ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND Körperschaft des öffentlichen Rechts Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Grußwort zum Festakt zum 70jährigen Bestehen des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein am 7.12. im Landtag von NRW Sperrfrist: Beginn der Rede! Es gilt das gesprochene Wort! Anrede, „Licht in der Dunkelheit“- das ist eine der Botschaften des jüdischen Lichterfestes Chanukka. Heute, am zweiten Tag von Chanukka, haben wir doppelten Grund zur Freude. Denn wir feiern hier im Landtag auch das 70-jährige Bestehen des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Und vielleicht ist es ja symbolisch, dass wir dieses Jubiläum gerade an einem Chanukka-Tag begehen. Das Lichterfest erinnert an einen jüdischen Aufstand im Jahr 167 vor der Zeitrechnung gegen den Seleukidenherrscher Antiochus IV. Der griechische Herrscher hatte den jüdischen Tempel in Jerusalem durch eine Zeus-Statue entweihen lassen. Doch die jüdischen Rebellen – man nannte sie Makkabäer oder Chasmonäer – eroberten den Tempel zurück und weihten ihn neu. Ebenfalls zur Erinnerung an diesen Sieg entzünden wir in dieser dunklen Jahreszeit die Chanukkakerzen. „Licht in der Dunkelheit“ – das hätte auch das Motto der Menschen sein können, die nach den Schrecken der Schoa und der Befreiung durch die Alliierten im September 1945 die jüdische Gemeinde in Düsseldorf wieder etabliert haben. Außerdem wurde ein „Zentralkomitee der befreiten Juden“ in der britischen Zone gegründet. Wenig später, am 21. November 1945 teilte Philipp Auerbach mit, „dass wir hier einen „Landesverband der jüdischen Gemeinden des Rheinlands ins Leben gerufen haben““. Der AuschwitzÜberlebende Auerbach war der erste Vorsitzende des neuen Verbandes. Es war eine Gemeinschaft aus traumatisierten Menschen, die in den ersten Jahren nach dem Krieg buchstäblich um ihre Existenz kämpften: um das tägliche Brot, um Hilfe für die Opfer und um Entschädigung. Die Gründung des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden des Rheinlands war der erste Schritt zum Wiederaufbau und zu einer Blüte des jüdischen Lebens am Rhein, die damals niemand für möglich gehalten hätte. 1945 gehörten dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein etwa 1.700 Menschen an. Heute sind es 16.500 Mitglieder. Diese Entwicklung war alles andere als selbstverständlich und macht uns immer noch sehr zuversichtlich. Es muss alles dafür getan werden, das vielfältige jüdische Leben am Rhein zu erhalten, zu fördern und weiter auszubauen. Zum Landesverband Nordrhein gehören die Synagogengemeinde Bonn, die Jüdischen Gemeinden in Duisburg-Mülheim-Oberhausen, Krefeld, Aachen, Essen, Mönchengladbach und Wuppertal – und natürlich Düsseldorf – die drittgrößte Jüdische Gemeinde in Deutschland. Wenn wir die Mitglieder des Landesverbandes Westfalen-Lippe und der Kölner Gemeinde mitzählen, dann kommen wir auf mehr als 27.000 Gemeindemitglieder in NordrheinWestfalen. Das heißt, fast jedes dritte Mitglied einer jüdischen Gemeinde lebt in unserem Bundesland! Das unerwartete Wachstum unserer Gemeinden hing vor allem mit der ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND Körperschaft des öffentlichen Rechts Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion seit Beginn der 90er-Jahre zusammen. Die Anfänge des jüdischen Lebens am Rhein verdanken wir den jüdischen Überlebenden, die sich nach 1945 entschieden, in Deutschland zu bleiben und sich hier eine neue Existenz aufzubauen – und das, obwohl der Antisemitismus nach dem Krieg keineswegs schlagartig verschwunden war. Auch die verschiedenen Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen haben den Wiederaufbau jüdischen Lebens am Rhein tatkräftig unterstützt. In den 50er-Jahren erhielten die jüdischen Gemeinden und Landesverbände die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. 1992 wurde der Staatsvertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, dem Landesverband der jüdischen Gemeinden von Nordrhein, der Synagogen-Gemeinde Köln und dem Landesverband Westfalen-Lippe geschlossen – ein wichtiger Schritt, der die Existenz der Gemeinden sicherte. Ein weiterer Höhepunkt in den Beziehungen der drei Landesverbände zur Landespolitik war der Entschließungsantrag „Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen“- mehr Wissen, mehr Vertrauen“, den alle Fraktionen des Landtags im Jahr 2003 einstimmig verabschiedeten. Von den guten Beziehungen zur Landesregierung profitieren die jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen bis heute. Der damalige Ministerpräsident Johannes Rau und Zentralratspräsident Paul Spiegel haben hier Meilensteine gesetzt und daher verdienen sie unsere besondere Anerkennung. Bis heute besteht eine ausgezeichnete Zusammenarbeit der Gemeinden mit Politikern aller Parteien. Zuletzt haben die „Jüdischen Kulturtage am Rhein“ in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt, wie vielfältig jüdisches Leben und jüdische Kultur sein können und welche Bereicherung die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion