Welchen Schöpfer hat die Schöpfung?

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T hG 58 (4/2015), 290–302
JOSEF FREITAG
Welchen Schöpfer hat die Schöpfung?
Was verändert sich in der Schöpfungstheologie, wenn man vom Schöpfer und nicht
von der Schöpfung her denkt? Das ist die zentrale Fragestellung, der Josef Freitag
aus dogmatischer Perspektive nachgeht. – Prof. Dr. Josef Freitag (geb. 1950) ist Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Seine Forschungsinteressen liegen in der Ekklesiologie, der Ökumene, der
Pneumatologie sowie der Kontextualität und Katholizität der Theologie. Veröffentlichungen u. a.: Geist – Vergessen – Geist-Erinnern: Vladimir Losskys Pneumatologie als Herausforderung westlicher Theologie, Würzburg 1995; Sacramentum ordinis
auf dem Konzil von Trient: ausgeblendeter Dissens und erreichter Konsens, Innsbruck 1991; Sakramentale Sendung: Gabe und Aufgabe des Sacramentum ordinis,
Freiburg 1990.
Die Frage „Welchen Schöpfer hat die Schöpfung?“ mag verwundern, weil
Menschen meist eher und mehr an der Schöpfung interessiert sind als daran, nach dem Schöpfer der Dinge und Menschen zu fragen. Und doch:
Wenn wir die Welt als Schöpfung, die Dinge und Menschen als Geschöpfe
in dieser Schöpfung annehmen und glauben wollen, dann geht das nicht
ohne eine irgendwie geartete Vorstellung von diesem Schöpfer, so unreflektiert sie auch sein mag. Wer oder was ist dieser Schöpfer als Schöpfer eigentlich? Was für ein Schöpfer ist er? Mit wem haben es die Menschen als seine
Geschöpfe zu tun und wie? Die Vorstellungen von einer Schöpfung (als
Vorgang und Ergebnis) und insofern von einem wie auch immer gearteten
Schöpfer sind in den überlieferten Mythen durchaus verschieden.
1. Die beiden Schöpfungserzählungen der Genesis
Diese Nichtselbstverständlichkeit einer Vorstellung vom Schöpfer zeigt
auch die biblische Tradition, die an ihren Anfang zwei verschiedene Schöpfungserzählungen stellt (Gen 1,1–2,4a; 2,4b–25), die auch verschiedene Vorstellungen des Schöpfers implizieren und diese Differenz durchaus markieren. Dem voraus und auch zugrunde liegt die Tatsache, dass beide
Erzählungen Vorstellungen aus der Umwelt aufnehmen und modifizieren.
Diese Modifikation verrät etwas von ihren Schöpfungs- und Schöpfervorstellungen.
So übernimmt die Schrift nie Vorstellungen, die Welt sei aus dem Leib eines
Gottes selbst entstanden. Sie kennt auch später keine Emanationsvorstellungen. Ebenso wenig übernimmt sie die Vorstellung, die Menschen seien
von den Göttern dazu geschaffen, die Götter zu ernähren, oder sie seien
Resultat eines Götterkampfes (bei jedem Unterwerfungsvorgang in der Ge-
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schichte ein wesentlicher Aspekt: Was soll eine Unterwerfung ohne Tributleistung, wenn der „Herr“ nichts davon hat, nicht davon lebt?).
Die Schrift „korrigiert“ vielmehr viele Vorstellungen – gerade in deren
Übernahme. So spricht die ältere Schöpfungserzählung (Gen 2,4b–25) gar
nicht das doch grundlegende Entstehungsproblem an, sondern setzt die
Welt in ihrer Grundwirklichkeit voraus und interessiert sich für die Stellung des Menschen darin. An dieser Stellung wird deutlich, von welchem
Schöpfer diese Erzählung „erzählt“.1 Die Erschaffung des Menschen erfolgt
durch Gott in zwei Phasen: Er formt zunächst den Menschen aus Ackerboden, dann bläst er in seine Nase den Lebensatem. „So wurde der Mensch
zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 2,7). Der Schöpfer erschafft oder formt
nicht nur, er macht das Geformte lebendig, er will den Menschen lebendig.
Damit ist der Mensch vor das Problem des Lebens, d. h. der Lebensführung
und von daher des Sterbens gestellt (vgl. Gen 2,16f.). Damit nicht genug:
Allein ist nicht gut zu leben, es geht nicht ohne Hilfe/Lebensgefährtin/
Lebensgefährten. Dazu reichen Tiere, kurz: alles, was der Mensch benennen und beherrschen kann, nicht aus. Herrschaft reicht nicht zum Leben
(selbst bei aller nötigen Versorgung), Herrschaft überwindet nicht Alleinsein. Dazu braucht der Mensch „seinesgleichen“, „Fleisch von seinem
Fleisch“, die Frau. Zweigeschlechtlichkeit dient nicht nur oder zuerst der
Fortpflanzung, sondern viel unmittelbarer, direkter dem Erhalt des Lebens
als Mensch, was ohne dieses Miteinander nicht möglich bleibt.
