38 Tages-Anzeiger – Montag, 7. März 2016 Wissen Forschungsplatz Zürich «Mitarbeiter sollten dem Chef auch Belastendes erzählen können» Die ETH-Arbeitspsychologin Gudela Grote findet es wichtig, dass Mitarbeiter in Unternehmen ihre Arbeitsbedingungen selbst beeinflussen können. Mit Gudela Grote sprach Mirjam Fuchs Warum fühlen sich immer mehr Menschen gestresst von der Arbeit? Tatsächlich nimmt die Belastung zu, aber auch die Sensibilität dafür ist gewachsen. Je nach Tätigkeit unterscheiden sich die Auslöser für den Stress, aber nicht das Stresserleben selbst. Was muss bei der Arbeit stimmen, damit man nicht ausbrennt? Zentral ist, dass man genügend Kontrolle über die eigene Arbeitstätigkeit hat, damit man die gestellten Aufgaben gut erfüllen kann. Das heisst zum Beispiel, dass man auf nötige Ressourcen und Wissen zurückgreifen kann und Kollegen hat, die einem helfen. Vorgesetzte sollten nicht kontrollieren und überwachen, sondern ihren Mitarbeitenden Handlungsspielraum geben. Wie wichtig ist das Umfeld? Sehr wichtig. In Befragungen zeigt sich, dass der respektvolle Umgang untereinander, einander zuhören und helfen das Wohlbefinden am Arbeitsplatz beeinflussen. Aber nicht nur soziale, auch physische Bedingungen tragen dazu bei. Zum Beispiel Grossraumbüros: Sie werden als innovativ gefeiert und sind weit verbreitet, doch sind sie oft schlecht gestaltet und werden als belastend erlebt. Da könnte einiges verbessert werden. Was können Vorgesetzte tun, um Arbeitsbedingungen zu verbessern? Sie sollten prüfen, ob sie ihren Mitarbeitenden genügend Kontrolle über die eigene Arbeit geben. Und sich fragen, wie sie die Führungsbeziehung am besten gestalten: Finden genügend Rückmeldungen statt, sind die vorgegebenen Ziele realistisch, erkennen sie möglichst frühzeitig, ob jemand unter- oder überfordert ist? Und wie reagiert der Chef am besten, wenn sich jemand nahe am Burn-out befindet? Zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden sollte so viel Vertrauen herrschen, dass auch Belastendes erzählt werden kann. Dieser Teil ist für die Führungspersonen anspruchsvoll, sie dürfen ja nur begrenzt zum Privatleben nachfragen. Wenn die Erschöpfung vor allem in der Arbeit begründet ist, sollten die Ursachen genauer analysiert werden. Erst danach weiss man, wie man helfen kann. Das alles ist stark abhängig von der Person des Chefs. Gibt es auch Möglichkeiten zur strukturellen Vorbeugung? Die jährlichen Mitarbeitergespräche sind ein Anfang. Insbesondere wenn das Lohnsystem leistungsbezogen ist, kann man aber nicht erwarten, dass Angestellte offen über Schwächen reden. Gespräche müssen kontinuierlich möglich sein. Zudem sollten Freiräume in der Tätigkeit selbst vorhanden sein. Dann Preiswerte, biegsame Solarzellen Empa-Forscher Frank Nüesch blickt auf drei erfolgreiche Jahre zurück: Er koordinierte ein europäisches Forschungsprojekt, das laut der Eidgenössischen Materialforschungsanstalt (Empa) die Beleuchtungs- und Energietechnik der nächsten Generation marktreif macht. Die verschiedenen Forscherteams entwickelten ein Roll-to-Roll-Verfahren, das biegsame, leuchtende Module druckt, vergleichbar mit einer Offsetdruckmaschine. So können künftig kostengünstig Solarzellen und LEDLeuchtflächen hergestellt werden. Das EU-Projekt Treasores startete vor drei Jahren. Die Europäische Union investierte 9 Millionen Euro, weitere 6 Millionen zahlten die beteiligten Partner. Aus dem Projekt gingen sieben Patente und ein Dutzend wissenschaftlicher Publikationen hervor. Neun Firmen und sechs Technologie-Institute aus fünf Ländern arbeiteten bei Treasores zusammen. www.empa.ch * Die Lösung Wie Firmen ihre Mitarbeiter vor Burn-out schützen können. Wie denn? Wenn Menschen eng zusammengepfercht und unter hohem Lärmpegel arbeiten