Tagesanzeiger 7. März 2016, Interview mit Prof

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Tages-Anzeiger – Montag, 7. März 2016
Wissen Forschungsplatz Zürich
«Mitarbeiter sollten dem Chef auch
Belastendes erzählen können»
Die ETH-Arbeitspsychologin Gudela Grote findet es wichtig, dass Mitarbeiter in Unternehmen
ihre Arbeitsbedingungen selbst beeinflussen können.
Mit Gudela Grote sprach Mirjam Fuchs
Warum fühlen sich immer mehr
Menschen gestresst von der Arbeit?
Tatsächlich nimmt die Belastung zu,
aber auch die Sensibilität dafür ist gewachsen. Je nach Tätigkeit unterscheiden sich die Auslöser für den Stress,
aber nicht das Stresserleben selbst.
Was muss bei der Arbeit stimmen,
damit man nicht ausbrennt?
Zentral ist, dass man genügend Kontrolle über die eigene Arbeitstätigkeit
hat, damit man die gestellten Aufgaben
gut erfüllen kann. Das heisst zum Beispiel, dass man auf nötige Ressourcen
und Wissen zurückgreifen kann und Kollegen hat, die einem helfen. Vorgesetzte
sollten nicht kontrollieren und überwachen, sondern ihren Mitarbeitenden
Handlungsspielraum geben.
Wie wichtig ist das Umfeld?
Sehr wichtig. In Befragungen zeigt sich,
dass der respektvolle Umgang untereinander, einander zuhören und helfen das
Wohlbefinden am Arbeitsplatz beeinflussen. Aber nicht nur soziale, auch
physische Bedingungen tragen dazu bei.
Zum Beispiel Grossraumbüros: Sie werden als innovativ gefeiert und sind weit
verbreitet, doch sind sie oft schlecht gestaltet und werden als belastend erlebt.
Da könnte einiges verbessert werden.
Was können Vorgesetzte tun, um
Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Sie sollten prüfen, ob sie ihren Mitarbeitenden genügend Kontrolle über die eigene Arbeit geben. Und sich fragen, wie
sie die Führungsbeziehung am besten
gestalten: Finden genügend Rückmeldungen statt, sind die vorgegebenen
Ziele realistisch, erkennen sie möglichst
frühzeitig, ob jemand unter- oder überfordert ist?
Und wie reagiert der Chef
am besten, wenn sich jemand nahe
am Burn-out befindet?
Zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden sollte so viel Vertrauen herrschen,
dass auch Belastendes erzählt werden
kann. Dieser Teil ist für die Führungspersonen anspruchsvoll, sie dürfen ja
nur begrenzt zum Privatleben nachfragen. Wenn die Erschöpfung vor allem in
der Arbeit begründet ist, sollten die Ursachen genauer analysiert werden. Erst
danach weiss man, wie man helfen
kann.
Das alles ist stark abhängig
von der Person des Chefs.
Gibt es auch Möglichkeiten zur
strukturellen Vorbeugung?
Die jährlichen Mitarbeitergespräche
sind ein Anfang. Insbesondere wenn das
Lohnsystem leistungsbezogen ist, kann
man aber nicht erwarten, dass Angestellte offen über Schwächen reden. Gespräche müssen kontinuierlich möglich
sein. Zudem sollten Freiräume in der
­Tätigkeit selbst vorhanden sein. Dann
Preiswerte,
biegsame
Solarzellen
Empa-Forscher Frank Nüesch blickt auf
drei erfolgreiche Jahre zurück: Er koordinierte ein europäisches Forschungsprojekt, das laut der Eidgenössischen
Materialforschungsanstalt (Empa) die
Beleuchtungs- und Energietechnik
der nächsten Generation marktreif
macht. Die verschiedenen Forscherteams entwickelten ein Roll-to-Roll-Verfahren, das biegsame, leuchtende Module druckt, vergleichbar mit einer Offsetdruckmaschine. So können künftig
kostengünstig Solarzellen und LEDLeuchtflächen hergestellt werden. Das
EU-Projekt Treasores startete vor drei
Jahren. Die Europäische Union investierte 9 Millionen Euro, weitere 6 Millionen zahlten die beteiligten Partner. Aus
dem Projekt gingen sieben Patente und
ein Dutzend wissenschaftlicher Publikationen hervor. Neun Firmen und sechs
Technologie-Institute aus fünf Ländern
arbeiteten bei Treasores zusammen.
www.empa.ch
*
Die Lösung
Wie Firmen
ihre Mitarbeiter
vor Burn-out
schützen können.
Wie denn?
Wenn Menschen eng zusammengepfercht und unter hohem Lärmpegel arbeiten müssen, ist das enorm belastend.
