Verfahrensrechte von Auskunftspersonen

Strafprozessrecht II
1
Verfahrensrechte von Auskunftspersonen
Vorgelegt von Melody Hasler
A.
Zwischenstellung von Auskunftspersonen im Strafverfahren
1
In welcher Eigenschaft eine Person im Strafprozess einzuvernehmen ist, ergibt sich aus dem ihr gegenüber bestehenden Tatverdacht.1 Liegt ein solcher vor, gilt die Person als Beschuldigte i.S.v. Art. 111 Abs.
1 StPO und ist nach den Vorschriften von Art. 157 ff. StPO einzuvernehmen. Besteht hingegen kein Tatverdacht, hat eine Zeugeneinvernahme nach Art. 177 StPO zu erfolgen.2 Die Art der Einvernahme bestimmt dabei die prozessuale Stellung der einzuvernehmenden Person und die damit einhergehenden
Rechte und Pflichten. Während Zeugen nach Art. 163 Abs. 2 StPO grundsätzlich einer Aussage- und
Wahrheitspflicht unterstehen3, muss sich eine beschuldigte Person nach Art. 113 Abs. 2 StPO nicht selber belasten und darf die Aussage und ihre Mitwirkung im Strafverfahren verweigern4.
2
Anhand verschiedener Fallkonstellationen wird ersichtlich, dass eine Zweiteilung der möglichen prozessrechtlichen Stellungen in beschuldigte Personen und Zeugen zu eng ist. Ohne hinreichenden Tatverdacht
müsste eine Person bspw. als Zeugin einvernommen werden und wäre als solche zur wahrheitsgetreuen
Aussage verpflichtet. Kann eine Tatbeteiligung dabei nicht gänzlich ausgeschlossen werden, kollidiert
die Aussage- und Wahrheitspflicht mit dem Verbot des Selbstbelastungszwangs. 5 Ein weiteres Problem
ergibt sich im Zusammenhang mit urteilsunfähigen Personen. Besteht ihnen gegenüber kein Tatverdacht,
wären sie als Zeugen unter Aussage- und Wahrheitspflicht einzuvernehmen. Aufgrund der Urteilsunfähigkeit wären sie jedoch i.S.v. Art. 163 Abs. 1 StPO zeugnisunfähig und könnten nicht für ein falsches
Zeugnis nach Art. 307 StGB bestraft werden.6
3
Diesem Umstand trägt die Figur der Auskunftsperson Rechnung. Als zusätzliche Form des Personalbeweises ist sie „als Auffangskonstruktion und Beweisfigur zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugen
zu verstehen“.7 Als Verfahrensbeteiligte nach Art. 105 Abs. 1 lit. d StPO geniesst die Auskunftsperson
aber, abgesehen von der Privatklägerschaft nach Art. 178 lit. a StPO, keine Parteistellung i.S.v. Art. 104
StPO.8 Stattdessen hängen ihre Rechte und Pflichten im Einzelfall davon ab, ob sie näher bei einem Beschuldigten oder einer Zeugin steht.9
4
Die Zwischenstellung der Auskunftsperson wirft damit zahlreiche Fragen auf. Im Nachfolgenden soll
dargelegt werden, welche Verfahrensrechte einer Auskunftsperson in unterschiedlichen Fallkonstellationen zugesprochen werden.
1
Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, 1085 ff. (zit.: Botschaft), Botschaft, 1208.
2
NIGGLI MARCEL ALEXANDER/HEER MARIANNE/WIPRÄCHTIGER HANS (Hrsg.): Basler Kommentar Schweizerische
Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Art. 1 – 195 StPO, 2. Aufl., Basel 2014 (zit.: BSK StPOBEARBEITER, Art. … N …), BSK StPO-HÄRING, Vor Art. 142-146 N 4.
3
BSK StPO-BÄHLER, Art. 163 N 18 ff.
4
BSK StPO-ENGLER, Art. 113 N 2 f.
