ANDY JONES - Aufbau Verlag

© Daniel Allan
und seinen zwei kleinen Mädchen in
London. Tagsüber arbeitet er in einer
Werbeagentur, am Wochenende und
furchtbar früh am Morgen schreibt er.
Eigentlich sollte dieses Buch ein richtiges
Männerbuch werden – dass dabei nun
ein Liebesroman herausgekommen ist,
hat ihn selbst ziemlich überrascht.
Teja Schwaner übertrug neben
Hunter S. Thompson Daniel Woodrell
und Daniel Friedman ins Deutsche.
Oder bist du nur noch hier, weil du schwanger bist?
Als er Ivy begegnet, ist Fisher wie vom Blitz getroffen, und bald ist er
sich sicher, dass daraus etwas werden könnte. Noch weiß keiner der
beiden, dass die Entscheidung über ihre Zukunft längst gefallen ist:
Ivy ist schwanger. Doch während das neue Leben in Ivy heranwächst,
muss sich Fisher um seinen schwer erkrankten Freund El kümmern.
Und Ivy und Fisher sind immer noch damit beschäftigt, sich kennenzulernen. Denn es ist eine Sache, sich zu verlieben – miteinander zu
leben ist eine ganz andere Geschichte …
»Ein wunderschön erzähltes,
absolut
bezauberndes Buch.«
Iris Hansen lebt nach Aufenthalten
in Kanada und Spanien als
Übersetzerin in Hamburg.
ISBN 978-3-352-00664-7 € 14,99 [D]
ÖSTERREICH € 15,50 [A]
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AUCH AL S E- BOOK ER H Ä LTLICH
W W W.AUF BAU-VER L AG.DE
Ivy und Fisher sind frisch verliebt, seit gut
zwei Wochen zusammen, und langsam ist
sich Fisher sicher, dass aus der Sache etwas
werden könnte, vielleicht sogar Liebe. Keiner der beiden ahnt, dass die Entscheidung
über ihre Zukunft schon in ihrer ersten
Nacht gefallen ist: Denn Ivy ist schwanger.
Und so werden die beiden zu einem Paar,
bei dem alles in der falschen Reihenfolge
abläuft: Sie erwarten ein Kind, noch bevor
sie auch nur wissen, wie der andere mit
Nachnamen heißt. In den folgenden neun
Monaten wächst das neue Leben in Ivy
heran, zugleich verschlechtert sich jedoch
der Zustand von Fishers schwer erkranktem Freund El. Und noch während Ivy und
Fisher damit beschäftigt sind, sich kennenzulernen, droht ihre Familie zu zerbrechen,
bevor es sie richtig gibt.
Ein einmalig ehrlicher, herzzerreißender
Roman über die Liebe und das Leben
und darüber, dass man keines von
beiden als gegeben
nehmen sollte.
Daily Mail
A N DY J O N E S
Andy Jones lebt mit seiner Frau
ANDY JONES
Ich liebe dich, Ivy.
Ich finde dich klug und witzig und schön …
Doch bist du die Richtige ?
ROMAN
Schutzumschlaggestaltung
www.buerosued.de
17.09.15 11:30
Andy Jones
Zwei für
immer
Andy Jones
Zwei für
immer
ROMAN
Aus dem Englischen von
Teja Schwaner und Iris Hansen
Die Originalausgabe unter dem Titel
The Two of Us
erschien 2015 bei Simon & Schuster UK Ltd., London
ISBN 978-3-352-00664-7
Rütten & Loening ist eine Marke der Auf bau Verlag GmbH & Co. KG
1. Auf lage 2016
© Auf bau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2016
Copyright © Andy Jones 2015
Published by Arrangement with SIMON & SCHUSTER UK LTD., London
Druck und Binden CPI books GmbH, Leck, Germany
Printed in Germany
www.auf bau-verlag.de
Kapitel eins
Es ist die letzte Augustwoche, und mein Sonnenbrand krib­
belt, als Ivy den Wagen in die Straße lenkt, in der ich auf­
gewachsen bin.
Wenn das Radio läuft, singt Ivy mit; wenn es aus ist, pfeift
sie, und sie pfeift falsch. Irgendwie kommen mir die Melo­
dien bekannt vor, aber genau kann ich sie nicht zuordnen.