Welchen Schöpfer hat diese „Menschenschöpfung“? Einen Schöpfer, der
Menschsein nicht nur „herstellt“, sondern in seinen Bedingungen ermöglicht und den Menschen selbst an seinem Menschsein und Menschwerden
beteiligt. Dieser Schöpfer ist „am Menschsein orientiert“, statt den Menschen für sich nutzen zu wollen. Der Mensch ist als solcher nicht einfach in
seiner Gottesabhängigkeit geschildert – und dementsprechend wird der
Schöpfer vorgestellt!
Die erste, jüngere Schöpfungserzählung der Genesis, die wohl die ältere
kennt, setzt die Akzente anders. Sie ergänzt, modifiziert, korrigiert die
Tradition, d. h. die eigene Sicht, in eigener Weise. Sie nimmt nicht nur wesentlich konkretere Vorstellungen und Überlieferungen aus Babylon auf
(bis hin zu polemischer Veränderung, sozusagen „feindlicher Übernahme“,
wenn Sonne und Mond als Lampen an den Himmel gehängt dargestellt
werden, wobei sie dennoch die Zeit prägend und rhythmisierend bleiben),
sondern nimmt die Grundvorstellung vom Erschaffen als Ordnen, als
Überwinden des Chaos, des Tohuwabohu auf, setzt dieses also als vorgegeben voraus, aber lässt darüber den Geist Gottes schweben. Die Schöp1
Die Verse 2,4b–6 schildern die Welt eigens „vor dem Menschen“, sozusagen im vom Menschen vorgestellten „Rohzustand“; den Menschen, den der Schöpfer (aus dem Ackerboden) schafft, setzt er in einen
Garten, den er eigens für den Menschen anlegt, damit dieser leben kann; dazu muss der Mensch ihn
„bebauen und behüten“ (Gen 2,15).
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fung entsteht als „Ordnung“ auf Gottes Wort hin und durch Gottes Wort
und Willen. So sehr etwas vorausgesetzt wird, Gott bleibt nicht einfach der
aus etwas fabrizierende Handwerker (später im Bild des Uhrmachers, des
„entwickeltesten“ Handwerkers dargestellt), Gott schafft nicht nach seinen
Ideen, sondern handelt souverän, chaosüberlegen und setzt und stiftet die
Grenzziehungen und Ordnungen, eben die Zuordnungen, die Leben ermöglichen. Der Mensch wird nicht mehr in den Garten, sondern als Herr in
die Welt über die Welt gesetzt, die ihm insgesamt zum Leben übergeben
und anvertraut ist.
Der Mensch selbst ist im Unterschied zu allem anderen Geschöpfen nach
Gottes Bild geschaffen, als Mitgeschöpf aller Geschöpfe zugleich in eine
andere Gottesbeziehung als alles andere Geschaffene hineingestellt. Diese
Gottesbeziehung des Menschen ist von vornherein für Mann und Frau,
d. h. in der Gegenseitigkeit der Geschlechter, gegeben. Die gesamte Schöpfung und ihr Gefüge werden als vollendetes, sehr gutes Werk bezeichnet
und in den Segen des (Rhythmus des) siebten Tages, d. h. in die Teilhabe
an der Ruhe Gottes gestellt.
Welchen Schöpfer hat diese so verstandene Schöpfung? Er prägt sie durch
sein Wort, das nicht einfach Befehl, sondern ein „geistiges“, durchdringendes und bestimmendes Handeln ist. Er macht nicht nur, im Menschen wird
sein Abbild in der Schöpfung gegenwärtig; und im Menschen wird in gewisser Weise der Schöpfer in der Schöpfung gegenwärtig. Darüber hinaus
wirkt der Schöpfer auch durch den Rhythmus des siebten Tages und sein
Ruhen, an dem er sein vollendetes Werk teilhaben lässt. Der Schöpfer hat
mehrere Wirkweisen und -ebenen in seiner Schöpfung. Er wirkt nicht nur
kausal oder durch seine Ideen, sein Wollen, sondern auch durch die Zeit.
Diese Zeit ist nicht nur kosmisch bestimmt/rhythmisiert, sondern vom
Wirken Gottes selbst. Die Zeit wird als „Ort“ Gottes erfahren und dargestellt – ein Aspekt, der in unseren Schöpfungs- und Schöpfervorstellungen
fast gar nicht vorkommt, obwohl oder weil die Frage nach der Zeit und
ihrem Wesen in immer neuen Anläufen angegangen, aber nie schlüssig beantwortet, sondern immer paradox erfahren wurde. Welchen Schöpfer hat
diese Schöpfung?
Das Alte Testament bleibt nicht bei den zwei Schöpfungserzählungen stehen, sondern kommt an vielen (späteren) Stellen auf die Schöpfungswirklichkeit zurück und spiegelt darin auf viele Weisen seine Auffassung vom
Schöpfer, was nämlich dessen Schöpfung, die doch sein Handeln, Reden
und Werk darstellt, von ihm mitteilt.
Wenigstens einige Aspekte dessen, welchen Schöpfer diese Schöpfung für
Israel erkennen lässt, seien genannt.
