FOTOKALENDER 2015 | JUNI Interview Ilona & Claudia Brandt Ihr seid Zwillinge. Seid ihr vom ersten Tag an unzertrennlich? Irgendwie ja. Bei Zwillingen ist das was anderes als bei sonstigen Geschwistern. Behinderung oder Krankheit - wie nennt man das? Grunderkrankung, Handicap -geht alles. Ist uns eigentlich wurscht. Ganz gerne einfach Schrottis. Wir gehören zu den Schrottis als Überbegriff für Behinderte - das bedeutet nicht kaputt. Das „i“ macht das aus. Oder wir nennen uns Smarties. Wir nehmen uns nicht so ernst. Nehmt ihr es ernst, wenn euch andere nicht für ernst nehmen? Das passiert uns oft. Erstmal. Erstmal werden wir nicht wahrgenommen, ernst genommen. Wenn wir mit einer Begleitperson zusammen sind, wird der immer angesprochen. Obwohl sich das auch gebessert im letzten Jahrzehnt. Es ist schon ein bisschen bei der Allgemeinbevölkerung im Bewusstsein, wenn man im Rollstuhl sitzt, dass gehbehindert nicht gleich geistig behindert ist. Das ist schon besser geworden - find ich. Es macht wahrscheinlich auch was aus, wie man auf die Menschen zugeht. Wenn man als Rollstuhlfahrer einfach drauf zugeht und spricht denjenigen an, dann isses heute schon auch einfacher normal ins Gespräch zu kommen. Es ist schon viel besser geworden. Die Inklusion funktioniert schon ein bisschen. Inklusion - da normaler Umgang miteinander noch nicht selbstverständlich ist, muss man das irgendwie benennen und in Gesetzesform mit reinnehmen - sonst funktioniert´s nicht. Wenn das endlich passiert, dass schon im Kindergarten alles durchmischt ist mit allen möglichen Schichten und eben Behinderung und Nichtbehinderung - dann wächst daraus eben mehr, eine Gesellschaft, wo es nicht mehr besonders ist, anders zu sein. Dann funktioniert das auch endlich automatisch. Aber anscheinend muss man das erst einmal richtig initiieren und einen Namen geben. Gibt es auch Ablehnung, wenn ihr zwei irgendwo auftaucht? Ich find´s eben nicht mehr so schlimm. Wir haben´s nicht so viel erlebt. Wir wohnen hier vielleicht so, dass Behinderte oder Verschiedenartige bekannt sind. Es ist hier sehr durchwachsen. Es ist auch was anderes, ob man in Köln oder Bonn lebt, oder auf dem Land. Ich hab nicht das Problem. Ich geh auf Menschen zu, komme ins Gespräch und werd´ auch relativ schnell ernst genommen. Es wundert mich auch selber immer mehr, wie gut das funktioniert. Es kommt auch immer auf einen selber an; wie ich auf jeden zugehe. Wenn ich auf jemanden zugehe und ganz normal anspreche, zuckt der andere vielleicht erst einmal für einen Moment, man merkt, er ist irritiert: warum sagt der jetzt so was ganz Normales, Alltägliches? Wenn sich das ganz normal anhört, reagieren die anderen auch ganz normal. Bis die anderen auf einen zugehen, darauf warten wir nicht. Das funktioniert wirklich nicht - dazu sind die Berührungsängste zu groß für die anderen, die Normalen. Man muss ihnen das schon ein bisschen erleichtern, auf sie zugehen, dann geht das aber auch ganz einfach. Gibt es Leute, die euch das absprechen? Dass ihr besser drauf seid als manch anderer, der um 7 zur Arbeit fährt und um 5 heimkommt und trotzdem nicht gut drauf ist ... Mag sein, das haben wir bisher nicht mitbekommen. Ich mache mir nicht so viel Gedanken darüber, was andere von mir denken oder meinen. Das Bild was ich von anderen mitkriege, was man vielleicht über uns hat, is ok, is neutral. Da hab ich mir noch nicht so´n Kopf drüber gemacht. Neid - die sitzen im Rollstuhl, haben mehr Lebensfreude? Dass sie meinen, ihr müsstet eher Trübsal blasen… Ist mir noch nie