Ivys linke Gesichtshälfte ist seit einem Unfall in der Kind­
heit entstellt. Die Narben sind inzwischen verblasst, doch
die Rillen und Kerben sind nicht zu übersehen, und wenn
sie pfeift, bilden sich tiefe Furchen. Ob dadurch ihre Pfeif­
künste beeinflusst werden, vermag ich nicht zu sagen, doch
ihren Gesangsversuchen nach zu urteilen, ist sie schlicht und
einfach unmusikalisch und sich dessen in keiner Weise be­
wusst. Wir sind jetzt seit drei Wochen zusammen, und es
dürfte ein wenig zu früh sein, eine Liste der »Dinge, die mir
an meiner neuen Freundin am meisten gefallen« aufzustel­
len; würde ich mich allerdings dazu hinreißen lassen, landete
Ivys unbekümmert falsches Pfeifen bestimmt unter den Top
Eleven. Und wenn wir schon beim Thema Reihenfolge sind,
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muss ich zugeben, dass es auch etwas verfrüht sein dürfte,
Ivy meiner Familie vorzustellen. Aber da wären wir, unge­
fähr noch eine Minute bis zur Landung.
»Wappne dich«, sage ich.
Ivy sieht mich an. »Hm?«
»Die Familie«, sage ich. »Sie sind ein bisschen … du weißt
schon.«
»Keine Bange«, sagt sie. »Ich hab das schon mal mitge­
macht. Zigmal, hundertmal und öfter.« Sie schmunzelt.
»Sehr witzig. Du bist es nicht, um die ich mir Sorgen ma­
che.«
Hinter der nächsten Kurve kommt Dads Haus in Sicht.
Ich habe mich nie sonderlich darum gekümmert, wie mein
Geburtshaus aussieht; es steht da, solange ich lebe, und ich
stelle es genauso wenig in Frage, wie ich das mit meinen
Füßen tun würde. Aber heute, in Begleitung von Ivy, fällt
mir auf, wie gewöhnlich es wirkt, wie banal. Ich werde mir
nur allzu bewusst, was ihm alles fehlt. Viktorianische Häu­
ser, wie das in London, in dem ich wohne, gewinnen mit
dem Alter an Charakter und Seriosität. Häuser wie dieses, in
den Sechzigern oder Siebzigern des letzten Jahrhunderts ge­
baut, altern jedoch anders – wie betagte Fabrikarbeiter sind
sie irgendwann gezeichnet von Rauch, Mühsal und Ent­
täuschung. Ich sehe Ivy an, und sie erwidert meinen Blick.
Als sie vor dem Haus Rose Park Nr. 9 anhält, zieht sie die
Augen­brauen hoch.
Sie müssen uns aufgelauert haben, denn noch bevor Ivy den
Motor abgestellt hat, stürmen mein Vater, meine Schwester,
mein Schwager und meine zwei kleinen Nichten zur Vorder­
tür heraus. Ich winke und grinse hinter der Windschutzschei­
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be, aber niemand sieht in meine Richtung. Sie nehmen mit­
ten auf der Straße Aufstellung, und ihre Gesichter leuchten
vor Aufregung. Dad öffnet Ivys Tür, als gelte es, eine könig­
liche Hoheit zu begrüßen. Imogen und Rosalind, die Zwil­
lingstöchter meiner Schwester, sind gerade erst zehn Jahre
alt, weswegen man ihnen verzeihen kann, dass sie hüpfen
und drängeln, um meine Freundin besser sehen zu können
(es fühlt sich gut an, sie »Freundin« zu nennen), doch mei­
ne Schwester und Dad sind zusammen fast hundert Jahre
alt und führen sich trotzdem auf wie Geisteskranke. Und in
dem Moment dämmert mir, was Ivy gepfiffen hat: »It Must
Be Love«. Sie klettert aus dem Wagen und landet direkt in
den Armen meines Vaters. Er drückt sie ungestüm an sich,
und ich schicke achselzuckend eine Bitte um Verzeihung
in ihre Richtung, als er sie auch noch in die Höhe stemmt.
