Grenzenlos glücklich, absolut furchtlos, immer in Schwierigkeiten“. (D.Sölle) Als er aber die Volksmenge sah, stieg er auf einen Berg; und als er sich setzte, traten seine Jünger zu ihm. Er öffnete seinen Mund, lehrte sie und sprach: Glücklich sind die im Geist Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich. Glücklich sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Glücklich sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde erben. Glücklich sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Glücklich sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Glücklich sind die im Herzen Reinen, denn sie werden Gott sehen. Glücklich sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottessöhne heißen. Glücklich sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihnen gehört das Himmelreich. Mtatthäus 5,2-10 Reformationsfest. Oft hört man dazu den Kommentar: Das lässt sich heute nicht mehr vermitteln. Die bedrängende Frage Luthers „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ das ist nicht mehr unsere Frage. Unsere Frage ist, wie wir hier im Leben glücklich werden. Vergangene Woche war in der Feintechnikschule der Glücksforscher Lothar Wildmann zu hören. Da war der Saal brechend voll. Ähnlich ist es bei den Veranstaltungen von Anselm Grün, den sie den Glückspater nennen. Vorträge und Bücher zum Thema Glück haben Hochkonjunktur. Vielleicht zeigt uns der Predigttext für dieses Reformationsfest, wie die reformatorische Entdeckung und das Glück zusammenhängen. Es sind die Seligpreisungen. Also der Anfang der programmatischen Rede auf dem Berg, wo Jesus seinen Anhängern seine Vision vom Reich Gottes beschreibt. Lesung Immer wenn ich diese Worte höre, dann überkommt mich ein tiefes Glücksgefühl. Ich meine zu spüren, was erfülltes und glückliches Leben wirklich ist. Da ist die Quelle, wo meine Sehnsucht nach Leben wirklich gestillt werden kann. Die Seligpreisungen sind das Herz der Lehre Jesu. Wenn man sie in sich aufgenommen und verstanden hat, dann weiß man, was das Evangelium ist. Acht mal steht am Anfang der jeweiligen Seligpreisung das Wort glücklich. Oder wie es in der alten Übersetzung Martin Luthers hieß: Selig. Aber selig ist bei uns ein jenseitiger Begriff geworden und transportiert nicht mehr das, was das hebräische Wort aschrejj wirklich meint, aschreij, schon in dem Wort steckt eine positive Emotion, aschreij: glücklich, beglückt, erfüllt, voller Freude. Und so möchte ich zuerst einmal festhalten: Jesus möchte, dass wir glücklich sind. Und ich glaube, das sollten gerade wir Protestanten uns am Reformationstag mal sagen lassen. Denn wir fühlen uns immer so verantwortlich. Und versuchen mit ernster Miene die Welt zu retten. Manchmal beneide ich die Katholiken um ihre Feierkultur. Ich habe den Eindruck, an der Stelle haben sie Jesu Botschaft besser verstanden. Es ist sicher nicht jedermanns Sache, bei der Fasnet zum Tanz beim Franz zu gehen. Aber mir scheint, bei dieser Veranstaltung tauchen doch viele Evangelische auf mit einem geheimen Neid auf die katholischen Geschwister ob ihrer unbeschwerten Sinnenfreudigkeit. Aber muss man Verantwortung übernehmen und Genießen können wirklich als Gegensätze sehen? Wer sich nicht freuen kann, kann niemandem Freude bereiten. Wer nicht genießt, steht in Gefahr, depressiv zu werden und verliert die Energie, anderen zu helfen. Wer nicht genießen kann, wird am Ende selber ungenießbar. Und umgekehrt, verantwortliche Arbeit kann auch den Genuss steigern. Wer mit viel Mühe ein Musikinstrument erlernt, hat beim Spielen einen viel höheren Genuss als beim bloßen Hören von