John Cage: »Versuche, aus jedem Käfig (Cage) zu entkommen, in

John Cage: »Versuche, aus jedem Käfig (Cage) zu entkommen,
in dem du dich gefangen findest.«
John Cage wurde am 5. September 1912 als Sohn eines Erfinders in Los An­
geles geboren. Nach seinem exzellenten Schulabschluss studierte er in Paris
Architektur und Klavier, schrieb Gedichte und begann zu malen. In den Ver­
einigten Staaten erhielt er bei Henry Cowell und Arnold Schönberg
Kompositionsunterricht.
John Cage suchte jedoch nach »Alternativen zur Harmonie«, setzte sich
mit Schlagzeugmusik auseinander, gründete ein Schlagzeugorchester und
schrieb Werke für Schlaginstrumente. Cage betrachtete Musik als »Klang­
organisation«, und mit seiner Erfindung des »präparierten Klaviers« (> S. 98)
trug er zur Emanzipation des Geräuschs bei.
Unter dem Einfluss fernöstlicher Philosophie erweiterte Cage ab 1950
den tradierten Werkbegriff, verringerte die Kontrolle des Komponisten über
das musikalische Geschehen und begann, Kompositionen nach dem Zufalls­
prinzip zu gestalten: für die Zufallsoperationen seines ersten aleatorischen
Werkes Music of Changes (1951) benutzte er das chinesische Orakelbuch
»I-Ging«, das »Buch der Wandlungen«, mit dem er auch die Länge der drei
Tacet-Sätze in 4’33’’ bestimmte (>S. 92).
Während Cage Zufallsoperationen zunächst nur verwendete, um kompo­
sitorische Entscheidungen zu treffen, verzichtete er zunehmend auf die Pla­
nung des klanglichen Resultats. In diese Zeit fielen auch die ersten »Happe­
nings« der Musikgeschichte (mit dem Maler Robert Rauschenberg, dem
Pianisten David Tudor und dem Tänzer Merce Cunningham).
Im Sinne einer »praktikablen Anarchie« legte John Cage nur noch den Rah­
men für musikalische Aktionen fest und räumte dem Spieler immer mehr
Möglichkeiten ein, das klingende Ergebnis mitzubestimmen.
1965 entstand mit Variations V, thirty-seven remarks re an audiovisual
performance, ein Stück, bei dem die Partitur nicht Grundlage, sondern Er­
gebnis einer Aufführung war. 1967 fand in Illinois Cages erster Musicircus
statt, eine Simultanaufführung möglichst vieler nicht aufeinander bezoge­
ner Stücke:
John Cage
»Natürlich ist er kein Komponist,
sondern ein Erfinder – ein genialer
Erfinder. «
Arnold Schönberg
»Es werden Leute eingeladen,
die willens sind,
alle zugleich am gleichen Ort zur gleichen Zeit zu spielen . . .
Sie werden nichts hören – sie werden alles hören . . .
118 : Musik in ihrer Entwicklung
John Cage
»Bis ich sterbe, wird es Klänge geben. Und sie werden nach meinem
Tod weiter da sein. Es gibt nichts zu
fürchten hinsichtlich der Zukunft
der Musik.«
John Cage
Der Musicircus ist ein schwierig durchzuführendes Ereignis,
weil z. B. ein Clavichord-Spieler geneigt ist aufzuhören,
sobald eine Rock’n Roll-Band zu spielen beginnt.
Aber wenn sich Leute finden,
die da weiterspielen,
hat man es geschafft . . .
Was man braucht, ist Hingabe.
Dann wird jemand, der mitmacht,
nicht den Druck eines einzelnen Egos spüren . . .
und diese Erfahrung ist euphorisch.«
John Cage, 1979
Klavierstimme (Seite 47)
»Ich glaube immer noch, dass der
Zweck der Musik ist, das Denken zu
läutern und zur Ruhe zu bringen,
damit es für göttliche Einflüsse
empfänglich wird. Dieser Gedanke
ist in Indien überliefert.«
Musicircus
»Das einzige, wobei ich konsequent war in diesem Stück, war, dass ich
nicht konsequent zu sein brauchte.«
John Cage
Concert for Piano and Orchestra »Passiert ist dies: Ich bin zu einem
Zuhörer geworden, und die Musik
ist etwas zum Hören geworden.«
In dem »Concert for Piano and
Orchestra« (1957/58) CD III/14
besteht das Notenmaterial ausschließlich aus autonomen Einzelstimmen (Klavierpart aus 63 losen
Blättern mit 84 unterschiedlichen
Kom­positionsarten bzw. Notations­
formen), die vollständig oder teilweise in jeder beliebigen Länge und
Kombination der Instrumente
und sogar simultan mit chrono­
logisch benachbarten Werken
aufgeführt werden können;
freigestellt ist die Mi­t wirkung
eines Dirigenten, der mit
rotierenden Armbewegungen als
menschliche »Uhr« fungiert.
1971 verwirklichte Cage an der University of Wisconsin die Idee einer »Musik
von Jedermann«, die das Publikum sowie die beiläufig entstehenden Klänge
und Geräusche in die musikalische Praxis einbezog und die Trennung zwi­
schen Aufführenden und Publikum aufhob: gemeinsam mit dem Publikum
schritt er auf dem Universitätsgelände einen zufällig erstellten Weg ab – so
leise und so aufmerksam lauschend wie möglich.
Für die Frankfurter Oper entstand 1987 Cages erstes Werk für Musik­
theater: Europeras 1 & 2 basiert auf europäischen Opern, die in einer zufällig
bestimmten Collage fragmentarisch erklingen; das Nebeneinander verschie­
dener Aktionen wurde hier auf Beleuchtung, Bühnenbild, Requisiten, Kostü­
me, Bühnengeschehen, Spiel und Gesang ausgedehnt.
1992 starb John Cage am 12. August in New York, mitten in den weltwei­
ten Vorbereitungen zur Feier seines 80. Geburtstags.
Szene für einen Workshop
»I welcome whatever
happens next.« Impulse : :
:
John Cage
: :
Organisieren Sie einen »Musicircus«.
Informieren Sie sich über die fern­
östliche Philosophie wie z. B. den
Zen-Buddhismus oder das chine­
sische Orakelbuch I Ging und stellen
Sie einen Bezug zu Cages Werk her.
Komponisten-Porträts : 119