Mehr Richter und Staatsanwälte angesichts der Flüchtlingskrise Die

Ausgabe 06/2016
01.04.2016
Mehr Richter und Staatsanwälte angesichts der Flüchtlingskrise
Die Länder stärken die Justiz wegen zusätzlicher Belastung. Reicht das aus?
Berlin. Die Politik reagiert auf die hohe Zahl von
Flüchtlingen auch mit zusätzlichen Stellen in der
Justiz – das zeigen die Neueinstellungen in den
am stärksten betroffenen Ländern. Allerdings
herrschte vielerorts schon vorher Personalmangel.
So stellt Bayern im Nachtragshaushalt 2016 im
Hinblick auf zusätzliche Belastungen durch die Flüchtlingskrise insgesamt 77
neue Richter und Staatsanwälte ein, darunter zwanzig Verwaltungsrichter,
sieben Sozialrichter, dreißig Richter an den ordentlichen Gerichten sowie
zwanzig Staatsanwälte. Der Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins
Walter Groß geht davon aus, dass die zusätzlichen Stellen jedenfalls zu einer
„fühlbaren Entlastung“ beitragen werden. „Es hängt aber von der Entwicklung
der Flüchtlingszahlen ab, ob das ausreicht, um die zusätzlichen Aufgaben
bewältigen zu können.“ Die Lage in der bayerischen Justiz war schon vorher
angespannt – Ende 2015 fehlten allein in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und
in der Staatsanwaltschaft noch 430 Stellen, obwohl Bayern in den letzten
Jahren bereits zahlreiche Richter und Staatsanwälte eingestellt hat.
Noch drastischer ist die Situation im bevölkerungsreichsten Bundesland
Nordrhein-Westfalen, hier fehlten Ende 2015 trotz erster Verbesserungen noch
mehr als 650 Richter und Staatsanwälte. Im Nachtragshaushalt 2015 wurden
wegen
der
erwarteten
Asylverfahren
insgesamt
59
Stellen
für
Verwaltungsrichter geschaffen, im Haushalt 2016 sind angesichts der
zahlreichen Verfahren mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen 13
Stellen für Richter an den Amtsgerichten vorgesehen. Zudem hat die
Diskussion um die Vorfälle an Silvester in Köln dazu geführt, dass zusätzlich
hundert Richter und hundert Staatsanwälte eingestellt werden. Hinzu kommen
weitere neue Stellen, die nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise
stehen. „Die Lage war hier schon vor den zusätzlichen Herausforderungen
durch die große Zahl von Flüchtlingen äußerst prekär", erklärt Christian
Friehoff, Vorsitzender des Bundes der Richter und Staatsanwälte in NordrheinWestfalen. „Justizminister Kutschaty ist das Problem angegangen und hat in
14 Monaten erreicht, dass in der Justiz fast 350 zusätzliche Volljuristen
eingestellt werden können. Damit sind zwar keineswegs alle Personalprobleme
gelöst. Aber das ist ein starkes Signal!“
Ähnlich müsse nun auch Niedersachen handeln, fordert der Vorsitzende des
Niedersächsischen Richterbundes Frank Bornemann. Die Landesregierung will
nun 21 neue Richter einstellen. Das reiche allerdings nicht aus, so
Bornemann, seiner Einschätzung nach fehlen schon jetzt mindesten 250
Richter und Staatsanwälte. Andere Bundesländer reagieren, indem sie vor
allem die Verwaltungsgerichtsbarkeit stärken: Brandenburg stellt zur
Bewältigung der Asylverfahren 11 Verwaltungsrichter und drei Staatsanwälte
ein, Baden-Württemberg hat seit Mai 2015 insgesamt 26 Richterstellen an den
Verwaltungsgerichten geschaffen, in Schleswig-Holstein werden acht
Verwaltungsrichter eingestellt.
Justizangehörige erklären Flüchtlingen den Rechtsstaat
Bayern und Hessen bieten Rechtskundekurse – Baden-Württemberg wartet ab
Berlin.
Auch
in
Hessen
starten
nun
Rechtsstaatsklassen für Flüchtlinge: „Fit für den
Rechtsstaat – Fit für Hessen“ heißt das Programm,
das Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, der
Präsident des Oberlandesgerichts Dr. Roman
Poseck sowie die Leitende Oberstaatsanwältin in
der Generalstaatsanwaltschaft Petra Bertelsmeier im März vorgestellt haben.
Mehr als 300 Justizangehörige haben sich bereit erklärt, ehrenamtlich
Rechtskunde für Flüchtlinge zu unterrichten. Dr. Daniel Saam, Vorsitzender
des Richterbundes Hessen, begrüßt das Programm: „Dass die Idee gut ist,
zeigt sich auch darin, dass in der Richterschaft und bei den Staatsanwälten
eine große Bereitschaft besteht, sich trotz der sehr hohen und weiter
zunehmenden beruflichen Belastung ehrenamtlich im Rahmen des Programms
zu engagieren.“ Der Rahmenlehrplan sieht vor, wichtige Grundrechte wie
Religionsfreiheit und Gleichberechtigung, aber auch praktische Fragen, etwa
die Schulpflicht, zu erklären. „Es wurden auch sensible Themen in den
Lehrplan aufgenommen. So etwa die Ereignisse in Köln und das dahinter
stehende Frauenbild, das Thema Familienehre, Homosexualität und
Anwerbungsversuche von Salafisten“, so Kühne-Hörmann.
In Bayern findet bereits seit Anfang des Jahres in etlichen Bezirken
Rechtsbildungsunterricht statt, mehr als 800 Justizangehörige übernehmen
eine oder mehrere Unterrichtseinheiten. Das Staatsministerium der Justiz hat
zu den Themen Rechtsstaatlichkeit, Zivilrecht, Strafrecht und Familie
Unterrichtsmaterialien und Erklärfilme zur Verfügung gestellt. Auch der
Richterverein Baden-Württemberg hat schon vor Monaten signalisiert, sich an
Rechtskundekursen zu beteiligen. Die Landesregierung ist auf das Angebot
allerdings bisher nicht näher eingegangen. Der DRB-Vorsitzende Christoph
Frank begrüßt die Rechtskundekurse in Bayern und Hessen als vorbildlich:
„Wenn Justizangehörige Rechtskunde vermitteln, ist das ein wichtiger Beitrag
zur Integration von Flüchtlingen. Das sollte in allen Ländern Unterstützung
finden.“
Redaktion: Annelie Kaufmann
Bild: fotolia
Newsletter Archiv
© Deutscher Richterbund
Deutscher Richterbund e.V.
Haus des Rechts
Kronenstraße 73
10117 Berlin
Tel. 030-20 61 25-0
Fax 030-20 61 25-25
[email protected]
www.drb.de