Musik. Davon können auch alle berichten, die bei Christof Wünsch im Chor singen. Wie das anstrengende Üben und Proben dann auch den Genuss beim Singen steigert. Leicht erzielter Genuss verfällt allzu schnell. Und damit bin ich wieder bei den Seligpreisungen. Wenn wir sie weiterlesen, dann wird ja schnell deutlich, dass es bei dem Glücklichsein nicht primär um den schnellen Genuss geht, den man so mitnimmt. Da ist ja gerade von Armut und Trauer und Verfolgung die Rede. Und deshalb müssen wir fragen: Wer gratuliert denn da den Armen, den Weinenden, den Verfolgten? Wer um aller Welt verspricht denn so was? Jesus von Nazareth! Das nichtehelich geborene Flüchtlingskind, von Brüdern und Jüngern missverstanden, von Religionsführern gehasst, von der Staatsmacht beargwöhnt. Jesus von Nazareth! Besitzlos, obdachlos, kinderlos. Erst hochgejubelt, dann fallengelassen, von übler Nachrede verleumdet, verraten und buchstäblich verkauft, gefoltert, unschuldig verurteilt und hingerichtet. Welch ein Kontrast! „Die Seligpreisungen werden nur vom Kreuz her verständlich“ schreibt Dietrich Bonhoeffer in seinem Buch „Nachfolge“. Aber ist denn das Kreuz nicht eine Widerlegung seiner Versprechen der Bergpredigt? Müssten wir nicht angesichts des Kreuzes die Seligpreisungen ad acta legen? In der Tat, ohne die Auferstehung Jesu, ohne die Tatsache, dass sich Gott zu diesem Jesus bekannt hat und seine Beziehung zu ihm durch die Krise hindurch gehalten hat, hingen Jesu Versprechen an die Armen, Trauernden und Verfolgten völlig in der Luft. Ostern ist die Bestätigung, dass Jesus nicht vergeblich sein ganzes Vertrauen in Gott gesetzt hat. Jesus hat ganz im Vertrauen zu Gott gelebt. Daher nahm er seine Sorglosigkeit. Daher bezog er seine Energie, sich den Hilfsbedürftigen zuzuwenden. Das ließ ihn mit einer Leichtigkeit auch übers Wasser gehen, weil er darauf setzen konnte, dass Gott ihn trägt. Das Kreuz und jedes Kreuz bringt dieses Vertrauen in die Krise. Aber es ist die Zuwendung Gottes, die durch die Krise hindurch trägt. Die Seligpreisungen beziehen ihre Glaubwürdigkeit und Autorität, ihre Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit aus der Tatsache, dass eben Jesus, der Leidende und Gekreuzigte und Auferstandene, sie gesagt hat! Und nicht ein sozialromantischer Schöngeist aus der warmen Studierstube heraus. Jesus selber ist die Münze, die dafür verbürgt, dass die Versprechungen der Selipreisungen wahr sind, obwohl sie auf den ersten Blick nur Kopfschütteln auslösen müssten: „Den Armen gehört die gerechte Welt Gottes“, „die Trauernden werden getröstet werden“, „die Gewaltlosen werden das Land erben“, „die nach Gerechtigkeit Hungernden sollen satt werden“, „die Barmherzigen werden selbst Barmherzigkeit erfahren“, „die Herzensreinen werden Gott schauen“, „die Friedensstifter werden Gottes Söhne und Töchter heißen“ Wenn jemand dafür gerade stehen kann, dann nur Gott selber. Auf dem Berg spricht Jesus als Gottes Bevollmächtigter, dessen Botschaft mich existentiell angeht. Und so wird meine erste Frage, „wer um alles in der Welt verspricht denn so was?!