Ver-rückt Wort zum Osterfest 2016 mag sein daß ich nie recht begriff was geboren-sein heißt mag sein daß ich warte auf verlorenem posten mag sein daß verrückt ist wer noch immer rechnet mit wundern verrückt wie die frauen die in der gruft eines toten entdeckten die neue geburt Diese Zeilen des Dichters Kurt Marti beleuchten die Osterbotschaft, die Auferstehung Jesu von den Toten. Und doch setzt der Dichter nicht von ungefähr mit dem Thema Geburt ein. Er will sagen: Wer eine Geburt nicht als Wunder zu sehen vermag, hat keine Chance zu begreifen, was ‚Auferstehung‘ meinen kann. Zwar vollzieht sich in der Geburt eines Menschen oder eines anderen Lebewesens ein natürlicher Prozess, der wie ein festgelegtes Programm wirkt – eine Art Automatismus. Und doch ist es ein nicht ableitbares Wunder, dass überhaupt Leben existiert. Jedes neue Leben hat Anteil an diesem Wunder. Die Sprache des Glaubens nennt das Schöpfung. Sie ist nicht allein Bezeichnung für einen Ur-Anfang, sondern geschieht immer wieder neu in jeder Geburt. Es ist ein bisschen verrückt, die Dinge so zu sehen, sagt Marti – ver-rückt in des Wortes eigentlichem Sinn: abgerückt von der gewohnten, gängigen Perspektive. Die übliche Perspektive auf die Dinge möchte Gott da heraushalten und so tun, als wäre alles, was es um uns herum gibt, eine Selbstverständlichkeit. Leben aber ist nicht selbstverständlich, sondern – so sagt der Glaube – eine Gottesgabe. Wer das Geheimnis von Ostern teilen möchte, muss eine kleine Ver-rücktheit hinzufügen, die Perspektive wechseln, sich die Dinge aus einem anderen Blickwinkel ansehen: Sollte Gott dem Tod das letzte Wort belassen? Wozu hätte er dann überhaupt das Wunder des Lebens geschaffen? Muss Gott denn nicht, um sich selber treu zu bleiben, dem Leben den Sieg über den Tod schenken? Die Frauen, die sich am Ostermorgen auf den Weg machen, hoffen genau darauf. Sie wollen zur Grabeshöhle Jesu, vor die ein Stein gewälzt wurde. Sie wissen: Der Stein ist zu schwer, als dass sie ihn wegwälzen könnten. Und überdies: Der, den sie besuchen wollen, ist doch tot! Als sie am Grab ankommen, ist der Stein beiseite gewälzt. Und das Grab ist leer. Die Erzählung lässt genug Raum für unterschiedliche Deutungen. Schon die Bibel berichtet von den Skeptikern, die sagen: „Na, da hat jemand den Leichnam gestohlen.“ Wer aber bereit ist, die Perspektive zu wechseln, den Blickwinkel zu verrücken, kann zu einer anderen Deutung gelangen: Gott hat ein Wunder getan. Nur eines mehr. Er hat gezeigt, dass er das Leben will und nicht den Tod. Auch für uns. Wenn wir das glauben, haben wir Anteil an der neuen Geburt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Ostern. Thomas Gunkel, Propst in Goslar
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