Nr. 4 / November 2015 Zeitung für die Spenderinnen und Spender von Pro Infirmis Es grenzt an ein Wunder SH Schaffhausen Rheinfelden Basel Frauenfeld Pratteln 8 Fragen an... Delémont News aus den Kantonen Olten SO JU Langenthal Solothurn LU Biel/Bienne La Chaux-de-Fonds Neuchâtel NE VD Prilly Burgdorf Fribourg BE Thun FR Lausanne Luzern Sarnen OW Zihlschlacht St. Gallen AR Wattwil AI Appenzell Pfäffikon SG Zug ZG NW TG Winterthur Herisau Stans Bern Yverdon-les-Bains ZH Aarau Zürich AG Amriswil Unterwegs in Vietnam mit Andreas Pröve Baden SZ Glarus Brunnen Sargans GL Chur Altdorf UR Ilanz GR Samedan 2 Editorial Liebe Spenderin Lieber Spender Ein unsichtbares Band scheint zwischen Stephens Mutter und ihrem aufgeweckten, kleinen Jungen zu bestehen. Und dies seit Anbeginn der Schwangerschaft. Obwohl die Mutter diese zuerst nicht bemerkte. Zu hektisch war ihr Alltag, mit Arbeiten, starken körperlichen Beschwerden (Nierenprobleme und Bluthochdruck) und dem möglichen Anfang einer frühen Menopause. Mit all diesen Problemen, blieb die Schwangerschaft für einige Monate unentdeckt. Unerwartete Schwangerschaft, die Mutter mit Nierenleiden. Viele Tests wurden gemacht, es stand im Raum, das Kind abtreiben zu müssen, da es nicht genug Nahrungszufuhr über die Plazenta bekam. Fragen, die nach einer schnellen Antwort verlangten. Die Mutter war verzweifelt, wusste nicht wohin mit ihren Fragen, Ängsten und Sorgen. Halt fand sie und findet sie noch heute im stillen Gebet in der Kirche. Wird das Kind behindert sein? Wie schaffe ich das, als alleinerziehende Mutter, die immer gearbeitet hat, mein Kind und mich durchzubringen? Umso grösser war dann der Schock, als klar wurde, dass sie schwanger war. Sie machte sich Sorgen, weil sie doch wegen ihres Nierenleidens und gegen den Bluthochdruck starke Medikamente nehmen musste. War das Ungeborene gesund? Es war eine belastende Zeit und eine Achterbahn der Gefühle, durch die die damals 47-Jährige ging. Wie schwierig diese Zeit war, lässt sich nur aus der bildreichen Erzäh lung der Mutter erahnen. Denn wenn Stephen mit einem strahlenden Lächeln und glucksenden Lauten angekrochen kommt, merkt man zwar, dass er für einen Eineinhalb jährigen in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist, doch Mutter und Sohn strahlen soviel Wärme und Herzlichkeit aus, dass leicht vergessen werden könnte, welch Wunder es überhaupt ist, dass der Kleine lebt. Jacqueline Brunner Redaktion aktuell Jeder noch so kleine Schritt ist ein Zeichen fürs Stephens unbändigen Überlebenswillen 3 Wird Stephen überleben? «Es war ein Schock, als klar wurde, dass ich schwanger bin. Wird mein Kind behindert sein? Doch das Schlimmste kam noch. Denn ich musste mich für oder gegen mein Kind entscheiden.» Es ist der Mutter noch heute anzumerken, wie schwierig und aufwühlend diese Zeit war. Die Ärzte drängten zu einer Antwort. Es war ein Hin und Her, einmal für, dann wieder gegen das Kind. Aber immer war da diese tiefe, innere Verbundenheit zu ihrem Ungeborenen, mit dem sie ununterbrochen sprach. Dann die ärztliche Empfehlung: Wir lassen das Kind entscheiden, ob es überlebt. Die Mutter stimmte zu, doch dann stieg wieder die Angst in ihr auf: Was passiert, wenn das Kind in meinem Bauch stirbt. So entschieden die Ärzte und die Mutter nach einem schwierigen Wochenende, das Kind mit Kaiserschnitt zu holen. All dies geschah innerhalb eines Monats. Im März letzten Jahres kam der Kleine in der 26. Woche auf die Welt – 410 Gramm Unter fachkundiger Aufsicht wird die Magensonde