PiTa 15.08.2015 Flüchtlinge sollen für Unterkunft zahlen Pinneberg: Verwaltung schickt Mahnungen und Vollstreckungsersuche raus Pinneberg Sie kommen aus Krisengebieten wie Afghanistan und Syrien. Sie haben ihr letztes Geld für die Flucht ausgegeben. Sie sind traumatisiert. Jetzt tritt die Stadt Pinneberg noch einmal nach: Die Flüchtlinge sollen für ihre Unterkünfte zahlen. Von 259 Asylbewerbern kommen derzeit 110 Menschen in Pensionen und Hotels unter. Die Verwaltung meint es ernst: Mehrere Flüchtlinge haben in den vergangenen Wochen per Post Mahnungen und Vollstreckungsersuche bekommen. Das Problem: Der Kreis übernimmt nur die Gesamtkosten für zwei Monatsmieten und zahlt danach nur noch 427 Euro. Die Flüchtlinge sollen die Differenz für die Unterbringung in Hotels und Pensionen selbst begleichen. Diesen Betrag hatte bisher Pinneberg bezahlt. Dass die Stadt das Geld jetzt von den Flüchtlingen einfordert, sei rechtlich zulässig, sagt Marc Trampe, Sprecher der Stadt Pinneberg. Die aufgelaufenen Forderungen der Verwaltung gehen von etwa 600 Euro bis weit über 1000 Euro. Grüne & Unabhängige sind schockiert über das Vorgehen und bezweifeln die Sicht der Verwaltung bezüglich der Rechtslage. „In unserer Fraktion ist die Empörung groß, besonders bei denen, die sich ehrenamtlich und mit großem Zeitaufwand in der Flüchtlingsarbeit engagieren“, sagen Manfred Stache und Joachim Dreher von den Grünen. Die Stadt nimmt Land und Kreis in die Pflicht. „Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssten sie die vollständigen Kosten für die Unterbringung übernehmen“, sagt Trampe. Bekommt die Stadt trotzdem kalte Füße? Laut Trampe sollen die Flüchtlinge bald keine Mahnungen mehr erhalten. „Ob es rechtlich möglich ist, die Zusatzkosten für die Unterkunft direkt von Asylbewerbern einzufordern, lässt sich ohne eine gründliche Prüfung nicht beantworten“, sagt Thomas Giebeler, Sprecher des Landesinnenministeriums in Kiel. Verantwortlich dafür sei die Pinneberger Bürgermeisterin. „Hier im Hause hat von dieser Praxis bislang niemand gehört“, so Giebeler. René Erdbrügger Seite 3 Grüne: Das ist ein schäbiges Verhalten Flüchtlinge sollen für Unterbringung zahlen / Stadt verschickt Vollstreckungsersuche Pinneberg Alle Kommunen im Kreis Pinneberg arbeiten derzeit an ihrer Willkommenskultur. Einen Willkommensgruß ganz anderer Art hat jetzt Pinneberg parat: Flüchtlinge sollen für ihre Unterbringung zahlen. „Das ist ein schäbiges Verhalten“, sagt Joachim Dreher von den Grünen & Unabhängigen. Etwa 250 Flüchtlinge leben aktuell in Pinneberg. Die Stadt muss auf Hotelzimmer und pensionsähnliche Unterkünfte zurückgreifen, um Asylsuchenden und Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu bieten, da nicht genügend anderer Wohnraum zur Verfügung steht. Es geht um 350 Euro pro Person Wie es bislang lief, erklärt Manfred Stache von den Grünen: „Der Kreis, der die finanziellen Mittel für die Unterbringung der Flüchtlinge zur Verfügung stellen muss, zahlt nur zwei Monate lang die volle Miete für diese Unterkünfte, danach nur noch 427 Euro pro Monat und Person.“ Finde die Stadt in den zwei Monaten keine günstigere Unterkunft für einen Flüchtling, müsse sie den Restbetrag selbst zahlen. Es gehe um etwa 350 Euro pro Person monatlich. „Inzwischen sieht das die Verwaltung aber offensichtlich ganz anders“, so Dreher und Stache. Diese fordere die Zusatzkosten direkt von den Asylbewerbern ein. „Ohne die Politik über diesen Richtungsschwenk informiert zu haben“, betont Stache, der außerdem moniert, dass die Briefe auf Deutsch verfasst sind. Den Grünen und dieser Zeitung liegt ein Vollstreckungsersuch an einen Asylbewerber über 695 Euro vor. Darin enthalten sind Vollstreckungsgebühr, Säumniszuschlag und Mahngebühren. Am Montag, so die Drohung in dem Schreiben, werde ein Vollstreckungsbeamter den Flüchtling aufsuchen, um zu pfänden. Stadt sieht die Schuld beim Kreis und Land „Das Verfahren ist rechtens“, sagt hingegen Mark Trampe, Sprecher der Stadt. Er sieht die Schuld beim Kreis und beim Land, die Kostenträger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seien, aber teilweise nicht die vollständigen Kosten für die Unterbringung übernehmen würden. „Der Kreis legt einen Erlass des Landes sehr restriktiv aus und übernimmt nur zwei Monate die vollen Kosten der Pensionsunterbringung, danach nur noch anteilig. Diese nicht praxistaugliche Regelung haben wir dem Innenministerium mitgeteilt“, sagt er. Ein Schreiben liegt dieser Zeitung vor. Trampe verspricht Abhilfe. Man sei sich klar, dass man aktuell wohl nur in Ausnahmefällen die ausstehenden Summen eintreiben könne. „Der Stadtkasse sind nur die Forderungen bekannt. Es ist nicht zu erkennen, welche Einkommensverhältnisse dahinterstehen.“ Wie viele Vollstreckungsersuche verschickt worden seien, kann Trampe nicht sagen. Die Grünen fordern jetzt unter anderem, alle Vollstreckungsersuche sofort zu stoppen und in einem persönlichen Brief an die betroffenen Flüchtlinge zu erklären, dass die Mehrkosten für die Unterbringung von der Stadt gezahlt werden. Ist nicht Pinneberg, sondern der Kreis in der Pflicht? „Wir werden uns dazu am Montag äußern“, sagt Kreissprecher Oliver Carstens. René Erdbrügger Kommentar Pinneberg begeht den Tabubruch Es ist leider kein Einzelfall: Auch mehrere Gemeinden in NRW stellen Flüchtlingen einen Teil der Kosten für ihre Versorgung und Unterbringung in Rechnung. Rechtlich mag das zwar haltbar sein, aber moralisch ist diese Praxis zweifelhaft. Die Verwaltung von Pinneberg hat einen Tabubruch begangen. Von den meisten Flüchtlingen wird wohl nichts zu holen sein. Aber die oft traumatisierten Menschen bekommen jetzt die ganze Absurdität deutscher Bürokratie zu spüren. Diese Erfahrung wird sie noch mehr verunsichern und ihnen das Gefühl geben, hilflos zu sein in diesem fremden Land, das sie um Hilfe und Schutz gebeten haben. An der finanziellen Not der Stadt Pinneberg besteht kein Zweifel. Aber das Zuständigkeitsgerangel zwischen Stadt, Kreis und Land hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen darf nicht auf den Rücken der Asylbewerber ausgetragen werden.
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