Das Sakrament der Buße im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit Wandel des 2000 Jahre alten Bußsakramentes von Hans-Karl Seeger Von den zahlreichen sakramentalen Handlungen, den heiligen Zeichen, zu denen unter anderen das Aschenkreuz und der Blasiussegen gehören, hat die katholische Kirche sieben zu Sakramenten erklärt. Nicht jedes Sakrament läßt sich mit allen drei Merkmalen, die der Katechismus lehrt, nämlich äußeres Zeichen, innere Gnade und Einsetzung durch Jesus Christus aus der Bibel begründen. Das Bußsakrament gehört zu den sieben Sakramenten. Sein äußeres Zeichen ist die Lossprechung, wo möglich mit Handauflegung, die innere Gnade ist die Vergebung und von der Einsetzung durch Jesus Christus lesen wir in der Bibel: „Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten“ (Joh 20, 23). Matthäus läßt Jesus sagen: „Wahrlich, ich sage euch, was ihr bindet auf Erden, wird im Himmel gebunden sein, was ihr löset auf der Erde, wird im Himmel gelöst sein (Mt 16,19). Binden und lösen sind aber keine Alternativen, sondern zwei Phasen der einen Reaktion, mit der die Kirche auf die Sünde eines ihrer Glieder antwortet. Sie stellt fest, daß der Sünder sich durch seine Sünde gebunden hat; er ist in sich selbst gefangen. Aus diesem In-sich-selbstVerkrümmtsein wird er gelöst. Die Amtskirche darf die Bibelworte nicht so verstehen, als habe sie das Recht, über die Versöhnung nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Ich habe mit vielen Menschen zu tun gehabt und hier und da noch zu tun, denen die Lossprechung verweigert wurde, weil sie zum Beispiel nicht versprechen konnten, etwas Bestimm-tes nicht mehr zu tun. Manche haben jahrelang darunter gelitten. Das grenzenlose Versöhnungsangebot Gottes muß die Kirche neu und überzeugend zum Ausdruck bringen. Barmherzigkeit ist das Thema des Heiligen Jahres. Wo kommt die Barmherzigkeit Gottes mehr zum Ausdruck als im Bußsakrament? Entwicklung des Bußsakramentes: Kein anderes Sakrament hat eine solche Veränderung in 2000 Jahren Kirchengeschichte erfahren wie das Bußsakrament. 1. Die alte Kirche Der getaufte Christ lebte als „Heiliger“, als Geheiligter angesichts der bevorstehen-den Endzeit. Der heilige Paulus schreibt zum Beispiel an eine Gemeinde, in der ein schwerer Sünder lebt, indem er alle anredet: „An die Heiligen von Korinth“. Daraus geht hervor, daß ein Heiliger nicht jemand ist, der nicht gesündigt hat, sondern jemand, der durch die Taufe geheiligt wurde! Wenn jemand seine Christusgemeinschaft durch eine Sünde verraten hatte, konnte er durch die Buße von der Sünde frei werden. Die Bedingungen für die Vergebung waren schwer. An der Vergebung der Sünde war die ganze Kirche durch Gebet und Mitbuße und durch Ausschluß und Wiederaufnahme des Sünders beteiligt. Der Ausschluß erfolgte am Aschermittwoch – man ging in „Sack und Asche“ –, und die Aufnahme vollzog sich am Gründonnerstag in einem eigenen Gottesdienst. All das geschah also öffentlich. Die Kirche „band“ den Sünder, der sich aus der Heilsbotschaft entfernt hatte und so gleichsam an die Sünde gebunden in der Vereinzelung stand, an sich. Das „vinculum pacis – das Band der Liebe“ war zerrissen. Nach der Buße wurde der Sünder „gelöst“, die „pax cum ecclesia – der Friede mit der Kirche“ war wiederhergestellt. Eine kirchliche Buße wurde nur einmal im Leben gewährt. Rückfälligen blieb sie versagt. Für leichte, auch sogenannte läßliche Sünden hatte man in der Zeit bis 589 (3. Synode von Toledo) keine kirchliche Buße zu leisten. 