12.10.2015 Achtsamkeit als Haltung und Methode in der sozialpsychiatrischen Arbeit Freising, 12.10.2015 Dipl.-Psych. Andreas Knuf www.andreas-knuf.de Struktur des Vortrags Allgemeine Einführung: Was ist Achtsamkeit? Achtsamkeit als Methode Schwerpunkte: Gedanken, Gefühle Achtsamkeit als Haltung 1 12.10.2015 Was ist Achtsamkeit? Alltagssprachlich: „Sei achtsam!“, „Gib (Ob)Acht!“, „Sei vorsichtig!“ Achtsamkeit geht über dieses Alltagsverständnis hinaus: Gewahrsein / Gewahrsamkeit Eine Bewegung: Gerade so richtig in! Gegenbewegung zur Reizüberflutung und Beschleunigung in unserer Kultur. Spirituell: Ein 2500 Jahre altes Konzept das dem Buddhismus entstammt Ein Behandlungskonzept: Übungsorientiertes Verfahren, sehr verbreitet im psychosomatischen Bereich, Stressmanagment, sein kurzem auch im Psychiatriebereich Marsha Linehan Begründerin der DBT Selbst Borderline-Betroffene Schülerin von Willigis Jäger 2 12.10.2015 Jon Kabat-Zinn Lernte Zen-Meditation in Asien Entwickelte als Arzt 8-Wochen Achtsamkeitsprogramm Schwerpunkt: Stress Was ist Achtsamkeit? „Bei der Achtsamkeit handelt es sich um eine besondere Lenkung der Aufmerksamkeit auf unser gegenwärtiges Erleben. Dies geschieht: Im Hier- und Jetzt (fast) ohne Bewertung und ohne das Erleben zu verändern.“ (Georg Eifert, USA) 3 12.10.2015 Achtsamkeitsübung Woran erkennen wir, ob wir „achtlos“ sind? Es fällt mir schwer, mit meinen Gedanken bei dem zu bleiben, was momentan geschieht. Ich neige dazu, schnell dahin zu gehen, wohin ich möchte, ohne darauf zu achten, was ich auf dem Weg dorthin erlebe. Ich erledige Aufgaben ganz automatisch, ohne mir bewusst zu sein, was ich tue. Mir fällt auf, wie ich jemandem mit einem Ohr zuhöre, während ich zur selben Zeit etwas anderes tue. Ich steuere Orte „automatisch“ an und frage ich mich dann, warum ich dorthin gegangen bin. (Beispielitems aus der Mindfulness Attention Awareness Scale) 4 12.10.2015 Woran erkennen wir, ob wir achtsam sind? Ich spüre in meinen Körper hinein, sei es beim Essen, Kochen, Putzen, Reden. Ich erlebe Momente innerer Ruhe und Gelassenheit, selbst wenn äußerlich Schmerzen und Unruhe da sind. Ich merke, dass ich nicht auf alles reagieren muß, was mir gerade in den Sinn kommt. Ich beobachte meine Gedanken, ohne mich mit ihnen zu identifizieren. In schwierigen Situationen kann ich innehalten. (Beispielitems aus dem Freiburger Achtsamkeitsfragebogen) Besonderheiten des Achtsamkeitsansatzes Annahmeorientiert statt Änderungsorientiert Vor der Veränderung steht die Annahme! Übungsorientiert statt Einsichtsorientiert Nur durch Training geschieht Veränderung! Normalisierend statt Pathologisierend Was unsere Klienten erleben sind übersteigerte Formen von Empfindungen, die jedem vertraut sind. Ein Konzept für unsere Klienten, aber auch für uns selbst. Wir alle ringen um mehr Achtsamkeit! 5 12.10.2015 Achtsamkeitspraxis Achtsamkeit auf Alltagshandlungen Achtsamkeit auf den Atem Angeleitete Achtsamkeitsübungen Meditation Methoden Seit den 1970er Jahren wurden Programme für verschiedenste Störungsbilder erarbeitet: -> MBSR: Mindfulness based stress reduction (Allgemeiner Stress, psychosomatische Erkrankungen,…) -> MBCT: Mindfulness based cognitive therapy (Depression) -> DBT: Dialektisch behaviorale Therapie (Borderline, weitere Emotionsregulationsstörungen) -> ACT: Acceptance and Commitment Therapy: Verschiedenste Störungsbilder, auch Psychosen -> Abwandlungen für Sucht, Angst, usw. 6 12.10.2015 Achtsamkeit auf die Gedanken Bedeutsam u.a. bei Depressionen, Psychosen, Angststörungen Gedankensuppression / Gedankenveränderung Der Versuch einen Gedanken zu unterdrücken erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er zukünftig auftritt. („White Bear Effekt“, Rosaelefanten-Effekt) Bei psychischen Erkrankungen wird oft versucht einen Gedanken wegzudrücken: U.a. bei Sucht, Zwang, Angst, Psychosen Negative Gedanken sollen durch positive ersetzt werden, beispielsweise bei depressivem Denken. Positives Denken sehr verbreitet, viele Betroffene beschäftigen sich damit. Misslingen führt zu Selbstvorwürfen. Funktioniert nur dann, wenn der neue Gedanke mit den schon vorhandenen Grundüberzeugungen kompatibel ist. 7 12.10.2015 Achtsamkeit der Gedanken Mit Gedanken identifiziert sein, verschmolzen sein, fusioniert sein Grübeln: „Wenn man zum dritten mal an derselben Kreuzung steht, hat man sich verfahren.