Ivy zwinkert oder zuckt zusammen, das lässt sich nicht ge­
nau unterscheiden, da ihr Gesicht an den Hals meines alten
Herrn gequetscht wird.
Während ich, von allen unbeachtet, aus dem Wagen klet­
tere, überfällt mich die Befürchtung, Ivys Pfeiferei vielleicht
doch fehlinterpretiert zu haben. Je länger ich darüber nach­
denke, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass es
»House of Fun« oder möglicherweise auch ­»Embarrassment«
war. Jedenfalls ganz sicher ein Song von Madness.
Bis das Begrüßungskomitee von der Straße ins Haus um­
gezogen ist, habe ich unser Gepäck aus dem Kofferraum
gehievt, es nach oben getragen, eine Pinkelpause gemacht,
Wasser aufgesetzt und eine Kanne Tee zubereitet.
»Alle zum Tee-Fassen«, sage ich, als sie in die Küche mar­
schieren.
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»Haben wir nicht irgendwo Wein?«, fragt meine Schwes­
ter Maria.
»Champagner tut’s auch«, sagt Dad und öffnet den Kühl­
schrank mit peinlich überschwänglicher Geste.
»Wow«, sagte Ivy.
»Ist doch wohl ein besonderer Anlass, oder?«, sagt Dad.
»Reich mir die Gläser, Sohnemann.« Und dann bugsiert er
Ivy ins Wohnzimmer.
Maria hilft mir, den Staub von den Sektgläsern zu spülen.
»Scheint nett zu sein«, sagt sie grinsend.
»Das ist sie. Ist Hermione nicht da?«, frage ich sie nach
ihrer ältesten Tochter, um dem unvermeidlichen Aber-wasfindet-sie-bloß-an-dir?-Sarkasmus meiner großen Schwes­
ter zuvorzukommen.
Maria war keine sechzehn, als sie Hermione zur Welt
brachte. Mum war damals noch nicht ganz ein Jahr tot, und
die kleine Herms spielte eine wichtige Rolle für unser aller
Trauerbewältigung. In ihren ersten sechs Lebensjahren, bis
Maria ihren jetzigen Mann Hector kennenlernte und hei­
ratete, war ich für Hermione wohl eher eine Vaterfigur als
ein Onkel. Und jetzt, zehn Jahre später, sehe ich in ihr immer
noch eher die Tochter als die Nichte.
»Hat ein heißes Date«, sagt Maria.
»Im Ernst? Und wie ist er?«
Maria zuckt mit den Achseln. »Besser als der Scheißkerl
davor.«
»Dazu gehört nicht viel. Ich hatte gehofft, dass sie hier
sein würde.«
»Gegen eine neue Liebe hast du keine Chance«, sagt Ma­
ria.
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»Das denkst du«, sage ich. »Komm, retten wir Ivy vor
Dad.«
Im Wohnzimmer hat Dad schon die Familienalben auf
dem Tisch ausgebreitet. Bisher habe ich noch nie ein Mäd­
chen, geschweige denn eine richtige Frau mit nach Hause
gebracht, und ich nehme an, meine Leute haben allesamt
zu lange darauf warten müssen. Also nippe ich an meinem
Champagner und nehme die Demütigungen mannhaft hin,
während sie sich über meinen nackten Babyhintern amü­
sieren, über meine im Laufe der Zeit wechselnden Frisuren
und diversen modischen Eskapaden. Ivy, seit neunzehn Ta­
gen meine Freundin, lächelt in meine Richtung und zwin­
kert mir zu.
Sowohl Ivy als auch ich arbeiten beim Film (Werbespots
in meinem Fall, alles andere in ihrem), was bedeutet, dass
wir Freiberufler sind. Während unserer ersten vier gemein­
samen Tage setzten wir keinen Fuß aus Ivys Wohnung. Es
gab keine ausdrückliche Abmachung, aber wir schienen per
Gedankenübertragung übereingekommen zu sein, uns erst
wieder ins Freie zu begeben, wenn es unvermeidlich wäre.
