Frédérick Leboyer - Atmen, singen, gebären

Inhalt
Vorwort von Marta Campiotti . . . . . . . . .
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Teil 1
An Lisa, die ein Kind erwartet . . . . . . . .
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An Lisa – Brief von Frédérick Leboyer . . . . . .
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Briefe von Frauen . . . . . .
Zen in der Kunst des Gebärens
Weheneinleitung . . . . . . .
Kaiserschnitt . . . . . . . . .
Das Wunder der Geburt . . .
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29
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Teil 2
Die Kunst des Atmens und Singens . . . . .
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Die Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
Das Singen des Tons
A. . . . . . . . . . .
E. . . . . . . . . . .
O . . . . . . . . . .
I . . . . . . . . . . .
U . . . . . . . . . .
M . . . . . . . . . .
Zu den Übungen . . .
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zum Gebrauch der CD . . . . . . . . . . . . .
Während der Schwangerschaft . . . . . . . . . .
Während der Wehen . . . . . . . . . . . . . . .
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115
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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CD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Lieber Frédérick,
wie Du ja weißt, hat mich die Lektüre Deines ersten
Buches Geburt ohne Gewalt vor mehr als fünfundzwanzig Jahren in meinem tiefsten Inneren getroffen. Sie war
entscheidend für meinen beruflichen Werdegang und
für mein Leben. Ich war ganz sicher, dass ich Hebamme
werden wollte, um auf diese Weise als Frau den Frauen
zu helfen.
Heute wende ich mich erneut an Dich, da mein
Berufsalltag inzwischen so entmutigend ist. Alle Frauen,
und ich meine tatsächlich alle, wollen nichts mehr
davon hören, ohne Periduralanästhesie zu entbinden.
Aber sie versäumen damit nicht nur die größte und
wichtigste Erfahrung im Leben einer Frau, sondern sie
machen sich auch keine Vorstellung davon, welche überaus schädlichen Nebenwirkungen ein solcher Eingriff
hat. Im Übrigen hütet man sich, sie darüber aufzuklären.
Du sagst, dass Du gerade dabei bist, ein neues Buch
zu schreiben, welches den Frauen zeigt, wie sie aus
ihrer Entbindung den schönsten, den herrlichsten Tag
ihres Lebens machen können, ein Buch, das zusätzlich
die Aussagen von zahlreichen Frauen enthält, die das
Glück hatten, den anderen Weg des Gebärens zu wählen.
Nie wurde ein solches Buch dringender benötigt. Wann
wird es veröffentlicht? Und wann ins Italienische übersetzt?
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Sei im Voraus in meinem Namen und im Namen aller
Frauen bedankt für all Deine Mühe.
Varese 2004
Marta Campiotti
Vorsitzende der
Associazione Nazionale Ostetriche
Parto a Domicilio e Casa Maternità
(Nationale Hebammenvereinigung für
Hausgeburten und Geburtshäuser, Italien)
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Teil 1
An Lisa, die ein Kind erwartet
Wenn wir geboren werden,
weinen wir,
weil wir in ein
solches Irrenhaus geraten sind.
shakespeare
An Lisa – Brief von Frédérick Leboyer
Liebe Lisa,
danke für Deinen schönen Brief, in dem Du mir mitteilst,
dass Du ein Kind erwartest. Ich beglückwünsche Dich
dazu!
Du erzählst mir außerdem, dass Dir eine Freundin zu
diesem Anlass mein erstes Buch Geburt ohne Gewalt
zum Lesen gab und Du nach dieser Lektüre ganz erfüllt
und voller Begeisterung ausriefst: »Ja! Genau so möchte
ich entbunden werden!« Und dann fragst Du mich nach
der Adresse eines Krankenhauses, einer Geburtsklinik,
nach dem Namen eines Arztes oder einer Hebamme, die
diese Methode anwenden. Ich hoffe, Du bist mir nicht
böse, wenn ich Dir sage, dass ich bezweifle, ob Du mich
richtig gelesen und richtig verstanden hast. Anstatt Dir
diese Namen, diese Adressen zu geben, möchte ich Dir
lieber meine Hilfe anbieten und Dir zeigen, inwiefern
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Du mich missverstanden hast. Lass mich das näher erklären.
Du hast da etwas durcheinander gebracht, aber das
ist nicht allein Deine Schuld. Die Niederkunft ist eine
ambivalente Sache. Es ist wie bei einer Medaille oder
einer Münze, die ein einziger Gegenstand ist, der aber
zwei Seiten hat. Lass mich auch das erklären.
Am Ende ihrer Schwangerschaft hat eine Frau Wehen
und bringt schließlich ein Kind zur Welt. Der Begriff
dafür ist »Entbindung«. Was das Kind anbetrifft, so sagt
man: »Es kommt auf die Welt«. Das heißt, es wird »geboren« – wie Du siehst, ein doppelt außergewöhnliches
Erlebnis: Da ist das Erlebnis der Frau, die ein Kind auf die
Welt bringt. Und dann, ja, dann ist da das Erlebnis des
Kindes, welches die Gebärmutter verlässt und sich in
eine Welt hineingeworfen sieht, die so anders ist, dass es
sich von diesem Schock niemals erholen wird.
