PDF-Datei - Universität Bamberg

Zwischen Beschimpfung
und unverbrüchlicher Freundschaft
Die Geschichte der polnisch-deutschen Beziehungen in sprachwissenschaftlicher Perspektive
von Yvonne Pörzgen
Sie küssten und sie schlugen sich: Das deutsch-polnische Verhältnis war und ist wechselhaft,
aber immer spannungsreich. Tiefe historische Einblicke in den jeweiligen Zustand der Volksseele
ermöglicht die Untersuchung der Frage, wie den polnischen Nachbarn durch die Jahrhunderte
die deutsche Sprache beigebracht wurde. Ein Fall für die Bamberger Sprachwissenschaft und die
Arbeitsstelle zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache.
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„Kritisch“: Wenn es um den derzeitigen Stand der deutsch-polnischen
Beziehungen geht, ist kaum ein
Wort so häufig zu hören. Kritisch
stehen die Deutschen den Forderungen Polens bei den Verhandlungen zum EU-Vertrag gegenüber.
Polens langes Pochen auf die ältere
Vereinbarung, Beschlüsse mit einer
Sperrminorität um bis zu zwei Jahre
verzögern zu können, fand auf der
deutschen Seite wenig Verständnis.
Kritisch beurteilen wiederum die
Polen die Bestrebungen der Deutschen, die seit Jahren ein Vertriebenenzentrum einrichten wollen.
Die polnische Seite reagiert da gern
einmal mit Ankündigungen, man
werde die Schäden, die Deutsch-
land im Zweiten Weltkrieg in Polen
angerichtet habe, von der Bundesrepublik einfordern. Seit die Zwillinge Lech und Jarosław Kaczyński
2005/2006 zu Polens Staatspräsident beziehungsweise Ministerpräsident aufgestiegen sind, hat sich
die gereizte Stimmung noch verstärkt. Auf dem Titelbild der Ausgabe 26/2007 (Juni) des Politmagazins
Provokantes Cover des Magazins Wprost
Wprost (Direkt) sieht man sie, wie sie
von Angela Merkel gesäugt werden.
Merkel wird als „Macocha Europy“
bezeichnet, was sowohl „Stiefmutter“ als auch „Schlampe Europas“
heißen kann. Im zugehörigen Artikel wird geklagt, Deutschland sei
früher Polens Anwalt gewesen, jetzt
sei es Polens Ankläger.
Das neueste Beispiel für die angespannte Lage ist die Diskussion
um deutsche Kulturschätze, die in
der Krakauer Jagiellonenbibliothek
verwahrt werden. Teile des Nachlasses von Goethe, Handschriften
von Beethoven und das Manuskript
des Deutschlandliedes von Hoffmann von Fallersleben wurden im
Zweiten Weltkrieg aus der Berliner
Sprachwissenschaft, Deutsch als Fremdsprache
Nationalbibliothek ausgelagert und
befanden sich bei Kriegsende auf
heute polnischem Gebiet.
Angesichts der zahlreichen Konflikte scheint es unglaublich,
dass Polen und Deutsche sich
vor 165 Jahren beim Hambacher
Fest „unverbrüchliche Freundschaft“ geschworen haben und in
Deutschland eine regelrechte Polen-Begeisterung herrschte. Die
deutsch-polnischen Beziehungen
haben eine ebenso lange wie wechselvolle Entwicklung hinter sich.
Ein Aspekt, der in diesem Kontext
eher selten betrachtet wird, ist das
Erlernen der jeweils fremden Sprache. Daran, wann und wie polnische
Muttersprachler Deutsch lernten,
lassen sich viele Wendungen im
Verhältnis der beiden Völker zueinander ablesen. Diesem Thema hat
die Arbeitsstelle zur Geschichte des
Deutschen als Fremdsprache (siehe
Kasten) ein Projekt gewidmet, dessen Ergebnisse in diesem Jahr in
Buchform erschienen sind. In diesem Artikel sollen schlaglichtartig
einige Aspekte der Geschichte des
deutsch-polnischen Verhältnisses
anhand einiger Schulwerke dargestellt werden.