5
Botschaft, 1208; BSK StPO-KERNER, Art. 178 N 1.
6
Botschaft, 1208.
7
SCHMID NIKLAUS, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich 2013 (zit.: SCHMID Handbuch, N
…), SCHMID Handbuch, N 907.
8
SCHMID Handbuch, N 925.
9
Botschaft, 1208.
Strafprozessrecht II
B.
5
2
Kategorien von Auskunftspersonen
Anstatt den Begriff der Auskunftsperson zu definieren, zählt die StPO in Art. 178 abschliessend diejenigen Personen auf, die zwingend als Auskunftspersonen einzuvernehmen sind.10 Neben Personen, die in
der klassischen Zweiteilung in Zeugen und Beschuldigten nicht zugeordnet werden können (Art. 178 lit.
d-g), sind dies jene, deren Persönlichkeit oder Stellung zur untersuchten Straftat eine Einvernahme unter
den strengen Voraussetzungen der Zeugenbefragung nicht erfordern (Art. 178 lit. a-c).11
I.
Rollenzuweisung
6
Art. 143 Abs. 1 lit. b StPO verlangt, dass die einzuvernehmende Person zu Beginn jeder Einvernahme
über den Verfahrensgegenstand und die Eigenschaft, in der sie einvernommen wird, informiert wird.12
Darüber hinaus muss sie über ihre Rechte und Pflichten belehrt werden (lit. c). Konkretisiert wird diese
Norm durch die Orientierungspflicht für Auskunftspersonen nach Art. 181 StPO. Damit diese Vorschriften eingehalten werden und Einzuvernehmende ihre Rechte ausüben können13, muss die Strafbehörde im
Rahmen der ersten Einvernahme feststellen, in welcher Rolle eine Person einzuvernehmen ist.14 Dabei
gilt es insbesondere zu entscheiden, ob eine Person als Auskunftsperson einzuvernehmen ist, und welcher Kategorie sie zuzuordnen wäre.15 Obwohl es der einzuvernehmenden Person und allenfalls anwesenden Parteien offen steht, sich zu dieser Entscheidung zu äussern, kommt ihnen kein Wahlrecht zu.16
7
Als allgemeine Vorschrift über das Vorgehen bei Einvernahmen und die entsprechenden Orientierungspflichten ist Art 143 Abs. 1 StPO nur subsidiär zu den besonderen Regeln für Beschuldigte (Art. 158
StPO), Zeugen (Art. 177 StPO) und Auskunftspersonen(Art. 179 und 181 StPO) anwendbar.17 Da die
Orientierungspflichten für die unterschiedlichen Kategorien von Auskunftspersonen variieren und sie
von grosser Bedeutung sind, wird darauf in den einzelnen Abschnitten eingegangen.
II.
8
Laut Art. 179 Abs.1 StPO befragt die Polizei eine Person, die nicht als beschuldigte Person in Betracht
kommt, grundsätzlich als Auskunftsperson. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die prozessuale Rollenverteilung der einzuvernehmenden Personen zu Beginn polizeilicher Ermittlungen oftmals unklar ist. Die Orientierungspflichten werden dadurch relativiert, weil sie je nach Kategorie variieren. Art. 179 StPO ermöglicht deshalb eine formelle oder informelle Befragung durch die Polizei, ohne
dass der einzuvernehmenden Person eine prozessuale Rolle zugewiesen werden muss.18 Vereinfacht wird
die Situation zudem dadurch, dass die Orientierungspflicht nach Art. 158 Abs. 1 StPO nur auf formelle
Anhörungen, also protokollierte Einvernahmen, Anwendung findet.19
III.