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2. Weitere Aspekte im Alten Testament
a) Der Geber der Fruchtbarkeit
Wer gibt die Fruchtbarkeit des Landes, konkret den Regen? Wer gibt so das
Leben und ist deswegen anzurufen? Der Fruchtbarkeitsgott Baal oder
JHWH? In diesem Streit siegt Elias gegen die Baalspropheten (2 Kön 17–18)
und hält Israel bei JHWH. Daraufhin kann JHWH das Baal zugeschriebene
Wirken übernehmen (vgl. Ps 65,7–14; 104; 81,17).
b) Herr der Geschichte, über Israel hinaus, weil Schöpfer der Welt
Die Bedeutung, die mit Deuterojesaja JHWH für Israel im Exil als Schöpfer
bekommt, entfaltet eine neue Dimension, weil er als Schöpfer der Welt Herr
der Geschichte ist, der deswegen – über Israel, „das Gebiet seiner Herrschaft“, hinaus – Fürsten und Völker für sein Wirken einspannen kann und
so auch Israel seine unumschränkte Herrschaft zeigt, es nicht nur rettet:
„So spricht der Herr, der Erlöser, der dich im Mutterleib geformt hat:
Ich bin der Herr, der das alles bewirkt, der ganz allein den Himmel ausgespannt hat,
der die Erde gegründet hat aus eigener Kraft,
der das Wirken der Zauberer vereitelt und die Wahrsager zu Narren macht,
der die Weisen zum Rückzug zwingt und ihre Klugheit als Dummheit entlarvt,
der das Wort seiner Knechte erfüllt und den Plan ausführt,
den seine Boten verkünden,
der zu Jerusalem sagt: Du wirst wieder bewohnt!, und zu den Städten Judas:
Ihr werdet wieder aufgebaut werden, ich baue eure Ruinen wieder auf!,
der zum tiefen Meer sagt: Trockne aus, ich lasse deine Fluten versiegen!,
der zu Kyrus sagt: Mein Hirt – alles, was ich will, wird er vollenden!,
der zu Jerusalem sagt: Du wirst wieder aufgebaut werden, und zum Tempel:
Du wirst wieder dastehen.“ (Jes 44,24–28; vgl. auch Jes 45,1–13)
Hier gewinnt der Glaube an den Schöpfer eine weitere, neue Dimension.
Der Schöpfer greift konkret in die Geschichte ein zum Heil für Israel, und
zwar durch die Völker, aber auch für die Völker. Er bestimmt das Geschehen, weil er die Macht des Schöpfers hat, eben uneingeschränkte Macht.
Auf seine Weise bestätigt diese Universalität des Handelns und damit die
Universalität Gottes als Schöpfer mit wunderbar ironischem Unterton und
Kritik an Israel, das Buch Jona, das die Barmherzigkeit des Schöpfers seinen Geschöpfen nicht verweigert, nicht einmal den ärgsten Feinden Israels,
den Niniviten, weil auch sie Geschöpfe des Schöpfers sind.
Die (Wallfahrts-)Psalmen singen diesen Grundton umfassenden Vertrauens
auf seinen Schöpfer in das Herz Israels: „Ich hebe meine Augen auf zu den
Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der
Himmel und Erde gemacht hat.“ (Ps 121,2) Und zusammenfassend für den
ganzen Lebensweg und alle Situationen Ps 124,8: „Unsere Hilfe steht im
Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (vgl. Ps 134,3).
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c) Der Schöpfer selbst geht nicht in seiner Schöpfung auf
Eine nochmals andere Wendung gibt dem Blick von der Schöpfung auf den
Schöpfer und von ihm auf den Menschen als sein Geschöpf das Buch Ijob
in Kapitel 38: Die absolut überlegene Weisheit des Schöpfers, erfahrbar in
der Schöpfung, lässt Ijob in seiner als berechtigt gezeichneten Klage Gott
gegenüber nicht verzweifeln, sondern Gottes Überlegenheit über alle Gerechtigkeitsvorstellungen hinaus anerkennen, indem er Gott selbst vernommen hat: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; jetzt aber
hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub
und Asche.“ (Ijob 42,5f.) Gott selbst als Schöpfer überzeugt in (und trotz) der
berechtigt bleibenden Klage. Erst der Schöpfer selbst, nicht schon die angenommene Weltordnung, wird zur wirklichen Antwort auf Ijobs berechtigte
Klage. Hier zeigt sich, wie wichtig gerade für den Glauben an Gott die Frage
nach dem Schöpfer ist, die nicht in seiner Schöpfung „stecken“ bleiben darf.
