Reutlinger, Christian, Stiehler, Steve, Lingg, Eva (Hrsg.). Soziale Nachbarschaften. Geschichte, Grundlagen, Perspektiven. Wiesbaden 2015, Springer VS ISBN 978-3-531-18440-1 253 Seiten, 32 Fr Das Sachbuch reflektiert bisherige Denkansätze zur Gestaltung von Nachbarschaft der letzten 120 Jahre und setzt sie mit gegenwärtigen Denkmustern der Soziologie in Verbindung, um am Schluss zu skizzieren, wie heute Nachbarschaft erforscht- und gefördert werden könnte. Eine Lese-Zielgruppe ist nicht genannt, der Inhalt würde sich an Akteure der Raumplanung und Gemeinwesenarbeit richten, vor allem aber an Forschende und Lehrende von sozialen Räumen. Aus der Sicht der Herausgeber am Kompetenzzentrum Soziale Räume der FHS St. Gallen gibt es eine Flut kommunaler Interventionen zur gezielten Gestaltung der Nachbarschaft. Viele Mittel fliessen in solche Programme und erreichen die gewünschten Effekte nicht im angestrebten Mass und der notwendigen Nachhaltigkeit. Die Gründe dafür analysieren die Autoren wie folgt: Im letzten Jahrhundert war es der mono-disziplinäre Anspruch der Raumplaner in den 1920er Jahren und dem soziologischen Fokus in den 1960er Jahren. Die Sozialwissenschaften interessieren sich vorab für Beziehungen im Raum, der von Raumplanern gestaltet wird. Im neuen Jahrhundert wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit betont, Sozialwissenschaftler arbeiten auch Aspekte des physischen Raums ein und Architekten machen sich Gedanken darüber, wie Gestaltungselemente das Zusammenleben fördern oder behindern. Jedoch seien diese Bezugsnahmen einseitig und vereinfachend und würden keine Erkenntnisse über die komplexen Zusammenhänge zwischen den baulichen und sozialen Dimensionen von Nachbarschaft liefern. Weil die je eigene disziplinäre Herkunft und der ihr folgenden Normierung nicht reflektiert seien, würde gleichzeitig an divergierenden Zielsetzungen gearbeitet. Diese Komplexität versuchen die Autoren mit Denkansätzen der letzten 120 Jahre darzustellen (ca. 400 Literaturangaben): Nachbarschaften werden heute immer wieder neu und für kurze Zeiten zusammengewürfelt. Sozialstrukturen sind flüssig, die Ortsbindung relativiert, das Netz persönlicher Beziehungen ist räumlich weit aufgespannt. Bei ‚ortlosen Nachbarschaften‘ lassen sich Beziehungen mit folgenden Konzepten beschreiben: Soziale Unterstützung, Sozialkapital, soziale Netzwerke und Lebenswelt-Orientierung (Milieu-Forschung). So liesse sich behaupten: Heute formt das Soziale das Räumliche. Die dazu erforderliche Mobilität braucht Ressourcen – und darum gibt es Bestrebungen, obgenannte Funktionen zusammen zu legen und grössere Einheiten für ca. 400 Bewohnern zu planen, um der 2000Watt-Gesellschaft näher zu kommen. Wie aber lassen sich Nachbarschaften in der Dualität zwischen Sozialem und Räumlichem herstellen? Denn konkrete Orte, wo Menschen nahe beieinander wohnen, gibt es nach wie vor. Einerseits setzt die Mobilisierung nachbarschaftlicher Gemeinschaften die Bereitschaft voraus, Hilfsbedarf zu erkennen und Hilfe anzufordern. Anderseits ist aus der Perspektive persönlicher Netzwerke die Nachbarschaft kaum aktiv von aussen gestaltbar. Nachbarschaftliche Beziehungen entstehen dann leichter, wenn verbindende Themen mit persönlichen biografischen Interessen korrespondieren. So empfehlen die Autoren drei Zugänge zur ‚Herstellung von Nachbarschaft‘. 1. sind die Menschen in ihren vielfältigen Bezügen ortloser Nachbarschaften kennen zu lernen und im Ort des Einzugsgebietes möglichst viele Austauschmomente zu schaffen. 2. soll die emotionale Beziehung der Orte zu den Menschen erfragt werden, damit die Akteure frühzeitig den Ort zusammen mit den Betroffenen gestalten können. 3. sollen Nachbarschaftsprojekte transdisziplinär gesteuert werden, einer Gruppe, die Verwaltungsgrenzen durchbricht und bürgerschaftliche Akteure mit einbezieht und Zeit hat, ihre Ziele und Absichten zu reflektieren. Den Autoren gelingt es, die Komplexität von Nachbarschaft sichtbar zu machen, die verschiedenen neuen Denkansätze mit Nachbarschaft zu verknüpfen und Engpässe zu zeigen. Allerdings etwas kompliziert. Weil das Buch aus vielen kleinen Kapitel zusammengesetzt ist, die je eine Vorschau und eine Zusammenfassung liefern, ist zwar ein Faden sichtbar, aber es wird langfädig weil redundant. Akteure der Gestaltung von Nachbarschaften möchten sich kaum der drei relativ dünnen Ergebnisse wegen durch diese Texte durchbeissen. Rezensent: Karl Flückiger
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