Den Lärm zu dämpfen, hilft irgendwann
nicht mehr. Die Frage ist: Wie sehr haben Arbeitende die Chance, Arbeitsbedingungen auch selbst zu beeinflussen?
Kann ich entscheiden, wann ich gestört,
wann nicht gestört werden will? Wenn
Grossraumbüros mit kleinen, abgeschlossenen Räumen kombiniert werden, in die man sich für Gespräche oder
ruhiges Arbeiten zurückziehen kann,
hilft das.
LabOhr
Arbeiten bei Google: Eine Mitarbeiterin hat sich in eine gemütliche Nische zurückgezogen. Foto: Gregg Segal (Gallery Stock / Keystone)
Gudela Grote
Die Psychologin
ist ordentliche
Professorin für
Arbeits- und
Organisationspsychologie an
der ETH Zürich.
können Beschäftigte eigenständig Belastungen mindern und Ressourcen suchen
– zum Beispiel, indem sie Zeitpläne für
Projekte anpassen oder Weiterbildungen besuchen.
Kann man es sich heute denn noch
leisten, auch mal Nein zu sagen?
Das wird tatsächlich immer schwieriger.
Dank neuen Technologien kann immer
und überall gearbeitet werden. Ob man
sich traut, Arbeit abzulehnen oder aufzuschieben, hängt auch von den Regelungen im Unternehmen ab. Zum Beispiel wenn Vorgesetzte, die am Wochenende E-Mails verschicken, klarmachen,
dass diese nicht sofort beantwortet werden müssen. Aber viele Menschen, die
an Burn-out leiden, sind von sich aus
Frauen leiden häufiger
an Burn-out als Männer
Häufigkeit des Burn-out-Syndroms nach Alter
Männer
Frauen
10%
8%
6%
4%
2%
18–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79
TA-Grafik mrue / Quelle: Robert-Koch-Institut
sehr leistungsbezogen. Sie müssen lernen, zu erkennen, wann es für sie angebracht ist, Nein zu sagen.
Wo setzt man am besten an,
um die Situation für Arbeitende
zu verbessern?
Wesentlich ist die systematische Gestaltung von Arbeitstätigkeiten. Nach Umstrukturierungen beispielsweise haben
manche mehr, andere weniger zu tun.
Vielfach ergibt sich das einfach; die Arbeit einer Person wirkt dann wie das
Abfallprodukt von Unternehmensent­
scheidungen.
Wie weicht man dieser Problematik
aus?
Veränderungen sollten immer mit Blick
auf die Auswirkungen für Beschäftigte
und ihre Arbeitsbedingungen geplant
und durchgeführt werden. Anforderungen müssen zu den vorhandenen Fähigkeiten der Einzelnen passen. Allenfalls
sollten Weiterbildungen vereinbart werden. Im Alltag geht es oft aber auch um
so einfache Dinge wie mehr Ruhezeiten,
um konzentriert arbeiten zu können.
Sind heutige Berufseinsteiger
gefährdeter als frühere
Generationen?
Die Anforderungen steigen, und die Arbeit wird immer dichter. Gleichzeitig
scheint es aber so, dass junge Menschen
sich heute weniger gefallen lassen und
besser wissen, was sie selbst wollen. Das
hilft, übermässigen Ansprüchen bei der
Arbeit selbstbestimmt zu begegnen.
Haben Firmen wie Google, die
Freizeitangebote anbieten und auch
in der Gestaltung der Arbeitszeiten
flexibel sind, Vorbildcharakter?
Google ist zweischneidig, weil die Firma
eine Welt in sich kreiert, die kaum mehr
verlassen wird. Entscheidend ist, ob die
Flexibilität wirklich gewährleistet ist:
Die Angestellten sollten Gelegenheit haben, von der Arbeit wegzukommen.
Freizeit in der Firma kann des Guten zu
viel sein.
Burn-out
«Frauen holen sich
rascher Hilfe»
Sie fühlen sich emotional erschöpft,
nehmen ihre Leistungsfähigkeit vermindert wahr und erleben ihren Körper und
Geist voneinander losgelöst: Immer
mehr Menschen leiden unter solchen
Gemütszuständen. Diese Symptome gehören zum typischen Burn-out-Syndrom. Aber eine gesicherte Diagnose
aufgrund einer weltweit anerkannten
Klassifikation gibt es nicht. Manche
Mediziner sehen in dem Erschöpfungszustand eine Vorstufe zu einer Depression, andere stufen ihn als eigenständige
Krankheit ein. Einheitliche Befunde fehlen jedoch. Erforscht wird das Burn-outSyndrom, das sich typischerweise auf