In diese Orientierung auf den Schöpfer selbst hin gehört m. E. auch
Weish 13,1–7, wohl geprägt schon von der Auseinandersetzung mit dem
Hellenismus, mit dem Spitzensatz: „[V]on der Größe und Schönheit der
Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen.“ (Weish 13,5)
Es geht im Alten Testament insgesamt wirklich um die Begegnung mit
dem Schöpfer und das Verhältnis zu ihm, nicht um Vorstellungen von der
Entstehung der Welt oder Menschen, die durchaus variieren können, in
Entsprechung zu der in der jeweiligen Zeit erreichten Sicht.2
d) Vertrauen auf den Schöpfer: Wurzel der Hoffnung auf Auferstehung
Eine weitere Aussagedimension und -kraft gewinnt der Glaube an den
Schöpfer und seine schöpferische Macht, nicht einfach der Schöpfungsglaube (!), in der Situation der Folterung und Ermordung von Juden um
des Glaubens an JHWH willen: Der Schöpfer hat nicht nur geschaffen, er
kann sogar neu schaffen, über den Tod hinaus. Seine Schöpfermacht wird als
stärker als der Tod (und die Tötenden) geglaubt und bezeugt. Dramatisch
lässt Makk 7,27–29 die Mutter selbst zu ihrem siebten und letzten mit Folter und Tod bedrohten Sohn sagen:
„Mein Sohn, hab Mitleid mit mir! Neun Monate habe ich dich in meinem Leib getragen […]. Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an;
2
Vgl. z. B. Ijob 10,10f.: „Hast du mich nicht ausgegossen wie Milch, wie Käse mich gerinnen lassen? Mit
Haut und Fleisch hast du mich umkleidet, mit Knochen und Sehne mich durchflochten.“ Das antike
medizinische Wissen stellte sich die Bildung des Embryos als eine Gerinnung des Mutterblutes unter
dem Einfluss des Samens vor. So die Jerusalemer Bibel zur Stelle. – Vgl. auch Ps 139,13–16: „Denn du
hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so
wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke. Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde waren meine Glieder dir nicht verborgen. Deine Augen
sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet.“ Für das Wissen um das Nichtwissen vgl. Koh 11,5: „Wie du den Weg des Windes ebenso wenig wie das Werden des Kindes im Leib
der Schwangeren erkennen kannst, so kannst du auch das Tun Gottes nicht erkennen, der alles tut.“
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sieh alles, was es da gibt, und erkenne: Gott hat das alles aus dem Nichts erschaffen, und so entstehen auch die Menschen. Hab’ keine Angst vor diesem Henker,
sei deiner Brüder würdig, und nimm den Tod an. Dann werde ich dich zur Zeit
der Gnade mit deinen Brüdern wiederbekommen.“
Hier ist, angesichts der äußersten Infragestellung des Glaubens an Gott, die
Hoffnung auf Auferstehung ausgesprochen: Dem Schöpfer wird nicht nur
alle Macht auf der Erde, sondern völlige Neuschöpfung zugetraut (vgl. vorher Makk 7,9–14, wo ausdrücklich von Auferstehung die Rede ist). Hier liegt
eine der Quellen des Auferstehungsglaubens. An diese Rede einer Schöpfung „aus dem Nichts“ wird der christliche Schöpfungsglaube in der Auseinandersetzung mit griechischen Weltentstehungsvorstellungen anknüpfen.
Hier wird ein Unterschied von Schöpfungs- und Schöpferglaube greifbar.
3. Neues Testament
Bringt das Neue Testament Neues für die Frage nach dem Schöpfer dieser
Schöpfung? Ja. Denn einerseits gewinnt Jesus der Schöpfung im Blick auf
den Schöpfer neue Aspekte ab, die die Eigenart des Schöpfers in ein neues
Licht stellen und für das Verhalten und Wirken der Christen wirksam
werden (wollen). Andererseits führt seine Auferstehung eine neue Wirklichkeit, eine verwandelte Wirklichkeit herauf, die allmählich den Schöpfer
als dreipersonalen tiefer entdecken lässt, als Neu-Schöpfer, als Vater, Sohn
und Geist.
a) Jesu neues Ent-decken des Schöpfers
Jesus setzt aus seiner jüdischen Herkunft heraus den Schöpfungs- und
Schöpferglauben Israels selbstverständlich voraus und teilt ihn, gewinnt
ihm aber neue Dimensionen und ein aus einem entsprechend neuen Verhältnis zum Schöpfer entspringendes, darin begründetes und motiviertes
Verhalten ab. Dazu gehört z. B. die Feindesliebe, die Jesus auch schöpfertheologisch begründet:
„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die
euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt
seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte
und Ungerechte. […] Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.“ (Mt 5,43–45.48)
Gottes Handeln und Verhalten wird nicht als Indifferenz oder Gleichgültigkeit oder gar Ungerechtigkeit gegenüber den Menschen verstanden,
sondern als Realisierung seiner Liebe sogar zu seinen Feinden ent-deckt.
Und an dieser Liebe will Jesus die Menschen teilhaben lassen. Diese Teilhabe wird ihnen nicht nur eröffnet. Jesus, der sie im Blick auf den Schöpfer
entdeckt und identifiziert, eröffnet den Menschen die Teilhabe daran, nicht
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nur in Worten und Aufforderungen, sondern zutiefst durch sein eigenes
Verhalten bis hin zu seinem Sterben am Kreuz, wo er für die Feinde Gottes
stirbt und ihnen verzeiht.
