Interview - Deutsche Botschaft Aschgabat

BM-Interview zum deutschen OSZE-Vorsitz
1. Deutschland übernimmt 2016 den Vorsitz der OSZE. Welche Schwerpunkte
wollen Sie in den kommenden 12 Monaten setzen?
Wir stehen vor der vielleicht ernstesten Bedrohung für Frieden und Sicherheit in
Europa seit dem Ende des Kalten Krieges. In diesen schwierigen Zeiten
übernehmen wir ganz bewusst den Vorsitz und damit Verantwortung für Europa.
Das Leitmotiv für unseren OSZE-Vorsitz lautet „Dialog erneuern, Vertrauen neu
aufbauen, Sicherheit wieder herstellen“ und dafür werden wir uns auch stark
machen. Vieles ist an Vertrauen in Europa in den vergangenen Jahren verloren
gegangen. Dieses wieder aufzubauen, ist schwierig - aber es bleibt alternativlos!
Ich möchte, dass wir den künftigen Generationen sagen können, dass wir alles
getan haben, um den Frieden auf unserem Kontinent zu wahren.
2. Der Konflikt im Osten der Ukraine dauert seit nunmehr zwei Jahren an. Welche
Rolle kann die OSZE dort in Zukunft spielen? Ist eine Ausweitung der
Sonderbeobachtungsmission (SMM) geplant?
Die Entwicklungen in der Ukraine seit 2014 haben bewiesen, wie unverzichtbar
die OSZE für die Sicherheit in Europa ist: Ohne die Beobachtungsmission wären
wir bei der militärischen Deeskalation und beim Waffenabzug wohl nicht so weit
vorangekommen, wie es – trotz aller Rückschläge – der Fall war. Damit die
Beobachter auch weiterhin ihre wichtige Arbeit leisten können, müssen wir jetzt
rasch Entscheidungen über eine Verlängerung des Mandats und über den
Haushalt der Mission treffen.
Was wir jetzt schon sagen können: Das bisherige Mandat der SMM hat sich
bewährt. Es hat der Mission alle Spielräume gegeben, die sie zur Erfüllung ihrer
Aufgaben benötigt. Die Beobachter konnten flexibel auf die Entwicklungen vor Ort
und auf neue Anforderungen reagieren. Wir setzen uns deshalb für eine
Verlängerung des Mandats ein.
3. Wie wollen Sie sich als Vorsitz für die Lösung der ungelösten Konflikte in
Transnistrien, Bergkarabach und im Südlichen Kaukasus einsetzen?
Ehrlich gesagt möchte ich mich nicht damit abfinden, dass diese Konflikte mit
einem gewissen Fatalismus als „eingefroren“ bezeichnet werden: Jahr für Jahr
leiden Menschen darunter, die Entwicklung in den betroffenen Regionen
stagniert. Wir wollen mit kleinen, aber konkreten Schritten Waffenstillstände
stabilisieren, mehr Vertrauen schaffen und den Alltag der betroffenen Menschen
erleichtern, z.B. durch verbesserten wirtschaftlichen Austausch.
Im Konflikt um Bergkarabach bereiten uns bewaffnete Zwischenfälle entlang der
Kontaktlinie und an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan Sorgen.
Deutschland setzt sich dafür ein, dass die Verhandlungen im Rahmen der
sogenannten Minsk-Gruppe der OSZE intensiviert werden. Ein wichtiger Schritt
wäre hier die Schaffung eines Mechanismus zur Untersuchung der
Waffenstillstandsverletzungen.
In Transnistrien streben wir eine umfassende Konfliktlösung an, die auf der
Souveränität und territorialen Integrität der Republik Moldau basiert - mit einem
besonderen Status für Transnistrien.
Auch in Georgien haben wir es mit einer schwierigen Ausgangslage zu tun.
Dennoch gab es hier zuletzt Fortschritte in der praktischen Zusammenarbeit
zwischen den Konfliktgruppen. Diese Dynamik wollen wir aufrechterhalten und sie
durch vertrauensbildende und humanitäre Maßnahmen unterstützen.
4. Wie kann die OSZE Frieden und Sicherheit in Europa befördern? Was sind die
Vorteile einer Organisation wie der OSZE gegenüber anderen internationalen
Akteuren?
Der KSZE-Prozess hat uns eines gelehrt: Gerade in Zeiten tiefen Misstrauens
und wachsender Sprachlosigkeit zwischen Ost und West dürfen wir den Dialog
zwischen den Teilnehmerstaaten nicht abreißen lassen. Dass sich die OSZE
mittlerweile zur größten regionalen Sicherheitsorganisation der Welt entwickelt
hat, zeigt, wie zeitgemäß dieser Ansatz ist.