„Wie viel habt ihr
grüne Tücher?“
Deutsche und jüdische Kaufleute
reisten seit dem 10. Jahrhundert
durch polnisches Sprachgebiet. Seit
dem 14. Jahrhundert gab es Handelsbeziehungen zwischen Thorn
und Nürnberg. Für Handelsreisende war es damals wie heute von
Vorteil, sich in der Landessprache
verständigen zu können. Zu diesem Zweck wurden wahrscheinlich
handschriftliche Sammlungen von
zwei- oder mehrsprachigen Wörterlisten und kurzen Sätzen und
Gesprächen erstellt, die sich leider
nicht erhalten haben. Solche Manuskripte waren wohl die Vorlage
zu frühen Sprachbüchern wie Eyn
kurtze vnd gruntliche Vnderweisung
beider sprachen / zu reden vnd zu lesen Polnisch vnd Deutsch von circa
1524. Das Gesprächsbuch enthält
Dialoge und Beispielsätze zum Abschließen von Handelsgeschäften,
zum Beispiel: „Wie viel habt yhr
gryne tucher.“
graphische Arbeiten für so unterschiedliche Themenbereiche wie
den Bergbau, die Eisenbahntechnik, das Straßenbahnwesen, die
Elektrizität und Elektrotechnik, das
Baugewerbe, die Papierherstellung,
die Forstwirtschaft und die Jagd, die
Medizin, die Botanik, die Vogelkunde und das Turnerwesen.
Im 18. Jahrhundert verlor Polen
international an politischer Bedeutung. Nach der letzten polnischen
Teilung 1795 verschwand der polnische Staat faktisch bis 1918 von
der Landkarte. In den österreichisch und polnisch besetzten Teilen kam es zwar gelegentlich zu
Unruhen, die aber nichts waren
im Vergleich zu den Protesten im
russischen Teil. Den Aufstand von
1830/31 verfolgten die liberalen
Kreise Europas mit Begeisterung.
In Deutschland wurden überall
Polenvereine gegründet, um die
Kämpfer in ihrem Widerstand gegen die als reaktionär angesehenen
Russen zu unterstützen. Polnische
Adlige, die am Aufstand teilgenommen hatten, wurden enteignet und
deportiert. Als Fluchtbewegung
kam es zu einem Massenexodus der
gebildeten Schichten über Deutschland nach Frankreich. Auf diese
Weise gelangte auch Chopin nach
Frankreich. In Deutschland wurden
die Polen begeistert begrüßt, beim
Hambacher Fest 1832 wurde die
polnische Flagge neben der deutschen Trikolore gehisst.
Ein kurioses Beispiel für die polnisch-deutschen Kontakte stellt der
Beichtspiegel von Nazarius Sasse aus
dem Jahr 1906 (4. Auflage 1909) dar.
Im 19. Jahrhundert waren viele Polen ins Ruhrgebiet gekommen, um
sich hier, wie zuvor in ihrer Heimat, als Bergleute zu verdingen.
Der Beichtspiegel ist nun ein „Hilfsbüchlein für Geistliche“ in folgender
Situation: Ein polnischer Katholik,
der kein Deutsch kann, möchte bei
einem deutschen Pfarrer, der kein
Polnisch kann, die Beichte ablegen.
Zur Vermittlung kann der Pfarrer
zum Beichtspiegel greifen: Nach Geboten gegliedert stehen hier in zwei
Spalten, links auf Polnisch, rechts
auf Deutsch, sämtliche denkbaren
Fragen und Antworten. Der Pfarrer
konnte etwa auf die Frage „Wann war
die letzte Beichte?“ deuten, und dem
Beichtling standen als Antworten
Pfingsten, Neujahr, Fastnacht, Mariä Lichtmeß sowie Monatsnamen
zur Auswahl. Der durchgängig polnisch-deutsche Beichtspiegel macht
nur bei den Verstößen gegen das
Gebot der Keuschheit eine Ausnahme: Hier sind Fragen und Antworten auf polnisch und lateinisch angeführt. Dafür gehen sie durchaus
ins Detail. Auf die Frage, mit wem
der Pönitent unkeusch gewesen sei,
gibt es als mögliche Antworten den
Bruder, die Schwester, einen anderen Jungen, ein anderes Mädchen
oder ein Tier. Der Geistliche konnte
zudem nachfragen, wie die Sünde
Das Deutsche war sicherlich für
die Polen in Preußen und in Österreich, aber wahrscheinlich bis etwa
1900 auch in Łódź die maßgebliche
Sprache in Technik, Verwaltung
und Wirtschaft. Zwischen 1870
und 1918 finden sich zahlreiche
zwei- oder mehrsprachige lexiko-
Ein kurioser Beichtspiegel
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begangen wurde, ob mit der Hand
oder schlimmer, und ob sie Folgen
– also eine Schwangerschaft – nach
sich ziehen könne.
In der Zwischenkriegszeit war
deutsch die mit Abstand am häufigsten gelernte Fremdsprache in
Polen. Überraschend ist, wie lange
während des Dritten Reiches noch
die Kontakte zwischen Deutschland und Polen gepflegt wurden.