9
Einvernahme durch die Polizei
Stellung der Auskunftspersonen nach Art. 180 StPO
Art. 180 StPO spricht den verschiedenen Kategorien von Auskunftspersonen nach Art. 178 StPO unterschiedliche Rechte zu und trägt damit der Zwischenposition der Auskunftspersonen zwischen Beschul10
SCHMID NIKLAUS, Schweizerische Strafprozessordnung. Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich 2013 (zit.: SCHMID
Praxiskommentar, Art. … N …), SCHMID Praxiskommentar, Art. 178 N 1; SCHMID Handbuch, N 910; BSK
StPO-KERNER, Art. 178 N 4.
11
SCHMID Handbuch, N 907.
12
Botschaft, 1185; SCHMID Praxiskommentar, Art. 143 N 3.
13
SCHMID Praxiskommentar, Art. 143 N 6.
14
SCHMID Praxiskommentar, Art. 181 N 1.
15
SCHMID Praxiskommentar, Art. 180 N 2.
16
SCHMID Praxiskommentar, Art. 181 N 1.
17
SCHMID Praxiskommentar, Art. 143 N 1.
18
SCHMID Praxiskommentar, Art. 179 N 3.
19
Botschaft, 1192;SCHMID Praxiskommentar, Art. 158 N 6.
Strafprozessrecht II
3
digtem und Zeugen Rechnung.20 Konkret nimmt er eine Zweiteilung der Kategorien von Auskunftspersonen vor, auf die nun näher eingegangen wird.
1.
Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO (Art. 180 Abs. 1 StPO)
10 In Art. 180 Abs. 1 StPO wird die rechtliche Stellung von Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO
in unterschiedlichem Mass derjenigen des Beschuldigten angeglichen. Auskunftspersonen dieser Kategorien unterliegen damit weder einer Aussage- oder Wahrheitspflicht, noch sind sie in einer anderen Art
und Weise zur Mitwirkung am Verfahren verpflichtet.21 Macht eine Auskunftsperson von ihrem Aussageverweigerungsrecht umfassenden oder teilweisen Gebrauch, muss sie dies nicht begründen.22
a) Aussageverweigerungsrecht
11 Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. d-g StPO unterstehen keiner Aussage- und Wahrheitspflicht, weil
sie bspw. zu einem späteren Zeitpunkt im Verfahren doch noch als beschuldigte Person in Frage kommen könnten.23 Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b und c StPO hingegen unterliegen deshalb keiner
Aussage- und Wahrheitspflicht, weil sie i.S.v. Art. 163 Abs. 1 StPO zeugnisunfähig sind und deshalb
nicht für ein falsches Zeugnis nach Art. 307 StGB bestraft werden können.24 Falsche Aussagen können
aber dennoch nach Art. 181 Abs. 2 StPO zu einer Bestrafung nach Art. 303 bis 305 StGB und weiteren
Strafnormen führen.25
b) Orientierungspflicht der Strafbehörden
12 Nach Art. 181 Abs. 1 StPO müssen Auskunftspersonen über ihre Aussagepflicht oder ihre Aussage- oder
Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam gemacht werden. Über welche Rechte eine Person genau aufzuklären ist, ergibt sich wie bereits erwähnt aus ihrer Zuteilung in eine Kategorie von Auskunftspersonen
nach Art. 178 StPO. Die Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO sind deshalb gemäss Art. 181
Abs. 1 StPO auf ihr umfassendes Aussageverweigerungsrecht aufmerksam zu machen.26 Neben den allgemeinen Einnahmevorschriften (Art. 142 ff. StPO) und Art. 181 StPO sind die Bestimmungen über die
Einvernahme von Beschuldigten (Art. 157 ff. StPO) auf Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO
sinngemäss anwendbar. Von zentraler Bedeutung ist dabei Art. 158 StPO27. Es fällt auf, dass zwischen
Art. 158 Abs. 1 StPO und den allgemeinen Vorschrift in Art. 143 Abs. 1 StPO, sowie der Regel für die
Zeugeneinvernahme nach Art. 177 Abs. 1 StPO ein offensichtlicher Widerspruch besteht. Während Art.
