Politik & Gesellschaft | Burn-Out Burn-out: Auch im Biolandbau ein Phänomen? Imke Lohmann hat Bioberater gefragt, wie stark Ökolandwirte von dem Phänomen Burn-out betroffen sind. Das überraschende Ergebnis: Nicht nur die Bauern, auch die Berater selbst haben mit dem „totalen Ausgebranntsein“ zu kämpfen. D Geredet wird darüber allerdings kaum. Strukturelle, gesellschaftliche und (von Betriebsleitern sehr oft genannte) ökonomische Einflüsse können dem überforderten Individuum „den Rest“ geben, egal ob der Mensch seinen Alltag gut oder ob er ihn einfach nur bestmöglich bewältigt. Die Situation von Betriebsleitern ist noch komplexer: Ihr dörfliches und familiäres Umfeld sind historisch geprägt, ihr Wirtschafts- beziehungsweise Arbeitsort und ihr Lebensort und Zuhause bilden eine Einheit. Freiheitsgrade einer unternehmerischen Selbstständigkeit werden von vielen Akteuren nicht als solche empfunden. Das Arbeiten in Landwirtschaft und Natur ist individuell geprägt von Subventionen, Förderungen und ererbten Unterschieden bezüglich der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Eine weit verbreitete Stimmung ist. „Die Arbeit macht mir eigentlich Spaß, aber die Ökonomie stimmt nicht“. Eine interessante Frage wäre dann: Würde die Situation anders empfunden werden, wenn die Betriebsleiter mehr verdienten? as als „Burn-out“ bezeichnete Phänomen oder Syndrom steht am Ende einer langen Kette von Vorboten der Überforderung eines Menschen. Es bedeutet nichts anderes, als dass der Betroffene sich in einem „persönlichen Schleudergang“ befindet mit all dem menschlichen Kummer, der für ihn selbst und sein Umfeld entsteht. Wer am Ende in solch einer Erschöpfungserkrankung steckt, ist über lange Zeit eingeschränkt und braucht sehr viel Kraft, Geduld und Klarheit, um sich neu auszubalancieren und sein Leben völlig neu auszurichten. Dass dieses Phänomen derzeit »Landwirte sind starker körperlicher Belastung und hohen Unfallrisiken ausgesetzt.« Reflexionsaufforderung nicht nur für die Betroffenen gesamtgesellschaftlich diskutiert wird, zeigt seine Brisanz. Und Burn-out macht auch vor Biolandwirten und -beratern nicht Halt. Land- und Forstwirte gehören einer Berufsgruppe an, die nicht nur stark ausgeprägten körperlichen Arbeitsbelastungen, sondern auch überdurchschnittlich hohen Arbeitsunfall- und Stressrisiken ausgesetzt ist. Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) hat sich daher dieses Themas angenommen.1 Es besteht der Eindruck, dass viele Landwirte eher aufhören, ihren Betrieb selbst zu führen, wenn es ergänzend zur ökonomischen Situation auch noch persönlich oder sozial schwierig wird. Die fachliche Beratung ist für Betriebsleiter eine vertraute Hilfe, Diese gerät an Grenzen, wenn es persönlich wird – sowohl in Bezug auf den Kompetenzhintergrund der Berater als auch in Bezug auf die Inanspruchnahme durch die Betriebsleiter. Vielerorts herrscht Sprachlosigkeit für die „wei- 1 siehe Veröffentlichungen der SVLFG: Arbeit, Gesundheit und Pläne fürs Alter in der Landwirtschaft. Befragung 55 plus. Abrufbar unter www.kurzlink.de/SVLFG; Gesundheit, Betriebsübergabe ein Gesundheitsthema: Abschlussbericht der Evaluation. Abrufbar unter www.kurzlink.de/SLVG_Betriebsaufgabe ÖKOLOGIE & LANDBAU 01 | 2015 42 www.soel.de Burn-Out | Politik & Gesellschaft chen“ und menschlichen Faktoren, zusätzlich verschärft das Aufrechterhalten von „Bildern“ die Situation. Die Menschen und besonders die Betroffenen sind bezüglich der Burn-outThematik zweifach gefordert: Sie sind Teil der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und davon nicht losgelöst. Darüber hinaus tun sie als Landwirte und Berater gut daran, ein neues kulturelles und landwirtschaftliches Selbstverständnis zu entwickeln, um selbstbewusst im Spannungsfeld von