"Ich bin schwanger! Können Sie mir ein Beschäftigungsverbot ausstellen?" Diese Frage wird häufig an Betriebsärzte und Gynäkologen, insbesondere bei Beschwerden in der Schwangerschaft, herangetragen. Für die schwangere Frau ist die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit in Abgrenzung zum Beschäftigungsverbot oft nicht einfach nachvollziehbar. Sie wird oft geleitet vom Gedanken an niedrigeres Krankengeld im Falle einer über 42 Tage bestehenden AU im Vergleich zu vollen Bezügen im Falle eines Beschäftigungsverbots. Sie wird überdies oft undifferenziert von Freundinnen oder ihrer Krankenkasse aufgefordert, „die AU-Bescheinigung in ein Beschäftigungsverbot umwandeln“ zu lassen. Die Antwort erfordert nicht nur medizinisches Fachwissen, sondern auch juristische Expertise. Dabei geht es um eine Lösung im Spannungsfeld zwischen guter Betreuung der schwangeren Frau, angemessenem Schutz, Emanzipation, Selbstbestimmung, arbeitsvertraglich geschuldeter Leistung und monetären Interessen. Um Klarheit zu schaffen und den Dialog zwischen den Arztgruppen untereinander und der Bezirksregierung zu fördern, hatten der VdBW Nordrhein und die Contilia Arbeitsmedizin am 9.9.2015 zu einer Fortbildungsveranstaltung in den Hörsaal des Elisabeth-Krankenhauses in Essen eingeladen, die von der Geschäftsführung freundlich unterstützt wurde. Die Menge der Teilnehmer/innen zeigte, wie brandaktuell dieses Thema im Alltag der Beteiligten ist Frau Aich vom Dezernat 56: betrieblicher Arbeitsschutz grenzte in ihrem fachkundigen Impulsreferat das generelle vom individuellen Beschäftigungsverbot ab und zeigte Berührungspunkte und Differenzierungskriterien zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf. Durch ihren engagierten Vortrag erlebten die Teilnehmer Frau Aich und ihr Team nicht mehr nur als Grenzen setzende Behörde, sondern auch als Beratungs- und Unterstützungsinstanz in manchmal komplexen Fragen des Mutterschutzes. Herr Samy Saleh von der AOK klärte über die Umlageverfahren U1 und U2 auf und griff beherzt auch kritische Fragen der Teilnehmer/innen auf. Eine sehr angeregte Diskussion, die schon während der Vorträge begann und sich bei Häppchen und Getränken fortsetzte, zeigte, wie viele verschiedene Aspekte bei diesem Thema zum Tragen kommen und wie wichtig es ist, die rechtlichen Rahmenbedingungen genau zu kennen und mit medizinischer Kompetenz, ggf. im Kontakt mit anderen Fachdisziplinen, auszufüllen. Herr Dr. Bicker zog das Fazit der gelungenen Veranstaltung in Essen: 1. Die Gynäkologen und die Arbeitsmediziner greifen in Zukunft (mit Zustimmung der schwangeren Frau) häufiger zum Telefonhörer, um auf fachlicher Grundlage eine gute und angemessene Antwort auf die Frage nach einem Beschäftigungsverbot, ggf. in Abgrenzung zur Arbeitsunfähigkeit zu finden. 2. Es bleibt den Ärztinnen und Ärzten aus der Gynäkologie und Arbeitsmedizin überlassen, kompetent und sorgfältig eine fundierte Entscheidung zu treffen, die sie mit Selbstbewusstsein gegenüber der schwangeren Frau, den Arbeitgebern und den Krankenkassen vertreten können. Kasten: I. Generelles Beschäftigungsverbot gem. §4 MuSchG Der Arbeitgeber führt eine Gefährdungsbeurteilung (GBU) für die Schwangere MA an ihrem Arbeitsplatz (am besten gemeinsam) mit ihr durch. Folgende Maßnahmen können resultieren: 1. Die MA kann am Arbeitsplatz verbleiben ohne besondere Schutzmaßnahmen, aber unter Berücksichtigung der besonderen Regelungen des MuSchG. 