Was kann eine Schwangerschaftskonfliktberatung leisten? Anders

Was kann eine Schwangerschaftskonfliktberatung leisten?
Anders als in Deutschland sind in Österreich, in Liechtenstein und in der Schweiz
Beratungen im Schwangerschaftskonflikt freiwillig. Das bedeutet, zu Ihnen kommen
zwar weniger Frauen im Konflikt als in Deutschland (nämlich etwa 25% aller
Schwangeren); und es kommen Frauen, die bereit sind, über ihren Konflikt zu
sprechen; natürlich auch, um Hilfsmöglichkeiten auszuloten. Dieses Modell von
Beratung haben sich viele deutsche Frauen und deutsche Beraterinnen ebenfalls
gewünscht – die Freiwilligkeit. Und zwar mit der Grundannahme, dass psychosoziale
und erst Recht psychologische Beratung nur auf Freiwilligkeit basieren kann. Wie soll
frau sich öffnen können mit Zwang? Gleichwohl sagen heute fast alle Beraterinnen in
Deutschland, dass sie es persönlich gut finden, alle Frauen im
Schwangerschaftskonflikt zu erreichen. Es geht nicht darum Offenheit zu erzwingen,
wenn eine Frau sich nicht öffnen möchte. Es geht auch nicht um Einflussnahme auf
die Situation. Es geht um die Möglichkeit und die Chance über den Entschluss mit
einer am Konflikt unbeteiligten Person noch einmal zu sprechen, alles in Ruhe zu
überdenken und im besten Fall etwas zu verstehen von der inneren Dynamik .
Wenn wir uns mit der Frage befassen, was in einer Konfliktberatung erreicht werden
kann, wenn die Frauen entweder alleine oder mit Partner in eine Beratungsstelle
kommen, ist das schwer zu beantworten, und ich schiebe die Antwort noch etwas
auf. Ich befasse mich zunächst mit unterschiedlichen Situationen, in denen
Frauen/Paare ungeplant schwanger werden.
1. Situation: Die Schwangere ist 15 Jahre alt und Schülerin in der 9.Klasse. Es
ist unklar, ob sie die Versetzung in die 10. Klasse schaffen wird. Seit 6
Monaten hat sie einen Freund, der kurz vor dem Realschulabschluss steht.
Beide sind noch orientierungslos im Blick auf Beziehung und Beruf. Sie haben
mit Kondom verhütet und es ist „geplatzt“.
2. Situation: Die Schwangere ist Anfang 20. Ihre Ausbildung ist noch nicht
abgeschlossen. Sie hat gerade geplant , mit ihrem Freund, der auch noch in
der Ausbildung ist, zusammen zu ziehen. Beide leben noch im Elternhaus.
Die Pille hat versagt.
3. Die Schwangere ist Anfang 30; ihr Partner auch. Sie haben zwei Kinder von 8
und 10 Jahren. Seit kurzem ist die Frau wieder halbtags berufstätig, als sie
von der Schwangerschaft erfährt. Sie hat mit Diaphragma verhütet; es aber
nicht benutzt, weil sie gerade ihre Regel hatte und dachte, es sei noch eine
ungefährliche Zeit.
4. Eine Akademikerin um die 40. Sie ist unverheiratet, kinderlos und finanziell
unabhängig. Seit kurzem hat sie eine Liebesbeziehung und wird ungewollt
schwanger. Das Paar hat mit Kondom verhütet. Sie können sich nicht
erklären, was zum Versagen geführt hat.
5. Die Schwangere ist 32 Jahre alt und lebt seit 4 Jahren von ihrem Ehemann
getrennt, von dem sie zwei Kinder hat. 15jährige Tochter und 12 jährigen
1
Sohn. Der Sohn lebt beim Vater. Die Frau ist selbständig und hat viel Arbeit.
Seit kurzem hat sie einen neuen Freund und ist trotz Pille schwanger.
6. Die Frau ist 46 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder von 19 Jahren, 13
und 5 Jahren. Die 19 jährige Tochter steht kurz vor der Entbindung. Da stellt
die Mutter fest, dass sie auch schwanger ist. Sie hatten die Verhütung nicht
mehr so ernst genommen, da sie inzwischen unregelmäßige Blutungen hat
und sich in der Menopause wähnte.
