Predigt vom 7. Februar 2016

Predigt in der Stiftskirche Stuttgart
am 7. Februar 2016
über 1. Korinther 13
von Prälat Ulrich Mack
Liebe Gemeinde,
haben Sie auch den Eindruck: wir leben in einer spannenden Zeit? Nein, ich
meine jetzt nicht die Fastnacht. Die tobt anderswo mehr als bei uns.
Evangelische Schwaben haben es nicht so mit Masken und Kostümen und
Geschunkel. Aber spannende Zeiten erleben wir trotzdem. Das fängt schon in
der Technik an: Schnelles Breitband-Internet überall. Immer smartphonevernetzt und vertwittert. Bald gibt es Autos, die sich selber steuern. Und
Kühlschränke, die selber beim Gemüsehändler Nachschub ordern.
Spannende Zeiten.
Auch politisch: Landtagswahl in ein paar Wochen. Die Themen sind plakatiert
– Bildung, Verkehr, Wohnraum. Und Flüchtlinge. Was schaffen wir? Was wird
aus dem Land, was aus Europa? Und wir merken: Die Töne werden rauher –
vom Abschieben bis zu notfalls Schüsse an der Grenze. Die Klänge werden
härter - und bekommen auch noch Applaus (auch gestern).
Spannende Zeiten.
Und wir?
Heute denken wir über einen bekannten Bibeltext nach. Es sind wuchtige
Sätze, schöne Gedanken, ein grandioses Lied – von der Liebe. Von Paulus
aufgeschrieben im 1. Korintherbrief. Wir lesen dieses Hohelied der Liebe –
hören hinein, hören es für uns und für unsere spannende Zeit. Was hat die
Liebe damit zu tun?
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1. Korinther 13 (im Wechsel zwischen Männern und Frauen gelesen):
1
Wenn ich mit Menschen– und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so
wäre ich ein tönendes Erz oder eine scheppernde Schelle.
2
Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und
alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte,
und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
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Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
4
Die Liebe ist langmütig und freundlich,
die Liebe eifert nicht,
die Liebe treibt nicht Mutwillen,
sie bläht sich nicht auf,
5
sie verhält sich nicht ungehörig,
sie sucht nicht das Ihre,
sie lässt sich nicht erbittern,
sie rechnet das Böse nicht zu,
6
sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der
Wahrheit;
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sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
8
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird
und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.
9
Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.
10
Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk
aufhören.
11
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war
klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.
12
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von
Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich
erkennen, wie ich erkannt bin.
13
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte
unter ihnen.
Liebe Gemeinde,
ein Schützenverein soll auf sein Plakat geschrieben haben: „Kommen Sie zu
uns – lernen Sie schießen – treffen Sie Freunde“.
Schön gemeint, aber voll daneben.
Gut gedacht, aber falsch verstanden.
Ist das beim „hohen Lied der Liebe“ auch so? „Kommen Sie zu uns, lernen Sie
Liebe“ – und was treffen wir? Unsere Realität!
Klar, wir wollen lieben und geliebt werden. Wir bemühen uns in der Familie,
mit den Nachbarn. Wenigstens gut auskommen – das ist ja schon was. Aber
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eine solche Liebe, die Paulus beschreibt – wie schaffen wir die? Die Liebe, die
alles duldet, alles hofft, alles trägt, die nicht eifert, nicht zornig wird und die
nicht aufhört – lieber Paulus, schaffen wir das? Oder ist das nur gut gemeint
und wenig getroffen?
Manche denken: Dieses Hohelied der Liebe - das ist eben was für HochZeiten im Leben. Es wird ja oft an Hochzeiten gelesen. Aber was, wenn TiefZeiten kommen? Oder spannende Zeiten. Wenn zwar handys, Kühlschrank
und Autotechnik neu vernetzt werden, aber das Netz menschlicher
Beziehungen brüchig wird?
Also, lieber Paulus, so fragen wir, - bist du ein weltfremder Optimist, ein
träumender Illusionist?
Nein, so würde Paulus antworten, nein - ich bin Realist. Wie das?
Nun, was mir beim Lesen dieses Kapitels wieder auffiel, war dieser unbefangene Ton von Realität, den Paulus da anschlägt. Er sagt kein einziges Mal:
„Du mußt so lieben“, oder: „Strengt euch an, diese Liebe zu produzieren“.
Sondern das ist so, stellt Paulus fest: Diese Liebe gibt es. Sie ist da. Ist real
bei uns: Sie ist langmütig, ist unfanatisch, sie eifert nicht. Sie rechnet das Böse
nicht zu. Sie sucht nicht das Ihre, sie hört niemals auf.
