Leseprobe 1 : Die Marketenderin „Darf ich?“, fragt er und nahm Margaretha sanft die Zügel aus der Hand. Margaretha war erfreut und wusste zuerst nicht so recht, worüber sie mit Jacob reden sollte. Das passierte ihr selten. Sie hielt sich für eine starke, eigenständige Frau, die, wie man ihr oft genug sagte, ein loses Mundwerk hatte und sich nicht so schnell einschüchtern ließ. Seine neuen Stiefel fielen ihr auf, und Jacob erzählte, wie er diese erbeutet hatte. Und dann verriet sie ihm ihre neue Geschäftsidee, ihre Augen funkelten, und ihre Stimme überschlug sich vor Begeisterung. Jacob hörte ihr die ganze Zeit wortlos zu und kraulte sich den Kopf. Diese Geste war typisch für ihn. Immer, wenn er nachdachte, zerzauste er sich die Haare. Margaretha lächelte. Seine Haare waren hinten mit einem Band zusammengebunden, aus dem sich nun einige Strähnen lös ten. „Willst du die Seife erst in Magdeburg verkauen?“, fragte er. „Das wird aber schwierig sein, wenn dort eine Zunft über den Handel wacht.“ Daran hatte Margaretha auch schon gedacht. „Nein, ich denke, dass ich in dem großen Heer mit all den Offizieren und Frauen genug Seife verkaufen kann. Die Zünfte haben außerhalb der Stadtmauern nichts zu sagen.“ Mit einem schelmischen Seitenblick auf Jacob meinte sie: „Übrigens, deine Haare hätten auch mal Seife nötig.“ Ihm gefiel ihre Art des Humors. Wulf war als Kundschafter vorausgeschickt worden. Hinter einem Wäldchen kam er ihnen völlig aufgelöst und mit bleichem Gesicht entgegen. Er stürmte zu Heinrich, sprang vom Pferd und hielt sich am Sattel fest. Margaretha sah, wie Wulf mit kurzen Sätzen und wilder Gestik Heinrich berichtete. Kurz danach erreichten sie ein kleines Dorf. Es schien unbewohnt zu sein. Rauch stieg noch von einem abgebrannten Haus auf. Als sie auf der einzigen Straße, die durch das Dorf führte, ritten, sahen sie mehrere Misthaufen, auf denen Leichen lagen, zum Teil unbekleidet. Wahllos lagen Körper von Frauen, Männern und Kindern wie Unrat nebeneinander. Margaretha erschrak über die inneren Bilder, die plötzlich in 43 ihrem Kopf entstanden. Lange hatte sie die schrecklichen Szenen, den Gestank und die Verzweiflung, die damals über ihrem Dorf wie eine dunkle Gewitterwolke hing, verdrängt. Da war sie wieder! Diese unbarmherzige, gnadenlose, heimtückische, hinterlistige Seuche, die anscheinend würfelte, wen sie mitnahm oder wen sie verschonte. Vermutlich hatten die Menschen anfänglich versucht, die Opfer zu beerdigen. Sie erinnerte sich daran, wie in ihrem Dorf irgendwann die Opferzahl überhandnahm und die verzweifelt Zurückgebliebenen die Leichen nur noch auf den Misthaufen ablegten. Als Warnung für Vorbeiziehende wurde ein Haus angezündet, und die Überlebenden verließen das Dorf so schnell wie möglich. Leseprobe 1 : Die Marketenderin Margaretha beobachtete, wie sich Paul aus dem Fenster eines der Häuser wand und einen Leinensack bei sich trug. Von Heinrich war zwar der Befehl erlassen worden, dass sich alle von den Pestopfern fernhalten mussten, aber dem Tross hatten sich immer mehr Bettler angeschlossen, die die Anordnung missachteten. Sie tauschten ihre zerlumpten Kleider gegen gute Kleidung aus den Pesthäusern aus oder nahmen sie auch einfach nur mit und verkauften sie. Sie war erleichtert, dass Heinrich nicht auf die Idee kam, die Leichen zu bestatten, und den Tross weiterreiten ließ. Ein schrecklicher Anblick riss sie jäh aus ihren Gedanken. Ihr Atem stockte, so etwas hatte sie noch nie gesehen! Jetzt verstand sie den Ausdruck auf Wulfs Gesicht. Sie kannte diese Gruselgeschichten, die von Menschen erzählten, die auf schrecklichste, kaum vorstellbare Art und Weise hingerichtet wurden. Desertierte Soldaten, Bauern, Mägde auf der Flucht brachten sie in Umlauf, eine unglaubwürdiger als die andere. Und jetzt sah sie sich selbst einer derartigen Bestialität gegenüber – zwei gepfählten Soldaten.
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