143 Abs. 1 und Art. 177 Abs. 1 StPO eine Orientierung vor jeder Einvernahme verlangen,28 ist eine solche nach der lex specialis in Art. 158 Abs. 1 StPO nur vor der ersten formellen29 Einvernahme erforderlich30. Dementsprechend müssen Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO analog zu Art. 158 Abs.
1 StPO nur bei der ersten, die Privatklägerschaft analog zu Art. 177 Abs. 1 und Art. 143 Abs. 1 StPO vor
jeder Einvernahme belehrt werden.31 Auch das Bundesgericht hat in einem Entscheid festgehalten, dass
eine in den ersten untersuchungsrichterlichen Vernehmungen erfolgte Belehrung in den darauf folgenden
20
SCHMID Praxiskommentar, Art. 180 N 1.
SCHMID Praxiskommentar, Art. 180 N 3.
22
BSK StPO-KERNER, Art. 181 N 1.
23
OBERHOLZER, N 750; EICKER ANDREAS/FRANK FRIEDRICH/ACHERMANN JONAS, Verwaltungsstrafrecht und
Verwaltungsstrafverfahrensrecht, Bern 2012 (zit.: EICKER/FRANK/ACHERMANN, S. …), EICKER/FRANK/ACHERMANN, S. 184.
24
Botschaft, 1208.
25
SCHMID Praxiskommentar, Art. 180 N 7; BSK StPO-KÜFFER, Art. 105 N 21.
26
BSK StPO-KERNER, Art. 181 N 1.
27
SCHMID Praxiskommentar, Art. 180 N 3.
28
Botschaft, 1185; SCHMID Praxiskommentar, Art. 143 N 3.
29
SCHMID Praxiskommentar, Art. 158 N 6.
30
SCHMID Praxiskommentar, Art. 158 N 2.
31
Botschaft, 1185; SCHMID Praxiskommentar, Art. 181 N 4.
21
Strafprozessrecht II
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Einvernahmen nicht wiederholt werden muss.32 Unterbleibt eine Belehrung, sind die Aussagen der Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO analog zu Art. 158 Abs. 2 StPO und jene der Privatklägerschaft gemäss Art 177 Abs. 3 Satz 2 StPO unverwertbar.33
c) Verfahrensrechte nach Art. 105 Abs. 2 StPO
13 Aufgrund der fehlenden Parteistellung kommt die Frage auf, welche Verfahrensrechte den Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO zustehen. Zu klären ist bspw., ob sie Teilnahmerechte nach Art. 147 f.
StPO geltend machen können und ob sie sich bei der Befragung von einem Rechtsvertreter begleiten lassen dürfen.34 Werden Auskunftspersonen als Verfahrensbeteiligte durch das Verfahren unmittelbar in ihren Rechten berührt, kommen ihnen gemäss Art. 105 Abs. 2 StPO jene Parteirechte zu, die zur Wahrung
ihrer Interessen erforderlich sind.35 Im Einzelfall obliegt es also der betreffenden Person, „glaubhaft [zu]
machen, dass sie durch die betreffende Verfahrenshandlung selbst in ihren rechtlich geschützten Interessen tangiert ist.“36 Die erforderliche unmittelbare Betroffenheit eines Verfahrensbeteiligten nach Art. 104
StPO bejaht das Bundesgericht bei Eingriffen in die Grundrechte und Grundfreiheiten. Dies ist bspw.
dann der Fall, wenn ihr eine Schweigepflicht auferlegt oder Zwangsmassnahmen angeordnet werden.37
Eine mittelbare oder faktische Betroffenheit reicht hingegen gemäss Bundesgericht nicht für die Einräumung von Parteirechten.38 In diesem Sinne vertritt es auch die Auffassung, dass eine blosse Vorladung
zu einer Einvernahme keine unmittelbare Betroffenheit bedeutet. Der vorgeladenen Auskunftsperson
kommen deshalb keine Parteirechte nach Art. 105 Abs. 2 StPO, wie bspw. ein Anspruch auf Akteneinsicht, zu.39 Die Begleitung eines Rechtsbeistandes bei der Einvernahme in Anwendung von Art. 105 Abs.