15 Indikative in einem Atemzug.
Was für eine Liebe! Ja, was für eine meint Paulus?
Nein, er meint hier gar nicht zuerst die Liebe, die aus uns kommt und die wir
herstellen müssen. Paulus redet von Gottes Liebe. Das ist der Schlüssel.
Liebe, die von Gott kommt. Die deswegen in der Welt ist, weil Er in der Welt
ist.
Unsere Verzagtheit, die alles grau in grau malt, bekommt hier kräftig
Gegenwind. Unser heimlicher Atheismus, der oft Gott vergisst, bekommt hier
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einen spürbaren Dämpfer. Da, so sagt dieses Kapitel, da ist der lebendige,
leidenschaftliche Gott, der uns liebt. Da ist Er, heilig wie das Feuer, ein
„glühender Backofen voller Liebe“, wie Luther sagte. Da ist Er, der sich vor
lauter Liebe in Fluch und Tod des Karfreitag treiben ließ. Da ist er, der
Auferstandene, der uns beim Abendmahl entgegentritt und sagt: Hier ist
meine Liebe – für dich gegeben, hier ist die tiefe Versöhnung zwischen euch
und mir. Hier ergeht das unbedingte JA trotz allem.
Wo dieser leidenschaftlich liebende Gott mitten in der Welt ist, da ist diese
Liebe bei uns Menschen, da sind wir von ihr berührt, da werden wir angesteckt. Wo Jesus ist, so hat Paulus einmal geschrieben, wo Jesus ist, da ist
Gottes Liebe ausgegossen in unsere Herzen.
Jetzt fragen Sie vielleicht: Woher wissen wir, dass Paulus hier die Liebe
Gottes meint?
Nun, In der griechischen Sprache gibt es für die Liebe nicht nur ein Wort,
sondern mehrere. Philia zum Beispiel für Freundschaft. Am häufigsten steht
für Liebe aber eros - und eros meint die Liebeskraft, die dem Menschen seit
der Schöpfung mitgegeben ist: Sie führt Mädchen und Jungen zusammen,
Mann und Frau. Eros ist Leidenschaft - auch über den sexuellen Bereich
hinaus: In Hobby und Wissenschaft, was ein Mensch von seiner Natur her
gern tut und erlebt, das alles steckt in eros - ein Geschenk der Schöpfung.
Aber in eros steckt immer auch ein Stück eigensüchtige Liebe: ein Verlangen,
um selbst zu gewinnen, eine Liebe, die das Ihre sucht. Manchmal fragen sich
ja junge Leute: Liebe ich wirklich dieses Mädchen oder diesen Jungen - oder
ist das nur mein Trieb, körperliches Verlangen? Liebe ich den anderen oder
doch darin mich selbst am meisten? Wenn zwei Menschen nur durch eine
solche eros-Liebe verbunden sind, dann sagen sie zwar zueinander: "Ich liebe
dich", und sie meinen es auch ehrlich; aber sie meinen damit auch: "Ich will
dich haben, ich brauche dich für mich", und zu Krisen kommt es, wenn jemand
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entdeckt: „Du liebst mich ja gar nicht ganz, so wie ich bin, sondern du liebst
mich nur unter Abzug meiner Schwächen und Fehler. In Wirklichkeit willst du
mich anders haben als ich bin.“ Welch ein innerer Druck kann so entstehen?!
Eine Liebe mit Bedingungen!
Aber Paulus – und das fällt auf – gebraucht hier im hohen Lied der Liebe gar
nicht das Wort eros. Er benutzt ein damals eher seltenes Wort, nämlich agape,
und dieser Ausdruck meint eine andere Liebe – nämlich eine, die sich schenkt,
die sich verschwendet, die sich hingibt, die sich opfert. Paulus gebraucht das
Wort agape immer dort, wo er die Liebe meint, die von Gott kommt. Die Liebe,
mit der Gott unser Leben füllen will. Eine Liebe, die uns beschenkt, die uns
bedingngslos liebt, die uns tröstet und annimmt - das ist agape. Die Liebe, in
der Gott selbst da ist, der leidenschaftlich liebende Gott, der selbst Liebe ist.