2. Die MA kann am Arbeitsplatz weiterarbeiten, wenn besondere Schutzmaßnahmen eingehalten werden. 3. Die MA kann wg. der Gefährdung nicht am alten Arbeitsplatz weiterarbeiten, sondern muss an einen anderen, zumutbaren Arbeitsplatz versetzt bzw. mit einer anderen Tätigkeit betraut werden. 4. Die MA kann nicht am alten Arbeitsplatz weiterarbeiten und es gibt keinen anderen, zumutbaren Arbeitsplatz im Unternehmen. Dann stellt der Arbeitgeber seine Mitarbeiterin frei („Generelles Beschäftigungsverbot gem. §4 MuschG“), informiert die Bezirksregierung und leitet das Umlageverfahren U2 ein. Der Gesundheitszustand der einzelnen Schwangeren ist hier nicht von Bedeutung, so dass für das Aussprechen dieses Beschäftigungsverbots keine medizinische Expertise notwendig ist. Es geht ausschließlich um die Frage, ob der Arbeitsplatz mit seinen Einwirkungen für eine schwangere Frau grundsätzlich geeignet ist oder nicht. Bei dieser Entscheidung kann sich der Arbeitgeber von seinem Betriebsarzt beraten lassen. Beispiel gem. §4 MuschG: Hitzearbeitsplatz, schwere körperliche Arbeiten. Ausführungsbestimmungen finden sich in der MutterschutzArbeitsplatzVO. Das Beschäftigungsverbot gilt ab Bekanntgabe der Schwangerschaft und ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmerin bindend. Bei Zweifeln an der GBU des Arbeitgebers kann die schwangere sich beim Betriebsarzt oder beim Betrieblichen Arbeitsschutz der Bezirksregierung beraten lassen. II. Individuelles Beschäftigungsverbot Gem. §3,1 MuSchG gilt: „Werdende Mütter dürfen nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter und Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet sind.“ Anders als im §4 spielt hier der individuelle Gesundheitszustand der werdenden Mutter im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit eine entscheidende Rolle. Deshalb muss der Arzt ein „Ärztliches Zeugnis gem. §3 MuschG“ ausstellen, das Art, Umfang und Dauer des Beschäftigungsverbots enthält. Dieses Verbot bezieht sich auf bestimmte Tätigkeiten, Zeiten und ggf. eine Dauer. Relevant ist, dass die begründende Gefährdung durch eine Einwirkung am Arbeitsplatz hervorgerufen wird, Beispiel: Gerüche in einer Parfümerie rufen Übelkeit und starken Brechreiz hervor, die den Fortbestand der Schwangerschaft gefährden könnte. Blutabnahmen durch die schwangere MA dürfen nicht mehr durchgeführt werden, aber zu 50% der Arbeitszeit kann die schwangere mit Büroarbeiten betraut werden, so dass darauf angepasstes Beschäftigungsverbot ausgestellt wird. Jeder approbierte Arzt kann dieses Beschäftigungsverbot attestieren: z.B. der behandelnde Gynäkologe, der Betriebsarzt oder der Hausarzt. Bei Zweifeln an diesem Attest kann der Arbeitgeber ein zweites Attest auf seine eigenen Kosten verlangen bei einem Arzt nach Wahl der schwangeren Frau. III. Arbeitsunfähigkeit Die Abgrenzung zum individuellen Beschäftigungsverbot ist nicht immer einfach. Die Arbeitsunfähigkeit besteht, „wenn die Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr einer Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann“ (AU-Richtlinie). Wenn Beschwerden ohne Einwirkungen des Arbeitsplatzes bereits Krankheitswert erhalten, führen diese zur AU und nicht zum individuellen Beschäftigungsverbot. Vorzeitige Wehen sind auch zu Hause relevant und führen zu Bettruhe. Wenn die Einwirkungen am Arbeitsplatz notwendige Bedingung für das Auftreten der Beschwerden sind, führt dies eher zu einem individuellen Beschäftigungsverbot.
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