Wir waren uns darüber klar (und auch darüber klar, wie klar
es dem anderen war), dass mit dem Platzen der Seifenbla­
se jeder Weg zurück zum intimen, naiven Zauber des An­
fangs versperrt wäre. Als die Vorräte knapp wurden, tran­
ken wir unseren Kaffee schwarz, kratzten Schimmel aus den
letzten Brotscheiben und aßen löchrigen Toast. Wir berei­
teten uns Mahlzeiten aus Eiern und Keksen, AuberginenMayo-Sandwiches und Pasta in Hühnersuppensoße zu. Ivy
las, während ich mir auf ihrem tragbaren Schrottfernseher
amerikanische Krimiserien anschaute, wir spielten Mono­
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poly, Scrabble und Karten, wir betranken uns mit Wein und
Wodka, und schließlich fanden wir noch eine Flasche mit
fast kristallisiertem Schnaps undefinierbarer Herkunft. Wir
widerstanden allen Bringdiensten außer dem Pizzaservice,
weil wir instinktiv wussten, dass Boten nur so lange ins ro­
mantische Bild passen, wie sie auf Mopeds angefahren kom­
men und nicht in Supermarktlastern. Aber dann ließ am
Freitag ein Auftrag die Seifenblase platzen, denn Ivy wur­
de zu Dreharbeiten für einen Promospot gerufen. Auf dem
Weg zum Dreh setzte sie mich – zusammen mit einer Ta­
sche voller Klamotten – an meiner Wohnung ab, und unser
Abschiedskuss war an Inbrunst jener Sorte vergleichbar, die
man zum Abschied auf Flughäfen austauscht. Ihr Job dauer­
te fast die ganze folgende Woche, aber wir verbrachten die
Nächte gemeinsam, trafen uns entweder in einem Restaurant
oder gleich im Bett. An unserem zweiten Sonnabend belu­
den wir meinen Fiat 126 und fuhren ins Blaue, übernach­
teten in New Forest, Cotswolds, den Yorkshire Dales und
im Peak District. Wir wanderten, fuhren, tranken und ver­
passten jeden Morgen das Frühstück. Gestern stellte ich fest,
dass wir nur zwei Stunden vom Haus meines Dads entfernt
waren, und ich hatte zu gute Laune, um ihm keinen Besuch
abzustatten. Ivy und ich haben in der vergangenen Woche
bestimmt mehr als fünfhundert Meilen zurückgelegt, wobei
wir zu Songs im Radio sangen, Ivy mich vom Beifahrersitz
mit M & Ms fütterte und ich sie mit Skittles, nachdem wir
die Plätze gewechselt hatten.
Doch heute auf der Fahrt hierher hat sich irgendetwas
verändert. Ich weiß noch genau, wann die Stimmung umge­
schwenkt ist: Wir hielten in einem kleinen Dorf, um einen
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Happen zu essen und ein paar Sachen einzukaufen. Ivy ging
in eine Drogerie wegen »Zahnpasta und so was«, und ich
stattete dem lokalen Co-op einen Besuch ab. Wir trafen uns
am Auto, Ivy mit einer Tüte voller Toilettenartikel, ich mit
einer Tüte voller Lebensmittel und klirrender Flaschen. Und
von dem Moment an war irgendwie alles … anders. Nicht
auf besonders auffällige Weise, aber Ivy wirkte verhaltener.
Sie sang nicht mehr mit Überschwang, mochte nicht mehr
Ich-sehe-was,-was-du-nicht-siehst spielen und tätschel­
te nicht mehr mein Knie mit der geistesabwesenden Zu­
neigung, nach der ich schon beinahe süchtig geworden bin.
Vielleicht war ihr wegen der Begegnung mit meiner Familie
beklommen zumute? Und wer sollte es ihr angesichts der In­
quisition, die sie hier erwartet, verdenken?
Dad will wissen, wo Ivys Eltern wohnen, wie sie genau hei­
ßen und ob sie zur Kirche gehen; Hector fragt, ob Visagis­
tinnen viel Geld verdienen, sie ihren eigenen Buchhalter
und eine eigene Website hat und ob sie Madonna kennt;
die Zwillinge möchten wissen, ob sie noch Geschwister hat
oder Haustiere, ob sie Hunde oder Katzen mag und ob sie
gern eine Meerjungfrau, eine Fee oder eine Prinzessin wäre;
Maria möchte erfahren, wo Ivy ihre Manschettenknöpfe
gekauft hat, wo sie sich das Haar schneiden lässt, ob sie es
schon immer lang trägt und was sie an mir findet.
