Ostersonntag, Auf dem Weg nach Emmaus Liebe Gemeinde, kennen Sie das? Sie haben es direkt vor der Nase und sehen es doch nicht! Alles scheint so offensichtlich. Im Nachhinein greift man sich an den Kopf und denkt sich: Ach was bin ich denn dumm! Ich habe nichts gesehen. Ich hätte das doch sehen können, es war doch so klar. So offen-sichtlich! Manchmal sind wir Menschen blind, obwohl wir sehen können: Blind mit offenen Augen. Warum ist das so – kann man nun fragen? Nun, wir Menschen haben eine sortierenden, selektive Wahrnehmung. Wir sehen viele Dinge, aber unser Hirn filtert gleich aus: Das ist brauchbar, das nicht, das ist brauchbar, das nicht … Männern wird ja der so genannte „Tunnelblick“ unterstellt: Meine Güte, was ist das für eine Qual, wenn ich einkaufen gehe und es wurde das Sortiment umgeräumt. Und dann sucht er (ich) und sucht und scannt alle Regale ab. („Wo bitte ist die Butter? Ich kann sie nicht finden, obwohl sie nur wenige Zentimeter daneben neu geordnet wurde.“) Wir sehen selektiv, nur einen Ausschnitt unserer Wirklichkeit. Nicht nur Männer tun das, auch Frauen sind davon nicht verschont, natürlich. Liebe Gemeinde so geht es unseren Jüngern heute auch. Sie sind blind mit offenen Augen. Sie haben einen Weg mit Jesus zurück gelegt und haben ihn nicht erkannt. Ja, meine Güte, frage ich mich da, sieht er denn nach der Auferstehung so viel anders aus als noch am Karfreitag zuvor? Das hab ich mich als Kind gefragt? Warum erkennen die den nicht? Sie laufen den Weg entlang, den gesamten Kirchengang mit ihm zusammen, und dennoch sehen sie ihn nicht. Die Jünger sind todtraurig. Womöglich haben sie verweinte Augen. Für sie ist die ganze Geschichte mit diesem Jesus aus und vorbei. Er ist tot. Es kommt ihnen gar nicht erst in den Sinn, dass das ja anders sein könnte. Jedwede andere Möglichkeit, jede andere Variante, wie die Geschichte von Karfreitag denn weiter gehen könnte, wird von vorn herein aussortiert, kommt nicht in Frage. Deshalb ist Jesus auch ein Fremder, er sieht dem Jesus, den sie kannten vielleicht irgendwie ähnlich, ja mag sein, vielleicht spricht er auch ähnlich aber, er kann es ja nicht sein. Denn Jesus ist ja tot. Wir dürfen hier nicht allzu schnell urteilen und unser Wissen als Maßstab nehmen. Stellen Sie sich vor, dass ihnen ein Mensch begegnet, bei deren Beerdigung sie unlängst waren, den sie in diesem Leben lebend nicht mehr erwarten würden. Ich glaube wir wären als moderne, fortschrittliche Menschen des 21. Jahrhunderts ähnlich blind wie die Jünger damals auf dem Wege nach Emmaus. Jesus begegnet den Jüngern und er stellt sich zunächst dumm. Er fragt nach und hört erst einmal zu. Das ist wahre Seelsorge. Die Jünger reden sich ihre Enttäuschung von der Seele. Und Jesus macht es richtig. Er hört erst einmal zu. Das ist gut in einer solchen Situation der Trauer, der Enttäuschung. Er gibt keine Ratschläge und ist sofort mit einer spritzigen Lösung bei der Hand. Nein, auch „Ratschläge sind Schläge“. So hört Jesus zu. Lösungsvorschläge sind zu diesem Zeitpunkt fehl am Platze. Wodurch gibt sich denn Jesus nun zu erkennen? Zunächst legt er den Jüngern unterwegs die Schrift aus. Doch da bleiben sie immer noch blind. Oder besser: Die Jünger sind blinder als zuvor. Und wie ist es bei uns? Auch wir sind blind. Hätten wir Jesus da erkannt? Ich glaube kaum. Wir erkennen ja schon teilweise die einfachsten Dinge in unserem Alltag nicht. Das Blindsein, das Nichterkennen ist leider ein Grundbaustein unseres Lebens. Wir können beispielsweise blind für den/die andere sein, ihn/sie gar nicht wahrnehmen. Vielleicht kennt Ihr das aus Euren Klassen und Schulen: Sie ist in ihn verliebt, er nimmt sie nicht wahr, erwidert die Gefühle