müssen, ist das enorm belastend. Den Lärm zu dämpfen, hilft irgendwann nicht mehr. Die Frage ist: Wie sehr haben Arbeitende die Chance, Arbeitsbedingungen auch selbst zu beeinflussen? Kann ich entscheiden, wann ich gestört, wann nicht gestört werden will? Wenn Grossraumbüros mit kleinen, abgeschlossenen Räumen kombiniert werden, in die man sich für Gespräche oder ruhiges Arbeiten zurückziehen kann, hilft das. LabOhr Arbeiten bei Google: Eine Mitarbeiterin hat sich in eine gemütliche Nische zurückgezogen. Foto: Gregg Segal (Gallery Stock / Keystone) Gudela Grote Die Psychologin ist ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. können Beschäftigte eigenständig Belastungen mindern und Ressourcen suchen – zum Beispiel, indem sie Zeitpläne für Projekte anpassen oder Weiterbildungen besuchen. Kann man es sich heute denn noch leisten, auch mal Nein zu sagen? Das wird tatsächlich immer schwieriger. Dank neuen Technologien kann immer und überall gearbeitet werden. Ob man sich traut, Arbeit abzulehnen oder aufzuschieben, hängt auch von den Regelungen im Unternehmen ab. Zum Beispiel wenn Vorgesetzte, die am Wochenende E-Mails verschicken, klarmachen, dass diese nicht sofort beantwortet werden müssen. Aber viele Menschen, die an Burn-out leiden, sind von sich aus Frauen leiden häufiger an Burn-out als Männer Häufigkeit des Burn-out-Syndroms nach Alter Männer Frauen 10% 8% 6% 4% 2% 18–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 TA-Grafik mrue / Quelle: Robert-Koch-Institut sehr leistungsbezogen. Sie müssen lernen, zu erkennen, wann es für sie angebracht ist, Nein zu sagen. Wo setzt man am besten an, um die Situation für Arbeitende zu verbessern? Wesentlich ist die systematische Gestaltung von Arbeitstätigkeiten. Nach Umstrukturierungen beispielsweise haben manche mehr, andere weniger zu tun. Vielfach ergibt sich das einfach; die Arbeit einer Person wirkt dann wie das Abfallprodukt von Unternehmensent scheidungen. Wie weicht man dieser Problematik aus? Veränderungen sollten immer mit Blick auf die Auswirkungen für Beschäftigte und ihre Arbeitsbedingungen geplant und durchgeführt werden. Anforderungen müssen zu den vorhandenen Fähigkeiten der Einzelnen passen. Allenfalls sollten Weiterbildungen vereinbart werden. Im Alltag geht es oft aber auch um so einfache Dinge wie mehr Ruhezeiten, um konzentriert arbeiten zu können. Sind heutige Berufseinsteiger gefährdeter als frühere Generationen? Die Anforderungen steigen, und die Arbeit wird immer dichter. Gleichzeitig scheint es aber so, dass junge Menschen sich heute weniger gefallen lassen und besser wissen, was sie selbst wollen. Das hilft, übermässigen Ansprüchen bei der Arbeit selbstbestimmt zu begegnen. Haben Firmen wie Google, die Freizeitangebote anbieten und auch in der Gestaltung der Arbeitszeiten flexibel sind, Vorbildcharakter? Google ist zweischneidig, weil die Firma eine Welt in sich kreiert, die kaum mehr verlassen wird. Entscheidend ist, ob die Flexibilität wirklich gewährleistet ist: Die Angestellten sollten Gelegenheit haben, von der Arbeit wegzukommen. Freizeit in der Firma kann des Guten zu viel sein. Burn-out «Frauen holen sich rascher Hilfe» Sie fühlen sich emotional erschöpft, nehmen ihre Leistungsfähigkeit vermindert wahr und erleben ihren Körper und Geist voneinander losgelöst: Immer mehr Menschen leiden unter solchen Gemütszuständen. Diese Symptome gehören zum typischen Burn-out-Syndrom. Aber eine gesicherte Diagnose aufgrund einer weltweit anerkannten Klassifikation gibt es nicht. Manche Mediziner sehen in dem Erschöpfungszustand eine Vorstufe zu einer Depression, andere stufen ihn als eigenständige Krankheit ein. Einheitliche Befunde fehlen jedoch. Erforscht wird das Burn-outSyndrom, das sich typischerweise auf die Arbeitswelt bezieht, seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Immer wieder bekennen sich Prominente öffentlich dazu. Burn-out als Modebegriff abzutun, wäre falsch. Ob Frauen ein höheres Risiko für ein Burn-out haben als Männer, lässt sich schwer beurteilen. Viele Studien zeigen jedoch gewisse Geschlechterunterschiede. «Frauen holen sich rascher Hilfe», sagt Sebastian Haas, Facharzt und Burn-out-Experte an der Privatklinik Hohenegg in Meilen. 