Der Blick für das Tun des Schöpfers und das Verhalten des Sohnes vermag
den Blick und das Verhalten der Glaubenden zu verändern und das „gesehene“ Verhalten nachahmen zu lassen. Hier werden nicht nur Schöpfung
und Erlösung miteinander verknüpft, sondern auch Schöpfungs- und Erlösungsteilhabe der Menschen und Glaubenden. Der Mensch wird vom Schöpfer in eine Schöpfer- und Gottesähnlichkeit hineingenommen, die ihm vor
dem Tod, schon jetzt, in der Situation der real existierenden Schöpfung, eröffnet wird. Dem Menschen wird die Möglichkeit eröffnet, den Schöpfer in
seinem Verhalten und seinen Motiven nachzuahmen und so in seinem eigenen Handeln und Herzen tiefer zu erfahren, zu verstehen und ihm zu entsprechen. Schöpfung wird auf Erlösung hin geöffnet, und auf beiden Ebenen wird der Mensch zur Beteiligung eingeladen, um auf beiden Ebenen
vollkommen wie sein Schöpfer zu werden. Der Mensch kann mit dem
Schöpfer mitschöpferisch werden, und zwar nicht nur generativ, sondern
interpersonal, ohne dass die Unterschiede von Schöpfer und Geschöpf eingeebnet werden. Diese Entsprechung zum Schöpfer und seinem Handeln
kann sogar „zur Pflicht“ werden: „Was Gott verbunden hat, soll der Mensch
nicht trennen.“ Hier geht Jesus nicht nur auf das Verhalten des Schöpfers
zurück, sondern macht es – trotz Herzenshärte - normativ (Mk 10,6–9), weil
des Schöpfers Verhalten gilt und wirkt und mit dem Menschen zur Wirkung kommen soll.
Diese Unmittelbarkeit zum Schöpfer, die über Vorbildhaftigkeit hinausgeht, erscheint mir neu gegenüber dem Alten Testament. Jesus selbst deckt
sie auf. Er hat keinen Balken im eigenen Auge, der ihn am Sehen hindert.
So bahnt er dem Vater und seinen Brüdern und Schwestern Wege.3
b) Der auferstandene Jesus Christus: Neue Schöpfung durch den Schöpfer
Entscheidender noch als dieses Öffnen der Augen für das Wirken und die
schöpferische Gegenwart des Schöpfers in Ereignissen, Dingen und Menschen ist der Anbruch und Einbruch der Neuschöpfung in unsere Welt in
der Auferstehung Christi und durch die Sendung des Heiligen Geistes, von
dem die Schriften erzählen, besonders Paulus und Johannes.
Die Erfahrung des auferstandenen Jesus und darin die Erfahrung der Auferstehung ist trotz aller eschatologisch-apokalyptischen Erwartungen für
3
Jesu Ent-decken des Schöpfers ist noch nicht ausgeschöpft. Das merkt man spätestens an Franz von Assisi und dessen nachbiblischen Neuentdeckungen der Schöpfung (vgl. den Sonnengesang und seinen
Umgang mit der Schöpfung), die eine neue Sicht auf den Schöpfer und ein neues Verhältnis zu ihm –
und so zur Welt – heraufgeführt haben. Vgl. jüngst die Enzyklika Laudato si’. Die Schöpfung wird transparent auf ihren Schöpfer hin; aus diesem Blick auf ihn (und durch ihn) wird die Schöpfung in ihrer
Situation und Bedeutung neu entdeckt, nämlich aus dem Verhältnis des Schöpfers zu ihr.
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die Jünger zunächst nicht „einzuordnen“. Sie versuchen es in immer neuen
Anläufen (vgl. die Bekenntnisformeln und Erscheinungserzählungen, auch
Pauli Unterscheidung der Erfahrung des Auferstandenen vor Damaskus
und die Erzählung seiner Visionen und Offenbarungen: Gal 1,11–20; 2,1–14;
2 Kor 12,1–10). Dabei ist Jesu neue Existenz, seine Auferstehung und Erhöhung zum Vater, keine Wirklichkeit nur für Jesus selbst, sondern verändert
die Wirklichkeit aller:
„Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann
wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit
führen. […] Dann werden wir immer beim Herrn sein. Tröstet also einander mit
diesen Worten.“ (1 Thess 4,14.17f.)
Im Römerbrief bringt Paulus diesen Glauben in seiner Bedeutung für Gott
als Schöpfer auf den Punkt: „Gott, der die Toten lebendig macht und das,
was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm 4,17; als Glaube schon Abrahams!). Der
Schöpfer ist auch der Neu-Schöpfer, der seine toten Geschöpfe neu lebendig macht, in endgültigem, vollendetem Leben. Weitreichender und tiefer
als von der Schöpfung her wird der Schöpfer von der Neuschöpfung her als
Neu-Schöpfer beschrieben, geglaubt, angenommen.
