Bericht aus Brüssel Politik + Wirtschaft Wenn zwei sich streiten E s ist nicht das erste Mal, dass der Lkw-Verkehr zwischen Russland und Polen zum Erliegen kommt. In den letzten Jahren hat es immer wieder Schwierigkeiten bei der Verlängerung der Lizenzen gegeben, die russische und polnische Fuhrunternehmen benötigen, um Transporte auf der jeweils anderen Seite der polnisch-russischen Grenze durchzuführen. Dieses Mal könnte der Streit allerdings länger dauern, fürchtet man in Brüssel. Polnische Lkw durften noch ausreisen Seit Anfang Februar dürfen polnische Lkw nicht mehr auf die russischen Straßen und umgekehrt. Die Lizenzen, mit denen vor allem die polnischen Transportfirmen Waren aus der EU nach Russland bringen, sind am 31. Januar ausgelaufen. Die Regierungen in Moskau und Warschau konnten sich gerade noch darauf verständigen, dass Fahrzeuge, die Anfang Februar noch auf der jeweils anderen Seite waren, bis zum 15. Februar nach Hause zurückkehren durften. In der Vergangenheit hatten vor allem die Russen Fahrzeuge und Fahrer manchmal wochenlang festgehalten, wenn sie gegen die Lizenzbedingungen verstoßen hatten. In der EU-Kommission fürchtet man aber, dass es dieses Mal länger dauern könnte, bevor die Meinungsverschiedenheiten zwischen Moskau und Warschau ausgeräumt werden. Das „politische Umfeld“ sei wesentlich ungünstiger als in der Vergangenheit, sagt ein Mitarbeiter der Verkehrskommissarin Violeta Bulc und verweist auf die Sanktionen, die die EU gegen Russland verhängt hat. Das Verhältnis Russlands zu Polen hat sich nach dem Regierungswechsel in Warschau eingetrübt. „Wir ermuntern beide Seiten, die Verhandlungen fortzusetzen“, sagt Kommissionssprecher Jakub Adamowicz. In Brüssel würde man gerne die Gelegenheit ergreifen Fotolia/Leestat Seit Anfang Februar dürfen polnische Lkw nicht nach Russland und russische Lkw nicht nach Polen: Die Länder können sich bei den TransitLizenzen nicht einigen. Das freut die Letten und Rumänen. Im Streit um Transit-Lizenzen haben sich die Fronten zwischen Polen und Russland verhärtet und mehr Einfluss auf die Vergabe von Lizenzen durch die Mitgliedstaaten nehmen. Die polnische Seite lehnt allerdings die Einmischung der EU ab. Tatsächlich ist die Vergabe von Lizenzen an Transportunternehmen aus Drittstaaten alleine Sache der Mitgliedstaaten. Die polnischen Unternehmen haben nicht zuletzt ihr Transitgeschäft durch Russland ausgebaut. In den letzten Jahren lieferten sie immer mehr europäische Waren nach Kasachstan und bis in die Mongolei. Warschau verlangt von Moskau mehr Transitlizenzen für das wachsende Geschäft. Außerdem wollen die polnischen Unternehmen mehr Lizenzen für die Ver- POLEN IST VIZEMEISTER Die Konkurrenz schläft nicht Polen ist in den letzten Jahren zum wichtigen Akteur im europäischen Straßentransport aufgestiegen. Von 2000 bis 2013 stieg die Leistung der in Polen registrierten Lkw von 75 auf 248 Milliarden Tonnenkilometer. Damit ist Polen nach Deutschland (306 Milliarden Tonnenkilometer) die Nummer zwei auf den Straßen der EU. Im grenzüberschreitenden Gütertransport sind die Polen inzwischen die Nummer eins mit 154,3 Milliarden Tonnenkilometern (2014), das war mehr als ein Viertel aller internationalen Transporte in der EU (grenzüberschreitend und Kabotage). Allerdings ist die Stellung des polnischen Transportgewerbes nicht unangefochten. In den letzten Jahren haben vor allem die rumänische und die lettische Konkurrenz aufgeholt. Ihr internationales Geschäft wuchs 2014 mit 6,9 und 6,3 Prozent wesentlich stärker als das der Polen. tw sorgung von Kaliningrad, wo Polen in den letzten Jahren viel investiert hat. Stattdessen will die Regierung in Moskau aber weniger Lizenzen für polnische Lkw vergeben und die Sanktionen für Verstöße gegen die Lizenzbedingungen drastisch erhöhen. Darin sehen die Polen eine Behinderung des Wettbewerbs. Gleichzeitig verlangt Russland deutlich mehr Lizenzen für die eigene Lkw-Flotte, weil die russischen Lkw auch den Warenverkehr mit fast allen anderen EU-Staaten über Polen abwickeln. Streit trifft Polen hart Die Polen haben in der Vergangenheit von ihrer günstigen Lage profitiert. Der Warenaustausch zwischen der EU und Russland wird zu einem großen Teil von polnischen Lkw abgewickelt. Das polnische Transportgewerbe ist auch dadurch zum wichtigsten Player auf den Straßen Europas geworden. Der Streit mit den Russen trifft die Polen deswegen hart. Nach Angaben der IRU fuhren im letzten Jahr etwa 600 polnische Lkw pro Tag über die russisch-polnische Grenze. Pro Fahrzeug entgeht den Firmen ein Umsatz von 2500 Euro am Tag. Wenn zwei sich streiten, freuen sich der Dritte und der Vierte: In Brüssel geht man davon aus, dass dieses Geschäft von lettischen und rumänischen Firmen übernommen werden könnte, wenn die russisch-polnische Blockade länger dauert. Beide Länder haben eine rasch wachsende Lkw-Flotte und noch günstigere Lohnkosᆙᆚᆚ ten als die polnische Konkurrenz. Tom Weingärtner, VR-Korrespondent in Brüssel VerkehrsRUNDSCHAU 7/2016 15
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