Ökonomie, Ökologie und Menschlichkeit eine konstruktive Position einnehmen zu können. Die Antworten werfen auch ein Licht auf die Situation der Bioberater. Dies verdeutlicht das folgende Zitat: „Speziell die Berater im Ökolandbau haben ein sehr großes Arbeitspensum, mitunter verbunden mit Unsicherheiten bezüglich der längerfristigen Jobsicherung und -finanzierung, viele Außentermine, wenig Zeit für Familie, extrem unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen verschiedener Gruppen (unter anderem Beratungskunden, Chef), großes Engagement, der Wunsch zu helfen, teilweise saisonal sehr starke Arbeitsspitzen. [...] Diese Gemengelage ist sicherlich ein guter Boden, um die eigenen Grenzen zu überschreiten und vielleicht in ein Burn-out hineinzurutschen.“ Schlusspunkt einer Lebenskrise? Hohes Arbeitsethos als Risikofaktor Um das Thema Burn-out in einen konkreten Bezug zur Praxis zu stellen, wurden 350 Bioberater befragt, von denen 40 antworteten. Auf die Frage „Gibt es im Ökolandbau Ihrer Meinung nach überhaupt ein Burn-out-Problem?“ antworten 80 Prozent der Befragten mit „Ja“. Im Durchschnitt kennen die Befragten jeweils drei konkrete Fälle. Auffällig ist, dass mehrere Befragte ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass auch Berater von Burn-out betroffen sein können. Als spezifische Ursachen für Burn-out in der (Bio-)Landwirtschaft nannten die Befragten (Auszug): ZZ hohe Arbeitsbelastung bei schlechter sozialer Absicherung (landwirtschaftliche Krankenkassen und Alterskassen sind nicht ausreichend auf solche Fälle vorbereitet); Was ist Burn-out? »Oft herrscht Sprachlosigkeit in Bezug auf die ›weichen‹ und menschlichen Faktoren. Das Aufrechterhalten von ›Bildern‹ verschärft die Situation.« Burn-out ist im Rahmen der internationalen Klassifikation keine Erkrankung im Sinne einer Diagnose, sondern eine Ergänzungsdiagnose, die mit dem Diagnoseschlüssel Z73.O verschlüsselt und als „Ausgebranntsein, Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung“ erläutert wird. Innerliche und äußerliche Entstehungsfaktoren für Burn-out: Zeitdruck, Perfektionismus, Vernachlässigung eigener Bedürfnisse, fehlende Anerkennung, mangelnder Rückhalt und Unsicherheiten. Die nachfolgenden Zitate der Befragungsteilnehmer verdeutlichen die Situation betroffener Landwirte: ZZ „…die Sache ist noch schlimmer und trauriger. Ich habe als freiberufliche Beraterin die Beobachtung gemacht, dass der plötzliche Herztod bei 30- bis 50-jährigen Landwirten zunimmt.“ ZZ „Ich kenne keine ‚offiziellen’ Fälle. Burn-out und alle damit zusammenhängenden, im Vorfeld aufgetretenen Symptome sind in der Regel ein Tabu. Über Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Depression et cetera wird nicht geredet. Das kommt erst zur Sprache, wenn man sich als Berater traut, es auch konkret anzusprechen. Dafür braucht es ein Vertrauensverhältnis und viel Erfahrung. Es gibt ganz sicher eine große Dunkelziffer.“ ZZ „ Menschen, die sich zusätzlich engagieren, ziehen sich schweren Herzens aus der ehrenamtlichen Arbeit zurück, weil sie es nicht mehr schaffen. Haben diese nun das Risiko eines Burn-out vermindert oder stecken sie mittendrin?“ www.soel.de Burn-out ist ein Prozess Jenseits der Diagnose spricht man heute von einem Prozess. Burn-out ist eine Entwicklung, die sich (verkürzt) wie folgt darstellen lässt: 1.Überaktivität: Extremes Leistungsstreben, um sich selbst und den anderen etwas zu beweisen. Dafür werden auch eigene Bedürfnisse übergangen oder verleugnet. 2.Reduziertes Engagement: Negative Einstellungen zur Arbeit, zu sich selbst und anderen wachsen. In den Vordergrund treten Rückzug, Ängstlichkeit und Selbstzweifel. 