Diese Neuschöpfung hat ihre grundlegende Realisierung in Jesus Christus
gefunden. Sie hat begonnen. Er ist ihr Unterpfand, ihr Angeld, er ist
„der Erste der Entschlafenen. Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn
wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“
(1 Kor 15,20–22)4
Er ist der „Erstgeborene von vielen Brüdern“ (Röm 8,29). So ist er der Mittler der Neuschöpfung, konstitutiv an ihr beteiligt und deswegen auch, so
wird die christologische Reflexion zeigen, selbst an der Schöpfung beteiligt,
selbst Schöpfer. Was Johannes in der Eröffnung seines Prologs formuliert,
ist nicht nur die Göttlichkeit des Logos, sondern sein Schöpfersein: „Alles
ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ (Joh 1,3) Als der Logos, Fleisch geworden und auferstanden in
Jesus Christus, als dem Vater gleichrangig (homoousios) bekannt wird, ergibt sich, dass er – in seiner eigenen Weise –, aber eben gleichrangig mit
dem Vater, auch Schöpfer ist. Oder mit dem Großen Glaubensbekenntnis
des Konzils von Konstantinopel formuliert: „Durch ihn ist alles geschaffen.“
Dieses Glaubensbekenntnis bestimmt auch den Heiligen Geist als Gott und
daher als Mit-Schöpfer: „der Herr ist und lebendig macht“. Dieses Lebendigmachen bezieht sich nicht nur auf Gen 2,7, sondern vor allem auf das Lebendigmachen aus dem Tod zum ewigen Leben: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“ heißt es am Ende
dieses Bekenntnisses. Der Schöpfer schafft und erschafft als Vater, Sohn und
4
Vgl. das ganze Kapitel 1 Kor 15; vgl. auch Röm 8,11.19–23; Kol 1,18.
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Heiliger Geist (und vollendet seine Schöpfung im Leben der kommenden
Welt).
Damit ist das Neue des im Neuen Testament bezeugten Schöpferglaubens
(der sich nicht nur als Rückschluss aus der Schöpfung, sondern aus dem
Handeln Gottes ergibt) aber noch nicht umfassend artikuliert.
c) Der Schöpfer wird Geschöpf und nimmt das Geschöpfsein an
in der Fleischwerdung des Sohnes
Der von den Christen geglaubte und bekannte Schöpfer erschafft und erhält nicht nur seine Schöpfung als sein Werk, sondern er geht in sie ein,
wird ein Teil seiner Schöpfung, nimmt sie an, übernimmt ihr Schicksal und
nimmt im Menschsein seines Sohnes diese Schöpfung für immer in sein eigenes Leben auf. Als Heiliger Geist verbindet er sich mit den Geschöpfen, am
tiefsten mit den Menschen, zieht sie an sich und lässt sie an seinem eigenen
Lebensvollzug teilhaben. Der Schöpfer bleibt seiner Schöpfung nicht nur
transzendent und immanent, sondern geht personal als er selbst in sie ein
und eröffnet ihr sein eigenes, drei-personales Leben. Diese Wirklichkeit geht
über alle bisherigen Schöpfervorstellungen hinaus und ist aus der Wirklichkeit, auch einer als Schöpfung verstandenen Welt, nicht im bloßen
Schlussverfahren zu erschließen. Schöpferglaube ist Offenbarungsglaube.5
4. Aus der frühen und der weiteren Entwicklung des
christlichen Schöpferglaubens
Gerade ist der nachneutestamentlichen Entwicklung, Entfaltung und Formulierung des Schöpferglaubens im Sinne der Entwicklung des Gottesverständnisses vorgegriffen worden. Dieser Entwicklung geht zeitlich und
sachlich ein wichtiger Schritt voraus, der m. E. für die weitere Entwicklung
des Schöpferglaubens grundlegende Bedeutung hat.
a) Vom Demiurgen zum un-bedingten, freien Schöpfer
Im Bemühen, griechisch-hellenistischem Denken den christlichen Schöpferund Schöpfungsglauben zugänglich, plausibel und überzeugend zu machen, knüpfen die frühen Väter und Apologeten bei der griechischen Weltentstehungsvorstellung an, die in der platonisch bestimmten Form mit drei
Größen rechnet: der Materie, den Ideen und einem göttlichen Demiurgen,
der die Materie kraft der Ideen formt. Alle drei Größen bedingen und bedürfen einander, sind im Endeffekt gleich ewig bzw. konstitutiv. Schwä-
5
Ausführliche Reflexionen bietet Gisbert Greshake, Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie, Freiburg/Br. u. a. 1997 u. ö. Vgl. hier im zweiten Teil das erste Kapitel: Das Verständnis von Schöpfer und
Geschöpf und der Trinitätsglaube.
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chen oder Fehler in der Schöpfung können der vorausgesetzten Materie
zugerechnet werden, um den Demiurgen, der von der Materie ja abhängig
ist, weil er mit ihr schafft, zu entlasten. Doch an dieser „Entschuldigung“
Gottes entzündet sich der Widerspruch aufgrund des christlichen, biblisch
grundgelegten Gottes- und Schöpferverständnisses. Der Gott der Bibel und
der Christen ist in seinem Schaffen bzw. Erschaffen nicht von vorgegebener
Materie bedingt oder von ihr eingeschränkt. Ihm ist nichts ebenbürtig,
neben- oder beigeordnet. Er schafft und erschafft uneingeschränkt souverän, aus eigener Kraft, un-bedingt. Er schafft nicht aus Vorgegebenem,
sondern „macht“ auch die Vorgabe. Insofern erschafft er „aus dem Nichts“.