Noch 1937 trafen sich Hitlerjungen und polnische Pfadfinder bei
einem Jugendaustausch. Im Zweiten Weltkrieg wurde in einigen
der deutsch besetzten Teile Polens
Unterricht in deutscher Sprache für
die polnischen Kinder organisiert.
Unterricht auf Polnisch, ja der Gebrauch der polnischen Sprache im
Unterricht und auch in der Pause
war verboten. Greiser, Gauleiter
im Warthegau, verkündete 1942:
„In den polnischen Schulen wird
Deutsch nur soweit gelehrt, als es
notwendig ist, daß der polnische
Arbeiternachwuchs, den wir zur Erfüllung der Kriegs- und der Arbeitsaufgabe brauchen, sich in deutscher
Sprache verständlich machen kann:
d. h. die deutsche Sprache wird vokabelmäßig gelernt, darf aber gram-
matikalisch nicht richtig gesprochen werden.“ Die Kinder lernten
also eine Art Pidgin-Deutsch. Im
Regierungsbezirk Kattowitz hingegen wurde in Volksschulen nur auf
polnisch unterrichtet, deutsch stand
nicht auf dem Stundenplan.
Die aktuelle Situation
Zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen gab es wieder Austauschprogramme, man beschwor
die Völkerfreundschaft. Insgesamt
war Polen, mit seinen Aufständen
1970 und vor allem 1980 mit der
Solidarność-Bewegung, den DDROffiziellen aber suspekt, in den
1980er Jahren wurden die Kontakte
deswegen von deutscher Seite eingeschränkt.
Nach der politischen Wende von
1989/1990 ist englisch als Fremdsprache in Polen beliebter als
deutsch, das aber auch noch hoch
im Kurs steht. Außerdem gibt es
an zahlreichen Universitäten Germanistikstudiengänge. Umgekehrt
wurden in Deutschland viele slavistische Seminare geschlossen. Eine
positive Ausnahme stellt Bamberg
dar: Hier wird die Slavistik in die-
sem Jahr um eine dritte Professur
erweitert. In Sprachkursen, Vorlesungen und Seminaren lernen
Bamberger Studierende die polnische Sprache, Literatur und Kultur kennen. Fast jährlich reisen
Studierende zu Exkursionen nach
Polen. Umgekehrt kommen viele
polnische Studierende zu Studienaufenthalten nach Bamberg. Auf
dieser Ebene funktioniert der Kontakt hervorragend. Das lässt die
Querelen auf politischer Ebene weniger dramatisch aussehen.
Literatur
Glück, Helmut; Konrad Schröder, Yvonne Pörzgen, Marcelina Tkocz: Deutschlernen in
den polnischen Ländern vom
15. Jahrhundert bis 1918. Eine
teilkommentierte Bibliographie.
Harrassowitz: Wiesbaden 2007
(= Fremdsprachen in Geschichte
und Gegenwart 3).
Glück, Helmut: Deutsch als
Fremdsprache in Europa vom
Mittelalter bis zur Barockzeit.
Berlin, New York 2002.
Arbeitsstelle zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache
Die Arbeitsstelle zur Geschichte des Deut- hat mehrere Tagungen veranstaltet, zuletzt
schen als Fremdsprache (AGDaF) erforscht 2005 zu Georg von Nürnbergs Sprachbuch
seit dem Sommer
, wer zu welcher Zeit
von 1424 und 2007 zum Fremdspracheneraus welchem Grund die deutsche Sprache werb in deutschen Städten des Spätmittelerlernt hat. Als Forschungsmaterial dienen alters und der frühen Neuzeit. Bereits abgebeispielsweise Berichte von Reisenden, Kauf- schlossene Projekte haben etwa das Bild
leuten, Diplomaten oder Soldaten darüber, der Tschechen bei den Deutschen und die
wie sie Deutsch gelernt haben, aber auch kon- Bedeutung des deutschen Pastors Johann
krete Materialien wie Sprachbücher, Gram- Ernst Glück für die baltische Frühaufklärung
matiken oder Wörterbücher. Umgekehrt wird und die Entwicklung der russischen Sprache
auch der Erwerb moderner Fremdsprachen analysiert. Gegenwärtig läuft ein Projekt zu
durch deutsche Muttersprachler untersucht. Deutsch als Fremdsprache in Russland und
Dabei wird ein Zeitraum vom Mittelalter bis im Baltikum vom
. Jahrhundert bis
ins 20. Jahrhundert abgedeckt. Die AGDaF das
abgeschlossen wird.
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