»Mach dich mal nützlich«, sagt Maria und schwenkt ihr
leeres Glas.
Ich hebe das Kinn und seufze. »Ich hab mich gerade erst
hingesetzt.«
»Du sitzt schon seit drei Stunden auf deinem Hintern«,
sagt Dad. »Mach schon, vertritt dir die Beine.«
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Ich mache eine große Sache daraus, mich aufzurappeln,
und verziehe mich maulend aus dem Zimmer. Nicht, dass
ich ihnen ihre Drinks missgönne oder die Audienz bei mei­
ner Freundin, aber tatsächlich weiß ich so wenig über die
Frau, in die ich so sehr verliebt bin, dass ich ebenso neu­
gierig auf ihre Antworten bin wie der Rest meiner Familie.
Ich weiß, dass sie lieber Cider trinkt als Bier, ihre Lieblings­
pastete die mit Huhn und Lauch ist und dass sie schnarcht,
wenn sie zu viel trinkt. Ich weiß, dass ihr Haar nach Kokos­
nuss duftet und ihr Mundgeruch morgens höllisch ist. Ich
weiß, dass sie mit acht Jahren durch einen Glastisch gefallen
ist und ihre Lieblingssüßigkeit Skittles sind. Aber da gibt es
so viel, das ich nicht weiß – welcher ist ihr ­Lieblingsbeatle,
wie hieß ihr erstes Haustier, wer war ihr erster Freund, wel­
che ihre erste Schallplatte? Ich kenne nicht einmal ihren
zweiten Vornamen, verdammt. Und aus irgendeinem Grund
bin ich besonders daran interessiert, wie sie zur Frage Fee
oder Meerjungfrau steht.
Als ich mit einer Flasche Wein zurückkomme, hören alle
(Dad und Hector eingeschlossen) fasziniert zu, wie Ivy die
beste Technik fürs Anspitzen eines Eyeliners beschreibt.
»Wann essen wir?«, fragt Maria.
»Ich komme um vor Hunger«, sagte Hector.
»Was gibt es denn?«, fragen die Zwillinge.
Alle sehen mich an, und ich schlurfe abermals aus dem
Zimmer, diesmal von Sklaverei murrend.
Ich habe vier Hühnerbrüste kleingehackt, drei Zwiebeln,
zwei Chilischoten, sechs rote Paprika, eine halbe Knob­
lauchknolle und nebenbei mindestens ein Drittel der Cho­
rizo vertilgt, als Dad in die Küche spaziert.
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»Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Bin fast fertig«, sage ich ihm.
»Also«, sagt er von der Kühlschranktür her, »damit hatte
ich nun gar nicht gerechnet.«
»Glaub ich gern.«
»Hier«, sagt er und stellt ein Glas Wein neben das Hack­
brett.
»Cheers.« Ich trinke einen Schluck und nicke in Richtung
Wohnzimmer. »Und?«
»Du hättest es schlechter treffen können«, sagt er schmun­
zelnd.
»Das hab ich schon«, sage ich. »Himmel, und wie.«
In resignierter, ewig duldsamer Zuneigung verdreht Dad
die Augen. Er ist Religionslehrer an der Schule, die ich
vor fast zwanzig Jahren besucht habe, und geht zwischen
zwei- und fünfmal die Woche zur Messe – er ist das Zweit­
schlimmste nach einem Pfarrer.
»Tut mir leid«, sage ich.
»Wenn du so weitermachst, schließe ich dich noch in mei­
ne Gebete ein.«
Beim Essen drängeln wir uns Ellbogen an Ellbogen, innig
und vertraut, um den kleinen Tisch, wärmen all die alten
Anekdoten wieder auf und leeren diverse Flaschen Wein.
