Ich habe keine einzige negative Reaktion erlebt

Interview Unispital
Einsatz des Spitalbataillons 75 im Universitätsspital Basel
«Ich habe keine einzige negative
Reaktion erlebt»
Soldat Stephan Zographos war im WK im Universitätsspital Basel im Einsatz. Seine Erfahrungen, unter anderem auch mit
einem sterbenden Menschen, brachten ihn an seine Grenzen, «aber stets in einem geschützten Rahmen», wie er selbst sagt.
Fachoffizier Marc Haring, Presse- und Informationsoffizier Spitalbataillon 75 und
Soldat Remo Schraner, PIO-Soldat Spitalkompanie 75/1
Im Rahmen der Übung CONEX15 wurden im September 2015 acht
Bataillone aufgeboten, um für einen allfälligen Katastrophenfall
die Zusammenarbeit mit diversen zivilen Institutionen zu trainieren. So auch das Spitalbataillon 75, welches in den verschiedensten
Abteilungen des Universitätsspitals Basel (USB) eingesetzt wurde.
Soldat Stephan Zographos unterstützte beispielsweise die chirurgische
Intermediate Care Station (IMC), eine Überwachungsabteilung für
Patienten, die eine intensive Betreuung benötigen.
Zum Abschluss der Dienstleistung luden wir Soldat Stephan
­Zographos, Vitomir Jankovic, den Abteilungsleiter der IMC, sowie
Oberstleutnant im Generalstab Kai Tisljar, Bataillonskommandant
des Spitalbataillons 75 und selber Oberarzt am USB, zu einem Gespräch ein.
Als wissenschaftlicher Berater für analytische Labors haben Sie,
Soldat Zographos, im Zivilen nichts mit der Pflege zu tun. Wie wurden
Sie im Spital eingesetzt?
Zographos: Zu meinen Aufgaben gehörten unter anderem das Umlagern von Patienten, das Erledigen von administrativen Angelegenheiten oder das Auffüllen von Verbrauchsmaterial. Vor allem war ich
aber stets bereit, wenn helfende Hände gebraucht wurden.
Der Einsatz im USB ist nun beendet. Wie ist Ihr Fazit?
Zographos: Ich würde so einen WK auf jeden Fall nochmals machen!
Das Team auf der Überwachungsstation war super. Trotz der ernsten
und intensiven Arbeit ging der Humor nie verloren. Die Tätigkeit
auf der Station war interessant. Zwar wurde ich gefordert und ich
kam – gerade im Umgang mit aufwendigen Patienten – an meine
Grenzen, jedoch stets in einem geschützten Rahmen. Als es zum
Beispiel auf der Station zu einem Todesfall kam, war das für mich
sehr hart, aber ich bekam dann die Zeit, die ich brauchte, um mit der
Situation fertig zu werden.
Einsatz im Universitätsspital Basel
Die Angehörigen des Spit Bat 75 wurden während 13 Tagen im Universitätsspital Basel als personelle Unterstützung auf verschiedenen Stationen eingesetzt. Durch die Angabe des Berufes und die Testresultate der
Pflege-Refresher-Ausbildung CURAM wurde analysiert, welche Stationen
des Spitals tatsächlich besetzt werden konnten. Pro Tag unterstützten
rund 50 AdA in drei Schichten (Früh-, Spät- und Nachtschicht) ganz unterschiedliche Bereiche des Spitals. Die meisten Stationen griffen auf AdA
ohne Fachkenntnisse zurück, während andere bewusst nur Pflegefachpersonen anfragten. Dies erforderte eine gute Planung vor dem Einsatz, um
die einzelnen Soldaten einzuteilen, aber auch eine grosse Flexibilität während des Einsatzes, um auf unvorhersehbare Änderungen und Verschiebungen reagieren zu können.