für NRW darstellt. Ich möchte an dieser Stelle noch einige Menschen nennen, die ganz besonders zum Aufbau des Judentums am Nordrhein beigetragen haben: Die ehemaligen Geschäftsführer des Landesverbandes, Herbert Rubinstein und Michael Jonen, sowie Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, die Vorstände Esra Cohn und Oded Horowitz. Nicht zuletzt hat die Erfolgsgeschichte der Juden am Rhein nach 1945 auch mit den Strukturen zu tun, in denen sich jüdische Gemeinden nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten – und vor allem mit dem Prinzip der Einheitsgemeinde. Orthodoxe, traditionelle, liberale und Reformjuden finden sich unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland zusammen und ziehen an einem Strang. Der ZRdJ versteht sich als Sprecher und vor allem als Fürsprecher aller religiösen Ausprägungen in Deutschland. Am Rhein stand übrigens auch die „Wiege“ des Zentralrats der Juden in Deutschland, der 1950 gegründet wurde. Sein erster Sitz war in Düsseldorf. 1985 zog er nach Bonn um – und erst 1999 nach Berlin. Ebenfalls in Düsseldorf bekam der Journalist Karl Marx – nicht zu verwechseln mit dem Autor des „Kapital“ - 1946 von der britischen Besatzungsmacht eine Lizenz für die erste jüdische Zeitung in Nachkriegsdeutschland. Heute ist sie bekannt als „Jüdische Allgemeine“ - die Wochenzeitung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Viele Menschen in Nordrhein-Westfalen haben sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bemüht, „Licht ins Dunkel“ zu bringen. Die Herausforderungen sind heute, in Zeiten des ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND Körperschaft des öffentlichen Rechts islamistischen Terrors, nicht kleiner geworden. Leider sind wir in diesen Tagen auch wieder verstärkt mit Antisemitismus konfrontiert, der sich oft als Kritik an Israel tarnt. Die größte Herausforderung für uns alle ist aber sicherlich die große Flüchtlingswelle. Mir macht es große Sorgen, dass rechtsextreme Parteien jetzt Zulauf bekommen, dass die Hetze gegen Flüchtlinge zunimmt – und dass es immer wieder zu unerträglichen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte kommt. Dennoch bin ich überzeugt: In Deutschland gibt es mehr Toleranz und Mitgefühl als Hass und Gewalt. Wir als Religionsgemeinschaft sehen es als unsere Aufgabe an, diejenigen Menschen zu stärken, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen. Gewalt gegen andere Menschen - und ausgerechnet gegen Menschen, die aus Angst um ihr Leben aus ihrer Heimat fliehen mussten - widerspricht zutiefst unserem Glauben und unserer Erfahrung aus dem 2. Weltkrieg. Zurzeit richten sich Wut und Hass gegen die Flüchtlinge. Wir wissen alle nur zu gut: Es könnten ebenso wir Juden sein. Deshalb hat sich der Zentralrat der Juden in Deutschland als eine der ersten Institutionen für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen ausgesprochen. Denn es entspricht dem jüdischen Selbstverständnis, Menschen in Not zu helfen und ihnen Schutz zu gewähren. Wichtig ist aber auch, dass alle demokratischen Kräfte jetzt zusammenstehen, um eine Spaltung unserer Gesellschaft und ein Erstarken von Extremisten zu verhindern. Wir müssen in der Lage sein, Flüchtlinge menschenwürdig zu versorgen und sie erfolgreich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Wir wollen hilfebedürftige Menschen unterstützen – wir wollen ihnen aber auch unsere Werte vermitteln. Dazu gehören Toleranz, Religionsfreiheit, die Ablehnung von Antisemitismus und die Anerkennung des Staates Israels. Viele Flüchtlinge stammen aus Gesellschaften, in denen Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit an der Tagesordnung sind. Wir müssen deutlich machen, dass solche Einstellungen in unserem Land keinen Platz haben. Die Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, wollen in unserem Land eine sichere Heimat für sich und ihre Familien finden. Die jüdische Gemeinschaft kennt dieses Bedürfnis nur zu gut – schließlich sind unsere meisten Mitglieder Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Für unsere Gemeinden war es in den 1990er und 2000er Jahren eine große Herausforderung, eine große Zahl von Neuankömmlingen zu integrieren. Doch heute können wir sagen: Die Integration ist gelungen – vor allem in der zweiten Generation von Zuwanderern, die sich in Deutschland und in unseren Gemeinden zuhause fühlen. Sicherlich gibt es bei der Integration von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten andere Herausforderungen – doch auch unsere Zuwanderer haben in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion unter einem Regime gelebt, das nicht demokratisch war. Deshalb ich denke, dass man von unseren Erfahrungen mit Integration einiges lernen kann. Als jüdische Gemeinschaft bieten wir Ihnen unseren Rat an - und sind gerne bereit, andere zu unterstützen. Ich übergebe das Wort an den Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, Herrn Thomas Geisel – und wünsche Ihnen allen Chanukka Sameach, ein freudiges Chanukka-Fest!
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