PEPP setzt falsche Anreize

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Kommentar
PEPP setzt falsche Anreize
Statt einer Psychiatriereform:
ein unausgegorenes Abrechnungssystem
Die Abrechnungspraxis in psychiatrischen Krankenhäusern muss reformiert werden. Doch das
neue Pauschalierte Entgeltsystem für Psychiatrie
und Psychosomatik (PEPP) steht bereits in der
Testphase heftig in der Kritik.
s herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die bisherige Abrechnungspraxis mit tagesgleichen Pflegesätzen in den
psychiatrischen Krankenhäusern weder leistungsgerecht
noch transparent ist. Aber auch
das neue Pauschalierte Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik, kurz PEPP, erfüllt
keinen der beiden grundlegenden Ansprüche. Trotzdem ist
das neue Entgeltgesetz am 1.
Januar 2013 in Kraft getreten –
gegen den ausdrücklichen Widerstand aller Fachverbände.
Foto: privat
E
Dr. Ingrid Munk, geb. 1954 ist Fachärztin für
Psychiatrie und Psychotherapie und Mitglied
des „Arbeitskreises von Chefärzten/innen
an Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie
an Allgemeinkrankenhäusern“ (ACKPA).
[email protected]
Völlig unzureichende
Datenlage
Der vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus
(InEK) – das auch die Diagnose
bezogenen Fallgruppen (DRG)
für die somatischen Krankenhausabteilungen kalkuliert – vorgelegte PEPPKatalog, der wie zuvor die DRGs auf erhebliche
Kritik stieß, wurde per sogenannter Ersatzvornahme durch den damaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) gegen das Votum der Deutschen Krankenhausgesellschaft
und mit Zustimmung der gesetzlichen Krankenkassen in Kraft gesetzt. Dabei ist die empirische Grundlage für das neue System auch nach
drei Jahren bundesweiter Datensammlung völlig unzureichend.
Nur ein Bruchteil des Aufwands
wurde erfasst
Die Suche des InEK nach sogenannten Kostentrennern, also bestimmten Kriterien, nach denen
sich Aufwände differenzieren lassen, verlief erfolglos. Nur 15 bis 20 Prozent des Aufwands
konnten erfasst werden. Gerade das Herzstück
der psychiatrischen Akutbehandlung, die Milieutherapie auf Station, wird – im InEk-Jargon
– zum „Hintergrundrauschen“ marginalisiert.
Im vorliegenden PEPP-Katalog werden jetzt
einfach Diagnosen und Verweildauern zur
Grundlage von „fallbezogenen Gruppierungen“
gemacht, die als Basis für die Tagespauschalen
erklärt werden. Empirisch basiert ist das nicht.
Denn der Großteil des Aufwands in der stationären Psychiatrie hängt nicht (wie in der somatischen Medizin) mit der Diagnose oder der
Verweildauer zusammen.
Ein besonders deutliches Beispiel für die klaffenden Lücken bei der Erfassung des Aufwands
ist etwa die Pflichtversorgung. Diese regelt, dass
die regional jeweils zuständige Klinik alle PatientInnen einer festgelegten Versorgungsregion im
Akutfall aufnimmt und eine 24-stündige Notfallbereitschaft zur Verfügung stellt. Sie wird im
PEPP-Katalog bislang überhaupt nicht als zusätzlicher Aufwand registriert.
Die negativen Folgen sind absehbar
Mit PEPP soll – trotz der sowohl versorgungspolitisch als auch volkswirtschaftlich nicht überzeugenden Erfahrungen mit dem System der
DRGs – nun ein ähnliches System auch in allen
psychiatrischen Krankenhäusern eingeführt
werden. Die negativen Folgen könnten noch
gravierender ausfallen als bei der Umstellung
auf die DRGs im Jahr 2004.
Als wichtigste Trends der DRG-Einführung
lassen sich nach neun Jahren folgende Entwicklungen beobachten: Die von den Krankenkassen aufzubringenden Kosten für Krankenhausbehandlungen sind durch Steigerungen der
Anzahl gut dotierter Leistungen, etwa Gelenkersatz-Operationen oder Herzkatheter-Untersuchungen, weiter angestiegen. Ob diese Eingriffe alle medizinisch notwendig und sinnvoll
sind, ist fraglich.
Zudem werden insbesondere Gesprächsleistungen schlecht oder gar nicht vergütet, sondern
Dr. med. Mabuse 206 · November /Dezember 2013
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sind „in der Pauschale enthalten“, wie das InEK
betont. Das führt dazu, dass das ärztliche oder
pflegerische Gespräch im wahrsten Sinne des
Wortes nicht honoriert wird und oftmals zu kurz
oder zu selten stattfindet.
Weiterhin gibt es im DRG-System keinerlei
festgelegte Personalschlüssel als Voraussetzung
für Behandlungsqualität im Krankenhaus. Ein
massiver Personalabbau in der Pflege war die
Folge.
