EIN HALBES JAHR NACH DER AUFHEBUNG DES MINDESTKURSES – EINE BILANZ DES SG B Bern, 14. Juli 2015 Daniel Lampart, SGB-Sekretariatsleiter u nd Chefökonom Es braucht ein Wechselkursziel zum Schutz der Arbeitsplätze und Löhne Ein halbes Jahr nach der Aufhebung des Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank SNB ist der Franken nach wie vor stark überbewertet. Die erhoffte Abwertung ist nicht eingetreten. Eine noch extremere Aufwertung ist leider nicht ausgeschlossen. Der Druck auf die Arbeitsplätze und die Löhne ist gross. Im Gastgewerbe ging seit Beginn der Aufwertung im Jahr 2008 jede zehnte Stelle verloren. In der Industrie dürfte das Anfang 2016 der Fall sein, wenn der Franken so stark überbewertet bleibt. Es darf nicht sein, dass die Arbeitnehmenden in der Schweiz die Opfer der Währungsspekulation und des schlechten Krisenmanagements in der Eurozone werden. Die Nationalbank muss den Frankenkurs deshalb wieder aktiv steuern, wie sie das seit 1978 fast ununterbrochen getan hat, um die Löhne und die Arbeitsplätze vor extremen Wechselkursausschlägen zu schützen. Am effizientesten macht sie das über ein Kursziel oder eine Untergrenze – ergänzt durch Negativzinsen. Der realwirtschaftlich „faire“ Franken-Euro-Kurs liegt bei über 1.30 Fr./Euro. Die jüngsten punktuellen Interventionen drohen rasch zu verpuffen, wie das in den Jahren 2010 und 2011 der Fall gewesen ist. Zudem suggeriert die SNB damit auch, dass sie sich mit einem Kurs von etwas unter 1.05 Fr./Euro zufrieden gibt. Das wäre schlecht für die Arbeitsplätze und die Löhne in der Schweiz. Franken stark überbewertet und ausser Kontrolle – SNB ist zu passiv Der Frankenkurs ist heute weitgehend auf demselben Niveau wie Ende Januar 2015 nach der Aufhebung des Mindestkurses– sowohl gegenüber dem Dollar als auch gegenüber dem Euro. Der realwirtschaftlich „faire“ Wechselkurs zum Euro liegt bei über 1.30 Fr./Euro. Das ergeben Schätzungen mit verschiedenen Methoden. Zu dieser starken Überbewertung kommen grosse Unsicherheiten über den weiteren Kursverlauf des Frankens. Ein weiterer Aufwertungsschock kann leider nicht ausgeschlossen werden. 2 Gleichgewichtiger oder „fairer“ Franken/Euro-Kurs 2013ff (Schätzungen auf der Basis unterschiedlicher Daten und Methoden) tiefer Wert 1,8 hoher Wert 1 Mittelwert 1,77 1,7 1,6 1,5 1,44 1,4 1,38 1,32 1,3 1,48 1,41 1,34 1,38 1,33 1,2 Alle Güter Handelbare Güter Konsumentenpreise Nominallöhne Unternehmensumfrage Die SNB lässt das Land im Unklaren, mit welchen Instrumenten sie welche Ziele verfolgt. Sie bewegt sich ausserhalb der langen, ziemlich erfolgreichen Tradition einer aktiven Steuerung des Wechselkurses. 1978 führte sie gegenüber der D-Mark eine Untergrenze von 80 Rappen ein. Diese Untergrenze wurde bis zur Einführung der Euro im Jahr 1999 nie aufgehoben. Nach der Einführung des Euro im Jahre 1999 verteidigte sie stabile Untergrenzen von 1.50 und 1.45 Franken/Euro über Zinssenkungen. Erst als sie Ende 2009 bei einem Kurs von 1.50 Franken/Euro sagte, dass sie eine Aufwertung zulassen würde und sich von der aktiven Wechselkurssteuerung verabschiedete, brachen alle Dämme. Der Franken wertete sich bis im August 2011 auf fast 1:1 auf. Es brauchte den Mindestkurs von 1.20 Franken/Euro. Dann kehrte wieder Ruhe ein. Mit der Aufhebung des Mindestkurses ist wieder alles offen. Der Franken ist viel zu stark bewertet. Der weitere Kursverlauf ist unsicher. Immerhin dürfte die Einführung der Negativzinsen