Rede von Gesundheitsministerin Schippers auf der Konferenz zum

Rede von Gesundheitsministerin Edith Schippers
auf der Konferenz zum Thema bessere
Lebensmittel, Amsterdam
22. Februar 2016
Guten Morgen, meine Damen und Herren!
Wir waren heute schon einkaufen:
10 Gramm Zucker in einer Portion Cornflakes;
7 Gramm Zucker in jedem Keks;
fast 14 Gramm Zucker in einem Glas Saft.
Wussten Sie, dass Kinder in Europa allein beim
Frühstück 20 bis 35 Gramm Zucker konsumieren?
Nur beim Frühstück! Natürlich je nachdem, was
ihnen ihre Eltern zu essen geben.
Meine Damen und Herren,
Lebensmittel – ein hochaktuelles Thema. Blogger
verdienen ihren Lebensunterhalt, indem sie
darüber schreiben. Ernährungs-Gurus schreiben
Bestseller. Und letztlich reden wir doch alle gern
darüber.
Gleichzeitig befindet sich die Lebensmittelindustrie
nicht gerade auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit,
um es milde auszudrücken. Im Gegenteil. Unsere
Lebensmittel haben den Ruf, »unnatürlich«,
»ungesund« und »voller Chemie« zu sein.
Meine Damen und Herren, wir vergessen
manchmal, wo wir herkommen. Im
Nachkriegseuropa war Ernährungssicherheit ein
echtes Problem. Die Ernährung war eintönig.
Ein Problem, das nicht von Politikern allein gelöst
werden konnte. Wir haben es gemeinsam mit
unseren Landwirten, Lebensmittelherstellern und
der Industrie gelöst. Wir haben es erfolgreich
gelöst. Noch nie zuvor in der Geschichte Europas
war der Zugang zu einer großen Vielfalt an
sicheren und bezahlbaren Lebensmitteln so
selbstverständlich wie heute. Ein echter Luxus.
Dennoch neigen die Menschen dazu, die
Vergangenheit zu verklären.
Allen Unternehmern und Innovatoren, die zur
Ernährungssicherheit in Europa beigetragen
haben, gebührt ein Kompliment. Aber wir dürfen
uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.
Denn heute ist Europa mit anderen Problemen
konfrontiert. Wir stehen vor einer anderen Realität.
Wir kämpfen nicht mit einem Mangel an
Lebensmitteln oder mit mangelnder Vielfalt. Aber
auch heute drängt die Zeit. Sehen Sie sich nur
einmal diese Zahlen an!
Machen Sie sich klar, was das bedeutet. Das sind
die Fakten. Aber hinter den Zahlen stehen
Menschen. Menschen, die nicht mehr zur Arbeit
oder in die Schule gehen können, die kein aktives
und produktives Leben mehr führen können.
Diabetespatienten, die mit schweren
Komplikationen kämpfen: Blindheit,
Herzkrankheiten oder sogar Amputationen.
Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es in einigen
Jahrzehnten 11 Millionen Diabetespatienten mehr
in der EU geben. Das ist mehr als die gesamte
Bevölkerung Portugals oder Belgiens. Die sozialen
und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser
Entwicklung wären enorm, noch ganz abgesehen
von den Konsequenzen für unser
Gesundheitswesen.
Und wieder stehen wir vor einem Problem, das
von Politikern allein nicht gelöst werden kann.
Wieder einmal sind wir auf die Mitwirkung unserer
besten Unternehmer und Innovatoren angewiesen.
Es wäre zu einfach, nur auf die schlechte
Ernährung der Menschen zu verweisen und das
Ganze als ein Problem mangelnder Disziplin
darzustellen. Oder zu glauben, die Menschen
wären einfach nicht in der Lage, die richtige
Entscheidung zu treffen.
Ich glaube, dass das Problem viel komplexer ist.
Ja, der Lebensstil ist eine persönliche
Entscheidung, eine Frage der persönlichen Freiheit,
die mir sehr am Herzen liegt. Hier spielt aber auch
das Produktangebot eine wichtige Rolle.