Wichtig ist auch: Ohne die OSZE wäre jeglicher Erfolg im Rahmen des Minsker
Friedensprozesses nicht denkbar. Durch die Arbeit der Beobachtungsmission und
durch ihre Schlüsselrolle in der Trilateralen Kontaktgruppe hat die OSZE
entscheidend dazu beigetragen, einen politischen Lösungsprozess im UkraineKonflikt anzustoßen. Das hat die ganze Organisation aus einer Art
„Dornröschenschlaf“ geweckt und sie zurück auf die Bühne der internationalen
Sicherheitspolitik geholt – keinen Moment zu spät, wie ich meine.
5. Wie reagiert die OSZE auf die gestiegene Bedrohung durch den internationalen
Terrorismus?
Der schreckliche Anschlag im Herzen Istanbuls und die Terrorattentate des
vergangenen Jahres von Paris bis Beirut haben uns schmerzlich vor Augen
geführt: Der Terrorismus kann uns alle treffen. Und klar ist auch: Auf sich allein
gestellt kann kein Staat dieser Bedrohung begegnen. In den kommenden Jahren
müssen wir daher die Fähigkeiten aller 57 OSZE-Staaten im Umgang mit
terroristischen Bedrohungen stärken. Die Schweiz und Serbien haben hier als
vorangegangen OSZE-Vorsitze wichtige Arbeit geleistet. Daran wollen wir
anknüpfen
–
auch
durch
die
Ausrichtung
einer
internationalen
Antiterrorismuskonferenz im Sommer in Berlin.
6. Wie können die OSZE-Teilnahmestaaten auf die Flüchtlingskrise reagieren?
Die Flüchtlingskrise zeigt deutlich, dass wir hier mit nationalen Ansätzen nicht
weiterkommen – so schwierig die Abstimmung innerhalb Europas auch ist,
müssen wir weiter nach gemeinsamen Lösungen suchen. Innerhalb der OSZE
eint uns das geteilte Interesse, Fluchtursachen zu bekämpfen und das
Grenzmanagement im OSZE-Raum zu verbessern. Darauf werden wir in diesem
Jahr aufbauen.
Langfristig stehen wir hier auch vor einer großen gesellschaftlichen
Integrationsaufgabe. Deshalb ist es gerade jetzt so wichtig, dass wir Intoleranz,
Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit im OSZE-Raum entschieden
entgegentreten. Der deutsche Vorsitz wird, auch aus einer historischen
Verantwortung heraus, einen besonderen Fokus auf diese Themen setzen.
7. Welche Rolle wird die Dimension der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der
OSZE für den deutschen Vorsitz spielen?
Der Einsatz für Menschenrechte und Grundfreiheiten steht ganz oben auf unserer
Agenda. Wir werden uns dafür einsetzen, dass bestehende Verpflichtungen von
allen OSZE-Staaten eingehalten werden – uns selbst natürlich eingeschlossen.
Gute Regierungsführung bleibt auch ein wichtiges Kriterium für nachhaltigen
wirtschaftlichen Austausch – und beide sind für die Vertrauensbildung ganz
entscheidend. Bei einer Wirtschaftskonferenz in Berlin im Mai wollen wir deshalb
mit Unternehmen ins Gespräch kommen und von ihnen hören, wie wir die
wirtschaftlichen Verbindungen im OSZE-Raum nachhaltig stärken können –
davon profitieren wir am Ende auch politisch und gesellschaftlich.
8. Wenn Sie in einem Jahr auf den deutschen OSZE-Vorsitz zurückschauen: Was
wäre für Sie ein erfolgreiches Vorsitzjahr?
Wir werden uns im Dezember mit den OSZE-Außenministern in Hamburg treffen
und eine Bilanz unseres Vorsitzjahres ziehen. Ich würde mir wünschen, dass es
uns gelingt, innerhalb der OSZE zu konstruktiver Arbeit zurückzufinden. Es muss
um mehr gehen als darum, den Status quo zu verwalten!
Außerdem werden wir uns als Vorsitz dafür einsetzen, den Konsens innerhalb der
Organisation zu fördern. Aber klar ist: Wo ein Konsens gefunden werden soll, da
brauchen wir auch die Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten. Wenn jeder in
der OSZE dazu seinen Beitrag leistete, dann wäre dies für uns alle ein Erfolg.