7. Eine Frau in Trennung, 37 Jahre alt, wird ungeplant schwanger. Die
langjährige Partnerschaft blieb kinderlos trotz lange bestehendem
Kinderwunsch. Jetzt, in der Trennung, wird sie schwanger von ihrem Partner,
der seinerseits eine neue Partnerin hat.
Sieben typische Fälle von ungeplant eingetretener Schwangerschaft in der
Schwangerschaftskonfliktberatung. Was wäre der Anspruch der Beraterinnen und
was der Wunsch der Klientinnen an die Beratung.
In der Studie „Frauenleben 3“ , die Prof. Hellferich im Auftrag der BzgA
durchgeführt hat, wird als Ergebnis festgehalten, dass die Hälfte der ungewollten
Schwangerschaften ausgetragen wird; eine wesentliche Voraussetzung für die
Frauen/Paare sich für die Fortsetzung der Schwangerschaft zu entscheiden ist
eine stabile berufliche und finanzielle Situation und eine stabile Partnerschaft.
(Studie an 20 bis 44jährigen Frauen). Das sind zweifellos wichtige Gründe. Diese
Faktoren würde jede/r von uns einem zu erwartendem Kind wünschen. Es sind
Gründe, die vor allen Dingen sehr stark vom Bewusstsein geprägt sind.
Ich bin selber tiefenpsychologisch ausgebildet und arbeite an einem
tiefenpsychologischen Institut. Das bedeutet, ich bin davon überzeugt, dass wir zu
weiten Teilen unseres Handelns von unbewussten Prozessen gesteuert werden.
Diese Erkenntnis ist kein Verdienst der Psychoanalyse. Philosophen (wie z.B.
Nietzsche und Schopenhauer) und auch Dichter haben lange vor Freud innere
unbewusste Prozesse beschrieben, die das Denken, Fühlen und Handeln des
Menschen beeinflussen und entgegen seinem bewussten Willen steuern. Neu
war lediglich Freuds Versuch, über Träume, Fehlleistungen und
Alltagsinszenierungen diese innere unbewusste Welt zu erschließen, um sie als
Movens für Denken, Fühlen und Handeln zu konzeptualisieren. Damit gelang ihm
der Nachweis, dass in allem menschlichen (vermeintlich) willentlichen Tun
unbewusste Prozesse beteiligt sind und, dass unser Tun weit mehr vom
Unbewussten als vom Bewusstsein gesteuert wird. Freud prägte das schöne Bild
von der Nussschale (Bewusstsein), die auf dem Meer des Unbewussten
schwimmt. Die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Untersuchungen geben
dieser Annahme Recht und unterstreichen, dass das Unbewusste unser Leben
stärker bestimmt als das Bewusstsein. Das spannende an den Erkenntnissen der
Neurowissenschaften ist, dass sehr unterschiedliche Inhalte im Unbewussten
lokalisiert werden, u.a. alle Strukturen, die sich vor Ausreifung des
Langzeitgedächtnisses bilden und daher der infantilen Amnesie unterliegen,
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gleichwohl aber wesentliche Aspekte unserer Persönlichkeit prägen (vergl.
Gerhard Roth „Wie das Gehirn die Seele macht“ 2015 S. 202ff). Ich habe also als
tiefenpsychologisch ausgebildete Beraterin ein Interesse daran, die unbewussten
Prozesse des menschlichen Handelns etwas besser zu verstehen.