Fachoffizier Marc Haring, PIO Spit Bat 75
Jankovic: Mit der Einteilung von Soldat Zographos in meine Abteilung
hat die Armee ins Schwarze getroffen. Er war eine Bereicherung
für unser Team. Auf der Überwachungsstation gibt es neben vielen
freudigen Ereignissen auch schwierige Situationen zu bewältigen.
Der Tod gehört in einem Spital halt auch dazu. Soldat Zographos hat
sich dabei hervorragend verhalten und ich hatte den Eindruck, dass
er mit dem Ganzen auch gut umgehen konnte.
Tisljar: Damit so ein Einsatz gelingt, müssen sowohl die zivile wie
auch die militärische Seite Hand in Hand arbeiten. Grossmehrheitlich
hat die Zusammenarbeit wirklich einwandfrei funktioniert. Wir
konnten vom Spital viel profitieren und umgekehrt. Trotzdem will
ich nicht verschweigen, dass es vereinzelt Soldaten gab, die mit den
geforderten Aufgaben nicht umgehen konnten oder wollten. Oder
dass sich gewisse Spitalabteilungen schwer taten, unsere AdA in den
Alltag am Patientenbett einzubinden. Wichtig für mich ist aber, dass
in diesen Fällen Lösungen gesucht und auch gefunden wurden. Mein
Fazit: Die angestrebte zivil-militärische Zusammenarbeit funktionierte, der Einsatz war ein Erfolg.
Zographos: Ob die Erfüllung eines Auftrags gelingt, hängt bestimmt
auch von der Motivation der Soldaten ab. Hie und da habe ich sogar
vergessen, dass ich mich in einem militärischen Einsatz befinde.
Denn die Zeit ging schnell vorbei, und man schaute nicht die ganze
Zeit auf die Uhr. Es ist fast ein bisschen schade, dass dieser Einsatz
befristet war.
Werden zukünftige WK ähnlich organisiert sein?
Tisljar: In den WK geht es darum, sämtliche Aufgabenbereiche der
Spit Bat zu trainieren. Dabei stellt die Unterstützung von Zivilspitälern
einen sicher wichtigen Teil dar. Wir müssen aber auch im Stande sein,
improvisierte Bettenstationen aufzubauen und zu betreiben, oder in
einer GOPS sowie einem Militärspital Patienten zu versorgen. Zudem
braucht es für einen solchen Einsatz zivile Einrichtungen, welche
mit uns kooperieren wollen und bereit sind, die intensive und lange
Vorbereitungszeit mitzugestalten. Ich bin mir aber sicher, dass es
auch in Zukunft wieder Einsätze mit realen Patienten geben wird.
Herr Jankovic, wie waren die Reaktionen Ihres Teams, als es erfuhr,
dass ein Soldat ihren Arbeitsalltag unterstützen wird?
Jankovic: Ich habe keine einzige negative Reaktion erlebt, auch nicht
von anderen Abteilungen. Klar gab es auch ab und an einen neckischen
Spruch, doch unsere Station freute sich sehr auf die Unterstützung.
Soldat Zographos, fühlen sie sich durch den Einsatz am USB für einen
Ernstfall besser vorbereitet?
Zographos: Auf jeden Fall. Ich hatte Einblick in die Spitalstruktur und
habe nun gewisse Routinen, wie zum Beispiel die Händedesinfektion,
verinnerlicht. Auch das Spitalpraktikum in der Rekrutenschule und
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Interview Unispital
die Ausbildungen in meinen WK haben mich viel gelehrt. Mit dem
praktischen Dienst im Spital ist meine allgemeine Hemmschwelle
gesunken – mein Selbstvertrauen dagegen gestiegen.
in dieser Situation dazu, wo möglich durch alternative Routen den
Demonstranten auszuweichen, die Transfers zwischen dem Kompaniestandort und dem Spital zeitweise auszusetzen oder in einem Fall,
wo dies nicht möglich war, die AdA von der Polizei begleiten zu lassen.