“ Heimatfilme & Science-Fiction ZIEL: Wahrnehmen und innerlich distanzieren, statt unterdrücken oder verändern. Von der kognitiven Verschmelzung hin zur „metakognitiven Bewußtheit“ „Gedanken sind Gedanken und keine Tatsachen.“ Beispiel Psychosen Fusioniert mit Wahngedanken: „Die anderen wollen mir was.“ „Ich bin Jesus Christus.“ „Die Stimme sagt mir, ich darf mit niemandem sprechen.“ Das Problem bei Psychosen sind nicht die Wahngedanken oder die Stimmen, sondern die Verschmelzung damit, aus der dann die Handlungsimpulse entstehen. Niemand landet in der Psychiatrie weil er eine Stimme hört, sondern weil er ihr folgt! 8 12.10.2015 Beispiel Angststörungen Fusioniert mit Gedanken: „Ich halte das nicht aus.“ „Ich werde ohnmächtig“ „Ich werde verrückt!“ „Ich schaffe das nicht.“ Handlungsimpuls: Flucht, Rückzug Implizite Bestätigung der falschen Grundannahmen: „Wenn ich nicht gegangen wäre, wäre ich bestimmt ohnmächtig geworden.“ Innerer Beobachter Jene Instanz in uns, die wahrnimmt was geschieht Wir beobachten uns selbst ständig, tun das aber meistens mit einer kritisch-beurteilenden Haltung. Daher sind die Qualitäten des inneren Beobachters wichtig: ->annehmend ->absichtslos ->offen für alles ->beobachtend und empfindend! 9 12.10.2015 Innerer Beobachter: Beispiele Psychiatrie Psychoseklienten bemerken Frühwarnzeichen Traumaklienten können beginnende Dissoziationen erkennen Depressive Klienten nehmen Grübelspiralen und negative Gedanken wahr. Fachpersonen: Reflektion des eigenen Handelns, Handlungsalternativen analysieren, Übertragungsund Gegenübertragungsprozesse wahrnehmen. Achtsamkeit auf die Gefühle Bedeutsam u.a. bei BorderlinePersönlichkeitsstörung, Angststörungen 10 12.10.2015 Unachtsamkeit der Gefühle Wir versuchen unangenehme Gefühle zu vermeiden und angenehme zu vermehren „Fühl dich gut!“-Kultur, statt „Gut fühlen!“-Kultur Emotionssuppression führt nicht zum Verschwinden des Gefühls, benötigt aber viel Energie und kann die Intensität des Gefühls sogar noch erhöhen Erhöht das Risiko für psychische Erkrankungen, Beispiele: Sucht, Depression Ziel: Achtsamkeit der Gefühle „Ich bin nicht (nur) ein Gefühl, sondern ich habe ein Gefühl.“ oder: „Ich bin mehr als mein Gefühl.“ Besseres „Containing“, bessere Affektregulation, mehr Erlebnisbereitschaft Gefühle als Welle erleben, die kommt, einen Höhepunkt hat und wieder abebbt Nicht frei von Gefühlen, sondern frei in Gefühlen 11 12.10.2015 Achtsamkeit der Gefühle WAS-Fertigkeit (Knuf, 2013): Wahrnehmen Annehmen Still damit sein (Nichts damit tun) RAIN-Fertigkeit (Brach, 2014): Recognize (Erkennen) Accept (Annehmen) Investigat (Untersuchen, Erkunden) Non-Identification (Nicht-Identifikation) Achtsamkeit der Gefühle: Herausforderungen Manche Klienten (z.B. Borderlinebetroffene) haben zu wenige Regulationsfähigkeiten: CAVE! Regulieren vor Aktivieren: Skills vermitteln Viele Klienten (z.B. Psychoseklienten) sind überreguliert, haben schlechten Zugang zu ihren Gefühlen, brauchen zunächst sensible Unterstützung 12 12.10.2015 Achtsame Haltung Achtsame Haltung: Was ist überhaupt eine Haltung? „Pseudohaltung“: Eine vorgegebene „Haltung“, wie sie sich beispielsweise in einem Leitbild findet. Eine an Werten orientierte innere Ausrichtung Unterschied WERT – ZIEL ZIEL kann erreicht werden: „Ich bin heute Nachmittag in Bremen angekommen.“ WERT kann man sich nur annähern: „Ich möchte präsent in der Begegnung mit meinen Klienten sein.“ Haltungs-Kultur innerhalb eines Teams, einer Institution und eines Behandlungsverbunds 13 12.10.2015 Elemente einer achtsamen Haltung Gegenwärtig sein, präsent sein Annehmend sein Mitgefühl aufbringen Sein-Modus Offenheit/Anfängergeist www.andreas-knuf.de www.achtsamkeit-beratung.de 14
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