45- bis 55-Jährige seien besonders betroffen. Handlungsspielraum am Arbeitsplatz, aber auch ein stabiles soziales Umfeld wirkten vorbeugend. Ebenso Aktivitäten, die Stress abbauen. «Singen zum Beispiel ist ein guter Ausgleich zur Arbeit, weil dadurch das vegetativ beruhigende Nervensystem aktiv stimuliert wird», so Haas. (mir) ETH-Podium zum Thema «Ausgebrannt!» mit Gudela Grote, Sebastian Haas, Daniel Göring (ehemaliger Burn-out-Patient), Thomas Foery (Personalchef beim Baukonzern Implenia): Donnerstag, 10. 3., 19.30 Uhr, ETH Zentrum, Audimax, Rämistr. 101, Zürich. Mehr als 60 Studierende der fünf Zürcher Hochschulen organisieren die vierte Nachhaltigkeitswoche, die heute Montag mit einem reichhaltigen Programm beginnt. Mit der Maxime «Wir wissen, wir müssen, wir können» werben die Organisatoren der grössten studentischen Eventserie für Nachhaltigkeit in der Schweiz. In über 20 öffentlichen Veranstaltungen debattieren Experten, geben Forscher einen Einblick in ihre Arbeit und führen Exkursionen in die Praxis. Es geht um die Grenzen des Wirtschaftswachstums und um Asylpolitik. Thema sind nachhaltiges Bauen, Kleidertausch, Urban Farming. Exkursionen führen zu Bauernhöfen. Und selbst Kochshows und -kurse stehen auf dem Programm. Die Nachhaltigkeitswoche will auch innerhalb der Alma Mater bewegen, indem im Rahmen der Woche Forderungen gestellt werden. Vor zwei Jahren konnte auf diese Weise die Ernennung eines Nachhaltigkeitsdelegierten für die Universität Zürich durchgesetzt werden. Auch dieses Jahr gibt es einen Katalog an Forderungen. Nachhaltigkeitswoche vom 7.–12. März. Programm: www.nachhaltigkeitswoche.ch * Wenig nachhaltig scheint in der Schweiz die private Altersvorsorge zu sein, wie eine Studie der School of Management der Zürcher Hochschule (ZHAW) zeigt. Das Fazit: Über 40 Prozent der Deutschschweizer Bevölkerung kümmern sich zu wenig oder gar nicht um die Zeit nach der Pensionierung. Frauen beschäftigen sich zudem weniger mit der finanziellen Zukunft als Männer. Die Resultate stammen aus einer repräsentativen Umfrage mit 1004 Personen. Die häufigsten Gründe, sich mit der privaten Altersvorsorge zu befassen, sind Steuerersparnis und Lebensstandard im Alter. Studie erhältlich unter: www.zhaw.ch (lae) Selbstlosigkeit ist im Hirn erkennbar Ob jemand aus Mitgefühl selbstlos handelt oder deshalb, weil er sich für eine vorangegangene Freundlichkeit revanchiert, lässt sich am Gehirn ablesen. Das berichten Forschende der Universität Zürich im Fachjournal «Science». Was uns zu einem bestimmten Verhalten veranlasst, ist von aussen kaum festzustellen. Manchmal sind wir uns sogar selbst nicht darüber im Klaren, welche Motive uns leiten. Einem Forscherteam um Grit Hein und Ernst Fehr von der Universität Zürich ist es erstmals gelungen, Motive für selbstloses Verhalten mittels Hirnaktivitätsmessungen zu unterscheiden. Die Kommunikation zwischen Hirnarealen ist demnach unterschiedlich, je nachdem, welche Motive ein Verhalten leiten. Die Forschenden hatten Probanden im Hirnscanner einem Standardtest für selbstloses oder egoistisches Verhalten unterzogen. Die Wissenschaftler machten noch eine weitere Entdeckung: Mitgefühl veranlasst egoistische Personen im Vergleich zu Altruisten zu selbstloserem Verhalten. (SDA)
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