So wird seine Unbedingtheit, seine unbedingte Überlegenheit, seine Göttlichkeit, gewahrt. Gott ist kein Moment im Kosmos oder im Gesamtprozess
des Werdens, sondern ist diesem voraus und sein einziger Grund. Er ruft
alles erst ins Dasein. Er ist von allem Geschaffenen, Gewordenen, Werdenden grundsätzlich unterschieden. Er ist nicht das erste Glied einer Kette
von Ereignissen, Ursachen, Dingen oder Bedingungen, sondern allem unbedingt voraus – sonst wäre er nicht der biblisch geglaubte und angerufene
Gott, sondern ein Moment im umfassenderen Gesamtgeschehen.
Ist dieser Gedanke erst gedacht, folgt daraus die unbedingte Unterscheidung Gottes von allem, was er erschaffen hat, erschafft oder erschaffen
wird. Er ist auf nichts angewiesen, ist un-bedingt frei und unabhängig. Er
kann auch nicht als nachträglich von der Welt abhängig oder bedürftig gedacht werden, dass er sie brauche – und sei es, um nicht allein zu sein oder
um lieben zu können.
b) Freiheit des Schöpfers: Kontingenz der Welt – Voraussetzung seiner Liebe
zur Schöpfung – Personalität des Schöpfers
Diese unbedingte, uneingeschränkte Freiheit des Schöpfers gegenüber seiner Welt hat zwei Konsequenzen. Für die Welt heißt es, dass sie nicht unbedingt, nicht notwendig ist, nicht aus Notwendigkeit oder aus sich selbst
heraus existiert, sondern von einem anderen her, ab alio, also kontingent ist
und auch nicht sein könnte und nicht einfach so sein muss, wie sie de facto
(tatsächlich gemacht) ist.
Diese Kontingenz der Welt bzw. der Schöpfung ist für diese nicht nur erschreckend, sondern andererseits auch die Voraussetzung dafür, die Erschaffung der Schöpfung, weil sie frei ist, als Liebe bzw. aus Liebe getan
verstehen zu können. Jede Notwendigkeit der Schöpfung würde eher an
Bedarf und/oder Beherrschen des Schöpfers bezüglich seiner Schöpfung
denken lassen. Erst und nur die unbedingte Freiheit Gottes der Schöpfung
gegenüber ermöglicht, sein Erschaffen und seine Zuwendung als Liebe und
aus Liebe geschehend zu interpretieren. Ohne Freiheit gibt es keine Liebe –
auch beim Schöpfer.
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Die Freiheit des Schöpfers gegenüber seiner Schöpfung macht zweitens eine,
wie auch immer näher zu bestimmende Personalität des Schöpfers plausibel. Diese Personalität kann sich in seiner Zuwendung oder Mitteilung
konkreter, bestimmter zu erkennen geben.
Auf Seiten des Schöpfers hat seine unbedingte Freiheit im Verhältnis zur
Welt zur Folge, dass dieses Verhältnis, weil durch kein Bedürfnis, keinen
Mangel und keine Notwendigkeit bestimmt, nur als frei, und das heißt:
von Liebe bestimmt, zu verstehen ist. Das Motiv zur Schöpfung kann nur
Liebe sein. Die Freiheit der Schöpfung führt hin zur Erkenntnis der Liebe
als Urmotiv und Urimpuls des Schöpfers, als sein Wesen. Diese Erkenntnis
ist nicht schlechthin zwingend, weil Liebe erfahrungsgemäß nicht erschließbar, nicht als notwendig zu erkennen ist, sondern immer nur frei geschenkt
Liebe sein kann und nur frei angenommen werden kann.
c) Vom kosmologischen zum christusbestimmten Gottesverständnis
Schließlich legt sich der Gedanke nahe, dass Gott, wenn er in seinem Wesen Liebe ist, in sich Beziehung, in sich differenziert oder unterschieden
sein kann oder müsste. Damit ist noch keineswegs ein trinitarisches Gottesoder Schöpfungsverständnis erreicht, aber der eine Ursprung, die eine arché,
kann eine „Eigengesetzlichkeit“, eine eigene Art haben, die nicht prinzipiell ableitbar, sondern sich frei zeigen muss. Die Frage „Welchen Schöpfer
hat die Schöpfung?“ bekommt eine neue Offenheit. In ihr kann sich die zuvor in Entsprechung zum Gottesverständnis dargestellte Erkenntnis eines
trinitarischen Schöpfers und des Erschaffens als trinitarisch bestimmten
Wirkens entwickeln. Unbedingtheit muss nicht apatheia (reine Leidenschaftslosigkeit) und ataraxia (Unerschütterlichkeit), sie kann auch Liebe, unbedingte Liebe bedeuten.
Diese Möglichkeiten sind in der Ausformulierung des christlichen Glaubens
an einen Schöpfer, der „aus Nichts“ (das eben keinen vorhandenen Stoff
oder Leerraum, sondern die Voraussetzungslosigkeit, die Unbedingtheit des
Erschaffens ausdrücken will) schafft, angelegt. Ob und wie sie zur Geltung
kommen, muss und wird sich an dem zentralen Inhalt, dem Bekenntnis zu
Jesus als Christus, dem gottgleichen Erlöser, entscheiden und entwickeln.
d) Schöpfer und evolutives Schöpfungsverständnis
Der aus dem biblischen Schöpferglauben in Auseinandersetzung mit dem
griechischen Weltentstehungsdenken entwickelte Schöpferbegriff für Gott
verändert den im griechischen Denken gegebenen Gottesbegriff. Gott ist
nicht mehr Demiurg oder Moment des Gesamtkosmos, sondern „wird“ dessen un-bedingter, adäquat unterschiedener Ursprung, d. h. Schöpfer. Diese
schöpfungstheologisch (oder kosmologisch) angestoßene Veränderung des
Gottesverständnisses wird soteriologisch in der Frage nach der Bedeutung
Welchen Schöpfer hat die Schöpfung?