3. Abbau der Leistungsfähigkeit: Entscheidungsunfähigkeiten, Gereiztheit, Konzentrationsschwächen, Stimmungseinbrüche und Schuldgefühle. Die Kompensationsversuche etwa durch Essen, Alkohol oder übermäßige Internetnutzung zeigen keine Wirkung mehr. 4.Verzweiflung und Depression: In dieser Phase dekompensiert der inzwischen erkrankte Mensch psychisch und ganz individuell, sodass Depression, Sucht, Angstzustände oder psychosomatische Erkrankungen (etwa Herzinfarkt) diagnostiziert werden können. 43 ÖKOLOGIE & LANDBAU 01 | 2015 Politik & Gesellschaft | Burn-Out Landwirte erleben den Umgang mit den ihnen anvertrauten Tieren häufig als eine wohltuende und Kraft spendende Ressource. wichtige Rolle. Rinder selbst haben ein sehr ausgeglichenes Gemüt, sie strahlen Ruhe aus und können sich so positiv auf das Seelenleben der Menschen auswirken.“ Nach Einschätzung der befragten Berater ziehen sich manche Betroffenen aus sozialen Zusammenhängen zurück, wechseln ihre Stelle oder vereinfachen ihre Betriebsstruktur, selbst wenn dies für sie ein Verlustgeschäft ist. Andere reduzieren ihren Tätigkeitsumfang, geben einzelne Betriebsteile oder ihren Betrieb komplett auf. Solche Krisen zu bewältigen oder sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen, kann durch das Entwickeln von Resilienz2 gelingen: Optimismus, Akzeptanz und Lösungsorientierung verbunden mit dem festen Willen, die Opferrolle zu verlassen, sind der Schlüssel für ein selbstbestimmtes und zufriedenstellendes Leben. Wichtig sind aber auch die Bereitschaft und Fähigkeit, verantwortungsvoll zu handeln, die eigene Zukunft selbst bestimmt zu gestalten und sich in Netzwerken zu engagieren. Vielleicht ist es an der Zeit, auch innerhalb des Agrarsektors einen Dialog darüber zu führen, wie sich Sprachlosigkeit und Tabuisierung reduzieren lassen. Denn hinter jedem ermutigten Betriebsleiter oder Berater, der die Kompetenz zur Resilienz wieder erlangt, verbirgt sich vermutlich ein erhaltener Arbeitsplatz oder ein nicht aufgegebener Betrieb. Mögen die Resilienzfaktoren eine Handlungsaufforderung sein, dass sie auch im Agrarsektor und da ganz besonders im ökolo gischen Bereich entwickelt und gestärkt werden. ZZ ein Kürzertreten im Betrieb ist oft nur schwer möglich; ZZ hoher Kapitaleinsatz bei geringem Betriebsgewinn; ZZ Betriebsnachfolge nicht geregelt oder nicht in Sicht; ZZ Partner ist oft direkt mitbetroffen, da ebenfalls im Betrieb tätig oder zumindest dort wohnend; ZZ geringes Verständnis der Öffentlichkeit dafür, dass Landwirte angesichts ihrer „freien Zeiteinteilung“ und Selbständigkeit Stress haben können; ZZ Kennzeichen für einen „Öko-Burn-Out“ sind neben höheren fachlichen Anforderungen (zu) hohe ideelle Ansprüche an sich selbst sowie ein hohes Arbeitsethos. Drei der befragten Personen sehen dagegen vermehrt Begeisterung als ein Burn-out-Problem. Resilienz als Kompetenz der Zukunft 2 Resilienz (resiliare: lateinisch zurückspringen oder abprallen) bedeutet Widerstandskraft, Belastungsfähigkeit und Flexibilität. Zitat eines Beraters: „Im ökologischen Landbau lerne ich sehr viele Menschen kennen, die ihre Arbeit als erfüllend und sehr stimmig erleben. Ein Landwirt hat mir vor einem Jahr bei einem Betriebsbesuch gesagt: ‚Mehr Geld habe ich seit meiner Umstellung nicht, dafür kann ich jetzt wieder ruhig schlafen’. Dies führt sicher zu einer inneren Balance. Ich arbeite in der Beratung überwiegend mit rinderhaltenden Betrieben im Alpenvorland zusammen. Diese Betriebe haben oft einen sehr geregelten Arbeitsalltag und im Winter gibt es längere Phasen der Erholung. Ich glaube, das bewusste Leben und Erleben der Jahreszeiten spielt in der Burn-out-Prävention eine sehr ÖKOLOGIE & LANDBAU 01 | 2015 44 Foto: Urs Kuckertz Imke Lohmann Beraterin für Potenzial- und Unternehmensentwicklung, [email protected], www.gesunde-arbeitswelten.de www.soel.de
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