den Aufwertungsdruck auf den Franken etwas verringert haben. Dazu kommen punktuelle Devisenmarktinterventionen, deren Wirkung aber nur schwach sein dürfte, da kein klares Kursziel erkennbar ist. Den Mindestkurs als Steuerungsinstrument konnten diese Instrumente – wie erwartet - nicht ersetzen. Im Gegenteil könnten die mutmasslichen Interventionen z.B. bei 1.03 Fr./Euro den Marktteilnehmern sogar suggerieren, dass die SNB mit einem Kurs um 1.05 Fr./Euro zu leben bereit ist. In diesen unsicheren Zeiten ist die Schweiz ist als einzige kleine, offene Volkswirtschaft mit einer relevanten Handelswährung nicht gegen schädliche Wechselkursbewegungen abgesichert. Die 1 Alle Güter: Gemäss internationalem Preisvergleich des BFS; Handelbare Güter: a) Investitionsgüter bzw. b) handelbare Konsumgüter gemäss internationalem Preisvgl des BFS; Konsumentenpreise: a) Abweichungen vom langfristigen Mittelwert des realen Aussenwertes gemäss SNB bzw. b) Preise für Konsumgüter gemäss internationalem Preisvergleich des BFS Nominallöhne: Abweichung der Lohnstückkosten gegenüber den Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich vom langfristigen Mittelwert Unternehmensumfrage: Lineare Regression der Differenz der Geschäftslage-Beurteilung Schweiz-Deutschland auf den Franken-Euro-Kurs 3 übrigen vergleichbaren Länder sind entweder im Euro (Niederlande, Belgien u.a.) oder haben ihre Währung an den Euro (Dänemark) bzw. an einen Währungskorb (Singapur) angebunden. Auch Tschechien hat einen Mindestkurs gegenüber dem Euro eingeführt. Schmerzhafte Spuren der Frankenüberbewertung Die wirtschaftlichen Auswirkungen der starken Überbewertung sind klar sichtbar und schmerzhaft. Im ersten Vierteljahr alleine gingen im Gastgewerbe 2100 Stellen (-1.0 Prozent) verloren. Im grenznahen Detailhandel waren es 1900 Stellen (-0.6 Prozent) und in der Industrie 800 (-0.1 Prozent) (saisonbereinigt). Die Arbeitslosigkeit steigt um 1500 bis 2000 Personen pro Monat. Viele Firmen haben die Arbeitszeiten verlängert, ohne die Löhne zu erhöhen, so dass insbesondere in der Industrie ein grosser Teil der Belegschaften Gratisarbeit leistet. Dank konsequentem Eingreifen (Streiks, Klagedrohungen u.a.) konnten die Gewerkschaften verhindern, dass die Arbeitgeber die Löhne senken. Im Gastgewerbe ging seit 2008 jede zehnte Stelle verloren. Die Zahl der Arbeitsplätze ist auf einem historischen Tiefstand. In der Industrie dürfte das Anfang 2016 der Fall sein, wenn der Franken so stark überbewertet bleibt. Beschäftigung Industrie (Personen, saisonbereinigt) Beschäftigung Gastgewerbe (Personen, saisonbereinigt) 710,000 240,000 700,000 235,000 690,000 230,000 680,000 225,000 670,000 220,000 660,000 215,000 650,000 210,000 640,000 205,000 630,000 05 06 07 08 09 10 Beschäftigung 11 12 13 14 15 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 SGB-Indikator Quellen: BFS, Schätzungen SGB Der wirtschaftliche Ausblick ist besorgniserregend. Gemäss den Konjunkturumfragen der KOF ETH beispielsweise planen die Firmen in der Industrie, im Detailhandel, im Gastgewerbe aber auch der Branche Verkehr/Kommunikation weitere Arbeitsplätze abzubauen. Wenn die Arbeitslosigkeit weiter im selben Ausmass ansteigt, dürfte die Arbeitslosenquote im Dezember gegen 4 Prozent betragen. Die Schweiz wird bald von Deutschland überholt werden – gemessen an der international einheitlich definierten Erwerbslosenstatistik. Nicht nachhaltige Zinspolitik der SNB war Ende 