versorgt leicht und 27 cm klein. Es grenzte an ein Wunder, dass Stephen überhaupt lebte. «Sein Schreien hörte sich an, als würde ein Mäuschen piepsen, so winzig und zerbrechlich war er. Ich hatte Angst, wenn ich ihn halte und einschlafe, dass ich ihn zerdrücken würde.» Die Mutter staunt noch heute, wenn sie von dieser Anfangszeit erzählt. Doch Stephen wollte leben. Insgesamt 6 Monate verbrachte der Kleine im Spital. Die Mutter war jeden Tag dort, stundenlang trug sie ihn an ihrer Brust herum. Auch während einer Infektion, als das Leben von Stephen an einem seidenen Faden hing und die Ärzte ihm kaum noch Überlebenschancen gaben, redete sie unentwegt mit ihrem Baby: «Schätzeli, du schaffst das schon, du kannst das. Wir schaffen das zusammen.» Der Kleine hatte zu viel CO2 im Blut und er musste, sobald er wach wurde, ein Medikament nehmen und dann wieder sediert werden. So ging es über eine Woche, bis Stephen über dem Berg war. Die Mutter wich nicht von seiner Seite. Der kleine Kämpfer hatte überlebt. Wieder einmal! Die Mutter ist glücklich und strahlt übers ganze Gesicht, wenn sie heute ihren tapferen Jungen ansieht. Magensonde bringt Linderung Als sie nach einem halben Jahr mit Stephen nach Hause gehen konnte, ahnte sie noch nicht, dass es noch schwieriger werden sollte. Am Anfang ass er noch ein bisschen, doch dann nichts mehr. Durch das Trauma seiner Geburt (er wurde intubiert) reagierte er überempfindlich auf jede Berührung im Gesicht und am Mund. Er nahm kein Essen und Trinken mehr zu sich, jeder Tag war ein Kampf. Auch mit der Nasensonde, die er seit Geburt hatte, wurde es immer schwieriger. «Die Sonde ist wie ein Fremdkörper im Hals und stört zusätzlich. So entschied man sich, eine Magenson- Wo Pro Infirmis hilft Dank Spenden erhalten Stephen und seine Mutter wertvolle Hilfe: •B eratung und Finanzierung der Entlastung in Form von Betreuung von Stephen • Case Management für die Koordination und Vernetzung des medizinisch-therapeutischen Netzwerkes • Persönliche Unterstützung und Begleitung bei der Wiedereingliederung an den Arbeitsplatz • Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche abklären Was Mutterliebe alles bewirken kann, ist an Stephens Entwicklung zu sehen. 4 In Kürze Als Intubation wird das Einführen eines Tubus (einer Hohlsonde) in eine natürliche Körperhöhle oder ein Hohlorgan bezeichnet. Meist wird der Begriff im Sinne des Einführens eines Tubus über Mund oder Nase zur Beatmung genutzt. Cerebralparese oder Cerebrale Lähmungen Cerebralparese heisst eigentlich unvollständige Gehirnlähmung (cerebral = im Gehirn; Parese = unvollständige Lähmung). Natürlich ist nicht das Gehirn gelähmt, sondern es liegt eine bleibende Fehlfunktion einiger Gehirnzellen vor. Das kindliche Gehirn wurde in den frühen Entwicklungsphasen geschädigt. Bei dieser Erkrankung sind die haltungs- und bewegungssteuernden Zentren des Gehirns betroffen. Daher kommt es zu mannigfaltigen Störungen der normalen motorischen Entwicklung. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, ihre Muskeln kontrolliert zu bewegen (Tonusstörungen der Muskulatur, Haltungsanomalien, Koordinationsstörungen und unkontrollierte Bewegungsabläufe). Der Ausprägungsgrad und das Auftreten weiterer Begleiterkrankungen sind vom Ausmass und Ort der Gehirnschädigung abhängig. Dass Stephen aufrecht sitzen kann, hätte vor ein paar Monaten noch niemand zu hoffen gewagt. de einzusetzen.» Die Mutter erzählt ruhig von dieser nicht einfachen Zeit. «Jeden Tag muss man die Magensonde pflegen