“ – verwandelt in eine Frage, die wir nur für uns selbst beantworten können: „Will ich darauf vertrauen, dass diese seine Glückwünsche und Verheißungen in der Vollmacht Gottes gesagt, also von Gott verbürgt sind? Glaube ich – verlass’ ich mich drauf – dass man als sein Nachfolger, als seine Jüngerin, auf diese Weise getröstet, gesättigt, barmherzig umsorgt, kurz gesagt glücklich wird? Will ich darauf vertrauen, dass Gott in einer liebevollen und völlig verlässlichen Beziehung auch zu mir steht, dass ich ihm vertrauen kann, auch im dunklen Tal, auch in Leid und Entbehrung? Und das ist doch die wahre Entdeckung der Reformatoren, nicht nur die mittelalterliche Frage von Sünde, Schuld und Strafe, die noch den Junker Jörg quälte, sondern die viel tiefer gehende Frage: Ist dieser Gott ein Gott, der auch heute noch ja zu mir sagt und dem ich vertrauen kann in jeder Lage? Die Prinzen sangen vor einigen Jahren in ihrem Lied „Backstagepass ins Himmelreich“ diese reformatorische Gewissheit in unserer Alltagssprache: Ich kann das sehr empfehlen. Du musst ihm einfach nur vertraun. Ich kann das sehr empfehlen. Du wirst nicht übers Ohr gehaun. Du kannst aufhörn dich zu quälen. Und du spürst, wie gut das tut. Ich kann das sehr empfehlen. Es wird nicht einfach, aber gut. Oder eigentlich noch schöner, treffender, ja geradezu genial hat es Hanns Dieter Hüsch in seinem berühmten Psalm formuliert: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit. Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich. Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zur Leich. Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen. Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsal hält, weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt. Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit. Merken wir, wie die reformatorische Gottesgewissheit und das alltägliche Glück zusammenhängen, wie dieses Vertrauen auf Gott uns freisetzt, um uns ganz unbefangen und mit allen Fasern auf die Gegenwart einzulassen, auf das Schöne, was uns begegnet, aber auch auf die Herausforderungen, die sich uns stellen, das Elend und die Zärtlichkeit. Denn das höchste Glück besteht oft darin, wenn man sich mutig sinnvollen Herausforderungen stellt. Die glücklichsten Gesichter in der vergangenen Woche habe ich in der Messehalle gesehen, dort wo jetzt etwa 400 Flüchtlinge sind, also der Ort in Schwenningen, wo man ja vermuten müsste, hier ist all das Elend und all die Not, die wir jeden Abend im Fernsehen sehen, ganz in unserer Nähe versammelt. Wir betreiben da seid zwei Wochen ein Sprachcafé für Flüchtlinge. Die glücklichsten Gesichter, das war einmal ein Waldorfschullehrer, der seit Beginn der Unterbringung in der Messehalle in seiner freien Zeit dorthin geht, um ehrenamtlich zu helfen. Er lief mit Papier und Bleistift umher und fragte mit leuchtenden Augen jeden, der Deutsch konnte, ob er sich bei dem Deutschunterricht beteiligt, den er organisieren möchte. Und das zweite glückliche Gesicht das war ein Ehrenamtlicher, der bei unserem Sprachcafé mit einer syrischen Familie am Tisch saß und auf der Tischdecke das Alphabet aufschrieb und besprach und mir dann begeistert erzählte, mit welchem Hunger und mit welcher Intelligenz gerade die Kinder unsere Sprache lernen wollen. Und dann sah ich da noch eine Mitarbeiterin, eine Chinesin, die schon lange in Deutschland lebt, wie sie mit den Flüchtlingen Ball spielte, sie warf ihnen eine Ball zu und nannte eine Zahl, und der Fänger musste diese Zahl wiederholen. So lehrte sie anderen spielerisch die Zahlen, und strahlte vor Glück, und die Mitspieler strahlten auch. Drei glückliche Menschen, bei denen Verantwortung übernehmen und Glück erleben zusammen kamen. In der Nachfolge Jesu und im Vertrauen auf Gott sich auf die Herausforderungen der Gegenwart einlassen, im Schönen und im Schweren, so verstehe ich die Botschaft des Reformationstages heute. Vielleicht passt dazu das Lebensmotto von Dorothee Sölle: Grenzenlos glücklich, absolut furchtlos, immer in Schwierigkeiten“. Amen Hans-Ulrich Hofmann
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