2014/Anfang 2015 das Hauptproblem – Kursziel oder Mindestkurs nötig Nach der Aufgabe des Mindestkurses wurde ein Teil des Landes von einer geldpolitischen Kapitulationsstimmung erfasst. Ohne Not und ohne genaue Analyse wird behauptet, dass der von September 2011 bis Januar 2015 erfolgreich zum Schutz des Landes gegen Deflation und Arbeitslosigkeit eingesetzte Mindestkurs nicht mehr durchsetzbar gewesen wäre. Dabei weist die Entwicklung in den Monaten Dezember 2014 und Januar 2015 darauf hin, dass vor allem die damalige Zinspolitik der SNB nicht nachhaltig gewesen war, und nicht der Mindestkurs. Die SNB hat die 4 Zinsen damals bei null belassen, während die EZB und die dänische Zentralbank Negativzinsen eingeführt haben. Der Franken wurde daher für die Anleger attraktiver als der Euro, zumal er überbewertet war und Währungsgewinne winkten. Kein Wunder, wollten viele Anleger Franken kaufen und Euros verkaufen. Die SNB musste dementsprechend als Gegenpartei auftreten und Euros kaufen. Geldmarkt- bzw. Einlagenzinssätze (Prozent) 1.2 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 -0.2 -0.4 III IV 2011 I II III 2012 IV I II III IV 2013 I II III IV 2014 SARON (Franken) EONIA (Euro) Deposit rate (DK Krone) Quellen: SNB, EZB, dän. Zentralbank Im Gegensatz zur SNB mussten die Zentralbanken in Dänemark (Anbindung an Euro) und in Tschechien (Euro-Mindestkurs) nicht oder kaum intervenieren. Das zeigt die Entwicklung der Fremdwährungsbestände in diesen Ländern (s. Grafik unten). Das ist ein Hinweis dafür, dass weniger globale ober überregionale Entwicklungen (vorübergehende Erstarkung des Dollars, EZBObligationenkäufe, Ukraine-Krise u.a.) Devisenmarktinterventionen der SNB erforderlich machten, sondern die Geldpolitik der Schweiz selber. Die Dänische Zentralbank musste erst Mitte Januar Euros kaufen - als die SNB aus dem Mindestkurs ausstieg. Gemäss der Dänischen Zentralbank führte das insbesondere bei inländischen Versicherungen und Pensionskassen zu einer Verunsicherung, ob die Krone gegenüber dem Euro stabil bleiben würde, so dass diese in nennenswertem Masse Euros gegen Krone verkauften. 2 2 Lars Rohde, Leiter der dänischen Zentralbank, Monetary policy, foreign exchange intervention and GDP growth seen rising. http://www.bis.org/review/r150409c.htm 5 Devisenreserven der Zentralbanken in Euro (November 2014=100) 170 160 150 140 130 120 110 100 90 M11 M12 M1 M2 2014 M3 M4 M5 2015 SNB Tschechische Zentralbank Dänische Zentralbank Quellen: jeweilige Zentralbanken Mit der Einführung von Negativzinsen hat sich Ausgangslage für die SNB verändert. Die Schweizer Zinsen sind tiefer als diejenigen im Euro. Deshalb wäre die Durchsetzung eines Kursziels oder einer Kursuntergrenze nach einer Übergangsphase grundsätzlich mit weniger Devisenmarktinterventionen möglich. Die heutigen Interventionen der SNB gehen zwar grundsätzlich in die richtige Richtung. Doch ohne explizites Kursziel droht die Wirkung bald zu verpuffen, wie das in den Jahren 2010 und 2011 bis zur Einführung des Mindestkurses der Fall gewesen ist. Für den SGB ist deshalb klar, dass die SNB sich wieder an der bewährten früheren Politik einer aktiven Wechselkurskontrolle oder –steuerung orientieren muss. Es braucht ein Wechselkursziel oder eine Kursuntergrenze. Damit sich der Franken möglichst rasch und möglichst nahe an den realwirtschaftlich „fairen“ Kurs von über 1.30 Fr./Euro hinbewegt.
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