Denn schau mal, obwohl man weiß, dass die Entbindung für eine Frau vielleicht eine der schmerzvollsten
Erfahrungen im Leben sein kann, hat sich vor dem Erscheinen meines Buches Geburt ohne Gewalt nie jemand
gefragt, ob Geboren-Werden für ein Kind nicht genauso
schmerzhaft, so entsetzlich sein könnte wie die Entbindung für seine Mutter. Aber ja, entgegen der früher
üblichen Vorstellung »erlebt« das Kind seine Geburt,
seine Ankunft in die Welt; es verfügt »schon« – und das
seit geraumer Zeit – über ein Bewusstsein und über Empfindungen, ja sogar über einen ausgeprägten Sinn für
Gerechtigkeit, sodass es sich fragen muss: »Warum?
Warum denn bloß? Was habe ich denn getan, um so vor
die Tür gesetzt zu werden, um aus diesem Paradies des
mütterlichen Schoßes vertrieben zu werden?« Wurde es
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vor die Tür gesetzt oder hat es vielmehr gespürt, dass
seine Zeit, sich auf den Weg zu machen, gekommen war?
Davon handelt Geburt ohne Gewalt.
Du siehst, es geht nur um das Drama, welches das
Kind erlebt, über das Geboren-Werden, keine Silbe über
das, was man »Entbindung« nennt. Um es mit anderen
Worten auszudrücken: Wenn ein Neugeborenes schon
jemand ist und nicht etwas, in englischer Sprache: wenn
es schon somebody und nicht something ist, also eine
Person und kein Gegenstand, dann ändert sich alles.
Einen Gegenstand fasst man an, hantiert an ihm herum,
ohne besonders rücksichtsvoll zu sein. Mit einer Person,
einem Menschen geht man ganz anders um. Man schuldet ihm Achtung.
Auf Deutsch gibt es eine schöne Redewendung, die
sehr gut ausdrückt, worum es geht: Eine Frau sagt nicht,
dass sie ein Kind »gehabt hat«, sondern dass sie ein »Kind
bekommen hat«. Wie man ein Geschenk bekommt oder
Besuch. Und was für einen Besuch! Einen Prinzen!
Also noch einmal: in meinem Buch Geburt ohne
Gewalt geht es nur um das Erleben des Kindes. Kein
Wort über das, was die Frau während der Entbindung
erlebt. Manche Frauen waren richtig verärgert. »Dieser
Leboyer«, sagten sie, »kümmert sich nur um das Kind,
unser Leiden ist ihm völlig gleichgültig.«
Natürlich ist mir das überhaupt nicht gleichgültig!
Wenn ich in Geburt ohne Gewalt nicht darüber spreche,
gibt es dafür zwei Gründe: Erstens war ich so fasziniert,
war derart in Anspruch genommen von – wenn ich das
so sagen darf – »meiner Entdeckung«. Ich hatte nämlich
erkannt, dass Geboren-Werden für das Kind schrecklich
und grausam ist, und ich musste herausfinden, wie die13
ses neu angekommene Baby, das doch vor Freude strahlen sollte, weil es nicht mehr in seinem Gefängnis sitzt,
sich von seiner eigenen Verstörtheit erholen kann. Es
sollte außer sich sein vor Freude, anstatt bei seiner Ankunft in unserer Welt vor lauter Angst und Schrecken loszubrüllen. Es war eine so fantastische Entdeckung, dass
ich sie einfach damit vergleichen musste, wie es war, als
ein Mensch zum ersten Mal ein Samenkorn in die Erde
legte und es zum Wachsen brachte. Dieser Mensch hatte
den Ackerbau entdeckt, während ich gerade dabei war,
eine Geburt ohne Leiden für das Kind, eine Geburt in
Freude zu entdecken.
Der andere Grund, der dazu führte, dass ich nichts über
den Schmerz der Frau sagte und darüber, wie man ihn ihr
ersparen konnte, war, dass ich zu der Zeit absolut nichts
darüber wusste. Außerdem glaubte ich (doch wie hatte ich
mich geirrt!), dass die Lösung bereits von denjenigen gefunden worden war, die das propagierten, was sie mit dem
verlogenen Begriff »schmerzfreie Geburt« bezeichneten,
mit dem man die Frauen glauben machen wollte, es sei
möglich zu entbinden, ohne etwas zu spüren. Dabei ist
eine Entbindung wie … ein Erdbeben, eine Sturmflut,
ein Wirbelsturm. Sie kann ein mitreißendes Abenteuer für
diejenige werden, die das Steuer zu halten versteht.
Das heißt, es ist zwar für eine Frau nicht möglich zu
entbinden, ohne etwas zu spüren, aber das, was sie spürt,
kann für sie eine große Freude sein. Bevor ich mehr zu
diesem Thema sage, welches der eigentliche Zweck dieses Buches hier ist, schauen wir noch einmal zurück,
ich meine, zurück zu den falschen Vorstellungen, die Du
Dir, wie so viele Frauen, bezüglich Deiner Entbindung
machst.
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