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Jesu Christi für das Gottes-, nicht nur für das Erlösungsverständnis, weitergeführt. Sobald das trinitarische Gottesverständnis von Gott als Vater, Sohn
und Heiligem Geist gewonnen ist, wirkt es auf das Verständnis des Schöpfers und der Schöpfung zurück. Damit wird ein Schöpfungsverständnis
möglich, das Schöpfung nicht nur als Geschehen „im Anfang“ festmacht und
auch nicht nur als Erhaltung dieser Welt als Geschaffene versteht (creatio
continua, conservatio). Dieses Schöpfungsverständnis versteht Schöpfung
auch als Wiederherstellung und Heilung der Welt in Jesus Christus und als
Eröffnung ihrer kommenden Vollendung durch die Ausgießung des Geistes vom trinitarisch verstandenen Schöpfer und seinem schöpferischen
Wirken her. Dieses Verständnis ermöglicht leichter eine evolutive Sicht der
Welt (in Entsprechung zum Heilshandeln) im Blick auf die Schöpfung. Sie
wurde lange dadurch behindert, dass man die Schöpfung weltbildlich mit
Aristoteles und später mit Galilei und Newton als fertig gegebene oder
(mechanisch) determinierte verstand. Die Entdeckung der Evolution, die
zu einer Revision eines bereits naturwissenschaftlich bestimmten Weltbildes zwang und zur evolutiven Weltsicht führte, ist im Schöpferglauben
leichter theologisch zu rezipieren als im Schöpfungsglauben, weil Letzterer
sich nicht anders als weltbildlich artikulieren und ausdrücken kann, während der Schöpferglaube und das heilsgeschichtliche Handeln des dreieinen Gottes im Sohn und im Heiligen Geist als den Schöpfer und die
Schöpfung betreffendes Handeln für weltbildliche Veränderungen offener
sind als an der Schöpfung und unserem Wissen von der Schöpfung orientierte Entwürfe.
Insofern eröffnet die Frage „Welchen Schöpfer hat die Schöpfung?“ zunächst größere Spielräume für die Schöpfungstheologie. Sie vermag zudem
die innere Logik des Schöpfungsglaubens zu verdeutlichen, die auf Gott als
Schöpfer zielt, weil der Glaube sich nicht einfach auf die Werke Gottes richtet, sondern insofern sie Gottes Werke sind.6 Daher ist der Schöpfungsglaube grundlegend nicht eine Weltentstehungserklärung, sondern ein Glaube
an den Schöpfer und an dessen Beziehung und Mitteilung zur Welt und ein
von daher bestimmtes Verstehen der Welt und Verhalten in der Welt. Es
stellt den Glauben nicht in Konkurrenz zur Frage nach Werden und Entstehen der Welt, sondern kann dieser, für unsere Geschichte als Menschen
und Geschöpfe wichtigen Frage – gerade in Auseinandersetzung mit ihr
und im Sich-Abarbeiten an ihr – ihren Ort zuerkennen, der von der Frage
nach dem Verhältnis des Schöpfers zu uns und deswegen unseres Verhältnisses zu ihm getragen und orientiert ist.
6
Der Glaubensakt des Glaubenden endet nicht bei der Aussage, sondern bei der Sache. Vgl. Thomas von
Aquin, S. Th. II-II q. 1 a. 2 ad 2.
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Josef Freitag
e) Resümee
Welchen Schöpfer hat die Schöpfung? An welchen Schöpfer glauben Christen? – Diese Fragen konnten hier nur in Grundzügen beantwortet werden,
es fehlen wichtige mittelalterliche und neuzeitliche Bestimmungen (z. B.
zum näheren Verständnis der Kreatürlichkeit oder zu einem evolutiv verstandenen Schöpfer)7, es fehlen die Fragen der Hominisation, die neuen
Fragen aus der Nachhaltigkeit8.
Dieser Artikel möchte im Verweis auf die Kernfrage, eben die nach dem
Schöpfer, das theologische Schöpfungsverständnis offenhalten, den inneren Kern des Schöpferglaubens benennen und dadurch den theologisch eröffneten, nicht nur den weltbildlich bedingten Raum einer Schöpfungstheologie erinnern und freihalten.
7
8
Als Kurzformel wird häufig gesagt, der Schöpfer habe eine Welt geschaffen, die sich selbst erschafft
und entwickelt.
Sagt Nachhaltigkeit nur etwas über die innerweltlichen Regel- und Erhaltungskreise oder hat sie auch
Hinweise auf das Schöpferverständnis in ihrer Reflexion?