählungen und seiner Passion das bedeutendste Bekenntnis, dass im Johannesevangelium von einem Jünger/einer Jüngerin zu hören ist. Exkurs: Die Bibelwissenschaft geht heute davon aus, dass die historische Marta von Bethanien tatsächlich eine gemeindeleitende Position unter den ersten Christen gehabt haben muss. Sie trat, wie auch in unserem Text zu sehen ist, als Verkünderin des Evangeliums auf, manche nennen sie sogar Apostelin. Zumindest muss Marta von Bethanien für die Gemeinden, die in der Tradition des Johannes standen, eine besondere Persönlichkeit gewesen sein. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte war Marta als Missionarin, Heilerin, Wundertäterin, Apostelin noch bekannt. Davon zeugen zahlreiche Legenden von Marta im Mittelmeerraum, die scheinbar bis nach Frankreich kam und dort mit ihrem Christusbekenntnis einen Drachen zu zähmen und damit eine ganze Stadt zu retten verstand. Doch zurück zum Predigttext: Marta und Maria sehen ihren Bruder Lazarus schwer leiden, er ist dem Tode nahe. Die Schwestern stehen daneben und müssen seinem Sterben tatenlos zusehen. Alle Mühe, alles Sorgen, alle Aufwendungen – alles das, was ich für so typisch für Marta halte, kann Lazarus nicht heilen. Marta ist hilflos, ohnmächtig. Diesmal kann sie nicht aus eigenen Kräften das Problem lösen, diesmal nicht. Das erkennt sie. Sie schickt nach ihrem Freund Jesus, um ihn zu informieren. Mit Sicherheit erwartet sie seine Hilfe, seinen Beistand in dieser schweren Zeit des Schmerzes, vielleicht erwartet sie ein Wunder. Doch Jesus kommt nicht, wie es anzunehmen wäre. Er trifft erst Tage später ein. Lazarus ist gestorben. Was müssen Marta und ihre Schwester Maria durchgemacht haben? Hoffen, Bangen? Vielleicht kommt Jesus noch? Vielleicht wird alles gut? Vielleicht stirbt unser Bruder nicht? Vielleicht haben die Schwestern untereinander gestritten, oder sie saßen still da, weinten miteinander. Vielleicht versuchten sie sich abzulenken durch Kochen und alltägliche Haushaltssorgen. Als Jesus kommt stellt Marta die Frage: Wo warst Du, als ich Dich brauchte? Gut vorstellbar, dass Marta weinend und wütend zugleich diesen Satz dem herannahenden Jesus entgegen geschrien haben könnte. Lazarus ist tot, Marta und Maria wussten sich keinen Rat: Sie legten ihn in ein Grab – das, was sie lang vermeiden wollten, wovor sie Angst hatten. Die Enge des Grabes ist nun die Besiegelung: Lazarus ist tot. Marta sagt zu Jesus: Wo warst Du, als ich Dich brauchte?, das höre ich aus ihren Worten heraus: Rabbi, wenn Du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben. Verstehen Sie Marta und ihr Fragen? Wo warst Du Jesus? Wie oft schon haben Sie nach Gott gerufen, haben Sie seine Nähe gesucht und sich nach Jesus gesehnt, er möge helfen, hier sein, zuhören? Wie oft blieb Antwort fern? Wo bist Du, Gott? – Das ist meine Frage, wenn ich dieser Tage die Unruhe, den Unfrieden in unserem Land sehe, wie Flüchtlingsströme über unsere Grenzen kommen zu Tausenden. Menschen Angst haben, Menschen misstrauisch sind. Die eigentliche Not in den durch Krieg gebeutelten Gebieten im nahen Osten scheint dann ganz vergessen. Wo bist Du Jesus, wenn hier in Deutschland die Spannungen größer werden und Menschen einander mit Hass begegnen? Ich hätte weinen können, als ich am vergangenen Wochenende auf Gemeindeexkursion in der Uckermark war und eine Gemeinde erleben musste, die im Grunde genommen kein Leben mehr in sich trug: Eine junge Kollegin mit 14 Kirchengemeinden und 17 Dörfern. Die Hälfte der Kirchen baufällig, das Gemeindeleben liegt am Boden. Wir gingen in eine Kirche, in der seit 6 Jahren kein Gottesdienst mehr war. Die Bibel, noch aufgeschlagen, liegt auf dem Altar, der Staub bedeckt sie komplett. Wo warst Du Jesus in diesen 6 Jahren? Warst Du hier, bist Du noch hier? Marta spricht weiter: Auch jetzt weiß ich: Was auch immer du von Gott erbittest, wird Gott Dir geben. Marta die Beständige. Marta die Hoffnungsvolle. Marta die Treue. In ihr keimt Hoffnung auf, vielleicht hat sie die Hoffnung nie verloren. Ja, Rabbi, ich glaube, dass Du der Messias bist. Was für ein starker Satz gerade im Angesicht ihres Leidens. Es klingt wie ein jetzt wird alles gut oder ich weiß, in Wirklichkeit warst Du die ganze Zeit hier. Martas Stimme klingt ruhig, friedlich. Die Grabesangst, die Todesenge ist aus ihrer Brust gewichen. Die Stimme ist fest, sie ist sicher, der Messias ist da. Gott will nicht, dass wir leiden, aber er ist da, wenn wir leiden. In Wirklichkeit war er nie weg, verborgen ja, doch nie weg. Ich bewundere diese Haltung von Marta. Ihre Sicherheit, ihre Beharrlichkeit, ihren Frieden. Und so antwortet Jesus: Ich bin die Auferstehung und das Leben: Alle, die an mich glauben, werden bis in Ewigkeit nicht sterben. Auf Martas Bekenntnis folgt die Auferstehungsbotschaft Jesu. Wer sich zu diesem Jesus bekennt, der wird nicht sterben in Ewigkeit. Es ist eine Osterbotschaft, die Marta dort hört. Und sie behält sie nicht für sich. Sie läuft und sagt es weiter. Sie „ruft“ in die Nachfolge. Zuerst ihre Schwester. Und nachdem sie das gesagt hatte ging sie weg und rief Marie, ihre Schwester. Der Lehrer ruft dich. Und als Maria das hört, steht sie auf (im Griechischen ist aufstehen und auferstehen dasselbe Wort). Auch Maria folgt Jesus nach. Marta ruft sie in die Nachfolge des Einen, der die Auferstehung von den Toten ist. Marta als Bekennerin, Marta als Verkünderin, Marta als Glaubenszeugin. Wenn ich ihr zuhöre, frage ich mich: Was antworte ich auf die Frage: Glaubst Du das? Was meine ich, was die Auferstehung der Toten sei? Die Auferstehungsgeschichte des Lazarus ist eine Lösungsgeschichte für den Verstorbenen und die Trauernden. Zuletzt werden Lazarus die Totenbinden gelöst, in die er eingewickelt war. Zuletzt sagt Jesus: Lasst ihn gehen! Lazarus ist auferstanden. Das Klammern an den Toten, die Todesenge, die Grabesangst ist vorüber. Lazarus wird losgelassen. Marta und ihre Schwester haben schließlich eine Auferstehung erlebt, ein Osterfest. Das macht sie zu Zeuginnen Jesu. Die Marta des Johannesevangeliums ist mir ein Vorbild im Aufstehen zum Leben, ein Vorbild in ihrer Beharrlichkeit und ihrer Treue gegenüber dem einen Gott gerade im Angesicht des Todes, wo es sonst keine Hoffnung mehr zu geben scheint. Amen.
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