und damit Nahrung geben. Mit Stephens angeborener Missbildung des Kehlkopfes und der Luftröhre gab es immer wieder Momente, die schwierig waren. Aber ich möchte nicht klagen, denn es gab so viele hilfsbereite Menschen, die da waren.» Finanzielle Hilfe «Die Mütterberaterin machte mich auf Pro Infirmis aufmerksam, als mir alles über den Kopf zu wachsen drohte und ich merkte, ich kann dies nicht mehr alleine meistern. Mit all den Papieren - ich wusste nicht mehr weiter.» Die Sozialarbeiterin von Pro Infirmis stellte dann fest, dass noch genau drei Tage Zeit blieben, um den IV-Antrag zu stellen, da sonst die Frist abgelaufen und die Rechnungen nicht bezahlt worden wären. Das wäre verheerend gewesen, denn auch wenn die Mutter fast 100 Prozent arbeitet, ist das Gehalt nicht hoch und die Kosten für die Ernährung und alle anderen Massnahmen sind teuer. «Ich weiss nicht, was ohne Pro Infirmis mit uns passiert wäre. Ich war so verzweifelt. Und meine Sozialarbeiterin hat mein Leben wieder geregelt. Wir haben finanzielle Unter- stützung bekommen und sie half mir mit den Papieren, denn alles war so kompliziert.» Die Dankbarkeit und Freude über die neue Grundlage ist spürbar, wenn die Mutter davon erzählt. Auch wie erleichtert sie war, dass Pro Infirmis sie bei den Gesprächen mit ihrer Arbeitgeberin unterstützte. «Seit bald 20 Jahren arbeite ich in einem Altersheim und wir mussten herausfinden, wie es mit meinem Pensum weiter geht. Frau S., meine Sozialarbeiterin, begleitete mich bei den Gesprächen und half mir zu verstehen. Vielleicht kann ich etwas weniger arbeiten und mit der Unterstützung von Pro Infirmis sollte es gehen.» Die Zeit zuhause wäre wichtig, denn Stephen hat eine leichte cerebrale Bewegungsstörung, die zusammen mit seinen anderen Behinderungen nötig machen, dass er regelmässig in Therapien geht. Die Logopädin kommt wöchentlich zu Besuch, auch die Kinderspitex hilft. Ein gutes Netz von Betreuungspersonen und die Unterstützung ihres 22-jährigen Neffen, der mit grossem Verantwortungsgefühl nach seinem Cousin schaut, helfen, den Alltag zu meistern. Dies alles ermöglicht dem kleinen Kämpfer Stephen ein Aufwachsen unter den bestmöglichen Bedingungen. Und das starke Band zwischen Mutter und Sohn hat bis jetzt jedem Sturm standgehalten und wird es auch weiterhin. 5 8 Fragen an... Rita Roos-Niedermann wohnt in Lichtensteig, Toggenburg Direktorin von Pro Infirmis seit 10 Jahren verheiratet Roos a t i R Warum arbeiten Sie bei Pro Infirmis und seit wann? Als Rechtsanwältin war ich oft mit Fragen von Menschen mit einer Behinderung konfrontiert und als Kantonsrätin engagierte ich mich u.a. bei der Revision des Baugesetzes für mehr Zugänglichkeit. In einer Weiterbildungszeit in den USA erlebte ich bei der Benutzung von Bus und Bahn, was es bedeutet, wenn Gleichstellung umgesetzt ist. So warten dort die Fahrgäste eines vollbesetzten Busses geduldig und ohne Murren, bis ein Kriegsveteran mit seinem Elektrorollstuhl seinen Platz eingenommen hat. Seit 38 Jahren erlebe ich mit meiner querschnittgelähmten Schwester im Alltag, wie beschwerlich ein autonomes Leben in der Schweiz immer noch ist. Durch meine Arbeit bei Pro Infirmis kann ich, wenn auch indirekt, wesentlich dazu beitragen, dass Menschen mit einer Behinderung kompetente Unterstützung darin erhalten, ihr Leben selbständig und nach ihrer Wahl zu gestalten. llen Gästen ein «Happy Birthday» an. Lea war ganz glücka lich und strahlte. Das war sehr ergreifend. Was machen Sie bei Pro Infirmis? Als Direktorin habe ich