nicht. Blindsein führt zu Schmerzen. Wir können blind für unsere eigenen Stärken sein. Fragen nach dem eigenen Aussehen, nach den eigenen schulischen oder beruflichen Leistungen werden dann nur negativ beantwortet, das Selbstbild leidet und wir fragen uns, warum der/die nebenan bessere Noten habe oder besser aussehe. Kann ich nicht auch so aussehen, auch so gut sein, auch solche Leistungen bringen? Er und sie haben ein tolles aufpoliertes facebook-Profil, warum ich nicht? Wir können aber auch blind sein für die eigenen Fehler. Wir können unfähig oder zu feige sein, um uns selbstkritisch zu prüfen. Wir können blind sein für die Besonderheiten des Partners. Wissen Sie noch, was Sie anfänglich an ihrem Partner so reizte oder interessierte? Müssen Sie jetzt nachdenken oder können Sie es sofort aufsagen? Wir können blind sein für die Besonderheiten unserer Kinder. Was ist, wenn das Kind nicht so wird, wie ich gern will? Wenn es andere Talente hat, als ich es erwarte? Sehe ich diese? Welche Talente hat Ihr Kind? Und wir können blind sein für Gott. Diesen blinden Fleck haben zugegebenermaßen immer mehr Menschen unserer Tage hier in Niederschlesien und der Oberlausitz aber auch überall in Mittel- und Westeuropa. Jesus macht uns ein Angebot. Die Menschen damals waren sicherlich aus anderen Gründen blind, als wir heute. Heute sind es wahrscheinlich intellektuelle oder überkommene marxistische Wirklichkeitsmodelle. Das materialistische Weltbild, das ja sowohl dem Marxismus als auch dem Kapitalismus zugrunde liegt erkrankt ja gerade an diesem empirisch-analytischen Wirklichkeitsverständnis, worunter nicht nur ein Auferstehungs- oder ein Gottesglaube allgemein leidet, sondern vieles mehr, etwa die empirisch nicht fassbaren Geisteswissenschaften und Künste. Zurück zu unserer Blindheit und der Blindheit der Jünger. Dass Jesus wahrhaftig auferstanden ist, erfahren sie nicht durch große theologische Reflexionen und Vorträge, intellektuelle Reden oder Predigten. Dass Jesus auferstanden ist, erfahren sie in der alltäglichsten aller Handlungen: Beim Essen. Beim Miteinander Essen. Jesus nimmt das Brot, er teilt es und gibt es seinen Jüngern weiter. Da weicht die Blindheit. Da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: Jesus ist auferstanden. „Er war die ganze Zeit bei uns, er hat die ganze Zeit mit uns geredet, er ist mit uns gelaufen, er saß neben uns, aber unsere blöden Wirklichkeitsvorstellungen haben uns ihn einfach nicht sehen lassen. Wir hatten eine Schere im Kopf. Dabei war er da, er ist auferstanden. Aber unser Weltbild ist zu klein, um das zu erfassen.“ Und dann packt es die Jünger: Sie brechen auf, eilen zurück nach Jerusalem, sagen es weiter: Es stimmt alles, was dieser Jesus sagte. Es stimmt, was er verheißen hat. Es stimmt, was er uns vorlebte. Sein Leben, seine Worte, seine Wege sind besiegelt und bestätigt worden von Gott unserem Vater durch die Auferstehung: Ja, dieser Jesus hat Recht! Und dann eilen sie und verbreiten die Botschaft voller Freude in Galiläa, in Judäa, bis in die hintersten Ecken dieser Welt. Und diese Botschaft breitet sich aus seit dieser Zeit, so auch heute noch. Das ist die Botschaft von Ostern: Jesus ist auferstanden, wie er es verheißen hat. Viele Glaubenszeugen haben den nachösterlichen Jesus gesehen. Irgendwie wurden sie bewegt und haben etwas vermocht, was vorher nicht für möglich gehalten wurde: Eine Weltkirche ist entstanden. Der Evangelist ruft uns zu: Wacht auf! Seid nicht mehr blind. Lasst Euch eure Augen öffnen, wie einst die Jünger, die nach Emmaus gingen. Und wenn sie offen sind, dann schärft Eure Blicke für Gott und für Eure Nächsten. Amen.
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