Ich sitze Ivy gegenüber, die von meinem Vater und meiner
Schwester eingerahmt wird. Und obwohl ich Ivy lieber an
meiner Seite hätte als auf der anderen Seite des Tisches, bie­
tet sich mir so die Gelegenheit, sie zu beobachten – sie lacht
über die Scherze meiner Familienmitglieder, hört sich ihre
Geschichten an und macht bereitwillig dabei mit, sich or­
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dentlich volllaufen zu lassen. Meine Familie ist vernarrt in
sie. Man buhlt um Ivys Aufmerksamkeit und überbietet sich
gegenseitig mit Witzen, Prahlereien und Enthüllungen. Ich
strecke mein Bein unter dem Tisch aus und streiche mit dem
Fuß an der Innenseite einer Wade aufwärts, in der ich Ivys
vermute. Maria fährt zusammen und schlägt mit dem Knie
gegen die Unterseite des Tisches, dass Messer und Gabeln
klirren.
»Was zum Teufel machst du da?«
»Krampf«, sage ich, und Maria sieht mich an, als hätte ich
den Verstand verloren.
»Was ist denn los?«, fragt Ivy.
»Nichts. Ich mache Dehnübungen, sonst nichts.«
Ivy sieht mich aus Augenschlitzen an. »Hast du etwa …?«
Sie wendet sich Maria zu. »Hat er mit dir … gefüßelt?«
Unwillkürlich blicke ich hinüber zu meinem Vater, aber
der ist anscheinend voll auf das Dekor seines Tellers kon­
zentriert.
»Was heißt ›füßeln‹?«, fragt Imogen, die um ganze zwan­
zig Minuten älter als ihre Zwillingsschwester ist und schon
immer die wissbegierigere der beiden war.
»Das braucht dich nicht zu kümmern«, sagt Maria.
»Etwas, das nur ungezogene Jungs tun«, sagt Ivy und ver­
dient sich damit ein Zwillingskichern.
»Ich hab mich nur gestreckt!«
»Und jetzt streckst du dich nach der Wahrheit«, sagt Ivy,
wofür ihr Hector beinahe Beifall spendet.
Bis auf weiteres behalte ich die Füße bei mir, und bis zum
Kaffeetrinken gelingt es mir, keinen weiteren Zwischenfall
zu verursachen.
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Wir sind beim Nachtisch (im Zimmer herrscht seltene
Stille, weil alle mit einem ausgesprochen köstlichen Käse­
kuchen beschäftigt sind), als Dad verkündet: »Übrigens,
William, ich schlafe heute Nacht in deinem alten Zimmer.
Ivy und du könnt mein Bett benutzen.«
Es folgt eine lange Verlegenheitspause, während der die
Worte meines Vaters – insbesondere der Ausdruck »benut­
zen« – über dem Tisch hängen bleiben. Ivy, ihre Gabel noch
immer zwischen den Lippen, sieht meinen Vater an und
brummt die Zwillingssilben Dan-ke. Vielleicht soll es aber
auch Ver-dammt heißen.
Mit spöttischer Miene blickt Maria zu Ivy hinüber. Hector
schaut mich an und verzieht das Gesicht. Ich widme mich
meinem Käsekuchen und spüre, wie ich rot anlaufe.
Schon auf dem Weg hierher habe ich mir Gedanken über
das Schlafarrangement gemacht. Dad ist katholischer als die
Erbsünde, und das einzige Doppelbett im Haus gehört ihm,
so dass ich mich bereits damit abgefunden hatte, zum ersten
Mal, seit Ivy und ich zusammen sind, eine Nacht allein zu
verbringen. Einerseits wäre das natürlich sehr schade, an­
dererseits würde es früher oder später ohnehin geschehen,
und um ganz ehrlich zu sein, bin ich auch etwas ausgelaugt.
Außerdem würde es mir peinliche Gespräche mit meinem
Vater ersparen.
»Wechselt die Bettwäsche«, sagt Dad. Und als ich den
Fehler begehe, in seine Richtung zu sehen, zwinkert mir der
blöde Hammel doch tatsächlich zu. Es ist zwar kein anzüg­
liches Zwinkern – wenn ich raten müsste, würde ich meinen,
dass es seine Zufriedenheit mit sich selbst zum Ausdruck
bringen soll, so modern und verdammt gut organisiert zu
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sein –, aber ein Zwinkern ist ein Zwinkern, und womöglich
muss ich es für alle Zeit als den Moment kennzeichnen, in
dem mein Sexleben zugrunde ging.
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