All dies droht jetzt den psychiatrischen Kliniken. Die Psychiatrie-Personalverordnung
(PsychPV), die infolge der Psychiatriereform
durch Erhöhung des Personalschlüssels für ÄrztInnen, TherapeutInnen und Pflegende den
Wechsel von einer verwahrenden zu einer therapeutischen Psychiatrie ermöglichte, wird bereits jetzt in vielen Kliniken unterlaufen und soll
2016 zusätzlich zur PEPP-Einführung endgültig
abgeschafft werden. Was danach kommt, weiß
bisher niemand.
Ökonomisierung
statt objektiver Abrechnung
PEPP gibt vor, lediglich ein objektives System
zur Abrechnung zu sein. Dabei ist klar, dass in
den heutigen Zeiten der Ökonomisierung jedes
Abrechnungssystem Anreize bietet: Anreize,
die Leistungen zu erbringen, die für das Krankenhaus hohe Erlöse bringen.
Schon jetzt gibt es Planspiele von ControllingAbteilungen, welche Patientengruppen (Mehr
Patienten über 65 Jahre? Mehr Depressive oder
mehr Demente? Wie viele Tage Behandlung?
Wann ist der ertragsreichste Entlassungszeitpunkt?) vorrangig von den Kliniken „anzuwerben“ sind. Durch PEPP werden also ökonomische Fehlanreize gesetzt, die dazu führen, PatientInnen mit geringeren psychosozialen Beeinträchtigungen länger stationär zu behandeln und
schwer psychisch kranke Menschen schneller
zu entlassen.
Somit droht eine
psychiatrische
Versorgung im
Krankenhaus,
die sich nicht
an „den besonderen Bedürfhttp://www.weg-mit-pepp.de/
nissen psychisch
Kranker“, sondern daran orientiert, mit wem
sich mit dem geringsten Personalaufwand die
meisten PEPP-Gewichte erbringen lassen.
Ein Rückfall vor die Psychiatriereform
Bei den momentan vorliegenden PEPPs, die auch
2014 nur geringfügig verändert werden, lässt
sich sagen, dass ein Zurückdrehen des Rades
der Geschichte vor die Zeiten der PsychiatrieDr. med. Mabuse 206 · November /Dezember 2013
reform droht: hin zu einer Psychiatrie, die mit
ausgedünntem, unqualifiziertem, billigerem
Personal gerade für chronisch Kranke arbeitet.
Es ist zu befürchten, dass der Kostenwettbewerb vor allem in der Pflege, bei TherapeutInnen sowie im Sozial- und Erziehungsdienst über
Personalabbau ausgetragen wird.
Nach der Psychiatriereform 1975 wäre es jetzt
an der Zeit, die nächste Reform-Stufe einzuläuten. Was in Zeiten der Ökonomisierung auch
bedeutet: Das Abrechnungssystem und das System der Budgetfindung sind so zu konzipieren,
dass im Interesse der PatientInnen und einer
zukunftsorientierten Versorgung erwünschte
Effekte eher honoriert und Fehlanreize vermieden werden sollten.
Geplante Modellprojekte
sind ein Lichtblick
Ein Lichtblick zumindest ist, dass es im neuen
Entgeltgesetz eine kurze Passage gibt, die jedes
Bundesland auffordert, mindestens ein Modellprojekt für die Neugestaltung der psychiatrischen Versorgung aufzulegen – unter Einschluss
von sogenanntem Home Treatment, also der
Akutbehandlung zu Hause durch ein multiprofessionelles Team. Hier liegt die Hoffnung der
Fachöffentlichkeit.
Denn: In Deutschland wird, entgegen allen
internationalen Erfahrungen, sehr viel Geld
im stationären Sektor ausgegeben, anstatt eine
patientenzentrierte Behandlung zu fördern,
die die starren Grenzen ambulant-teilstationärstationär überwindet und sowohl Behandlungskontinuität als auch eine bessere Vernetzung
der Versorgungsstrukturen gewährleistet. PEPP
allein wird die jetzt schon zu beobachtende
Tendenz, wieder mehr psychiatrische Betten
einzurichten, demgegenüber eher verstärken.
Ein Moratorium ist notwendig
Sämtliche Fachgesellschaften sind sich einig, dass
angesichts der Nichterfüllung des gesetzlichen
Auftrages im bisherigen Entwurf, sinnvolle Tagespauschalen zu entwerfen, und der gravierenden Mängel von PEPP ein Moratorium bei der
geplanten sukzessiven Einführung notwendig ist.
Eine Expertenkommission, aus Professionellen, Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen
sollte die bisherigen Umsetzungsschritte prüfen
und Vorschläge für das weitere Vorgehen machen. So wäre der oder die neue Bundesgesundheitsminister/in gut beraten, auf der Grundlage
der Ergebnisse einer solchen Expertenkommission einen Vorschlag zu entwickeln, der die stationäre und ambulante Behandlung verknüpft,
empirische Befunde beachtet und der vor allem
an den Bedürfnissen psychisch erkrankter Menschen ausgerichtet ist. ■
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