begegnet. Alte Leute sind eher mitleidsvoll - finde ich eher liebenswürdig;die schlimme Zeiten mitgemacht haben sich reinversetzen, das finde ich ok, da kann ich auch nicht für böse sein. Das muss man ganz individuell sehen. Genau das ist uns jetzt im Europapark passiert. Da kam eine junge Frau im Europark, vielleicht 25J. junge Mutter mit ihrem Baby - auf uns zu. „Das finde ich aber toll; das finde ich schön, dass Sie hier sitzen und kucken und Spaß haben…“ Denk ich, finde ich das jetzt nett oder schrecklich, dass die noch so denkt? Ich denke, das ist doch ganz normal - das müsste langsam ein ganz bekanntes Bild sein. Ich habe so einen Moment lang überlegt, ob ich das zurückgebe, dass ich das auch schön finde, dass sie hier steht und kuckt. Dann merkte ich, dass sie das ganz ehrlich und nett gemeint hat. Für sie war das was Besonderes. Sie hatte das bisher nicht anders kennengelernt. Das war kein Mitleid, sie hat sich einfach gefreut. Wir sind dann mit ihr ins Gespräch gekommen sind, ganz normal, also nicht über Behinderung. Wir haben das Thema gleich geschwenkt und ich glaube sie hat gemerkt, das sind auch nur Menschen wie du und ich. Eigentlich geht´s immer so. Ganz selten mache ich schlechte Erfahrungen, über die ich mich dann ärgere. Fotokalenderaktion - macht das Sinn für euch? Dass Behinderte so in ihrem Umfeld… Mit besonderen Perspektiven wird das glaub ich ein ganz toller Beitrag. Also besser eben, als wenn man da nur schöne Bilder zeigt, wie man sie irgendwo in irgendwelchen Formaten sieht. Finde ich schon spannend. Habe das Gefühl, dass ein relativ hoher Anspruch ist an diesen Kalender. Wir wissen ja auch gar nicht was dabei herauskommt am Ende. Es ist natürlich auch ein Wagnis, wenn man sowas mitmacht, zusagt, aber so von dem Konzept her, fand ich es interessant. Den Kalender sehen nachher vielleicht ganz viele Menschen, die nie zu dir nach Hause kommen würden. Wenn sie nie Behinderte gesehen haben, dann bestimmt. Aber ob es diese Kreise überhaupt erreicht? Ich dachte eher so ein Kalender für Sanitätshäuser, Rehabetriebe… Ich dachte, die ganz normale Bevölkerung kommt da gar nicht dran. Das ist auch egal. Das kann auch funktionieren, dass ganz Unbeteiligte das mitbekommen. Aber ich finde, das ist ganz schlecht zu besprechen. Über Geschmack lässt sich nicht streiten - das sind Stilarten; aber ich finde, man muss nicht mit irgendetwas hinterm Berg halten, nur weil es andere überfordert; wenn es andere überfordert, sollen sie es sich nicht ankucken. Ob da jetzt ein Rollstuhlfahrer im Rollstuhl, schiefe Beine, krumme Füße…Aber es ist das wahre Leben und es ist nun mal unterschiedlich. Aber ich finde, da muss man keinen schonen. Aber ich würde jetzt auch nicht einfach nur provozieren wollen. Wie halt so ein Körper entsteht, das kommt aufs Bild- und fertig. Wenn ihr weggeht - in der Freizeit macht ihr schon alles zusammen? Nee; das, was uns gemeinsam interessiert , machen wir dann zusammen, wenn wir grad Zeit und Lust haben. Das trifft zu 40% zu; ansonsten machen wir unsere eigenen Sachen. Dann treffen wir uns vielleicht irgendwo irgendwann zwischendurch wieder am Tach - oder auch nicht. Wie´s kommt. Wenns drauf ankommt, helfen wir uns dann auch gegenseitig. Zwillinge zu sein, ist schon ein Vorteil, definitiv; aber deswegen kleben wir jetzt nicht ständig zusammen. Soweit geht die Geschwisterliebe nicht. Interview Andreas Reiner Ilona & Claudia Brandt THERA-Trainer® medica Medizintechnik GmbH Blumenweg 8 88454 Hochdorf +49 7355-93 14-0 [email protected]
© Copyright 2025 ExpyDoc