Oberstlt i Gst Tisljar, wie sehen sie dies von der Bataillonsebene aus?
Tisljar: Ob und in welcher Form wir in einem Ernstfall eingesetzt werden,
ist situationsbedingt und wird jedes Mal eine speziell darauf abgestimmte
Lösung erfordern. Aber es ist natürlich von Vorteil, wenn die Koordination
von Spital und Armee bereits geübt wurde. Ich stimme Soldat Zographos
zu: Dank realen Einsätzen zu Übungszwecken werden wir die Spitäler
künftig effizienter und schneller unterstützen können. Wir müssen nicht
jedes Mal bei Null anfangen, sondern können eine gewisse Kompetenz der
Soldaten voraussetzen und müssten diese allenfalls nur etwas auffrischen.
Herr Jankovic, können Sie Oberstlt i Gst Tisljar zustimmen?
Jankovic: Ja, ganz klar. Soldat Zographos Hintergrundwissen reichte,
um die Arbeiten einer Mitarbeiterin zu übernehmen, welche für ein
paar Wochen ausgefallen ist. Somit mussten wir für sie keinen Ersatz
suchen, was uns natürlich sehr half.
Oberstlt i Gst Tisljar, eine der Kompanien bekam die Auswirkungen
Die Armee steht unter anderem für den Schutz des Volkes. Wenn
die Armee von der Polizei beschützt werden muss, wird jedoch ein
falsches Bild erzeugt. Oder?
Tisljar: Nein. Das Zivile hat in der Schweiz die Hoheit. Das heisst,
wir als Armee ordnen uns dem Primat der Zivilgesellschaft unter.
Einschliesslich unseres Schutzes in einer Situation, welche ein verhältnismässiges Handeln erforderte.
Dies in diesem Fall zu zeigen war meines Erachtens auch wichtig für
das Ansehen der Armee. Für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und
Ordnung ist die Polizei zuständig. Erst wenn deren Mittel ausgeschöpft
sind, könnte auf Antrag die Armee subsidiär zum Einsatz kommen.
Die Polizei hat zweifelsohne die grössere Kompetenz im Umgang mit
Demonstranten und kennt zudem die Verhältnisse vor Ort besser.
Daher bin ich froh, dass wir in dieser Situation so einen guten Kontakt
zur Polizei hatten und möchte mich auch an dieser Stelle nochmals
für deren Einsatz zu unserem Schutz bedanken.
der gewalttätigen Demonstrationen gegen die Übung «Conex» direkt
zu spüren, musste zeitweise von der zivilen Polizei beschützt und eine
Herr Jankovic, was halten sie als Zivilist von den Demonstrationen?
Gruppe von AdA sogar eskortiert werden. Wie gingen Sie damit um?
Jankovic: Ich frage mich, ob diese Leute wirklich wussten, was die
Armee im und um das Universitätsspital wirklich geleistet hat. Hätten
die Demonstranten selbst Angehörige, welche hier in einem Bett
liegen würden, wären sie dann trotzdem auf die Strasse gegangen? n
Bild: Fachoffizier Marc Haring, PIO Spit Bat 75
Tisljar: Während des Dienstes bin ich für alle AdA des Spit Bat und
deren Sicherheit verantwortlich. Gleichzeitig gilt es den Auftrag zu
erfüllen. Aufgrund der etwaigen Gefährdung entschieden wir uns
Oberstleutnant im Generstalb Kai Tisljar, Kommandant des Spitalbataillons 75 (links), Vitomir Jankovic, Abteilungsleiter am Universitätsspital Basel und Soldat Stephan Zographos sprechen nach dem Einsatz im Unispital über ihre Erfahrungen.