2 StPO erachtet SCHMID hingegen in den Fällen von beschränkter Urteilsfähigkeit nach Art. 178 lit. b
und c StPO als unproblematisch. Weiter ist er der Auffassung, dass sich auch Auskunftspersonen nach
Art. 178 lit. d-f StPO von einem Rechtsbeistand begleiten lassen dürfen, da ihre Stellung derjenigen des
Beschuldigten sehr ähnlich sei. Er geht in diesem Zusammenhang sogar einen Schritt weiter und nennt
Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. d-f StPO „Quasi-Beschuldigte“.40
2.
Privatklägerschaft (Art. 180 Abs. 2 StPO)
14 Art. 180 Abs. 2 StPO unterscheidet die Privatklägerschaft von den übrigen Auskunftspersonen und be-
rücksichtigt dadurch deren Nähe zur Rechtsfigur des Zeugen. 41 Mit Abgabe der Teilnahmeerklärung
nach Art. 118 Abs. 1 StPO erklärt eine Person, welche durch die Straftat unmittelbar in ihren Rechten
verletzt worden ist, sich am Strafverfahren zu beteiligen und konstituiert sich damit als Verfahrenspartei.
42
Durch die Konstituierung verändert sich die verfahrensrechtliche Stellung der geschädigten Person
massgeblich. Vor der Abgabe der Willenserklärung ist die Geschädigte als Zeugin nach Art. 177 StPO
einzuvernehmen und als solche, wie die Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO, nur ein Mittel
des Personalbeweises. Als Privatklägerschaft hat sie dagegen Parteistellung nach Art. 104 Abs. 1 lit. b
StPO. Die einhergehenden Parteirechte ermöglichen es ihr, aktiv am Verfahren teilzunehmen und
32
Urteil 6B.327/2010 des Bundesgerichts vom 19. August 2010, E. 2.4.
SCHMID Praxiskommentar, Art. 181 N 5.
34
SCHMID Handbuch, N 925.
35
SCHMID Handbuch, N 642.
36
Urteil 6B.80/2013 des Bundesgerichts vom 4. April 2013, E. 1.2; SCHMID Praxiskommentar, Art. 105 N 10; BSK
StPO-RUCKSTUHL, Art. 105 N 31.
37
BGE 137 IV 280, 282, E. 2.2.1.
38
BGE 137 IV 280, 282, E. 2.2.1.
39
BGE 137 IV 280, 282, E. 2.2.2; SCHMID Praxiskommentar, Art. 105 N 8.
40
SCHMID Handbuch, N 925.
41
BSK StPO-KERNER, Art. 179 N 2.
42
CHRISTEN STEFAN, Zum Anwesenheitsrecht der Privatklägerschaft im schweizerischen Strafprozessrecht, ZStrR
2011, 463 ff., CHRISTEN, 463 f.
33
Strafprozessrecht II
5
dadurch Subjekt des Prozesses zu sein.43 Insbesondere das Teilnahmerecht nach Art. 147 f. StPO erlaubt
es der Privatklägerschaft, als Ausfluss der grundrechtlichen Ansprüche auf ein faires Verfahren 44 und
rechtliches Gehör45, durch Eingaben und Stellungnahmen (Art. 109 StPO) und der Teilnahme an Beweiserhebungen (Art. 147 Abs. 1 StPO) am Verfahren mitzuwirken.46 Anders als die Auskunftspersonen
nach Art. 178 lit. b-g StPO ist die Privatklägerschaft durch Art. 180 Abs. 2 StPO zur Aussage verpflichtet. Nach Art. 181 StPO ist sie auf diese Pflicht (Abs. 1) und die Folgen von Zuwiderhandlungen (Abs. 2)
hinzuweisen. Des Weiteren müssen die Strafbehörden die Privatklägerschaft über allfällige Aussageverweigerungsrechte nach Art. 168 ff. StPO belehren.47 Dieser Hinweis gilt als Gültigkeitsvoraussetzung für
die spätere Verwendung der Aussagen einer Privatklägerin.48 Obwohl die Privatklägerschaft nicht zu einer Aussage gezwungen werden kann, darf die unterlassene Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung
berücksichtigt werden. In Bezug auf die Wahrheitspflicht und die Strafbarkeit für falsche Aussagen kann
auf die Ausführungen zu den Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO hingewiesen werden.49
C.