2. Im 3. Jahrhundert gab es zwei Richtungen der Bußentwicklung: a. Die alexandrinischen Theologen legten den Hauptton auf die individuelle Bußübung. Diese Richtung wirkt bis heute in der Ostkirche fort. b. Die nordafrikanischen Theologen legten den Hauptton auf die kirchliche Rekonziliation, die Wiederaufnahme in die Kirche. Diese Richtung wirkt bis heute in der abendländischen Kirche fort. Im Abendland praktizierte man wie in der Ostkirche in Klöstern die Seelenführung, die zur Übung einer nicht sakramentalen Buße führte. 3. Für Augustinus (* 354 † 430) galten als Formen der Buße: Die Taufe Die tägliche Buße Die öffentliche Buße für schwere Sünden. Diese war verbunden mit einer liturgischen Exkommunikation als Heilmittel und einer liturgischen Rekonziliation, der Wiederaufnahme in die Kirche. Diese Form setzte Reue und Selbstverurteilung des Sünders voraus. 4. Zusammenfassung Es gab von Anfang an ein geheimes Sündenbekenntnis, aber keine geheime sakramentale kirchliche Buße. Die kirchliche Buße war öffentlich, auch wenn sie durch ein geheimes Bekenntnis der Sünden eingeleitet wurde. Ein Bekenntnis war notwendig, um zu erfahren, ob öffentliche Kirchenbuße erforderlich sei und um eine der Schuld entsprechende Buße aufzuerlegen. Die Aussöhnung mit der Kirche war wirksames Zeichen der Aussöhnung mit Gott. Träger der Vollmacht war die gesamte Kirche, es bildete sich das hierarchische Amt des Gemeindeleiters heraus. Vielleicht sind noch Menschen unter uns, die dem Pfarrer als Zeichen dafür, daß sie ihre Osterbeichte abgelegt hatten, nach Ostern einen Beichtzettel gegeben haben. Persönliche Bekehrung und sichtbare kirchliche Heilsvermittlung gehörten im Gegensatz zu heute zu den unaufgebbaren Wesenszügen sakramentaler Einzel- und Gemeindebuße. 5. Entwicklung im 5.-6. Jahrhundert Da die kirchliche sakramentale Buße nur einmal im Leben zugestanden wurde, empfing man sie in der Regel auf dem Sterbebett. Daneben entwickelten sich aber auch nicht offizielle Bußformen, wie zum Beispiel das private Bekenntnis in Klöstern sogar vor Nichtpriestern. Thomas von Aquin vergleicht die „Laienbeichte“ in Todesgefahr mit der Nottaufe. Das Bekenntnis vor Laien galt als aszetisches und ordentliches Mittel zur Tilgung leichter Sünden. 6. Entwicklung im 7. Jahrhundert Eine neue Form der Buße entstand auf dem heutigen europäischen Festland durch irische Wandermönche. Der Akzent des Bußvollzuges, der ehemals auf dem büßenden Tun des Sünders und dem fürbittenden Gebet der Gemeinde lag, verlagerte sich auf die persönliche Beichte und die kirchliche Lossprechung. Die Mönche propagierten, Sünden könnten durch entsprechende Bußen ausgeglichen werden. Aus dem archaischen Denken des „do ut des – ich gebe, damit du gibst“ entwickelten sie sogenannte Tarifbußen, die das Gleichgewicht wieder herstellten. Sobald der Ausgleich erbracht war, wurde die Absolution erteilt. Dieses Vorgehen ermöglichte einen häufigeren Empfang des Bußsakramentes. 7. Entwicklung im 10.