Truppenübung CONEX 15
5000 AdA trainieren Ernstfall
Vom 16. bis 25. September 2015 führte die Territorialregion 2 in der Nordwestschweiz und am Jurasüdfuss die Truppenübung CONEX 15 durch. Rund 5000
Angehörige der Armee trainierten mögliche Einsätze zugunsten ziviler Behörden wie die Bewachung und Überwachung wichtiger Infrastrukturen oder die
Unterstützung im Bereich Genie und Rettung. Wichtig dabei war die Zusammenarbeit mit den zivilen Partnern (unter anderen die Schweizerischen Rheinhäfen
Basel, das Universitätsspital Basel, das Grenzwachtkorps und die SBB) sowie
mit den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn sowie
deren Polizeikorps. Im Rahmen der Übung fanden für die Bevölkerung eine Präsentation und Ausstellung (EXPO) von Fähigkeiten und Mitteln der beteiligten
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Truppen in Muttenz und ein grosser Vorbeimarsch (DEFILEE) in Zofingen statt.
Durch die Grössenordnung der Übung und die Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden ergab sich ein gesteigertes mediales Interesse. Militärkritisch
gestimmte Gruppierungen nahmen die erhöhte Präsenz der Armee in Basel
zum Anlass und führten gegen CONEX15 unter anderem zwei Demonstrationen durch, von denen eine den friedlichen Rahmen verliess. Vier Polizisten wurden dabei verletzt und es kam zu zahlreichen Sachbeschädigungen. AdA und
Armeematerial und kamen nicht zu Schaden.
Fachoffizier Marc Haring, PIO Spit Bat 75
Hebamme
Spitalbataillon 75
Die Hebamme im Militär
Obergefreite RKD (Rotkreuzdienst) Christine Fässler gewährt uns einen Einblick in ihre Arbeit auf der Geburtenstation.
Und erklärt, wieso ihre Söhne in die Rekrutenschule sollen.
Soldat Remo Schraner, PIO-Soldat Spit Kp 75/1
Bild: Soldat Silvio Leoni, PIO-Soldat Spit Kp 75/1
Wir stehen vor einer blickdichten Türe und
drücken auf die Klingel. So meldet man sich
an, wenn man auf die Geburtenstation des
Universitätsspitals Basel gelangen möchte.
Kurz darauf geht die Schiebetüre auf und
wir werden von einer freundlichen Dame in
weiss begrüsst. Sie bittet uns, einen M
­ oment
auf Obergefreite Rotkreuzdienst (RKD)
­Christine Fässler zu warten.
Wir schauen uns um: Die Station ist
ganz in weiss gehalten, in einer Ecke befindet sich eine Sitzgelegenheit für Kinder
mit einem Riesenteddy, ein Storch bewacht
den Eingang der Station und auf den Fluren
befinden sich Hebammen und Pflegeassistentinnen – und ein paar Verwandte, welche
mit Freudentränen in den Augen das Zimmer
mit dem Familiennachwuchs suchen.
«Es ist schon ein anderes Arbeiten hier»
Obergefreite RKD Fässler begrüsst uns
freundlich und bittet uns an einen Tisch
in der Wartezone der Geburtenstation.
Strahlend erzählt sie uns, dass Noah mit ihr
aufs Foto kommen wird. Noahs Mutter ist
am Morgen früh auf die Geburtenstation
gekommen, gebar ihren Sohn um 11:12 Uhr
und schon am Nachmittag wird sich die
kleine Familie wieder nach Hause begeben.
«Es ist schon ein anderes Arbeiten hier»,
erzählt uns die Obergefreite RKD, welche
im Zivilen ebenfalls als Hebamme arbeitet.
Normalerweise betreue sie die werdenden
Eltern über mehrere Wochen in Form von
Kursen, Schwangerschafts-Kontrollen und
Gesprächen, in denen sie von möglichen
Ängsten oder Eigenheiten des Paares und vor
allem der Mutter erfährt. Dies fehle hier im
Spital. «Trotz der wenigen Zeit, die wir hier
als Hebammen haben, schaffen wir es trotzdem, eine nahe und persönliche Betreuung
für die werdenden Eltern zu gewährleisten.