die Arbeitswelt bezieht, seit Mitte des
20. Jahrhunderts. Immer wieder bekennen sich Prominente öffentlich dazu.
Burn-out als Modebegriff abzutun, wäre
falsch. Ob Frauen ein höheres Risiko für
ein Burn-out haben als Männer, lässt
sich schwer beurteilen. Viele Studien
zeigen jedoch gewisse Geschlechterunterschiede. «Frauen holen sich rascher
Hilfe», sagt Sebastian Haas, Facharzt
und Burn-out-Experte an der Privatklinik Hohenegg in Meilen. 45- bis 55-Jährige seien besonders betroffen. Handlungsspielraum am Arbeitsplatz, aber
auch ein stabiles soziales Umfeld wirkten vorbeugend. Ebenso Aktivitäten, die
Stress abbauen. «Singen zum Beispiel ist
ein guter Ausgleich zur Arbeit, weil dadurch das vegetativ beruhigende Nervensystem aktiv stimuliert wird», so
Haas. (mir)
ETH-Podium zum Thema «Ausgebrannt!»
mit Gudela Grote, Sebastian Haas, Daniel
Göring (ehemaliger Burn-out-Patient),
Thomas Foery (Personalchef beim
Baukonzern Implenia): Donnerstag,
10. 3., 19.30 Uhr, ETH Zentrum, Audimax,
Rämistr. 101, Zürich.
Mehr als 60 Studierende der fünf Zürcher Hochschulen organisieren die
vierte Nachhaltigkeitswoche, die
heute Montag mit einem reichhaltigen
Programm beginnt. Mit der Maxime
«Wir wissen, wir müssen, wir können»
werben die Organisatoren der grössten
studentischen Eventserie für Nachhaltigkeit in der Schweiz. In über 20 öffentlichen Veranstaltungen debattieren
Experten, geben Forscher einen Einblick in ihre Arbeit und führen Exkursionen in die Praxis. Es geht um die Grenzen des Wirtschaftswachstums und um
Asylpolitik. Thema sind nachhaltiges
Bauen, Kleidertausch, Urban Farming.
Exkursionen führen zu Bauernhöfen.
Und selbst Kochshows und -kurse stehen
auf dem Programm. Die Nachhaltigkeitswoche will auch innerhalb der Alma Mater bewegen, indem im Rahmen der Woche Forderungen gestellt werden. Vor
zwei Jahren konnte auf diese Weise die
Ernennung eines Nachhaltigkeitsdelegierten für die Universität Zürich durchgesetzt werden. Auch dieses Jahr gibt es
einen Katalog an Forderungen.
Nachhaltigkeitswoche vom 7.–12. März.
Programm:
www.nachhaltigkeitswoche.ch
*
Wenig nachhaltig scheint in der Schweiz
die private Altersvorsorge zu sein, wie
eine Studie der School of Management
der Zürcher Hochschule (ZHAW) zeigt.
Das Fazit: Über 40 Prozent der Deutschschweizer Bevölkerung kümmern sich
zu wenig oder gar nicht um die Zeit
nach der Pensionierung. Frauen beschäftigen sich zudem weniger mit der
finanziellen Zukunft als Männer. Die Resultate stammen aus einer repräsentativen Umfrage mit 1004 Personen. Die
häufigsten Gründe, sich mit der privaten
Altersvorsorge zu befassen, sind Steuerersparnis und Lebensstandard im Alter.
Studie erhältlich unter: www.zhaw.ch (lae)
Selbstlosigkeit
ist im Hirn erkennbar
Ob jemand aus Mitgefühl selbstlos handelt oder deshalb, weil er sich für eine
vorangegangene Freundlichkeit revanchiert, lässt sich am Gehirn ablesen. Das
berichten Forschende der Universität Zürich im Fachjournal «Science». Was uns zu
einem bestimmten Verhalten veranlasst,
ist von aussen kaum festzustellen. Manchmal sind wir uns sogar selbst nicht darüber im Klaren, welche Motive uns leiten.
Einem Forscherteam um Grit Hein und
Ernst Fehr von der Universität Zürich ist
es erstmals gelungen, Motive für selbstloses Verhalten mittels Hirnaktivitätsmessungen zu unterscheiden. Die Kommunikation zwischen Hirnarealen ist demnach
unterschiedlich, je nachdem, welche Motive ein Verhalten leiten. Die Forschenden
hatten Probanden im Hirnscanner einem
Standardtest für selbstloses oder egoistisches Verhalten unterzogen. Die Wissenschaftler machten noch eine weitere Entdeckung: Mitgefühl veranlasst egoistische
Personen im Vergleich zu Altruisten zu
selbstloserem Verhalten. (SDA)