die oberste operative Leitung und Verantwortung für rund 1‘600 Mitarbeitende. Ich führe meine 5 Kollegen der Geschäftsleitung und koordiniere die Arbeit unserer verschiedenen Bereiche. Zusätzlich sind mir die Direktionsassistentin, zwei Fachassistentinnen und der Personalbereich unterstellt. Wichtig ist mir, dass im Zentrum immer die Menschen mit Behinderung stehen. Die nächsten Ferien, wohin geht es da? Ins Engadin, nach Sils Maria. Was war Ihr schönstes Erlebnis bei Pro Infirmis? Das war die Taufe der SBB-Lokomotive, zusammen mit der kleinen Lea, einem behinderten Mädchen, das mit seinem Vater auf einer unserer Plakatkampagnen zu sehen war. Lea hatte an diesem Tag zufällig ihren 3. Geburtstag. Ich nahm sie auf den Arm, um die Lok mit Leas Foto und unserem Logo zu «taufen» und stimmte auf dem Perron mit Was war Ihr traurigstes Erlebnis bei Pro Infirmis? Die Nachricht vom plötzlichen Tod des erst 50-jährigen Kantonalen Geschäftsleiters von Pro Infirmis Solothurn. Was sind Ihre Hobbys? Mein Hund Isa, eine 12-jährige Entlebucher Sennenhündin mit einer Geburtsbehinderung an der rechten Vorderpfote. Sie ist sehr lebhaft und hat Persönlichkeit. Isa ist clever, geniesst das Schwimmen und und hält meinen Mann und mich auf Trab. Ich lese gerne, liebe Filme, Musik, ein feines Essen, gekocht von meinem Mann. Zum Hobby geworden sind meine Begegnungen und Gespräche mit unterschiedlichen Menschen auf meiner Zugfahrt nach Zürich. So kann ich auch dem täglichen Pendeln viel Positives abgewinnen. Was wünschen Sie sich für diese Welt? Respekt und Wertschätzung für das Leben und die Natur sowie den Schutz der Integrität von Mensch und Tier. Frieden, Verständnis, Toleranz und Anteilnahme. Was möchten Sie unseren Spender/-innen mitteilen? Ihre Empathie und Ihre Grosszügigkeit ermöglicht es uns, jährlich mehr als 20‘000 Menschen mit Behinderung Unterstützung in deren Leben zu bieten. Begegnungen mit Spendern berühren und beeindrucken mich sehr: Viele Menschen, die selber nicht viel besitzen, spenden immer wieder einen Teil ihres Budgets und fühlen, dass auch jeder kleine Beitrag wertvoll ist. 6 In Kürze Pro Infirmis in den Kantonen SH Schaffhausen Rheinfelden Basel Frauenfeld Pratteln Olten SO JU NE VD Prilly VD: WELTMEISTER AM START Aussergewöhnliche Leistungen zeigten die Sportler bei der Paracycling Weltmeisterschaft in Yverdon-les-Bains. Pro Infirmis Vaud unterstützte den Anlass nicht nur mit Sponsoring, sondern auch mit zahlreichen Fans, welche die Athleten anfeuerten. Neun WM-Medaillen für die Schweiz sind ein tolles Ergebnis und beste Voraussetzungen für die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro. BE/SO: KUNST AM FLUSS In der Pro Infirmis-Tagesstätte Gerlafingen arbeiten Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht berufstätig sein können. 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich an der Ausstellung «Kunstfluss» beteiligt. In Attiswil, am Ufer des Dorfbaches, zeigten sie ein Gemeinschaftswerk. Die grosse Installation besteht aus selbst hergestellten Schalen, die das Wasser des Baches auffangen und weitergeben. Ein kreativer und phantasievoller Beitrag! GE BE Sarnen OW Thun NW AI Appenzell Pfäffikon SG ZG Luzern Stans Bern Fribourg St. Gallen Zug LU Burgdorf Neuchâtel Zihlschlacht AR Wattwil AG Biel/Bienne La Chaux-de-Fonds Amriswil Herisau Aarau Zürich Langenthal Solothurn Yverdon-les-Bains ZH Baden Delémont TG Winterthur SZ Glarus Brunnen Sargans GL Chur Altdorf UR Ilanz GR FR Samedan Lausanne Sierre Monthey Genève Martigny