In dem Sammelband „Abtreibung“ herausgegeben von Ulrike Busch u.a., der
2015 erschienen ist, beschreibt Frau Prof. Helfferich Schwangerschaftsabbruch
und empirische Forschung in ihrem verwoben sein in den jeweiligen
gesellschaftlichen Strömungen. Ein Unterkapitel heißt: „Die inneren Gründe: Der
Abbruch als neurotische Konfliktlösung und die Psychopathologie der
abtreibenden Frau“. Darin beschreibt Frau Helfferich sehr anschaulich, dass sich
ab 1976 eine Forschungstradition entwickelte, „ in deren Mitte, die psychischen
Konflikte der ungewollt Schwangeren standen“ (S. 67). Auf S. 260 desselben
Buches entwickelt Jutta Franz, „dass der Begriff
Schwangerschaftskonfliktberatung suggeriert, es gehe vor allem um einen
intrapersonellen persönlichen Konflikt der ungewollt schwangeren Frau, ob sie die
Schwangerschaft austrägt oder nicht.“ Natürlich ist uns allen klar, dass der
Schwangerschaftskonflikt mehrdimensional ist und geprägt von vielfachen
gesellschaftlichen, politischen, religiösen Einstellungen, Werten, Normen etc. Ich
will das Thema „Konflikt“ keineswegs pathologiesieren. Tiefenpsychologische
Beratung bedeutet für mich nicht, die einzelne Frau im Schwangerschaftskonflikt
unter pathologischen Gesichtspunkten zu sehen. Zumal ich darauf hinweisen
möchte, dass bei jeder Schwangerschaft – auch bei jeder ungewollten und
ungeplanten - nicht nur die Frau im Konflikt ist, sondern das Paar. Die Frau würde
nicht schwanger, wenn sie nicht zuvor Geschlechtsverkehr mit einem Mann
gehabt hätte. Also sind immer zwei Menschen beteiligt.
Aus der Sicht der Tiefenpsychologie gilt: Konflikte gehören zu unserem Leben.
Wir alle haben Konflikte und sind immer wieder gezwungen, sie entweder
wahrzunehmen, in die eine oder andere Richtung zu lösen oder sie zu
verdrängen. Ebenso gehören Ambivalenzen zum menschlichen Leben. Sie sind
nicht etwa pathologisch, sondern sie sind eine normale Ausdrucksform der Seele.
Über persönliche Konfliktthemen nachzudenken und sie in ihrer Geschichtlichkeit
und in ihrer aktuellen Dynamik zu verstehen erfordert Mut und ein großes Maß an
innerer Stärke. So wie sich unser Selbst nur über die spiegelnden Beziehungen
mit Objekten, in der Regel den Eltern, bildet, entwickelt sich auch
Selbsterkenntnis über die Beziehungen zu anderen Menschen. In der Beratung
findet nun ein ähnlicher Prozess statt: Indem die BeraterIn sich den inneren
Prozessen der Klientin zuwendet, signalisiert sie, dass diese Aspekte der Person
wesentliche Motive für das Erleben und Verhalten der Klientin beinhalten. Ähnlich
wie in der frühen Kindheit braucht es eine Beziehung, ein Gegenüber, um
verborgene Selbstanteile zu erkennen und zu verstehen.
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Was heißt das für die Schwangerschaftskonfliktberatung? Zu Beginn jeder
Schwangerschaft drängen eigene pränatale und präverbale Erinnerungen aus
dem Unbewussten ins Vorbewusste. Diese früh gemachten Erfahrungen,
bestimmen wesentlich den Verlauf der Schwangerschaft und auch die innere
Annahme oder Ablehnung der Schwangerschaft.
Ich will versuchen, das an einem Fallbeispiel zu verdeutlichen:
Eine Frau kommt zur Schwangerschaftskonfliktberatung. Sie ist 38 Jahre alt und
Bankangestellte. Sie lebt im eigenen (ererbten) Haus. Die Eltern sind gestorben.
Sie ist in der 7. Woche schwanger. Seit einem Jahr hat sie ein Verhältnis zu
einem Arbeitskollegen (41 J.), was von beiden in der Bank geheim gehalten wird.
Der Kollege lebt in einer Doppelhaushälfte, die andere Hälfte wird von der
verwitweten Mutter bewohnt. Das Projekt „Doppelhaus“ war von ihm und den
Eltern gemeinsam geplant, weil der Mann den Wunsch nach eigener Familie
aufgegeben hatte. Inzwischen ist der Vater überraschend gestorben und nur noch
die Mutter lebt.