Liebe, die sich schenkt. Agape-Liebe. Liebe, die von Gott kommt und sich wie
Wasser in Brunnenschalen ergießt wie beim Maulbronner Brunnen mit seinen
drei Schalen: Erst will Gottes Liebe in unser persönliches Leben fließen und
dann überfließen in die Schalen unserer Ehe, der Familie, der Freunde,
Kollegen und durch uns in die Schale der Welt. Die Liebe, die nicht fordert,
sondern die sich schenkt, die nicht neidisch wird und nicht zornig wird, die
Liebe, die nicht aufhört. Lassen wir uns von ihr füllen – auch jetzt wieder neu
in diesem Gottesdienst. Wir können sie nicht aus uns produzieren, und wir
müssen das auch gar nicht. Denn diese Liebe ist ja da. Sie will fließen, und für
uns ist nur wichtig, dass die Leitungen nicht verstopft sind. Ich hab das mal
erlebt im Haus meiner Kindheit, dass sich da Baumwurzeln in Wasserleitungen hineingefressen haben, und dann kam nur noch ein Rinnsal durch.
Darauf kommt es nun Paulus an, dass Gottes Liebe fließen kann. Dass nicht
böse Wurzeln wie Neid und Streit den Lauf der Liebe hindern.
Die neue Technik läuft immer besser. Aber läuft auch Gottes Liebe? Weltweit
sind wir vernetzt. Sind wir auch mit Gottes Liebe vernetzt? Das ist in unseren
spannenden Zeiten eine wichtige Frage. Genauer: da sind wir als Christen
gefragt.
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Zur Zeit macht sich in unserem Land eine Atmosphäre der Angst langsam
breit. Nationalistische Schablonen werden laut. Da kommt das hohe Lied der
Liebe heute morgen gerade recht. Es ist wichtig, dass wir Christen diesen Ton
Liebe Gottes aufnehmen und für ein Klima der Nächstenliebe und nicht der
Gewalt eintreten. Dumpfen Parolen sowohl gegen Flüchtlinge wie gegen
Politiker sollten wir entschieden widerstehen. Wenn wir uns von Gottes agapeLiebe füllen und prägen lassen, dann werden wir nicht von ängstlicher Enge,
sondern von christlicher Weite bestimmt sein.
Wobei wir da ein Leben lang Lernende bleiben. Das weiß auch Paulus. Unser
Wissen und Können hier auf der alten Erde bleiben Stückwerk. Wir sind nicht
vollkommen. Aber Gottes Liebe will voll kommen.
Ohne sie wäre alles nichts. Paulus sagt das ja sehr persönlich: Selbst, wenn
ich mit Engelszungen reden könnte - ohne die Liebe wäre ich wie eine
scheppernde Schelle. Selbst wenn ich auf die schwierigsten Fragen eine
Antwort hätte, ohne die Liebe wäre alles nichts. Selbst wenn ich einen ganz
tadellosen Glauben hätte – wenn nicht Gottes schenkende Liebe mich dabei
prägt, dann geht alles in die falsche Richtung. Dann werde ich rechthaberisch
und richte schnell und verteidige meine Ehre. Aber am Ende bleibt nicht mein
Rechthaben und nicht mal meine Ehre. Am Ende, so Paulus, am Ende bleibt
die Liebe.
Heute ist sie uns von Gott gegeben, hinein in spannende Zeiten. Lernen wir
sie zu empfangen und sie weiterzugeben. Und treffen wir damit Freunde – und
andere.
Amen
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Fürbitten:
Heiliger Gott, himmlischer Vater,
du umfängst uns mit deiner bedingungslosen Liebe. In Jesus Christus hast du
sie uns gebracht. In deinem Wort sagst du sie uns zu. Im Heiligen Geist willst
du sie ausgießen in unsere Herzen.
Dafür danken wir dir und bitten dich: Nimm alles weg, was uns daran hindert,
deine Liebe aufzunehmen. Räume falsche Eitelkeit und Rechthaberei aus.
Vergib, wo wir lieblos waren.
Du siehst, wo zwischen Menschen Unfriede herrscht, wo Neid regiert und wo
seelische Verletzungen belasten. Hilf uns, wo sie uns begegnen, dass wir mit
deiner Kraft recht damit umgehen. Wir bitten dich für alle, die in Lieblosigkeit
gefangen sind. Schenke ihnen einen Zugang zu deiner Güte.
Für die politisch Verantwortlichen bitten wir dich um den Geist des Friedens
und der Gerechtigkeit. Auch für die Flüchtlinge in unserem Land bitten wir und
für alle, die ihnen helfen. Gib Geduld und gute Lösungen in den politischen
Fragen. Bewahre uns vor Gewalt.
Hilf uns, dass wir als deine Kirche nicht müde werden, dein Evangelium zu
hören und deine Liebe in unserer Welt weiterzugeben.
So geh du mit jetzt in diesen Sonntag und in die neue Woche. Dir sei Lob und
Ehre.
Amen
Vater unser …
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