-11. Jahrhundert Im Augenblick des Bekenntnisses erfolgte die Aussöhnung und bei der Auferlegung der Buße die Absolution. Es entwickelte sich die Vorstellung: Schuld wird durch Reue und Umkehr vergeben, und diese erreichen ihre Vollendung durch die kirchliche Vermittlung der Lossprechung, die zugleich Versöhnung mit der Kirche und mit Gott bedeutet. 8. Entwicklung im 13. Jahrhundert Die deklamatorische – zusprechende – Lossprechungsformel löst allgemein die deprecatorische – erbittende – Formel ab. Das 4. Laterankonzil (1215) sanktionierte die Privatbeichte. 9. Entwicklung im 20. Jahrhundert Die „Beichtstuhlbeichte“ kommt in eine Krise, weil sie sich unter anderem sehr formal vollzieht. Bußandachten scheinen eine Lösung des Problems zu sein. Andere Formen der Sündenvergebung kommen wieder in den Blick: Gebet – Lesung der Heiligen Schrift – gläubiges Hören auf Gottes Wort – Mitfeier der Eucharistie – Werke der Nächstenliebe und Formen des Verzichtes – Aussöhnung mit anderen. Es entwickelt sich die Form des Beichtgespräches, eine Möglichkeit sich ohne die „Formalitäten“ der früher üblichen Beichte auszusprechen, ein Loskommen von dem zuvor gewohnten Schema. Erstrebenswert ist eine Bußpraxis in drei parallelen Formen: a. Die Bußfeier, die den sozialen Charakter der Schuld und Vergebung erfahrbar macht. b. Das Beichtgespräch in einem Beichtzimmer, bei dem eine sakramentale Sündenvergebung erfolgt und sich auch Fehlverhalten aufarbeiten läßt. c. Die sogenannte „Andachtsbeichte“ im Beichtstuhl mit kurzem Bekenntnis, bei der es vorwiegend um die Gnade der Sündenvergebung geht. Sie ist öfter „verkraftbar“ als das zeitlich und psychisch aufwendigere Beichtgespräch. Die bisherige Beichtform scheint gestorben zu sein. Aber es wurde noch nie so viel öffentlich gebeichtet wie heute. Die Psychologen haben reichlich damit zu tun, Menschen wieder aufzurichten, die plötzlich entdecken, wie sehr sie ihr Innerstes und Intimstes im Fernsehen vor aller Welt offengelegt haben. Bußsakrament und Freude Der Empfang des Bußsakramentes soll ein Fest sein, weil der Sünder sich trotz der Sünde, die er begangen hat, geliebt weiß; denn Gott praktiziert den Grundsatz: „Den Sünder lieben, die Sünde hassen.“ Das Bußsakrament bietet die Möglichkeit, den Kompaß unserer Sehnsucht wieder neu auszurichten auf Gott, um das Störende auf unserem Lebensweg auszuräumen. Vielfach wird das Bußsakrament vor allem als ein Reinemachen mit der Vergangenheit betrachtet. Es geht aber mehr um eine neue Ausrichtung auf die Zukunft. Es geht um Verzeihen der Sünde, wobei das Wichtigste ist, sich selbst zu verzeihen. Denn daß Gott uns verzeiht, dürfen wir glauben, daß der andere uns verzeiht, dürfen wir erbitten, aber wie schwer ist es, uns selbst zu verzeihen. Buße ist nicht nur Wiedergutmachung, sondern Zeichen der Erneuerungsbereit-schaft. Das griechische Substantiv μετάνοια (metanoia) übersetzen wir mit Buße oder auch Umkehr, und diese verlangt Bereitschaft zur Sinnesänderung. Der Apostel Paulus schreibt den Römern: „Wandelt euch und erneuert euer Denken!“ (Röm 12,2). Möge die österliche Bußzeit helfen, das Bußsakrament neu zu beleben, indem wir die hilfreiche Zusage erkennen: „Gott liebt Dich und vergibt Dir Deine Sünden, geh und sündige nicht mehr.“
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