Die Frau erzählt, dass die Beziehung für sie zu wenig Verbindlichkeit hat. Sie
hatte gehofft, die Schwangerschaft würde den Druck in Richtung Verbindlichkeit
erhöhen. Nun ist sie tief enttäuscht, weil er weiterhin zögerlich und unklar bleibt.
Nach dieser ersten Stunde macht die Beraterin das Angebot einer weiteren
Beratungsstunde und schlägt vor, den Mann miteinzuladen. Das Paar kommt
daraufhin gemeinsam; äußerlich passen die beiden ganz gut zusammen. Sie
sehen gepflegt und ordentlich aus. Bei beiden war der Kinderwunsch nie stark
ausgeprägt. Sie ist mehr an einer verbindlichen Beziehung als an
Familiengründung interessiert. Sie kann sich vorstellen, ihr Haus aufzugeben und
zu ihm zu ziehen, oder etwas ganz Neues gemeinsam zu schaffen. Er findet das
alles zu früh, argumentiert mit dem noch nicht fertigen Garten und bleibt vage. Sie
merkt, dass er keine Entscheidung treffen wird und ist tief enttäuscht von ihm und
der Beziehung. Sie ihrerseits kann eigene Wünsche nicht klar formulieren und
leistet damit seiner vagen Art Vorschub. Statt klarer Wünsche wird sie traurig und
manipulativ und drängt ihn damit noch mehr in den Rückzug. Da er gedacht hat,
dass Thema Familiengründung wäre für ihn erledigt, war er darüber zwar traurig;
jetzt, da es auf ihn zukommt, kann er es nicht annehmen. (Dieses nicht
annehmen können hat vermutlich mit inneren unverarbeiteten Konflikten zu tun,
die in der Beratung nicht zur Sprache kommen und nur hypothetisch von der
Beraterin gedacht werden können). Die Frau wird ebenfalls Gründe haben, dass
sie sich einen so „vagen“ Mann ausgesucht hat und durch eine Schwangerschaft
erhofft Druck zu machen. Das wäre in jedem Fall mit beiden nur in einer längeren
Beratungsbeziehung verstehbar. Es fällt auch auf, dass beide offenbar ein großes
Sicherheitsstreben haben und wenig spontan entscheiden und leben können. In
der Beratung kann verdeutlicht werden, in welchem Interaktionszirkel, beide
feststecken. Je mehr sie versucht ihn zu manipulieren umso vager wird er. Es
gelingt schließlich mit Unterstützung der Beraterin beide klare Wünsche und
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Vorstellungen aussprechen zu lassen. Dadurch wird allerdings deutlich, dass die
Wünsche und Vorstellungen beider diametral entgegengesetzt sind. Einig sind sie
sich darin, dass sie kein Kind wollen; um das Kind ist es nie gegangen. Auf der
unbewussten Ebene war die Schwangerschaft nur Mittel zum Zweck. Durch sie
konnte verdeutlicht werden, was beide wünschen: sie wünschte sich eine
verbindliche Beziehung zu ihm. Ihm fehlt der Mut sowohl zu einer Beziehung als
auch zum Kind (Familie). Er hatte ursprünglich die Hoffnung, es könnte diesmal
gelingen. Er empfindet Trauer über das Scheitern, traut sich aber nicht zu, etwas
zu verändern. Sie entscheiden sich für einen Abbruch und das heißt auch für das
Ende ihrer Beziehung.
Sowohl in dieser Fallschilderung als auch in den oben genannten Fällen zeigt
sich, welch großen Anteil unbewusste Prozesse am Austragen oder am Abbruch
der Schwangerschaften haben. Wenn in der Beratung, in einer guten,
wertschätzenden, tragenden und haltenden Beziehung etwas davon verstanden
werden kann, können Frauen/Paare eine für sie angemessene und reflektierte
Entscheidung treffen. Das dient der psychischen Gesundheit, der inneren
Verarbeitung und ist daher zugleich Schutz vor eventuellen weiteren ungeplanten
Schwangerschaften. Daher ist die Sinnhaftigkeit von
Schwangerschaftskonfliktberatung nicht hoch genug einzuschätzen.
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