Lebensmittel sind allgegenwärtig – zu Hause, im
Büro, in Restaurants, auf der Straße, am Bahnhof,
in der Schule. Wer eine schlechte Angewohnheit
ablegen möchte, braucht Disziplin. Das wissen wir
alle aus Erfahrung. Jedenfalls geht es mir so.
Aber selbst wenn man ernsthaft versucht, sich
gesund zu ernähren, landen am Ende doch oft
genug ungesunde Produkte im Einkaufswagen. In
der vermeintlich gesunden Gemüsesuppe ist zu
viel Salz, im Superfood-Joghurt viel zu viel Zucker,
ebenso wie in dem eigentlich ganz gesund
aussehenden Müsli. Und die Bio-Vollkornkekse
enthalten zu viele gesättigte Fettsäuren. Und
diese Liste könnte man beliebig fortsetzen.
Es wäre zu einfach, mit dem Finger auf die
Industrie zu zeigen und zu sagen: Lasst uns
ungesunde Lebensmittel verbieten oder hoch
besteuern. Das würde nur den Ersatzkonsum
fördern und gleichzeitig Innovationen und einen
fairen Wettbewerb behindern.
Ich meine sowieso, dass die Suche nach einem
Schuldigen überhaupt nichts bringt. Ich glaube,
wir sollten unsere Kräfte bündeln und gemeinsam
an der Verbesserung unserer Produkte arbeiten.
Wir sollten die Wahlfreiheit der Verbraucher
respektieren und zugleich versuchen, ihnen die
Entscheidung für gesündere Lebensmittel
leichtzumachen. Im Interesse all derer, die
gesund leben wollen. Mehr noch: wir sollten einen
gesunden Lebensstil zum Standard machen. Vor
allem für unsere Kinder!
Die Lebensmittelindustrie, Catering-Unternehmen,
Restaurants, Kantinen, Supermärkte und andere
Lebensmittellieferanten sind in diesem
Zusammenhang die entscheidenden Akteure. Sie
spielen eine maßgebliche Rolle. Nicht nur für die
öffentliche Gesundheit. Nicht nur im Sinne einer
gesellschaftlichen Verantwortung. Sondern auch
im Hinblick auf ihre eigene Zukunft.
Lebensstilbedingte Erkrankungen sind ein globales
Problem, von dem auch aufstrebende
Volkswirtschaften betroffen sind. Die Herstellung
von Lebensmitteln, die sowohl schmackhaft als
auch gesund sind, bietet Unternehmen einen
weltweiten Geschäftsvorteil.
Heute ist die Gelegenheit, über unsere
gemeinsamen Herausforderungen und über
mögliche Lösungen zu sprechen, und zusammen
einen Aktionsfahrplan zu erarbeiten. Heute ist die
Gelegenheit, Schluss zu machen mit
Schuldzuweisungen.
Lassen Sie uns also diesen nächsten Schritt –
oder besser: diesen Riesensatz – machen. Nicht
zurück, in Richtung einer verklärten
Vergangenheit, sondern vorwärts, auf dem Weg in
eine gesunde Zukunft für unsere Kinder und für
uns selbst.
Ich danke Ihnen.
Übrigens habe ich es nicht vergessen: Bevor ich
unsere nächsten Redner ankündige, möchte ich –
auch im Namen von Landwirtschaftsminister
Martijn van Dam – EU-Kommissar Andriukaitis,
den schwedischen Minister für den ländlichen
Raum Sven Bucht sowie den maltesischen
Staatssekretär für Gesundheit Chris Fearne
herzlich begrüßen. Vielen Dank, dass Sie heute
bei uns sind.
Es freut mich, dass nicht nur Vertreter der
Mitgliedstaaten und der
Weltgesundheitsorganisation, sondern auch von
Unternehmen, Verbänden und
Nichtregierungsorganisationen anwesend sind. Ich
danke Ihnen allen für Ihr Kommen! Und damit
übergebe ich das Wort an einen herausragenden
Unternehmer und einen Innovator auf dem Gebiet
gesunder Lebensmittel. Bitte begrüßen Sie mit
mir Mathieu Robert und Maarten de Jong.