Sion Brig TI Bellinzona VS Locarno Kantonale Geschäftsstellen Massagno Beratungsstellen Beratungsstellen von Partnerorganisationen Wohnschulen GR: ERFAHRUNGEN IM ROLLSTUHL Menschen im Rollstuhl und Sehbehinderte treffen im Alltag oft auf bauliche Hindernisse, die kaum oder gar nicht zu überwinden sind. Damit die Öffentlichkeit auf solche Barrieren aufmerksam wird, hat Pro Infirmis Graubünden einen Parcours eingerichtet. Der Mobilitätsparcours besteht aus verschiedenen Hindernissen aus Holz, die beliebig aufgestellt werden können. An Veranstaltungen erleben grosse und kleine Besucher hautnah, wie es sich anfühlt, in Mobilität und Selbständigkeit eingeschränkt zu werden. SG: EIGENE INTERESSEN VERTRETEN Im Lehrgang «Selbstvertretung» lernen Menschen mit einer leichten kognitiven Behinderung, sich selbst für ihre persönlichen und politischen Anliegen einzusetzen. Sie erwerben grundlegende Kenntnisse über das politische System der Schweiz und über die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderung. Das Gelernte im Alltag anzuwenden, gibt Motivation und Mut, die Dinge selbst in die Hand zunehmen und Verantwortung zu tragen. 7 Andreas Pröve Der ganz normale Wahnsinn «Ich fühle ich mich wie der Teil eines gigantischen Fischschwarmes, in dem eine wundersame Harmonie alle Verkehrsregeln ersetzt, gerade so, als hätte Buddha seine Hand im Spiel.» Ich stehe erhöht auf dem Gehsteig mit einem herrlichen Blick auf die grösste Attraktion der Stadt – den Verkehr. Was ich sehe, will nicht in meinen Verstand, ein Paradox, an dem jeder Chaosforscher seine Freude hätte. Es rauscht ein Meer bunt behelmter Geisterfahrer auf Mopeds in allen Richtungen an mir vorbei. Überall sehe ich Kollisionen voraus, höre schon das Krachen von Blech und Plastik, doch nichts passiert. Es muss ein Wunder sein. Oder besitzen diese Menschen ein mir unbekanntes Sinnesorgan, das sie befähigt, sich durch dieses undurchdringliche Gewirr anderer Mopeds zu lenken? Ich bin fasziniert. Grösste Bewunderung habe ich für die Linksabbieger. Sie müssen sehenden Auges in den gegenläufigen Verkehr fahren. Eigentlich Selbstmord. Todesmutige Individualisten kürzen den Kreisverkehr ab und fahren links herum, um sich den scheinbar unsinnigen Umweg zu sparen. Geht gar nichts mehr, muss der Bürgersteig herhalten. Spiegelt sich hier etwa die vietnamesische Mentalität? Wenn es so ist, muss es ein Volk von Querdenkern, Anarchisten und Partisanen sein. Auf Anhieb sympathisch. Nach einer Weile glaube ich hinter den Überlebenstrick der Dschungelkämpfer auf zwei Rädern gekommen zu sein. Es ist der Blickkontakt, er muss es sein. Kommunikation mit den Augen ist das Geheimnis, denn die Hupe wird kaum bemüht und eine Gestik gibt es nicht. Mir ist klar, Hoh-Chi-Minh-City hält für mich seinen Initiationsritus bereit. Ich docke das Handbike vor den Rollstuhl und lege den ersten Gang ein. Eine grosse Herausforderung wartet auf mich, ohne zu ahnen, wie das Spiel ausgeht. Ich fahre den Bürgersteig entlang bis zu einer Absenkung und fädele mich in den Strom ein. Das klappt schon ganz gut. Doch beim Überqueren der Kreuzung kommt es fast zu einer Kollision mit einem Stadtbus. So sehr ich den Blickkontakt mit einem Lächeln suche - und alle lächeln freundlich zurück - ich bewege mich wie ein Fremdkörper in der Masse. Fluchtartig ziehe ich mich zum Trottoir zurück. Offensichtlich fehlt mir eine Zutat, um sicher über die Strasse zu kommen. Es ist wohl das rechte Augenmass für die passende Lücke. Immerzu stürze ich in den