Das weiße Gold glänzt nicht mehr

THEMEN DER ZEIT
ERNÄHRUNG
Das weiße Gold glänzt nicht mehr
Zucker ist eines der ungesundesten Lebensmittel – und landet doch täglich weltweit auf Tellern
und in den Getränken. Um die Produktion sowie den Zuckerkonsum einzudämmen,
führen einige Staaten eine Zuckersteuer ein. Auch in Deutschland wird darüber diskutiert.
as einst nur Adligen vorbehalten war, ist heute in der
modernen Welt billiger denn je: Zucker hat bei vielen Menschen unbemerkt eine dominante Rolle auf
dem Speiseplan eingenommen. Um
den gesundheitsschädlichen Verzehr einzudämmen, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt
einen eindringlichen Appell veröffentlicht und von allen Staaten gefordert, eine Steuer auf Zucker von
mindestens 20 Prozent einzuführen.
Die WHO empfiehlt, nur fünf Prozent der täglichen Kalorienzufuhr
in Form von Zucker zu sich zu nehmen – in Deutschland sind es beispielsweise aber rund 15 Prozent.
Steuern auf zuckerhaltige Lebensmittel haben einige Länder bereits
eingeführt – mit unterschiedlichem
Erfolg: In Mexiko wurden im ersten
Jahr nach den Steuern auf zuckerhaltige Softdrinks rund sechs Prozent
weniger davon verkauft. In Ungarn,
Frankreich und Finnland werden ähnliche Steuern auf süße Lebensmittel
erhoben. In Großbritannien sollen
Hersteller ab 2018 zahlen. Auswirkungen, ob Menschen seltener einen
Diabetes oder andere Krankheiten
entwickelt haben, lassen sich in den
jeweiligen Staaten noch nicht feststellen. Auch in Deutschland gab bis
1993 eine Zuckersteuer. Dabei war
Gesundheit weder der Grund für die
Einführung noch für die Abschaffung: Bei Einführung im Jahr 1841
sollte die heimische Zuckerrübe geschützt, bei der Abschaffung die
Foto: 123RF, Fotolia/nexusby [m]
W
Wettbewerbsverszerrungen auf dem
EU-Binnenmarkt beendet werden.
Eine Debatte in Deutschland versuchen Ärzteverbände und Verbraucherschutzorganisationen regelmäßig in Gang zu setzen – ein Thema,
das in der Bevölkerung unbeliebt
ist: Laut einer Umfrage vom September 2016 lehnen 51 Prozent eine
Steuer ab, 40 Prozent wären dafür.
Deutschland zählt mit mehr als 80
Litern pro Jahr zu den Ländern
mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an zuckergesüßten Getränken.
Knapp 60 Prozent der zuckerhaltigen Getränke enthalten laut einer
Studie der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch mehr als fünf Prozent Zucker. In 171 der 463 untersuchten Produkte stecken mehr als
acht Prozent Zucker. Foodwatch for-
Eine Zuckersteuer gibt es in Europa in Ungarn, Frankreich und Finnland. Neben 33 US-Bundesstaaten hat auch Mexiko 2014 die Steuer eingeführt. Die
Preissteigerungen von zehn Prozent bedeuteten eine Minderung des Konsums
um sechs Prozent. In Großbritannien soll die Steuer 2018 als Hersteller-Abgabe
eingeführt werden, Schulsport und -frühstück sollen damit finanziert werden.
A 1918
dert daher eine „zweckgebundene
Hersteller-Abgabe“ ähnlich wie in
Großbritannien. Der Präsident der
Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.
Frank Ulrich Montgomery, verlangte mit Blick auf die Studie eine bessere Kennzeichnung ungesunder Lebensmittel. Die Deutsche Diabetesgesellschaft sieht eine Steuer als Teil
von Prävention: „Dazu gehört eine
Steuer auf Lebensmittel mit hohem
Zucker-, Fett- und Salzanteil, während gesunde Lebensmittel steuerlich entlastet werden sollten“, heißt
es in einer Mitteilung. Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat sich der Zuckersteuerforderung angeschlossen.
Einen anderen Weg schlägt Dr.
phil. Albrecht Kloepfer, Geschäftsführer des Berliner Instituts für Gesundheitssystem-Entwicklung, vor:
„Statt einer Steuer, deren Erlöse möglicherweise in andere staatliche Bereiche fließt, sollte es in Deutschland eine direkte Abgabe auf gesundheitsschädliche Produkte in den Gesundheitsfonds geben,“ sagt Kloepfer. Aus
seiner Sicht könne das Geld so zur
Behandlung von Patienten mit entsprechenden Krankheiten an Krankenkassen weitergeleitet werden.
Die Forderungen verhallen aber in
der Politik: Der zuständige Bundeslandwirtschaftsminister Christian
Schmidt (CSU) sieht Steuern oder
Abgaben auf Lebensmittel als „nicht
zielführend“ an, sagt sein Sprecher
▄
seit Monaten regelmäßig.
Rebecca Beerheide
In Dänemark wurde 2011 eine Steuer auf fetthaltige Lebensmittel eingeführt.
Heftige Proteste sowie koalitionsinterner Streit besiegelten ihr Ende im Jahr
2013. In Finnland verlangt der Staat seit den 1940er Jahren eine Abgabe auf Erfrischungsgetränke, seit 2011 gibt es zudem eine Abgabe von 95 Cent pro Kilogramm auf Süßigkeiten, nicht aber auf Kekse. Die Steuer läuft Ende 2016 aus.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 43 | 28. Oktober 2016