Das erstaunte mich am meisten.»
Auf die Frage, warum sie auch im
Militär als Hebamme arbeiten wollte,
antwortet sie: «Ich hätte ansonsten nie die
Möglichkeit gehabt, in einem so grossen
Betrieb hinter die Kulissen zu schauen.
Zudem leiste ich Militärdienst, weil ich die
Kameradschaft sehr schätze und ich her-
Obergefreite RKD Fässler präsentiert stolz den kleinen Noah.
ausfinden wollte, ob die Zusammenarbeit
mit den Männern funktioniert – und sie
funktioniert!»
Die Mutter und die Beingümmeli
Vieles vom Militär nutze sie auch im zivilen
Leben, wie zum Beispiel die strukturierte
Organisation und dass man Verantwortung
übernimmt. Sie erwähnt ebenfalls, dass sie
möchte, dass ihre beiden Söhne (14 und 15
Jahre alt) Militärdienst leisten. «Sie müssen
keine militärische Laufbahn einschlagen.
Ich will aber, dass sie so mehr Selbstverantwortung übernehmen. Denn in der Rekrutenschule hat man keine Mutter, welche
dir deine Beingümmeli hinterher schleppt»,
witzelt Obergefreite RKD Fässler. In einem
Nebensatz erwähnt sie, dass sie sich immer
ein Partner gewünscht hat, welcher Militärdienst leistet. «Mein Mann ist Oberleutnant», schmunzelt sie.
Die Obergefreite Hebamme verschwindet kurz in einem Zimmer und kommt mit
einem Hämpfelchen Leben auf dem Arm
hinaus: Noah. Von der Geburt noch ein wenig zerknautscht fühlt er sich sichtlich wohl
auf den Armen der erfahrenen Hebamme
Fässler. Beide posieren für das Foto und wir
können es gar nicht richtig fassen: Noch am
Morgen war das Baby im Bauch der Mutter
und in wenigen Jahren wird auch Noah die
Beingümmeli selbst suchen müssen. n
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Nachtschicht
Einsatz im Universitätsspital Basel
Wenn der Patient flüchtet und
der Soldat zittert
Spitalneuling Schraner meldet sich zum Dienst: Im Rahmen der Übung Conex15 waren zahlreiche Angehörige des Spitalbataillons 75 im Universitätsspital Basel im Einsatz. So auch Spitalsoldat Remo Schraner. Folgend sein ganz persönlicher
Erfahrungsbericht von seiner ersten Nachtschicht.
Soldat Remo Schraner, Spit Kp 75/1
Spital-Slang und ungeahnte Ängste
Im Personalzimmer der Station angekommen, ist der Rapport für die Nachtschicht
im vollen Gange. Ich setze mich auf einen
Stuhl, höre gespannt zu und verstehe herzlich
wenig. Abkürzungen bin ich mir vom Militär
her gewohnt, aber aus diesem Spital-Slang
werde ich nicht schlau. Nach dem Rapport
zeigt mir die Pflegefachfrau die Abteilung
und erklärt, dass es sich hier ausschliesslich um Leukämie-Patienten handle, also
Blutkrebs. Innerlich bin ich am flüchten.
Ich war schon an einigen Beerdigungen von
Familienmitgliedern und Freunden, welche
ich wegen dem Krebs verlor. Wie soll oder
kann ich nun mit den Patienten hier umgehen? Kann ich professionell bleiben und
mein Mitgefühl «in Schach» halten oder
werde ich emotional überfordert sein? Ich
habe Angst und das gefällt mir nicht. Aber
auch als erwachsener Mann und Soldat muss
man seine Ängste akzeptieren, entschliesse
ich mich. Und dies versuche ich nun zu tun.
«Ich sehe keine Patienten, sondern
Menschen»
Auf der Führung durch die Abteilung entdecke ich zwei Isolations-Räume. Diese dürfen
nur mit Schutzkleidung betreten werden.