Rollenwechsel der Auskunftsperson
15 Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass den Beschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen unterschiedli-
che Rechte zustehen, auf die sie vor einer Einvernahme hingewiesen werden müssen. Ändert sich die
Rolle einer einzuvernehmenden Person im Laufe des Verfahrens, haben die unterschiedlichen Verfahrensrechte und Orientierungspflichten zur Folge, dass in früheren Verfahrensstadien gemachte Aussagen
je nach Fallkonstellation und Kategorie der Auskunftsperson nicht mehr verwertet werden können. Wenn
jemand durch einen Rollenwechsel zur beschuldigten Person wird, gilt somit ein absolutes Beweisverwertungsverbot für belastende Aussagen, die zuvor in einer anderen Rolle gemacht wurden50 Dadurch
wird die Umgehung zentraler Beschuldigtenrechte, insbesondere des Verbots des Selbstbelastungszwangs, verhindert.51
D.
Fazit
16 Die rechtliche Stellung einer einzuvernehmenden Person hängt massgeblich von der ihr zugewiesenen
Rolle im Strafverfahren ab. Aufgrund dessen ist es wichtig, eine Person möglichst früh einer Kategorie
zuzuordnen und sie entsprechend über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären. Die Figur der Auskunftsperson ist als Form des Personalbeweises zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugen angesiedelt. Ihre Rechte hängen im Einzelfall davon ab, ob sie aufgrund ihrer Stellung eher als Zeugin oder als Beschuldigte anzusehen ist. Die Privatklägerschaft unterliegt wie Zeugen einer Aussagepflicht und kommt
aufgrund ihrer Parteistellung in den Genuss sämtlicher Verfahrensrechte. Auskunftspersonen nach Art.
178 lit. b-g StPO können ihre Aussage und Mitwirkung am Verfahren hingegen ohne Begründung verweigern. Parteirechte kommen ihnen nur insofern zu, als dass sie durch das Verfahren unmittelbar betroffen sind und sie die Rechte zur Wahrung ihrer Interessen benötigen. Aufgrund der unterschiedlichen
Rechte und Pflichten der einzuvernehmenden Personen gilt im Falle eines Rollenwechsels ein Beweisverwertungsverbot, das die Umgehung grundlegender Verfahrensrechte verhindert.
43
CHRISTEN, 465 f.
Art. 6 Abs. 1 EMRK.
45
Art. 107 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 29 Abs. 1 BV.
46
CHRISTEN 464.
47
SCHMID Handbuch, N 925, insb. FN 340.
48
SCHMID Praxiskommentar, Art. 181 N 8; vgl. BSK StPO-KERNER, Art. 181 N 4.
49
SCHMID Praxiskommentar, Art. 181 N 7; siehe B.III.1.a).
50
BSK StPO-KERNER, Art. 158 N 3.
51
BSK StPO-RUCKSTUHL, Art. 158 N 3.
44
Strafprozessrecht II
6
17 Eigenständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbstständig und nur unter Zuhilfenahme
der in den Verzeichnissen oder in den Anmerkungen genannten Quellen angefertigt habe. Ich versichere
zudem, diese Arbeit nicht anderweitig als Leistungsnachweis verwendet zu haben. Eine Überprüfung der
Arbeit auf Plagiate unter Einsatz entsprechender Software darf vorgenommen werden.
24. April 2015
Melody Hasler