Verkehr. Und jedes Mal lerne ich dazu, vor allem, was ich eigentlich längst weiss: Mein Rolli ist genau sechsundfünfzig Zentimeter breit und jede Lücke von sechzig Zentimetern reicht. Dann, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, gehöre ich plötzlich dazu. Linksabbiegen gegen den Verkehr? Kein Problem, wie von selbst tut sich eine Lücke auf. Den Kreisverkehr austricksen? Niemand nimmt mir das übel. Jetzt der Härtetest: bei Rot über die Ampel fahren und in den Querverkehr eintauchen. Es funktioniert. Mehr Infos: www.proeve.com 8 Spenderstimmen: Dank diesen Menschen und Ihnen können wir helfen. «Seit Sommer arbeiten wir an den Weihnachtssternen für Pro Infirmis» Über 20 Leute arbeiteten im Drahtzug während Monaten an den Weihnachtssternen für Pro Infirmis. Es braucht Fingerspitzengefühl, Fertigkeit, Geduld und viel Ausdauer. Für die Mitarbeitenden von Drahtzug und auch für ihre Teamleiter. Der Drahtzug ist ein modernes, soziales Unternehmen mit der Aufgabe, Menschen mit erschwertem Zugang zur Arbeitswelt sozial und wirtschaftlich zu integrieren. Diese Integration geschieht durch eine Mitarbeit bei Produktions- und Dienstleistungsaufträgen, die der Betrieb erhält. Drahtzug bietet über 300 Men- schen Arbeit und Ausbildung, ein Atelier mit Tagesbetreuung und Begleitete Wohnplätze an. Ramin Nassiri (rechtes Bild) ist einer der Teamleiter im Drahtzug, der mit viel Geduld und Humor unterstützt, wo es nötig ist. Ein schneller Kontrollblick, ob alles so ist, wie abgemacht, gehört zur Routine dazu. Und doch wird die Arbeit nie langweilig. Denn auch wenn die Abläufe die gleichen sind, die Menschen, die besondere Unterstützung brauchen, sind jeden Tag anders. Die Betreuer meistern die Aufgabe, auf jeden individuell einzugehen und den Anforderungen der vielen Kunden gerecht zu werden, jeden Tag aufs Neue - zusammen mit den motivierten Mitarbeitenden. Für Pro Infirmis wird jeder Stern mit Geduld gefertigt und verpackt, so dass am Schluss ein schönes Geschenk für die Spenderinnen entsteht. Mehr zum Verein Werkstätte Drahtzug finden Sie auf: www.drahtzug.ch Jacqueline Brunner Sportliche Spende Im Juni dieses Jahres machten sich 585 LäuferInnen vor der historischen Kulisse von Carlisle Castle auf, England von West nach Ost zu durchqueren. Thomas Waldmeier war einer dieser Läufer. Er war im Namen von AVIA unterwegs. Der 111km lange Weg führte die Läuferschar entlang des Hadrians Wall, durch Blumenfelder, über Kuhweiden bis ins Ziel nach Newcastle. Von den 585 Gestarteten erreichten 434 noch innerhalb des 26-Stunden-Zeitlimits das Ziel. Thomas Waldmeier war nach 11 Stunden und 31 Minuten im Ziel, was ihm den 14. Gesamtrang eintrug. Danach hängte er seine AVIA-Laufschuhe an den «Nagel». Im Wissen, dass die AVIA-Mitgliedfirmen zu seinem Abschied aus der AVIA-Familie nochmals gemeinsam angepackt haben und er für Pro Infirmis mehr als 6000 Franken erlaufen hat. Wir danken Thomas Waldmeier ganz herzlich für seinen riesigen Einsatz und seine Grosszügigkeit! Impressum aktuell: Ausgabe 4, November 2015; erscheint 4 x jährlich Redaktion und Verlag: Pro Infirmis, Postfach, 8032 Zürich Tel. 044 388 26 88, Fax 044 388 26 00 www.proinfirmis.ch, [email protected] Jacqueline Brunner (verantwortlich), Stefanie Huber, Ellen Thiele, Gaby Ullrich Fotos: Ursula Meisser, Andreas Pröve Gestaltung: bartók GmbH, Zürich Produktion: Prowema GmbH, Pfäffikon Abo.: Fr. 5.– pro Jahr ist in Ihrer Spende inbegriffen. Postkonto: 80-22222-8
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