Zum einen, damit ich mich nicht mit den
Keimen des Patienten anstecke und zum an-
Bild: zvg
Es ist mir mulmig zumute, sehr mulmig.
Gerade habe ich erfahren, dass ich in der
Nachtschicht eingeteilt bin. Ich habe noch
nie mit ­Patienten gearbeitet und schon gar
nicht nachts. Mit ein paar wenigen Stunden
Schlaf mache ich mich um 22 Uhr mit meinen
Kameraden auf den Weg zum Universitätsspital Basel.
In der GOPS angekommen, ziehen wir
uns von grün in weiss um und werden dann
nach und nach auf die Abteilungen begleitet.
Ich komme auf die Medizin-Abteilung. «Easy»,
denke ich, «wird wohl nicht so anstrengend
werden.» Denn auf der «Medizin» erwarte ich
höchstens Patienten mit leichten Knochenbrü-
chen und ältere Leute mit Grippe. Spitalneuling Schraner meldet sich zum Dienst.
Universitätsspital Basel
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Nachtschicht
deren, damit ich keine zusätzliche Schädlinge
ins Zimmer bringe. Denn Leukämiepatienten haben vielfach kein Immunsystem mehr.
Zurück im Stationszimmer geht es
sofort los. Die Patienten rufen uns, indem
sie auf die Glocke drücken und wir die
entsprechenden Zimmernummern auf
dem Display ablesen können. Als der dritte
Patient läutet, werde ich alleine «auf die
Glocke gelassen», wie es so schön heisst.
Ich betrete also das Patientenzimmer. Die
Dame will ein Schlafmittel. In Absprache
mit der Pflegefachfrau bringe ich der Patientin das gewünschte Medikament mit
zittrigen Händen meinerseits. Den nächsten
Patienten begleitete ich zur Toilette. Mit der
Zeit werde ich selbstbewusster und ich nutze
mein gelerntes Wissen und mobilisiere sogar Patienten in ihre Rollstühle. Die Krankheit Leukämie verschwindet nach und nach
in meinem Kopf und in den Vordergrund
treten die Patienten selbst, welche ich mit
der Zeit schlicht als «normale» Menschen
sehe, welche auf meine Hilfe angewiesen
sind. Der jüngste Patient ist 20, also vier
­Jahre jünger als ich. Als würde die Pflegerin
mein Unbehangen spüren, übernimmt sie
den Patienten für den Rest der Nachtschicht.
Da läutet auch schon die nächste Glocke.
Als ich die Tür öffne, sehe ich einen
Mann mit mehreren Infusionen, welcher über
die Bettkante kraxelt. Rechtzeitig mobilisiere
ich ihn zurück ins Bett. Sein Zimmergenosse
hat zum Glück die Glocke betätigt.
Soldat Remo Schraner, in der Garderobe der
GOPS, freut sich auf den Schlaf.
Gedimmtes Licht auf der Abteilung während der Nacht.
Bald Feiermorgen
Bilder: Fachoffizier Marc Haring, PIO Spit Bat 75
Um vier Uhr Morgens macht sich die Müdigkeit bemerkbar. Ein kleiner Snack und viel
Wasser helfen mir, um bis 7 Uhr fit zu bleiben.
Auf meinem letzten Rundgang, welcher alle
zwei Stunden stattfinden muss, betrete ich
ein Zimmer, da die Glocke aufleuchtete. Eine
ältere Dame sitzt am Bettrand und fuchtelt
wild mit ihren Armen und sie röchelt laut.
Um ihre Panikattacke nicht zu fördern,
probiere ich, ­ruhig zu bleiben, spreche mit
ruhiger Stimme mit ihr und drücke gleichzeitig den Alarm, damit ich Unterstützung
der Pflegerin bekomme. Was für eine Nacht!
Unterwegs zurück in die ZSA spüre ich, wie
müde ich bin und freue mich sogar auf meinen Schlafsack im Bunker. n
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