Abstract

Beitrag Rolf Müller, Wolfgang Voges (Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen) zur
Tagung „Lebenslauf, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheit“ der DGSSektionen ‚Soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanalyse‘‚ ‚Medizin- und Gesundheitssoziologie‘, ‚Soziologische Netzwerkforschung‘ und der AG ‚Medizinsoziologische Theorien‘ (DGMS) in Rostock, 28./29. Mai 2015
Erhöhtes Krankheitsrisiko durch Hartz IV
als Ergebnis ungleicher Erwerbsverläufe
Anhaltende Arbeitslosigkeit begünstigt den Anstieg des Risikos zunehmender Verarmung und
sozialer Ausgrenzung, was sich in gesundheitlichen Beschwerden und Krankheiten niederschlagen kann. Bei langfristiger Arbeitslosigkeit und vermehrter Abhängigkeit von sozialstaatlicher Mindestsicherung (Alg2/Hartz IV) leiden Erwerbslose unter Stress, weil ihnen diese Lebenslage nur einen sehr eingeschränkten Handlungsspielraum ermöglicht. Zahlreiche Studien
verweisen darauf, dass Arbeitslose deutlich häufiger unter Bluthochdruck, Depression,
Asthma, Suchtkrankheiten oder psychosomatischen Krankheiten leiden.
Aus der Korrelation von Arbeitslosigkeit und schlechten Gesundheitszustand kann man aber
nicht ohne Weiteres ableiten, dass Arbeitslosigkeit das Krankheitsrisiko erhöht. Zum einen
kann der schlechte Gesundheitszustand Arbeitsloser aus negativen Selektionsprozessen auf
dem Arbeitsmarkt etwa bei Entlassungen und Einstellungen resultieren (Selektionsthese) und
zum anderen kann er aber auch eine Folge sein der Belastungen durch Arbeitslosigkeit (Kausationsthese).
Vor diesem Hintergrund ist es angebracht, den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von Mindestsicherung und dem Krankheitsrisiko im Längsschnitt zu betrachten. Anhand von GKV-Daten lässt sich der Zusammenhang angemessen betrachten. Bisherige Analysen beschränken sich zumeist Zeiten der Arbeitslosigkeit von Alg1-Beziehern. Bei einer Betrachtung der AU-Dauern konnte weder die Selektionsthese noch die Kausationsthese bestätigt werden. Von daher soll an dieser Stelle einerseits der Zusammenhang von Krankheit (gemessen anhand von Diagnosen) und Verlauf der Arbeitslosigkeit und andererseits von Verlauf
der Arbeitslosigkeit und Krankheit andererseits betrachtet werden. Prinzipiell geht es um die
Frage, ob Arbeitslosigkeit krank macht oder ob kranken Arbeitslosen eher der Weg zurück in
die Erwerbstätigkeit versperrt ist.
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Als Datengrundlage werden die Routinedaten der ehemaligen Gmünder Ersatzkasse (GEK)
genutzt. In den GEK-Daten sind sowohl die ärztlichen Diagnosestellungen gespeichert als
auch die Versichertenzeiten mit den Erwerbsverläufen. Von den Versicherten werden diejenigen ausgewählt, die im Jahr 2009 arbeitslos geworden sind, zuvor 24 Monate nicht arbeitslos
waren und nachfolgend 36 Monate beobachtet werden können (N = 37.084). Für diese Arbeitslosen wird einerseits der Zusammenhang von Diagnosestellungen zu Beginn der Arbeitslosigkeit mit dem weiteren Erwerbs-, Arbeitslosigkeits- und Hartz IV-Verlauf dargestellt und
analysiert. Andererseits wird für diese Arbeitslosen die Wahrscheinlichkeit der Erkrankungen
nach 36 Monaten ermittelt und in Abhängigkeit von Zeiten in Arbeitslosigkeit, Hartz IV und
Erwerbstätigkeit ermittelt. Kontrolliert werden dabei Alter und Geschlecht. Als begründende
Erkrankungen für die Dauern von Arbeitslosigkeit und als Folgeerkrankungen von Arbeitslosigkeit werden folgende Diagnosestellungen betrachtet: Suchterkrankungen, Depressionen,
Belastungsstörungen, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Schlaganfall, Diabetes II,
Infektionen, Krebs und Adipositas.
Zu erwarten ist eine längere Verweildauer in Arbeitslosigkeit und Hartz IV bei Vorliegen von
Erkrankungen und eine größere Morbidität nach 36 Monaten bei längeren Zeiten in Arbeitslosigkeit oder in Hartz IV.
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